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Tanz

Das war ein unvergeßlicher Abend gestern abend, dieser Abend in den ›Vier Jahreszeiten‹, bei gehobenen Gefühlen und ebensolchen Eintrittspreisen.

Als sich der Vorhang mitten spaltete, erblickte man einen zweiten Vorhang, er war blau wie Rotwein.

Vorn stand ein Holzgerüstchen, zartvergoldet. Eine Harfe? Ein Schafott? Es war ein Sessel, Gotisch-Fraktur.

Weiter hinten stand die Tänzerin, mit einem verkürzten Bein. Schon nach der dritten Nummer zeigte sich, daß ihr Bein nicht wirklich verkürzt ist, sondern es war nur eine künstlerische Verkürzung, nach einer Radierung von Slevogt.

Wie hieß sie doch, die Tänzerin? Kita Rido. Nein, Rita Kido. Oder so ähnlich.

Das Klavier seufzte auf, und die Tänzerin begann zu tänzen.

Sie tänzte Spondäen, hie und da Anapäst und Amphibrachys.

Sie tänzte schwermütige Allegretti und muntre Nänien.

Dann etwas Spanisches, wobei sie durch Knacken der Schlüsselbeine die Castagnuolas zu markieren suchte. Man hörte es nicht sehr, denn Riki Tado ist gut genährt.

Vom Ägyptischen Tanz kann man nur sagen: pyramidal; das wenn der hochselige König Schöps, Erbauer der Schöpspyramide, hätt erleben dürfen!

Was Unkundigen als Gelenkübung im Bademantel erschien, war die Versunkene Kathedrale von Debussy.

Bei ›Großmutters Polka‹ waren Tari Kidos Hösinnen sehr lang, jedoch durchsichtig, mit kleinen Rüschchen oben und unten, überdies staken niedlich gelbe Flügel an den Hüften. Ich entsinne mich nicht, Großmutter jemals in so praktischer Kleidung gesehen zu haben.

Den Totentanz von Saint Saëns machte sie zu herzig – am liebsten wollt man ihr zurufen: Geh, Dickchen, schwoos nochmal den Totentanz von Saint Saëns!

Dann war ›Tanz ohne Musik‹. Eine Glanzleistung. Tiki Rado sollt auf dieser Linie kühn weiterschreiten; auch den Tanz noch weglassen. Wenn man so gebaut ist, hat mans wirklich nicht nötig.

Endlich ein ›Bacchanal‹. Musik:

»Das ist mein Wien im Foxtrottfimmel,
»Da fühlt sich selbst der Ochs im Himmel.«

Ich war im Himmel.

– – – Trotzdem muß ich sagen, daß mich die Tanzabende seit einiger Zeit eher ernüchtern.

Denn wie sehr das Erotische des modernen Tanzweibes unser gesundes Empfinden stachelt: man hat das jetzt daheim, beim Sonntagstee in der deutschen Familie viel lasterhafter. Und durch Gewöhnung stumpft sich der Reiz doch etwas ab.

B. G. Nuschitsch nacherzählt


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