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Die Löwen des Professors Behn

Es wird hier nicht die Rede sein von Behns Löwen aus Porphyr, Marmor, Syenit, Fayence, Gips, Erz, Eisen, Porzellan und Sandstein – sondern von zwei wirklichen, lebendigen … eben: von Löwen schlechtweg. Aus allem möglichen Material hat Behn Löwen gehauen, gegossen, geknetet – ruhende, zornige, brünstige, sterbende Löwen – er hat aber auch zwei Stück selbst gefangen, nach München mitgebracht und jahrelang gehegt. Sie müssen nämlich wissen: Fritz Behn ist kein Professor mit Vollbart und Brille, er ist ein sehniger Sportsmann; nicht nur Bildhauer, nein, auch Afrikajäger.

Unten in der Villa Behn war der Zwinger, nebenan das Atelier – oben die Wohnräume. Unten knurrten in jener Faschingsnacht die Bestien und fletschten ihre Reißer – oben tanzte man Walzer, One-step und Tango. Es war im Tangojahr, Februar 1914.

Diese Nacht ist sehr unliebsam gestört worden; gegen vier Uhr nämlich stürzte Matthes, der Wärter, in den Salon und schlotterte und stotterte:

»Herr Professer! Auskummen saan's.«

Nichts weiter.

Das Jazz war damals noch nicht erfunden – Behn in seinem Schrecken erfand es: er machte einen regelrechten, riesigen Jazzsprung nach dem Flur; kehrte mit einer Pirouette um ins ›Saharazimmer‹ und raffte rasch zusammen: einen derben Strick; die Rifleexpreßbüchse; eine Handvoll Patronen.

»Was ist denn geschehen? Was ist los?« schnatterten die Damen, riefen die Herren; einige wollten mit Behn.

»Ruhe! Nichts ist geschehen. Bitte: sofort zurück in den Tanzsaal! Niemand darf hinaus.« – Frau von Pleininger, in Hermelin gehüllt, hatte eben mit ihrem neuesten Freund holländisch davongewollt, im Auto; Professor Behn hielt die Flüchtlinge unsanft auf.

Einen Herzschlag später stand Behn vor dem Käfig. Die Tür des Käfigs weit offen. Die Löwen weg.

»Sie werden im Garten sein …« sagte sich Behn, glaubte sichs selber nicht und begann den Garten abzustöbern. Die Büchse hielt er schußbereit vor sich, den Finger am Züngel, und über der Schulter trug er den derben Strick.

Den Strick … hatte er in der ersten Verwirrung mitgenommen. Vor so viel Jahren am Taganjaka – ja, damals hatte er die Löwen mit eben diesem Strick gefangen, gewiß. Drei Eingeborne hatten mitgetan. Die Löwen waren jung und dumm gewesen, die Nigger erzgescheit. Heute aber? Die Löwen sind seither voll erwachsen. Es besteht nur Hoffnung, sie lebendig zu kriegen, wenn etwa der Wärter sie mit rohem Fleisch …

»Matthes! Matthes!! Wo steckst du?«

Prost Mahlzeit! Matthes war nicht da, der Lump; er hatte sich verkrochen.

Und die Löwen waren nicht im Garten; waren nirgends. Die erregte, die ängstliche, die schnatternde Gesellschaft konnte nach einer guten Stunde Zögerns, nach zahllosen Beteuerungen und Schwüren des Hausherrn die gastliche Villa verlassen. Sind die nach ihren Wagen gerannt, die Damen und Herren, an jenem Faschingsmorgen! Und haben tief aufgeatmet, als sie in den sichern Betten lagen. Frau von Pleininger hatte sich an ihren eignen Gatten geklammert; mein Gott – in der Panik.

Behn war allein.

Zunächst rief er 20nbsp;231 auf, Polizeidirektion.

Keine Antwort.

Ach so – man muß die Nachtnummer verlangen.

