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Fasching

Die rätselhafteste Erscheinung des Münchener Klimas:

Jedes Jahr, pünktlich zu Silvester stürzt sich ein Scirocco von den Alpen, schwillt am Dreikönigstag zum Wirbelsturm und versetzt die Stadt in Drehbewegung. Dann ist München nicht mehr Zentrum, nicht mehr ultramontan – Dionysos herrscht und Tumanbanga, der Fidschigott der Ehebrecher.

Dann stellen die Maler ihre Arbeit ein, weil die Modelle tanzen. Familienväter tragen die Betten ins Leihhaus; und können garnichts besseres damit anfangen: die Stubenmädchen haben ihre Stellen gekündigt – niemand räumt auf; die Stubenmädchen privatisieren; viele haben sich Magenleiden zugezogen durch Genuß von zu kaltem Sekt.

Die Schwabinger Kunstgewerblerin aber brütet schwere Sorgen: ›Was ziehe ich heut abend an?‹ – Garnicht so einfach: als Griechin, Säulenheilige oder Fee selbstverständlich das Tischtuch; als Skythin, Thusnelda, Russin selbstverständlich den Bettvorleger; etliche andre Trachten lassen sich durch Permutation herstellen von Tischtuch und Bettvorleger oder Bettvorleger und Tischtuch. Doch gibt es Fälle, wo man den Lampenschirm mitverwenden muß.

Mit dem Alltagsrock legt der Mensch sein Alltagsgesicht ab, mit dem Kostüm hängt er sich einen Charakter um. Gar mancher ging das Jahr über als Bürger verkleidet – hier erst, auf dem Kostümfest, zeigt er fein wahres, das Narrengewand und zeigt seine wahre närrische Seele.

Die Bogenlampen glimmen verloren im Nebel, die Kastanienbäume recken ihre kahlen Äste, und ein süßer, stiller Malzgeruch ist in der Nacht. Im Schwabinger Bräu hat man die Wände mit Rupfen bezogen, mit Tannengrün bekränzt und feiert die

Merdenfelser Kirweih

bei schmetternder Blechmusik. Da findet sich, wer gern in Krachledernen geht, mit seinesgleichen.

Niemand fühlt sich wohler als Josef Futterer. Vor ein paar Jahren war er bekannter als Virtuose der Mundharmonika denn als Maler. Jetzt zieht er das Scheckbuch, kauft seine eignen Bilder zurück, wo er sie kriegen kann, ist Professor und Ehrenbürger seines Heimatortes.

Josef Futterer! Du bist ein berühmter Maler worden – erst unlängst hat ein valutakräftiger Kunstfreund für Unsummen deinen Stammtisch gekauft, auf den du übermütig mit Wirtskreide eine Skizze hingeworfen. Ich aber habe dich noch in deinem Glanz gesehen, im Aufstieg. Entsinnst du dich jenes Bockfrühstücks bei mir? Es dauerte etwas länger als ursprünglich vorgesehen war – und in der zweiten Nacht (oder der dritten?) ging uns das Bier aus. Ein Auto, mit unsrer Köchin bemannt, jagte die Brauhäuser Münchens ab nach einem neuen Faß. Entsinnst du dich? Du warst nicht, wie sonst, etwa als Hirtenjunge gekommen mit einem handtellergroßen Hüatle und einem Kränzchen Ziegenmist daran – nein, in der denkbar gründlichsten Verkleidung bewegtest du dich – als Elegant im Smoking. Weltgewandt hofiertest du jener Vicomtesse, die gekommen war › pour faire connaître les moeurs de la Bohême‹ – hofiertest ihr weltgewandt im Smoking – – hinten aber, nur uns sichtbar und nicht der lorgnettierenden, aufgeblasenen Urschel, hinten hattest du eine meterlange Pfauenfeder stecken und begleitetest parodierend deine eignen geschraubten Redensarten mit niedlichen Courbetten der Pfauenfeder. Josef Futterer – denk ich daran, schmerzen mir noch heut vor Lachen die Rippen.

