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Das Vertrauen der Öffentlichkeit

Gestern kam eine Abordnung unsres Bezirks zu mir. Ich begrüßte die Herren ungemein freundlich.

Die Herren sagten, sie kämen mit einer Bitte. Unwillkürlich hielt ich mir die Taschen zu. Doch ein Blick in die Mienen meiner Besucher hieß mich, meine taktlose Reflexbewegung einstellen. Nein – diese harmlosen Größen des Bezirks wollen mich nicht zu Wohltätlichkeiten zwingen.

Es entspann sich zwischen mir und der Abordnung ein anregendes Gespräch.

Die Herren: Das Volk wünscht, Sie als seinen Vertreter ins Parlament zu entsenden.

Ich: Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den Umstand lenken, daß auch ich mich gern als Vertreter des Volks im Parlament sähe. Der merkwürdige Zusammenklang meiner eignen Wünsche mit denen der Nation verdient gewiß Ihre Beachtung.

Die Herren: Das Volk braucht einen Vertreter, der die Rechte der Nation verteidigt und sich für ihre Interessen einsetzt – mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen.

Ich: Daran solls nicht fehlen. Ich gelobe, mich aufzuopfern. Man stellt mir da eine Aufgabe, die ebenso verantwortungsreich wie einträglich ist – und ich will mich gern der Mühe unterziehen, die Aufgabe zu lösen. Ich werde nicht der erste sein, der den Beruf eines Parlamentariers ergreift.

Die Herren: Das Volk wird Sie durch sein Vertrauen belohnen …

Ich: Verzeihen Sie, daß ich Sie wiederum unterbreche. Was die Belohnung betrifft, möchte ich die Last von den Schultern meiner geehrten Wähler soviel wie möglich abwälzen. Ich werde mich wegen meiner Belohnung an die Regierung wenden.

Die Herren: Wir denken hier nicht an die Taggelder …

Ich: Auch in diesem Punkt klingen wir durchaus überein. Ich denke hier ebensowenig wie Sie an die Taggelder. Taggelder sind eine Sache für sich – ich werde sie bekommen, ob ich die Sache des Volkes vertrete oder nicht. Sie wissen ja: auch ein ganz unnützes Mitglied des Parlaments – die ganze Opposition zum Beispiel – bekommt Taggelder. Ich spreche vielmehr von gewissen Nebeneinkünften, die mir die Regierung wird gewähren müssen – im Hinblick auf die Wünsche und Bedürfnisse meiner Wähler.

Die Herren: Wir verstehen Sie nicht.

Ich: Ich würde sehr bedauern, wenn sich zwischen meine Wähler und mich jetzt schon Mißverständnisse drängten. Später, wenn ich das Mandat erst in Händen habe, werden sich Mißverständnisse ohnehin nicht mehr vermeiden lassen. Ich wäre der erste Abgeordnete nicht, den seine Wähler nicht verstehen – Sie nicht die ersten Wähler, die den Kopf über ihren Vertreter schütteln. Vorläufig aber, heute noch, müssen wir einig sein. Ich gebe Ihnen also hier feierlich mein Wort und bitte Sie, was ich sage, allen Wählern zu bestellen: daß ich jedesmal, wenn ich Liebesgaben von der Regierung annehme, meinen Bezirk im Auge behalten werde. Sooft ich, sagen wir … – ich führe nur einen beliebigen Fall an, der mir grade in den Sinn kommt – sooft ich also von der Regierung das Recht erbitte, eine Spiritusbrennerei zu gründen, werde ich sie gewiß in meinem Wahlbezirk gründen; wenn man mir Lieferungen für die Reichswehr oder die Eisenbahn überträgt, werde ich aus meinem Bezirk liefern. Denn warum sollt ich einen Bezirk ausbeuten, der mich nicht einmal gewählt hat? Die Liebe – die Liebe zur Heimatscholle soll mich leiten für und für.

Die Herren trocknen sich die Augen.

Ich: Wischen Sie die Tränen nicht ab, Zeichen Ihrer Rührung, die mich so sehr für Sie einnimmt! Sagen Sie mir nur: weinen Sie in eignem Namen oder im Namen der ganzen Wählerschaft?

Die Herren: Mir haben uns im Lauf einer jahrelangen politischen Tätigkeit angewöhnt, immer im Namen aller Wähler zu weinen.

Ich: Dank Ihnen, meine Herren! Dieser sinnige Volksbrauch war mir nicht bekannt – ich stehe nicht an, ihn als einen der schönsten zu bezeichnen, die mir je begegnet sind. – Pflegen Sie gewöhnlich vor oder nach der Wahl zu weinen?

Die Herren: Gewöhnlich nach der Wahl.

Ich: Man muß an solchen Überlieferungen festhalten. Ich bin ein warmer Verehrer alter Sitten. Sparen Sie also die Volkstränen für jene Zeit auf, wo ich schon im Parlament sitzen werde.

Die Herren: Wir bitten Sie nun, uns Ihr Programm zu entwerfen.

Ich: Programm? Sie bringen mich ein wenig in Verlegenheit – ich habe, bei Gott, kein Programm vorbereitet. Wozu mich mit dergleichen erst plagen?

Die Herren: Das Volk ist das schon so gewohnt …

Ich: Gut, ich will die Gewohnheit ehren und mit einem Programm in der Wahlversammlung erscheinen.

Die Herren: Mit welchem?

Ich: Das kann Ihnen doch wirklich gleichgültig sein. In unserm sechzig- oder siebzigjährigen parlamentarischen Kampf haben wir ja nicht viel erreicht. Eins dennoch: die Programme der Abgeordneten sind Wort für Wort festgelegt. Man kann sagen: alle Programme sind prächtig – ohne Unterschied der Partei. Welches Programm immer ich zu dem meinen mache – Sie können zufrieden sein: es wird Hunderte von Verheißungen enthalten – für Arm und Reich. Es gibt kein Versprechen, und sei es noch so kühn, das ich dem Volk vorenthalten werde – ohne Rücksicht auf die Kosten der Erfüllung. Seien Sie überzeugt, daß mich kein lebender Parlamentarier an Versprechungen übertreffen wird, soweit unsre Zunge klingt – das gelobe ich Ihnen mit Herz und Hand – fürs Vaterland.

– In freudiger Erregung, bereichert um tausend große Hoffnungen, nahmen die Herren Abschied. Und schließlich: was wäre das Leben, wenn es keine Hoffnungen gäbe?


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