Eine bärbeißige Stimme:

»Wos mögen S' denn?«

»Hier Behn. Meine Löwen sind mir durchgegangen.«

»Wer is Eahna durchganga?«

»Meine Löwen.«

»I hör allweil ›Löwen‹? Buchstabieren S' mal!«

Behn buchstabierte:

»Louise, Otto, Ernst, Wilhelm, Ernst, Nikolaus.«

»Saan Eahna durchganga? Die Louis, der Otto, Ernst …? Melden S' es halt um a neune auf Zimmer 126, ›Vermißte Kinder.‹ Schluß.«

Behn blieb geduldig. Rief nochmals 20 231 an.

»Jo??«

»Hier Behn.« – Weiter kam er nicht.

»Saan S' scho wieder do? I hab Eahna scho gsogt: Zimmer 126, um a neune.«

»Aber hören Sie doch: es handelt sich garnicht um Kinder. Zwei L–ö–w–e–n sind mir ausgekommen.«

»L–ö–w–e–n?? Derblecken S' Eahnern Großvatter!! Verstehn S'??«

»Mensch, es sind doch gefährliche Raubtiere – Sie müssen etwas tun.«

»So? Raubtiere?? Ha. Wirkliche Löwen??«

»Gewiß.«

»So rufen S' halt Amt Eglfing, Nummer vier!!«

Dem Professor fiel aber nicht ein, der behördlichen Weisung zu folgen. Eglfing Nr. 4 – das ist nämlich die bayerische Irrenanstalt.

— — —

Eine halbe Stunde darauf schrillt Behns Telephon.

»Hallo! Hier Polizeidirektion … Sie selbst, Herr Professor? Man hat bei uns vorhin … Waren Sie es? Und Ihnen sind tatsächlich …??? Kommissariat Freymann meldet zwei Pudel in der Größe von Kälbern …«

Himmel, das sind sie! Freymann liegt nordöstlich von München, fünf, sechs Kilometer weit.

Von nun an stand die Klingel nicht mehr still.

Am acht waren die Löwen bei Ramersdorf; sie mußten im Bogen um die Stadt gelaufen und durch die Isar gefurtet sein.

Um zehn waren sie im Perlacher Forst.

Um elf kam eine betrübliche Nachricht aus Benediktbeuern, nicht weit vom Kochelsee: die Bestien hatten zwei Vollblutfohlen des Staatsgestüts gerissen. (Zwei Vollblutfohlen: es werden hoffentlich nicht gleich Derbycraks gewesen sein; immerhin kann man sich auf zehntausend Mark Schadenersatz gefaßt machen.)

Um ein Uhr: Garmisch.

Nun aber wurde Professor Behn stutzig. Garmisch – Donnerwetter – das liegt doch in der Luftlinie achtzig Kilometer weg von München – und mit den Umwegen über Freymann, Benediktbeuern müssen es gut zweihundert sein, quer durch Gebirg und Flüsse … Sonderbar. Rasen sie denn wie Schnellzugslokomotiven, die verdammten Viecher?

Da hieß es im Fernsprecher:

»Wetterstelle Zugspitze, 2964 Meter über dem Meer. – Herr Professor! Soeben sind Ihre Löwen wohlbehalten bei uns eingetroffen.« – Dazu lebhaftes Hohngelächter.

Behn wußte alles. Er sprach ohne Vorwurf, ohne Zorn:

»Sag mal, Ebbinghaus, wie lang willst du den langweiligen Ulk noch forttreiben?«

Denn nun wars gewiß: Behns Löwen hatten das Haus überhaupt nicht verlassen. Professor Ebbinghaus, der Spaßmacher, hatte sie des Nachts in Behns Keller gebracht; und dann von Stund zu Stunde vom Café Stefanie aus Berichte über Wege und Untaten der Löwen an den Professor telephoniert.

Die Angelegenheit war also ziemlich glatt verlaufen.

Die einzig Leidtragende war Frau von Pleininger; sie glaubt, in jener Nacht eine große Chance versäumt zu haben; und bis heute hat sie es Behn und Ebbinghaus nicht verziehen.


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