Wie ließest du ›die Hunde bellen im Dachauer Moos‹! Wie konntest du erschütternd komisch stottern! Vor allem: wie spieltest du Mundharmonika! Das, ja, das war Musik – die Orchester des Prinzregententheaters müssen vor Neid erbleichen. Aus der rechten Hosentasche holtest du den Beethoven, aus der linken Wagner. – Grins nicht, Idiot von Leser! Hör erst Futterer Mundharmonika spielen, sieh Schwegerle dazu tanzen, und dann urteil!

 

Im Arzberger Keller war

Vorstadthochzeit.

Thöny und Rudolf Wilke haben einst das Fest gegründet – Ferdinand Spiegel und Arnold führten es fort. Hier trug man die vorige Mode: breitkrempige Zylinder, Gehröcke und Orden auf der Brust. Arnold hielt patriotische Ansprachen.

Im Arzberger Keller wars – da habe ich mich so schrecklich blamiert:

Man sprach vom jungen Bildhauer Lessig, der als Dame durch den Fasching gehe. Und er spiele seine Rolle so täuschend, daß ihn schon manch ein abgebrühter Frauenkenner entzückt zum Souper geladen hätte …

Ich aber rief: solch ein Schabernack könnte bei mir nimmermehr verfangen; ich würde beim ersten Anblick den Mann in der Maske erkennen.

Abwarten, sprachen die Genossen, Lessig käme ja heute her.

Eine Viertelstunde später trat Frau D. an den Tisch, die statiöse Operndiva.

Ich sagte ihr sofort auf den Kopf zu: sie wäre der Bildhauer Lessig.

Bühnenball.

Gustl Waldau, was redest du einen italienischen Salat! Petrarca horcht aus der siebenten Sphäre eine Stunde hin, wischt sich den Schweiß von der Stirn und stöhnt:

»Ich fühle, dieser Herr spricht meine Sprache. Doch wehe – ich versteh ihn nicht?« Mit diesem Kauderwelsch, lieber Gustl, führst du unbewußt eine große Münchener Tradition fort. – K. J. Weber erzählt im ›Demokritos‹, 8. Band:
Im Jahr 1782 hielten die P. P. Augustiner in der Kirche an der Neuhauserstraße eine feierliche Disputation. Prangerl, Narr des Kurfürsten Max, schmuggelte sich unter die Opponenten, und nach der zwingenden Beweisführung des Dominus defendens rief der Narr sein Nego; mischte etliche lateinische Phrasen durcheinander – so geschickt, daß sich der Defendens mit dem Narren einließ. Prangerl warf ein Nego, ein Distinguo nach dem andern in den Disput und ließ eine Flut lateinisch klingender Wörter hinterdreinfolgen – bis der Defendens verblüfft gestand:
» Non intelligo. « – »Ich verstehe nicht.«
»I aa nit,« rief Prangerl und lief vondannen.

Gibt es noch eine Stadt wie München, noch einen Schauspieler wie Gustl Waldau? Sein sind die Höhen und die Tiefen, der Adel des Herzens ist sein. Von Geburt nur Freiherr, durch Erziehung nur Gardeleutnant – ein Künstler durch Trieb. Die Gebärde – Kultur. Jedes Wort ist Klang. – Du spielst, Gustl Waldau, ein jagendes Scherzo in den Falsettlagen des Humors, und stradwarische Resonanzen deines Gemüts beben die Begleitung. Ein feiner Mensch bist du, Gustl Waldau – fühlst du nicht Einsamkeit um dich?

– – – Auf den Bühnenball, das ist mein erster Gang ins Freie gewesen, als ich vor soundsoviel Jahren nach München kam. Ich nicht viel über dreißig, meine Braut war jung, blühend wie ein Frühlingstag.

