Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Plagiat

Als ich diese beiden Worte hingeschrieben hatte – jawohl, die Worte, die Sie eben überfliegen: den Titel ›Das Plagiat‹ – da pochte man an meine Tür, und herein trat ein Mann, den ich nie vorher gesehen hatte. Ein vierschrötiger, rothaariger Mann mit durchsichtigen Augen.

»Ich bin Kolonel Mac Gee,« sprach er, »Schriftsteller aus Northampton, Massachusetts. Ich komme in einer Angelegenheit, die Ihre Ehre berührt.«

»Um des Himmels willen,« rief ich bestürzt. (Ich bin ehemaliger k. u. k. Kadett-Titular-Korporal in der Reserve der Sanitätstruppe.)

»Jawohl, Ihre Ehre berührt, Herr Roda. – Sie haben eine meiner Erzählungen plagiiert.«

»Kolonel, ich habe Ihre Arbeiten nie gelesen, ich kenne nicht einmal Ihren Namen.«

»Es ist, wie ich sage,« erwiderte er mit ruhiger Sicherheit. »Hier in meiner Tasche steckt die Nummer des Massachusetts Herald vom 23. November vorigen Jahres. Sie enthält meine Geschichte – jene, die Sie später wörtlich abgeschrieben – wörtlich abgeschrieben, Herr! – unter Ihrem Namen veröffentlicht haben.«

»Unmöglich, Kolonel! Welche meiner Arbeiten soll denn Ihr Eigentum sein?«

»Diese hier.«

»Mit Verlaub – was heißt das: diese hier?«

»Nun – ›Das Plagiat‹ – eben diese, die hier gedruckt steht.«

Ich sah den Amerikaner starr an. Nicht ein Tropfen Blut kann in meinem Hirn geblieben sein. Ich fühlte deutlich, wie darin alle mühsam geordneten Begriffe mit einem Schlag in Verwirrung gerieten. Die Vergangenheit und die Gegenwart (ich hatte sie bisher immer in zwei Fächer verteilt gehabt) stürzten aus der obern Lade in die untere, brachen durch und bildeten mit meinem Gewissen einen dickflüssigen Brei. Die Großhirnrinde platzte der Länge nach – man konnte die stärksten patriotischen Empfindungen durch die Spalte stecken. Die Ursachen quollen über in das Fach ›Nebenflüsse des Indus‹, lösten die Raumbegriffe auf und überschwemmten die Ganglienzellen ›Gesang‹ und ›Botanik‹.

Mit dem letzten Rest von Besinnung, den ich eben noch retten konnte – etwa wie man einen fallenden Spazierstock auffängt – gelang es mir, ein Endchen Bewußtsein festzuhalten.

»Wissen Sie auch,« rief ich, »mit wem Sie reden, Kolonel? Ich werde doch nicht Stoffe stehlen gehen? Mir fällt täglich beim Zähneputzen ein ganzseitig illustrierbarer Originalwitz ein. Ich schüttele Novellen aus dem Ärmel – verstehen Sie? Und aus dem andern Ärmel hochkomische Lustspiele in fünf Akten. Ich entwerfe zwischen Frühstück und Mittag einen Kolportageroman, zwischen je zwei Löffeln Suppe Balladen, dichte nachmittags lyrisch und gehe selten schlafen, ohne eine Jambentragödie an die Bühnen verschickt zu haben. Ich habe mehr Einfälle als andre Leute Sünden und könnte mit all dem literarischen Stoff, den ich jährlich unverarbeitet lasse, die Waisenkinder Ihrer Heimat bekleiden. Schlagen Sie sich also Ihre Idee aus dem Kopf, Kolonel! Ich habe noch niemals plagiiert.«

Mac Gee blieb kalt wie ein erfrorner Gartenlaube-Intrigant und antwortete:

»Sie verlegen sich aufs Leugnen? – Gut. Ich werde Sie öffentlich brandmarken.«

Ich erbebte.

Als ich in rasender Eile nachsann, was zu tun wäre, legte ich in meinem Innern sozusagen das Ei des Kolumbus. – Mensch, dachte ich mir, wie konntest du dich von dem Narren ins Bockshorn jagen lassen? Es ist doch klar, daß ›Das Plagiat‹ kein Plagiat sein kann – war ich doch nach den beiden ersten Worten durch den Besuch gestört worden und die Fabel zur Zeit der Unterredung noch garnicht geschrieben. Er kann sie also auch noch nicht gelesen haben – ja, es hängt ganz von meiner Laune ab, ob ich sie überhaupt jemals verfassen werde. – Das hielt ich dem Amerikaner denn auch mit mildem Theologenernst vor.

Ein Nashorn wäre der Gewalt meiner Logik unterlegen. Kolonel Mac Gee aber war kein Nashorn. Er zog sein Dokument aus der Tasche, den Massachusetts Herald vom 23. November, und hielt mir ihn vor die Nase.

»Lesen Sie und dann … reden Sie noch, wenn Sie können.«

Ich las … und … l … a … s …, und mein Gesicht wurde i … m … m … e … r länger …, denn … der Mann hatte recht: jedes Wort, jede Pointe meiner Geschichte hatte schon im Herald gestanden. Grade wie ich war Mister Mac Gee, nachdem er zwei Zeilen seiner Arbeit geschrieben hatte, von einem Besucher gestört worden – nur war der Besucher damals O'Connor, ein Redakteur aus Arizona. Grade wie ich hatte Mac Gee den Vorwurf anfangs empört zurückgewiesen, war dann auf Minuten in Fieber und Irrsinn verfallen und hatte endlich vor dem grausam augenscheinlichen Beweise stutzen, das Unbegreifliche glauben müssen. – So stand es in Mac Gees Aufsatz.

Es gibt rätselhafte Dinge auf der Welt. Unsre Schulweisheit hat einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Das Unglück ist also geschehen, ich bin ein Plagiator. Meine literarische Ehrenhaftigkeit steht unter dem Gefrierpunkt.

Wie bitter, nach einem langen, durchaus unbescholtenen Lebenswandel plötzlich ohne eignes Verschulden – oh, ich kanns beschwören: ohne eignes Verschulden – das teuerste Gut des Mannes, die Ehre – oh, die Ehre – zum Teufel gehn zu sehen!

Ich raffte alle Kraft zusammen.

»Kolonel,« sagte ich, »Ihr Belegstück hat mich platt niedergedrückt – ich gebe mich geschlagen. Sie werden meine Lage besser als sonst jemand begreifen, denn Ihnen ist es einst ebenso gegangen. Ihr Henker war O'Connor aus Arizona. Er kam, wie Sie jetzt zu mir, und stampfte den Blumengarten Ihrer Hoffnungen mit plumpen Stiefeln nieder.«

»Auch diese Redensart ist von mir,« murmelte Mac Gee.

»Es kommt auf die eine nicht mehr an. Sie haben sie ja von O'Connor. – – Doch ich bin ein reuig Gotteskind. Sie werden mir die Erfüllung einer kleinen Bitte nicht verweigern …«

»Sprechen Sie!«

»… Kolonel, welchen Schluß haben Sie damals Ihrer Geschichte ›Das Plagiat‹ gegeben?«

Zu Tränen gerührt – ein schöner Zug von Menschlichkeit bei diesem harten Mann – legte er mir noch einmal den Herald hin, damit ich ihm auch die letzten Zeilen stehlen könnte. – O'Connor hatte sich seinerzeit Mac Gee gegenüber ebenso edel benommen.


 << zurück weiter >>