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Politik

Diese folgende Betrachtung ist, wie man gleich sehen wird, eine durchaus unpolitische Betrachtung – sozusagen eine Münchener Lokalangelegenheit – noch weniger: eine Privatsache – alles in allem nämlich nichts als eine Diskussion zwischen dem Künstler und einem Berg von Fragen, an dem die Künstler gewöhnlich ratlos stehen. – Ich schreibe die Betrachtung nieder in der Gewißheit, wieder einmal ernstlich das Beste gewollt zu haben und nur Gelächter zu ernten – törichtes, mißverstehendes Gelächter.

1.

In meinem Atlas finde ich eine Karte: ›Schwefelproduktion der Erde‹. Die Orte, wo Schwefel gedeiht, sind da durch gelbe und gelbere Klunker ausgezeichnet. Es leuchten Sizilien hervor, Hawai und Berlin.

Eine andre Karte: ›Verbreitung der Raubtiere‹. Ceylon erscheint dunkelblau, fast schwarz; das übrige Indien ultramarin; Stellingen ist ein kaum sichtbares Pünktchen. – Oberbayern nicht einmal berücksichtigt – wiewohl es das einzige Land der Erde ist, wo Löwen noch wirklich wild gedeihen. – Ja, die Herren Gelehrten!

Drittes Blatt: ›Graphische Statistik der Liebe‹. Hauptorte: Odessa In Odessa: auf den Kopf der Bevölkerung je 0,5 Spezialarzt., Schanghai, Buenos Aires; Sterne zweiter Größe: Hamburg, Budapest; endlich an dreiundzwanzigster Stelle: Paderborn, Hammerfest, Quebeck, München.

Wo bleibt eine graphische Statistik der Künstler? Wenns eine gäbe, müßten Paris und München darauf obenan stehen. In und um München wohnen die meisten, die besten deutschen Dichter, Bildner, Musiker. Ich erwähne nur Richard Strauß (in Partenkirchen), Slezak (am Tegernsee) – in München selbst: Samberger und Paul Klee (von denen der letzte, als Meister der Geige, ebensogut bei den Musikern erwähnt werden konnte). – Die Münchener Dichter zu nennen, fange ich nicht nocheinmal an. Es gibt ihrer 133 mit Ewigkeitswert und 79 ephemere; Roda Roda zum Exempel wird bald dahin, bald dorthin gerechnet – meistens dahin.

Genug: was die Kunst angeht, geht München an.

2.

Ich verspinne mich manchmal in folgende irrationale hypothetische Periode:

Angenommen, die Künstler wären bei Besinnung; wie hätten sie zur Politik zu stehen?

Garnicht? Die Politik ist doch das größte Zeitproblem. Politik ist die Kunst, die Energie von Gruppen in Geltung umzusetzen. Die Gruppen können Völker, ja Völkervereine sein (z. B. die Entente, bestehend aus Frankreich; oder die Mittelmächte, bestehend aus der Deutschnationalen Volkspartei. – Ein Beispiel kleinerer Politik: unser Kerschensteiner, Oberstudienrat, der jahrelang den Stadtbezirk München I im Reichstag vertrat.)

Sollen sich die Künstler von der Politik ausschließen? Können sie's? Unsinn. Freuen sie sich denn nicht und leiden sie nicht mit ihrem Volk?

Es gibt nationale und anationale Künste, gewiß: Musik, Malerei, Tanz auf der einen, die Dichtkunst auf der andern Seite. Trotzdem ist das Glück jeder, jawohl, jeder Kunst an das Gedeihen der Nation gebunden: Wagner sagt den Deutschen mehr als den Franzosen: Verdi am meisten den Italienern.

Homer, Shakespeare und Johannes V. Jensen sind Gegenbeispiele. Sie gehören der ganzen Welt, gewiß. Wird aber Georg Queri den Madagassen je etwas bedeuten? So geschickt er die oberbayerischen Dialekte handhabt?

Es läßt sich eine Regel formulieren, die allerhand Ausnahmen erlaubt:

›Der Künstler lebt und stirbt mit seiner Nation‹.

3.

Wer sich nie mit Astronomie befaßt hat; wer nicht die eignen Schicksale immerfort, Sekunde um Sekunde, an der Ausdehnung der Milchstraße mißt, ist bewußtlos.

Wer sich um Politik nicht kümmert, ist ein Esel – selbst wenn er Esoteriker wäre.

4.

In Fragen der europäischen, der Weltpolitik muß der Künstler mit seiner Nation gehen. Er kann, wenn er das Volk auf falschen Wegen sieht, warnen, protestieren. Im allgemeinen hat er mitzuhalten.

Da die deutsche Nation ihre äußern Geschäfte heut noch nicht selber führt; vielmehr nur Ein Recht hat: zu jammern, wenns wieder einmal schief gegangen ist: so wird sich der Künstler, was die äußere Politik betrifft, auf inbrünstigen Mitjammer zu beschränken haben. Hardens Zukunft erscheint wöchentlich; Preis 2 M 50; im Abonnement billiger.

