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Tante Emmys Plüschvorhang

Es gab eine Zeit, wo mich ganz Schwabing um Tante Emmy beneidete – meine herrliche, gute Tante Emmy, die so schwer reich war und sich so lebhaft an die Siegesfeier von 1871 zu erinnern wußte. Sie ist es gewesen, die damals dem König den schönen Rosenstrauß überreicht hat.

Tante Emmy war – für ihre Jahre – hübsch; freundlich, heiter und verschwiegen. Sie verschanzte sich nicht hinter grundlosen Wehklagen, wenn man sie anpumpte, und war in Geldsachen von jener Vergeßlichkeit, die einem den Verkehr mit Tanten erst genießbar macht. Sie roch nicht aus dem Mund, sie schnupfte nicht, sie feierte nie ihren Geburtstag. Kurz, eine brillante, koulante, eine scharmante Tante.

Aber – aber – sie hatte leider einen peinlichen Fehler: sie war modern. Noch mehr: sie liebte gradezu die Kunst. Als eines schönen Tages Hannes Konrad Herbesloh, der verkannte Dichter, ein Symbolistisches Theater zur Aufführung seiner Werke zu erbauen gedachte, war Tante Emmy modern und kunstbegeistert genug, ihr Vermögen dazu zu stiften.

Als ichs erfuhr, wars zu spät, der Vertrag schon unterzeichnet. Ich ging ins Café Größenwahn, stellte Herrn Direktor Herbesloh körperliche Qualen in Aussicht – den Verkehr mit Tante Emmy aber brach ich als zwecklos ab und ließ ihren Geisteszustand nur darum nicht beobachten, weil der Sanitätsrat unerschwingliche Vorschüsse verlangte.

Es kam, was kommen mußte.

Das Symbolistische Theater verkrachte. Hannes Konrad Herbesloh fiel der öffentlichen Irrenpflege zur Last, und Tante Emmy wurde nach dritter Klasse begraben. In ihrem Nachlaß aber fand man außer einem Armvoll gerichtlicher Vorladungen nichts – nichts als den Plüschvorhang.

Den Plüschvorhang des Symbolistischen Theaters. Er war papageigrün, bedeckte ausgebreitet einen halben Morgen Landes und trug so gräuliche Fratzen in Applikation, daß kein Gläubiger gewagt hatte, ihn zu berühren. Ich aber fürchtete mich nicht und ließ ihn von vier handfesten Burschen auf meine Bude schaffen.

Nun lag er da, Tante Emmys teurer Plüschvorhang – ein kolossales Mausoleum begrabener Hoffnungen. Aufgestapelt füllte er die halbe Stube. Wenn ich das Fenster öffnen wollte, mußte ich hinüberklettern, und wenn ich ihn zum Verkauf ausrief, lachten mir die Leute ins Gesicht.

Eines Tages fiel mir ein, ob sich das Ding nicht parzellieren ließe. Ich erinnerte mich, manchmal, besonders auf Kostümfesten und auf dem Land, Frauen in papageigrünen Plüschroben bewundert zu haben. Ich zog einen Fachmann zu Rate – er belehrte mich aber: die Frauen mit papageigrünen Plüschroben wären seit zwei oder drei Jahrzehnten ausgestorben.

Wiederum eines Tages hatte ich das Billardtuch im Café Größenwahn zerrissen. Ich bot Herrn Dörfel, dem Wirt, als Ersatz für den Schaden die eine Hälfte von Tante Emmys Vorhang an. Dörfel ließ sich auch herbei, das Gewebe zu besichtigen, prüfte es umständlich und sprach:

»Nein, zu einem Billardüberzug eignet sichs nicht. Aber ich weiß einen vorzüglichen Rat.«

Ich erschöpfte mich in Danksagungen für Herrn Dörfels Mitgefühl und bat ihn, deutlicher zu werden.

»Sie kennen doch,« sagte er, »das Trübsal der heutigen literarischen Produktion? Gewaltige Begabungen, die zum Teil auf meinem Dubiosenkonto stehen, verkommen im Elend. Gründen Sie doch zu Ihrem Vorhang ein Symbolistisches Theater!«

Ich beleidigte Herrn Dörfel, bezahlte das Billardtuch, bezahlte die Gerichtskosten und die Strafe. Tante Emmys Plüschvorhang aber lag in meiner Stube und erpreßte mir Tränen.

Als ich wieder einmal so schluchzend dasaß, trat mein Freund Makula bei mir ein und rief:

»Mensch, denk einmal! Sie haben mich angekauft.«

»Wie?«

»Ja. Das große Stück Leinwand, ›Morgen am Indus‹ – im vergangenen Jahr hab ichs hier draußen bei Tutzing gemalt – das kaufte gestern einer in der Juryfreien Ausstellung. Jetzt richte ich mir ein Atelier ein.«

Ich wünschte ihm herzlich Glück, ersuchte ihn aber, mich mit meinem Schmerz allein zu lassen.

»Kein Gedanke,« sagte er. »Grade auf Tante Emmys Sterbelinnen hab ichs abgesehen, es wird mein Atelierprunkstück werden. Das mußt du mir borgen.«

»Alles will ich gern opfern, lieber Makula – daß ich mich aber von dem einzigen Erbstück Tante Emmys trennen soll, wirst du nicht verlangen.«

»Mann Gottes, hier hast du hundert Mark, und halt den Mund! Oder bist du nicht zufrieden? Gut, dann will ich dir noch fünfzig Mark verabreichen, wenn ich einen zweiten Schinken verklopft hab.«

– Tante Emmys Plüschvorhang wanderte zu Richard Makula auf das neugemietete Atelier.