Wir saßen in der Pause an einem langen Tisch: rechts der kleine, düsterdunkle Max Dauthendey mit seiner schwedischen Blondine – links Mi von Hagen, zauberisch schön, Waldaus Gattin. Ein pudeljunger Sizilianer mühte sich um meine Braut. Sie hatte ihm tückisch gelogen: sie sei Malerin, habe ihr Atelier in Solln – morgen um drei werde sie ihn porträtieren. Er sah Chancen, der Sizilianer, und begehrte nach einem Vorschuß, einem Kuß. Bekam ihn nicht. Wurde dringender …

Da rief ich vom andern Tischende:

»Hör mal, Kleiner! Auf diese täppische Art kommst du in Ewigkeit nicht zu deinem Recht.«

Er höhnte:

»Alter! Du? Du willst mich lehren, wie man Mädchen behandelt?«

»Ja, ich. Gib acht! Ich muß nur wollen und kriege deinen Kuß. Wettest du? Um drei Flaschen Sekt?«

Er wettete, der Tor. Ich bedang französischen Sekt aus, zu zwanzig Mark, damit mich meine Braut auch gewiß nicht sitzen ließe – und rief gebietend:

»Komm, Mädel! Küß mich dreimal!«

Sie tat es gehorsam.

Das hat den Sizilianer irre gemacht an Gott und Menschen.

— — —

Die Feste bei

Viktor Manheimer

im offenen Haus, unter rauschenden Bäumen! Niemand wie er, der Schöngeist – vor allem niemand wie sie, die kluge, liebliche Frau voll stiller Wärme hat München so zu sammeln verstanden. Da drängte sich Kopf an Kopf – kein hohler dabei; destilliertes Schwabing mit 99 % geistigen Inhalts. Man führte verschollene Stücke auf, tanzte in der Halle und tafelte im Garten. Kinder! Soll das niemals wiederkommen?

 

Einst lebte irgendwo im amerikanischen Urwald ein Farmer namens Mister

Fürmann.

Ich glaube, es ging ihm nicht sehr gut.

Wenn bei uns in Europa einem honetten Menschen die Dampfwalze des Lebens beinah schon übern Bauch gefahren ist – dann, versichern die Volkskalender, in letzter Minute ist ein verschollener Onkel in Amerika gestorben und hat den besagten hoffnungslos bedrohten armen Teufel flugs zum Dollarmilliardär gemacht.

Die interkontinentale Gerechtigkeit forderte, daß sich einmal auch der reziproke Fall vollziehe – und das Glück wählte Mister Fürmann aus zum Gegenstand des Experiments. Eines Montags im Mai – der Himmel war blau und nichts deutete auf kommende Ereignisse – da erhielt Mister Fürmann zu Central City, Post Columbus am Platte river, Nebraska, einen Brief des Inhalts:

Der Adressat sei nach dem letzten Willen seines zu München entschlafenen Oheims Erbe geworden und Besitzer des Grundstücks Pl. Nr. 719 zu Schwabing, an der Belgradstraße 57.

Mr. Fürmann ordnete seine amerikanischen Angelegenheiten, nahm das notwendigste Handwerkszeug mit sich – Axt und Bowiemesser – und reiste über die atlantische Pfütze nach Schwabing, um sich die Sache anzusehen.

Er fand einen Obstgarten da und eine Scheune. Im Nu hatte er seine Pläne gefaßt und ging an die Ausführung:

Mit der Axt hieb er die Obstbäume ab; mit dem Bowiemesser spitzte er die Pfähle. Und zog zuerst mal einen Palisadenzaun rundum – gegen Indianerüberfälle.

Dann verschmierte er die Wände der Scheune mit Lehm und hängte eine große Lampe auf. Die Lampe bammelte zu niedrig, man stieß mit dem Kopf daran. Mr. Fürmann sägte also eine Öffnung ins Dach, errichtete eine Art Schornstein mit einem Querbalken darüber und schraubte den Lampenhaken in den Balken. Nun wars richtig.

