Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Kindelwein

Als ich noch in Radkersburg diente, da pflegten wir alle im Jägerhorn zu essen: drei Offiziere der detachierten Batterie, der Bezirksrichter mit seinen vier Beamten, der politische Adjunkt und ein paar ledige Herren der kaiserlichen Forstverwaltung. Wenn niemand von uns Offizieren kommandiert worden war und von den Beamten keiner auf Kommission, alles in allem grade dreizehn Mann. Dann mußte sich Bertha zu uns an den Tisch setzen.

Bertha war nämlich die Kellnerin. Ein sehr nettes Mäderl. Ungefähr siebzehn Jahre alt und von jener Sicherheit, die eben nur ganz, ganz unverdorbene Landkinder an sich haben.

Eines Tages … – ich kann nicht einmal sagen, daß es mir besonders aufgefallen wäre; denn auf die Dauer gab es in Radkersburg doch keinen Gesprächsstoff, und so schwiegen wir meist. Eines Tages also wars an unserm Tisch muckmäuschenstill. Drückend still. Alle dreizehn da, und Bertha doch nicht am Tisch.

Da erhob sich der Bezirksrichter, bat Bertha, ein wenig draußen zu bleiben – schloß die Tür ab, räusperte sich und sprach:

»Meine Herren, Sie wissen, um was es sich handelt. Wer sich nicht beteiligen will, braucht es ja nicht zu tun. Ich glaube aber: es ist am besten, wir zahlen jeder monatlich einen Gulden – und zwar von heute an – so lang, bis das Kind volljährig ist.«

Niemand sträubte sich. Alle atmeten erleichtert auf. Dem Bezirksrichter, als dem Ältesten zu Ehren, sollte das Kind Albert heißen. Albert Themeier. (Gegebenenfalls Albertine.)

Und ich schickte pünktlich an jedem Ersten einen Gulden nach Radkersburg – viele, viele Jahre.

Um 1902 kam ich durch Graz. (Da war ich schon außer Dienst.) Und es reizte mich, meinen alten Bezirksrichter wiederzusehen, der jetzt in Pension in Radkersburg lebt. Auch den alten Tisch und das alte Städtchen und am Ende – na, sehr neugierig bin ich ja nicht, aber wenns das Schicksal grade will: am Ende auch Albert Themeier.

Im Jägerhorn zu Radkersburg fand ich – es war am 19. Juli – die Tafel prächtig gedeckt.

Oho, man feiert ein Fest? Wie dumm. Ich hätte mich doch so gern mit zu Tisch gesetzt, wenn ich das erste bekannte Gesicht erblickte.

Doch lauter fremde, neue Leute.

Ah, der Oberforstrat! (Damals war er noch Forstgeometer.) Er erkennt mich, und … ist verlegen.

Dann der Gemeindearzt. Er erkennt mich und … errötet.

Endlich der Bezirksrichter selbst – jetzt schon im Ruhestand.

Er erbleicht.

»Sie sind grade zurechtgekommen,« sagt er mir. »Wir haben so eine kleine … Erinnerungsfeier, ganz intern … Oh ich bitte, Sie müssen natürlich teilnehmen?«

»Was ist denn los?«

Der Bezirksrichter wippt von einem Bein aufs andre, ficht unbeholfen mit einer Hand in der Luft – endlich faßt er sich ein Herz und beichtet:

»Also, wissen Sie … dieser Albert Themeier, der ist schon ziemlich lange tot. Einige Jahre. Und die Herren, die von hier weggezogen sind, die schicken doch jeden Monat am Ersten den Gulden? Sollten wir die Lappalie zurückgehen lassen? Das macht doch Umstände auf der Post. Da haben wir einen Fonds gegründet, und an jedem Neunzehnten trinken wir den Herren Vätern von Albert Themeier zu Ehren den Kindelwein.«


 << zurück weiter >>