— — —

Als ungefähr sechs Wochen vergangen waren, meinte ich, Makulas Stern müßte durch Verkauf eines zweiten Bildes neu vergoldet worden sein, und stieg die vier Treppen zu ihm hinan.

Im Flur keine Seele.

An der Tür kein Schild.

Im Atelier aber fegte der Portier die kahlen Wände rein.

»Wohnt mein Freund Makula hier?«

»Hat.«

»Wie meinen Sie?«

»Hat gwohnt. Heut ham mir eahm außagfeuert. A scheener Freund. Schwitzt keine Miete.«

Und Tante Emmys Vorhang? Hing groß und herrlich an armdicken Messingstangen.

»Dann nehme ich meinen Vorhang gleich mit,« sagte ich.

»Was? Mitnehmen? Ka Spur. Is gepfändet.«

»Oho, der ist nicht bezahlt, der gehört mir, den können Sie nicht pfänden.«

Man holte den Hausbesitzer – ich legte ihm die Sache klar. Er bäumte sich mächtig. Er richtete sich klafterhoch auf, stieß mit den Hufen vorwärts, wälzte die Augen hervor und schrie wie ein Stier. Doch gegen mein offenbares Recht konnt er nicht an. Der Vorhang war mein.

Da wurde Herr Müller weich. Er faßte mich zart am Schultergelenk und führte mich durch Makulas leere Stätte der Tätigkeit – fünfundzwanzig Schritte auf und fünfundzwanzig ab.

»Sie sehen,« sprach er, »hier das größte Atelier beider Hemisphären vor sich. Ich kann es in seinem normalen Zustand unmöglich vermieten – wer es sieht, erschrickt vor den grenzenlosen Dimensionen. Für eine Automobilfahrschule liegt es zu hoch, und ein Zirkus läßt sich hier nicht unterbringen, weil Zirkusse rund sind, dieses Atelier aber viereckig. Ich wollte das Ding zu einem Symbolistischen Theater umgestalten – man hat mich gewarnt. Ich wollte eine neue Religion stiften und hier das Bethaus aufschlagen – dazu fehlt es mir an Haarwuchs und Salbung. Ich weiß also keinen Ausweg, die Halle zu verwerten – außer, wenn ich Ihren grünen Vorhang habe. Wenn ich den Vorhang habe – ah, dann steht die Sache ganz anders: dann läßt sich das Glashaus harmonisch teilen – in einen Arbeitsraum vorn und ein geräumiges Wartezimmer für die Gläubiger hinten – beides wie geschaffen für einen tüchtigen Künstler. – Ein Vorschlag, lieber Herr: überlassen Sie mir Ihren Plüschvorhang!«

»Nie. Er ist das einzige Andenken …«

»Ich ehre Ihre Pietät, ich habe selbst ungemein viel Familiensinn. Wenn ich Ihnen aber zwanzig Mark biete? …«

Ich schlug ein und überließ Herrn Müller den Vorhang für zwanzig Mark bis zum Augenblick der Vermietung. Jawohl: bis zum Augenblick der Vermietung.

Einige Tage später war es geschehen, und der neue Mann eingezogen. Ein Bildhauer, Priem geheißen.

Pünktlich stellte ich mich ein, um den Vorhang wegzuschaffen.

Priem war wie vom Schlag gerührt.

»Den Vorhang?« heulte er. »Aber grad wegen dem Vorhang bin ich Esel doch hier eingezogen, der macht ja die Höhle erst bewohnbar.«

Ich lächelte.

»Verehrter Herr Priem,« sagte ich ihm ungefähr, »wir leben in einem Zeitalter, wo die Pflicht der Nächstenliebe längst zur Legende geworden ist. Auch ich war kindlich gut, edel und hilfsbereit, ehe mich schmerzliche Enttäuschungen zum kühlen Rechner gemacht haben. Das lieblose Verhalten der Gesellschaft dem einzelnen gegenüber zwingt mich, meinen Vorteil zu wahren. Begreifen Sie? – Nein? Nun, dann muß ich Ihnen klar heraussagen: ich nehme den Vorhang mit, wenn Sie sich nicht entschließen, mich für die Abnutzung zu entschädigen, die er hier erleidet.«

»Sie wollen also Geld. Schön. – Wieviel?«

Ich machte es billig: zwanzig Mark. – Der Vorhang blieb.

Nach drei Wochen hing am Tor die Ankündigung:

›Geräumiges Atelier zu vermieten‹.

»Aha,« dachte ich mir, »deine Stunde hat geschlagen.« – Und ich schröpfte Herrn Müller, den Hauswirt.

Am nächsten Tag den dritten Mieter, Priems Nachfolger.

Wie lang das so fortgehen wird, weiß ich nicht.

Einstweilen aber beziehe ich aus Tante Emmys Plüschvorhang eine Monatsrente von achtzig Mark. Sie entspricht genau den Bankzinsen jenes Legats, das mir die liebe Tante dereinst in ihren bessern Tagen zugedacht hatte.


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