Die emsige Tätigkeit Mr. Fürmanns war dem Auge der Münchener Baubehörde keineswegs entgangen. Es kam ein Amtsorgan mit der Frage:

Was denn all das bedeute und vorstelle?

»Dieses ist,« sprach Mr. Fürmann, »die neugegründete Fremdenpension.«

»Die Tenne mit der großen Lampe?«

»Ist der Eß- und Tanzsaal.«

»Die hölzernen Käfige da rechts und links?«

»Sind die Wohnzimmer.«

»Ja, Mensch! Haben Sie denn eine behördliche Bewilligung zur Umgestaltung der Scheune vorzuweisen, eine Konzession zum Betrieb der Herberge?«

»Ah!? Braucht man dergleichen in euerm Europa?«

– – – Was wollte die Polizei tun, wo der Bau nun einmal fertig stand? Sie gab – unter ernstlicher Verwahrung gegen künftige Übergriffe – Baulizenz und Konzession. Die Gründung der Pension Fürmann war rechtens vollzogen.

Bald meldete sich der erste Gast.

»Was für ein Zimmer wünschen Sie?« erkundigte sich Mr. Fürmann höflich.

»Womöglich nach Süden – geräumig – mit kalt und warmem Wasser, Sofa, Bad …«

»Darnach frage ich nicht. Bei mir sind alle Zimmer gleich: ohne Sofa, ohne Süden. Wasser im Brunnen, Bad im Würmkanal. Sondern: welche Farbe soll Ihr Zimmer haben?«

»Pfaublau.«

»Gut, kommen Sie nachmittag!«

Stahlgrün – karmesinrot – schwefelgelb – – – es kriegte jedermann sein Zimmer nach Gefallen. Preis: täglich 2 M 50 tout compris: Wohnung, Frühstück, Mittag- und Abendessen, Heizung aus Gottes Wärmequellen, Licht aus dem Schornstein. Und Samstag abend: Ball.

Viel Menschen hausten dort bei Fürmann: persische Khane, holländische Forscher; Ärztinnen aus Lissabon, Sankt Petersburg; Maler aus Hindostan und Honolulu. Was jung ist und einen Namen hat in der Münchener Literatur, Koloratur, Architektur und Skulptur hat irgendeinmal bei Vater Fürmann in Futter und Kreide gestanden.

Welche berauschenden Feste! Welche Armut an Alkohol und Mitteln, welcher Reichtum an Fleiß und Phantasie! Sie sagten einen Ägyptischen Abend an, die Fürmannschen: und die Scheune ward zum Ammonstempel, die Türrahmen zu Pylonen, der Kochherd – eine Sphinx, der Müllhaufen – Pyramide. Sie gaben eine Frühlingsfeier – und First, Mauern und Fenster, Zäune strahlten weiß und fliederblau. Jedes Plakat ein Aquarell, jede Einladung und Eintrittskarte handgezeichnet; keine glich der andern. Denn man hatte doch das Geld nicht für die Druckerei; aber Arbeitsfreude und Erfinderkraft in Überfluß.

Zu Weihnachten schenkten sie ihrem Mister Fürmann eine große Trommel. Nun ging der Feetz erst an. Hundert, zweihundert Menschlein hockten im Saal unter der großen Lampe, rund an den Wänden und sahen den arabischen Schlangentänzen zu. Kun-Bukowina schlug ins Klavier, Missis Gwallior schlug in die Trommel. Der albanische Pfarrer sollte in München kirchliche Malerei studieren; er tanzte bis fünf Uhr Two-step bei Fürmann – ging die Messe lesen – kam wieder und tanzte weiter. – Kinder! Das war Fasching! Und meiner Seel: alles in Tischtüchern und Bettvorlegern.

— — —

Da fiel eines Herbsttags der Pension Fürmann ein, das Königlich Bayerische Königtum zu stürzen.

Ich weiß es noch wie heut:

Ende Oktober hatte ich Urlaub aus Bulgarien nach München bekommen; saß im Café Stefanie – um zwei Uhr nachmittag – und spielte Schach mit Erich Mühsam.