5.

Neues Kapitel: Innere, kleine Politik.

Hier fragt sich, ob der Künstler sich mehr als Mensch, Glied des Ganzen, als Staatsbürger fühlt – oder die egoistische Politik seines Standes, des Künstlerstandes machen will.

Es ist Geschmacksache. Ich bin Ausländer und in deutschen Dingen mitzureden nicht befugt; und auch ferner, wiewohl ich nicht das mindeste davon verstehe, willens, am Grundsatz der Nichteinmischung eisern festzuhalten.

Doch die wahlberechtigten, steuerzahlenden, die altsässigen Künstler? Sie müßten, meine ich, Standespolitik treiben, ob auch mancher und manche sagt: Ich fühle mich als Mensch. (Ich nenne keine Namen; sie sind ohnehin allgemein bekannt.)

Welche Politik nun hat der Künstler zu machen (machen zu helfen), wenn er zuerst seine eignen Interessen (nicht zuerst die der Volksgenossen) fördern will?

Kunst ist Luxus. Die Künstler sind Drohnen der Gesellschaft. Wie überflüssig wir alle sind, von Thomas und Heinrich Mann an bis zu Frau Fourths-Mahler – es ließe sich sofort erweisen, wenn uns plötzlich beifiele, ein Jahr lang zu streiken; alle Welt würde befreit aufatmen – vor allem die Verleger und Theater. Doch den Gefallen tun wir ihnen nicht. Ich nicht.

Kunst ist Luxus. In Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs wird sie zuerst getroffen – was wir seit etlichen Jahren auf das empfindlichste spüren.

Die Kunst findet Förderung nur in einem reichen Staat. Je größer rings der Wohlstand, desto leichter hat es die Zufälligkeitserscheinung des Genies, sich durchzusetzen. Und die Erhöhung des Lebensstandards gelingt am ehesten im reglementierten Staat, wo wenig veruntreut, viel gespart und weitblickend regiert wird. Heimat der Kunst wird nicht etwa ein Zukunftsland sein, dessen einzelne Bürger ziemlich gleichmäßig und daher mittelmäßig mit Gütern gesegnet sind; nein, jenes andre Gemeinwesen mit unausgeglichenen Vermögensdissonanzen, wo über der großen, schuftenden Masse eine dicke Bourgeoisie steht und der exzessive Reichtum einzelner Prominenter. Demnach: nicht die Partei des Kleingewerbes hat der Künstler zu nehmen oder gar die des vierten, fünften, sechsten Standes; nein, die des Kapitalismus – bei uns: freisinnige, manchmal sogar mild konservative Politik.

Inter arma silent Musae. (Übersetzung für malende, der lateinischen Sprache also unkundige Leute: ›Zwischen Waffen schweigen Musen‹.) Kunst gedeiht im Frieden, in ruhigem, behäbigem Wohlstand. – Krieg, Kriegsgefahr, Wirren und Wahlen – Erhitzungen der Volksseele – machen das Thermometer des Kassenrapportes sinken. Die Kunst läßt erhitzte Bürger kalt.

Ein milder Absolutismus, eine mit demokratischem Fett geölte, geräuschlose Staatsmaschine dient der Kunst am besten. Der Protz als Mäzen, Bürger und Edelmann als Genießer, der Arbeiter als halb zufriedener Räsoneur – diesen Zustand müssen wir erstreben.

Republik oder Monarchie? Ist völlig gleichgültig. Es gibt sone und solche Monarchien: England und Afghanistan; sone und solche Republiken: die Schweiz und Haiti.

Ein Künstler, der zur Revolution aufruft, ist blitzdumm; ist vielleicht ein Fanatiker mit herrlichen Instinkten; Politiker ist er nicht.

Eine Hand wäscht die andre: der weise Autokrat (als welcher Louis Quatorze oder Clemenceau heißen kann, Hohenzollern oder Schulze) – der weise Autokrat wird die Kunst nach Möglichkeit fördern, wird gern sehen, daß seine Untertanen Geld verdienen, Bilder kaufen, für Rilke und Artur Schnitzler schwärmen, Bibliophilitiker werden und sich Ex libris zeichnen lassen von Willi Geiger, Hubert Wilm und George Grosz. – Robespierre, Marat und Bakunin hingegen hatten keine Ex libris.

Die Kunst umspannt freilich alle Erscheinungen des Lebens – es gibt auch eine kriegerische, eine Barrikadenkunst. Es gibt auch Meteoreisen. Die Industrie ist dennoch auf Hochöfen angewiesen; die Kunst auf den Frieden.

Es mußte endlich einmal ausgesprochen werden: Wählt Kerschensteiner, wenns wieder einmal dazukommt!

Mich, wie gesagt, geht das alles garnichts an. Und schließlich ist, was ich sagte, auch nicht meine Meinung.


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