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Eine politische Rede, die ich noch nie zu halten wagte

»Sehr geehrte Versammlung! Viele haben heute zu Ihnen gesprochen und auf den Gegenstand der Beratung ihr Licht geworfen. Sie, meine Freunde, sind eben daran, nach stundenlangem, eifrigem Zuhören einen Beschluß zu fassen. Ich fordere aber, daß Sie nicht abstimmen, ohne auch mich gehört zu haben.

Meine Herren! Entscheiden Sie zunächst, ob diese Versammlung die einzige ihrer Art ist – oder ob zur selben Stunde oder vorgestern oder übermorgen … ob überhaupt Volksversammlungen im Deutschen Reich getagt haben, tagen oder tagen werden, die sich rühmen dürfen, der eben anwesenden Menge gleichwertig an Geisteskräften zu sein. Ich glaube, Sie werden nach einiger Überlegung zugeben, daß die gegenwärtige Versammlung andern gewesenen, gleichzeitigen und zukünftigen Versammlungen in keiner Hinsicht überlegen ist.

(›Alles, was wahr ist – da hat er recht‹.)

Wir sind also Leute von durchschnittlicher politischer Bildung. Gut, diese Erkenntnis wollen wir festhalten! – Nun sind zwei Fälle möglich:

Entweder unsre Einsicht reicht aus, in die Lenkung des Staates einzugreifen – oder sie reicht nicht aus.

Reicht sie nicht aus – dann möge niemand versuchen, uns mit öffentlichen Angelegenheiten zu befassen; uns ›politisieren‹ hieße ja nur: Dummköpfen einreden, sie wären Staatsmänner. In diesem Fall bitte ich Sie vielmehr, jeglichen Beschluß zu unterlassen und still und betrübt heimzugehen.

Dürfen wir im Saal hier uns aber eines mindestens mittlern Verständnisses für die Lenkung des Staates bewußt sein – dann, meine Damen und Herren, laßt uns keine Zeit versäumen! Sie räumten mir ja ein, es gäbe tausend Versammlungen im Reich gleich uns; dann ist offenbar so viel politische Klugheit in Deutschland – so kristallne Weisheit in seiner Regierung, daß Ihr Beschluß völlig überflüssig ist …«

So weit bin ich gekommen – da wird mich vermutlich eine Stimme unterbrechen:

»Roda, das ist ein Witz!«

Ich werde antworten:

»Herr, es ist das Ernsteste, was über die deutsche Gegenwart zu sagen blieb.«


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