Sie kennen ihn doch – den komischen, haarigen Bohémien? Sohn eines reichen Apothekers aus Lübeck, ursprünglich selber Apotheker. War der Lehre entlaufen, hatte den Anarchisten gespielt – in der Freien Gemeinschaft zu Berlin, in Ascona; vom Vater entmündigt, von der Polizei (und niemand sonst) ernst genommen – von der Polizei gelegentlich auch eingesperrt. Hatte ein paar prachtvolle Gedichte gemacht und trat – mit glänzenden Schüttelreimen – im Kabarett auf:

Das kleine Mädchen reibt sich leise
Das Knie, wenn ich nach Leipzig reise …

Im übrigen ein herzensguter Kerl, ein treuer, hilfsbereiter Kamerad.

Nur von Politik und sozialen Fragen durfte man mit ihm nicht reden; da überschrie er sich vor Eifer. Und weil man seine schwache (oder stärkste?) Seite kannte, verbot man ihm den Gegenstand; verbot ihm jede Silbe darüber: am Majorstisch im Café Stefanie, auf der Halbeschen Kegelbahn, in Wedekinds Torggelstubenecke.

»Hüte dich vor Menschen, die nur ein Buch gelesen haben.« – Ich glaube, Tolstoi hat Mühsams Strudelkopf verdreht. Mühsam begann in Versammlungen zu reden, er scharte den ›fünften Stand‹ um sich: die Landstreicher, Zuhälter, Verbrecher, Päderasten. Er soll sehr gut geredet haben, gewandt und glühend. Und redete sich, der Tepp, um Verstand und Güte. Es erwies sich, daß die Polizei doch rechtbehielt: Erich Mühsam ward gefährlich.

– – – An jenem Novembertag 1918 also saß ich im Café Stefanie und spielte Schach mit Mühsam. Für drei Uhr war Versammlung auf der Theresienwiese angesagt.

Ich fragte Mühsam noch: was die Versammlung wolle?

»Ach, nichts,« erwiderte er mürrisch. »Die Menschen sind ja so dumm …«

Dann bot ich Schach und hätte Mühsams König in drei Zügen mattgesetzt, wenn nicht …

 … wenn nicht Bruno Frank gekommen wäre. Er verschleppte meinen Mühsam in die Nische des Cafés, in den ›Kuhstall‹. Dort tuschelten sie heftig.

Dann gingen sie zusammen nach der Theresienwiese.

Auf der Wiese sprach Eisner zu den Massen.

Die Massen zogen demonstrierend in die Stadt. Noch dachte niemand an Putsch und Umsturz.

Selbigen Abends stürmte eine Fürmannpensionärin die Türkenkaserne.

– – –Und auch die Räterepublik, das Jahr darauf, ist von der Pension Fürmann ausgerufen worden.

907 bis 1918 regierten in Bayern die Wittelsbacher; 1919 Erich Mühsam.

— — —

Ich weiß nicht, wie es auf dem bayerischen

Hofball

zuging. Fröhlicher als bei Fürmann sicher nicht. Auf der Straße und im Theater machten unsre Prinzessen den Eindruck, als wär höchste Zeit gewesen, die königliche Zivilliste zu erhöhen. Unter den Modeschöpferinnen wenigstens fand ich nirgend eine Wittelsbachsche abgebildet.

Eine sympathisch einfache Dynastie. Eine Schwabingerin war Masseuse Ihrer Majestät. Jenes Nachmittags verspätete sie sich und stammelte eine Entschuldigung: es wäre so'n Menschenauflauf in der Stadt gewesen …

»Ja, warum denn?« fragte die alte Königin.

»Nun, die Leute eilen zur Versammlung auf die Wiese …«

»Versammlung? Woher wissen Sie es, liebes Fräulein?«

»Aus den Neuesten Nachrichten.«

»Kathl!« rief die Königin. »Bringen S' die Neuesten!«

Dienstfertig eilte die Kammerfrau um die Zeitung; erschien alsbald wieder und meldete:

»Der Kini liest s' grad.«

So ist die Königin denn unvorbereitet von der Revolution überrascht worden.

