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Die Grandeln

Vorigen Frühling äußerte meine Frau die Absicht, im Juli nach Kissingen zu gehen.

Der Juli hat 31 Tage. Um diesen überaus langen Monat nicht allein in München verbringen zu müssen, sah ich mich als vorsorglicher Familienvater schon im Mai nach etwas um.

Ich fand es. In der Pinakothek.

Es war eine babylonische Witwe. Nicht besonders klug, aber freundlich, schwarz von Haar, finanziell unabhängig und mit etwas Malerei begabt. Sie hatte mit sechzehn geheiratet, berichtete sie, war fünf Jahre lang Gattin gewesen, fünf Jahre Witwe und zählte im ganzen zweiundzwanzig.

Sie hieß Ludovica. Ich liebe Frauen, deren Namen man sich leicht merken kann. Ein mnemotechnischer Zufall kam mir zu Hilfe: Ludovica war in diesem Jahr die Dritte.

Ludovica war sogleich entbrannt. Um mich nicht zu zersplittern, vertröstete ich sie auf den Juli; und sie wartete.

Plötzlich, am 1. Juli – wer beschreibt meinen Schrecken? – gab meine Frau ihre Kissinger Reise auf.

Augenblicks beschloß ich, auf die Hochwildjagd zu gehen.

Ich selbst habe natürlich kein Revier. Doch Walter Ziersch hat eins. Sooft ich nun Wert darauf lege, mich zu diesem oder jenem Zweck für ein paar Tage zu dematerialisieren, pflege ich meinen Verwandten gegenüber eine Jagdeinladung zu Walter Ziersch vorzuschützen.

Das Verfahren ist sehr einfach: ich passe im Flur auf, bis mich irgendwer telephonisch anruft; hierauf ergreife ich beide Höhrrohre – jawohl, beide Höhrrohre – und was mein Partner auch immer sage – ich jauchze in die Muschel:

»Ah, du bists, lieber Doktor Ziersch? – Fein, fein gehts mir, ich danke … Hochwildjagd? Gewiß, gewiß, mit Vergnügen.«

Der Mann am Telephon widerspricht eindringlich: er wäre der Gemüsehändler und wisse nichts von einer Jagd, es sei ein Mißverständnis.

Ich noch lauter, noch freudiger:

»Mittwoch? Famos! Herrlich! – Wie, Auerwild gibts auch? Ich werde bestimmt erscheinen. Ich danke sehr. Schluß!«

Und ich wende mich an meine Familie:

»Denkt euch, Walter Ziersch hat mich schon wieder zur Hochwildjagd gebeten.«

Alle freuen sich mit mir und preisen den edeln Jagdherrn und Gönner.

— — —

Mittwoch also fuhr ich mit meiner Babylonierin nach Augsburg.

In Augsburg kaufte ich einen Rehbock und schickte ihn meinen Lieben, damit auch sie teil an Vaters Jagdvergnügen hätten.

Der Tante schickte ich zwei Fasanen.

Meinem Bruder nur ein Rebhuhn – er glaubt die Geschichte von der Jagd ohnehin nicht.

Dem Onkel aber selbsterbeutete Hirschgrandeln, denn ich verehre den lieben Onkel sehr.

Ich weiß nicht, ob es allgemein bekannt ist, daß echte Grandeln heidnisch teuer sind. Ich kaufte nachgeahmte, für fünfzig Pfennig.

Onkelchen, der Schurk, muß auf den ersten Blick erkannt haben, daß diese Grandeln aus Zelluloid bestehen; er fand das Geschenk ›zu kostbar für einen alten Onkel‹ und verehrte es … meiner Frau.

Meine Frau schmollte ein wenig, daß sie ihres Ehemanns Trophäe erst auf Umwegen bekommen hätte, beruhigte sich aber und ließ das kostbare Stück vom Juwelier in Gold fassen.

Dann trug sie die Grandeln öffentlich als Brosche.

Ich ärgerte mich bunt. Jeden Tag zweifelte ein andrer Mittagsgast die Echtheit meiner Jagdbeute an. Meine Lieben begannen, mich mit scheelen Blicken zu betrachten.

Da kam Professor Bechtel zu Besuch – Bechtel, der Zoologe.

Meine Frau wollte offenbar die Gelegenheit ausnutzen und zeigte dem Herrn Professor die Grandelbrosche, natürlich um sie prüfen zu lassen.

Doktor Bechtel besichtigte die Brosche oberflächlich, nickte freundlich und schob sie zurück. Sie wäre sehr geschmackvoll, sagte er. Und hochmodern.

Schon atmete ich auf. Meine Frau aber hatte offenbar Verdacht gefaßt und wollte durchaus Sicherheit haben. Sie rief:

»Was sagen Sie nur, Herr Professor? Vetter Toni behauptet immer, die Grandeln wären nicht echt.«

»So?« rief der Professor. – »Nicht echt?« – Er schob die Brille in die Stirn und hielt sich die Brosche an die Nasenwurzel. – »Man müßte das Ding chemisch untersuchen: das Gold mit Hilfe einer Mischung von Schwefel- und Salpetersäure, dem sogenannten Königswasser – die organischen Bestandteile der Brosche mit …«

»Ha,« unterbrach ich, »ich lasse mich von Vetter Toni nicht beleidigen. Die Grandeln sind echt. So lieb sie mir sind – als Andenken an meinen ersten Hirsch – ich werde sie erbarmungslos opfern. Bekanntlich,« rief ich – und meine Stimme hatte hier ehernen Klang – »bekanntlich gibt es eine unwiderlegliche Probe: falsche Grandeln sind durch Feuer unzerstörbar, echte aber flammen auf und verbrennen.«

Ehe meine bestürzten Anverwandten noch ein Wort hatten erwidern können, zündete ich ein Streichholz an – ein Zischen, ein wenig Gestank – und die Grandeln waren gewesen.

Wie stand ich da? Ungefähr wie Mucius Scaevola. Oder wie Manlius Torquatus. Je 2,5 Zentimeter ein König.

— — —

Aus dieser schlichten Begebenheit erklärt sich die eigentümliche Stelle in Professor Doktor Bechtels ›Leitfaden der Zoologie‹, 17. Auflage, München, 1921:

Die Schneidezähne mancher Hirscharten (Cerviden) zeichnen sich durch leichte Brennbarkeit aus, was unter Umständen die Unterscheidung von Schädelresten der Gattung Cervus von denen andrer Wirbeltiere erst ermöglicht.«


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