Es gibt keinen Hof mehr, und ich habe nun geringe Aussicht, je einen Hofball mitzuerleben.

Vom

Bal paré

hingegen kann ich auf Grund wiederholten Augenscheins berichten, aus der Erfahrung einer langen Zeit.

Im Urteil des Fremden sind die Bals parés der Münchener Fasching schlechthin.

Und der Münchener Fasching ist berühmt. Warum eigentlich? Die Frauen in Stockholm sind schöner, in Kopenhagen eleganter, in Amsterdam sinnlicher. – Die Herren? Eine kundige Thebanerin versicherte mir schon vor Jahren: man müsse sich ›durch siebzehn Kommis durchtanzen, eh daß man an an Gawlier kummt‹. – Die kleinen Mädchen? In Paris gibt es gigolettes und midinettes, denen unsre Matschackerln nicht das Wasser reichen. Also: warum eigentlich?

Es ist die Atmosphäre einer stark von Künstlertum durchsetzten, leichtlebigen Stadt. – Ein verdammt reizvolles, ein himmlisches Bild: der Riesendom des Deutschen Theaters, angefüllt mit Dimensionen, Farbe, Licht und Trubel. Nur Dionysos, Tumanbanga und Severini bringen solch eine Schöpfung fertig: die Logen bis zum Dach voll von verheißenden Dominos, auf dem Parkett der quirlende Lärm des Vergnügens.

Ob all das der Ausdruck Münchens ist? Ob der Glanz der Bals parés verblich im Lauf der Jahre? – Letzthin führte ich einen alten Herrn hin, der seit langem nicht mehr dagewesen war. Er äußerte sich sehr zufrieden. »Zu meiner Zeit,« sagte er, »hat man d' Weiber erscht bei der letzten Française in d' Luft gehoben, um halber drei in der Früh; jetz schon um elwe.« – Und er fand ein Wort des Tadels nur für die Gitterchen, die eine überprüde Behörde kürzlich vor die Brüstungen nageln ließ, damit man die Damen nicht gradenwegs aus dem Tanzsaal in die Logen hebe.

Der Bal paré ist das Werk eines Malers, Rezniczeks. Freilich gabs den Bal paré schon vor ihm – doch Rezniczek hat ihn berühmt gemacht. Noch mehr: er hat ihm die Linie gezogen. Er sah die Mädel, die Herren nicht wie sie damals waren – nein, wie sie nach seiner Meinung werden sollten: schlank, graziös, schnittig. Und sie? Wurden just so, wie er sie gesehen. Der Maler hatte ein Zuchtideal ausgestellt, und die Wirklichkeit folgte ihm nach. Kainer nach Rezniczek wird so formbildend wirken.

Ich muß dem Landfremden einiges erklären:

Bals parés gibt es nur im Deutschen Theater, jeden Mittwoch und Samstag. Mittwochs Nobelredoute, Samstags ists gemischter; der katholische Hochadel fehlt, soweit er weiblich ist, Mittwochs und Samstags; das Matschackerl, Gott sei Dank, ist immer da – in Mollsammet, in Halbseide, mit Straußfedern im Haar, mit blitzenden Augen. – Die Herren erscheinen im Frack und bluten vierzig Mark. Die Damen lassen sich mitnehmen – man zahlt an der Kasse ichweißnichtwieviel für sie. Neben einer etwa bestehenden Ehe ist der gemeinsame Garderobezettel das einigende Band zwischen Dame und Herr. Man macht erst am Morgen Gebrauch davon.

Die Française ist eine akklimatisierte Quadrille mit One-step in der zweiten, Knutschen in der ersten bis fünften und fürchterlichem Geschrei in der vierten Tour. An einer gewissen Stelle wird nebenher gezischt. An einer andern Stelle schaufelt man die Damen hinüber und herüber. Dann läßt man die Damen wie Windmühlen rotieren. Endlich kommt das ›Ausdrehen‹. Man sieht: die Sache ist kompliziert und tourenreich. Wer die Française nicht auswendig kann, lasse sich garnicht erst darauf ein, wenn er sich Rüffel von Partnern und Nachbarn ersparen will.

Strenge Gesetze schreiben dem Ballbesucher auch das Benehmen zwischen den Françaisen vor: nach der ersten hat man die Tänzerin zu deutschem Sekt zu laden, nach der zweiten ins Kellergeschoß zum Bier, nach der dritten in die Grotte zu einer Erklärung.

– – – Wenn Sie aber, verehrte Berlinerin, auch jetzt, nach dem Krieg, noch auf Einhaltung des alten Bal paré-Zeremoniells rechnen, werden Sie bitter enttäuscht werden. Und wenn Sie hoffen, Künstler da zu finden: spinnen Sie ruhig das Techtelmechtel mit Ihrem Schieber weiter. Der Bal paré lebt nurmehr von seinem vergangenen Ruhmesschein – er ist nicht mehr; er ist gewesen.

Schön gewesen.

Schön wie du, Berliner Pflanze, als dich die Neugierde zum erstenmal nach München trieb, auf den Bal paré. O, wie brannten deine Lippen und wanden sich gleich Blutegeln – der Küsse gewärtig, die der Abend bringen sollte!

Als du hörtest, man müsse sich dekolletieren, erschrakst du. »Niemals,« schworst du nachdrücklich; solche Schamlosigkeit machtest du nicht mit – du gingest ›hochgeschlossen‹.

Und batest schon nach Neun um meine Nagelschere, um dir im Hintergrund der Loge dein Fähnchen bis zur siebenten Rippe auszuschneiden. So zogst du aus auf neue Eroberungen. Ich sah dich niemals wieder.

— — —

Von der letzten Française stehen zwei Wege offen: ins Café Luitpold oder zum

Donisel.

Gewöhnlich geht man beide – wenn man nicht vorher im Odeonkasino einkehren will.

Das Kasino ist teuer und vornehm. Luitpold ein Übergang. Der Donisel ist eine Kutscherkneipe an der Weinstraße. Sie öffnet um fünf ihr ängstlich schmales Türchen und läßt die Gäste ein: Nachtarbeiter, Chauffeure, Damen in Zobelpelzen, Lebemänner im Frack. Es dauert Sekunden, und alles ist besetzt: Gastzimmer, Flur, Küche, Tische, Bänke, Herd. Die Nägel an der Wand sind behängt: mit Kutscherpeitschen und Zobel. Man rauft sich um den Inhalt gargantuanischer Weißwurstkessel.

Beim Donisel endet die offizielle Münchener Nacht. Trainierte fahren noch auf den Hauptbahnhof, Kaffee trinken. Doch die ›Gewappelten‹ haben dieser frivolen Überschreitung der Polizeistunde einen Riegel vorzuschieben gewußt: in die Bahnhofwirtschaft wird nur eingelassen, wer sich ›im Besitz eins giltigen Fahrausweises befindet‹. Es muß also, wer frühstücken will, vorher ein Billett nach Dachau lösen. Nur wenige verfügen zu so früher Faschingsmorgenstunde über das erforderliche Betriebskapital.

Und dann? Was nach dem Kaffee geschieht? Tumanbanga weiß es. Er allein, der schweigsame Gott – und sagt es nicht.

Ich weiß nur: voriges Jahr kam eine junge Frau ihrem Gatten abhanden; drei Tage wartete er – sie kehrte nicht zurück; er lief aufs Amt.

Auf dem Amt aber war ein Gastwirt erschienen mit der Meldung: in seinem Hotel liege seit drei Tagen eine junge Frau und weine.

Sie konnte nicht aufstehen, um heimzugehen; der niederträchtige Kavalier hatte ihr die Kleider gestohlen.


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