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Das Marienkäferchen – ein Glückssymbol?

Handelnde Personen dieses kleinen Dramas sind alles in allem:

Dr. Eugen Meier, Universitätsdozent,
Agathe, seine junge Frau.

Der erste Akt spielt am Abend nach Meiers Hochzeit; spielt im Fremdenzimmer eines vornehmen Gasthofs.

Am Anfang des Dramas steht ein Entzückungsschrei: während nämlich der Dozent ein Köfferchen auspackt und die dessen Eingeweiden entnommenen Gegenstände auf das Spiegeltischchen reiht, ist die junge Frau Agathe wie ein Schwälbchen durchs Zimmer geflattert; glaubt auf den Kissen ihres Bettes ein Marienkäferchen erblickt zu haben und quiekt:

»Sieh! Sieh nur Eugen! Es bedeutet Glück!«

Der Dozent langsam:

»Ich vermag die Behauptung, daß ein Marienkäfer Glück bedeute, nicht zu teilen. Glück in deinem Sinn heißt wohl: der gefällige Ablauf einer Folge von kleinen persönlichen Erlebnissen. Im allgemeinen wird an der Kausalität dieser Erlebnisse durch das akzessorische Erscheinen eines Insektes nichts geändert. In dem hier vorliegenden besondern Fall ist deine vom Erinnerungsbild eines Volksaberglaubens angeregte Assoziation ›Marienkäfer-Glück‹ umso weniger berechtigt, als dem von dir aufgefundenen Insekt die charakteristischen sieben Punkte des Marienkäfers fehlen; es hat ferner nicht, wie der Marienkäfer, karneolrote sondern dunkelbraune Flügeldecken, der Körper ist nicht kuppelförmig sondern ausgesprochen flach – kurz, was du für einen Marienkäfer, Coccinella septempunctata hältst, ist in Wahrheit eine Cimex lectuaria oder Bettwanze.«

– – – Wenn Dr. Eugen Meier hier die Bedeutung des Marienkäfers als Glückssymbol leugnete, so traf sein – wissenschaftlich nicht unbegründetes – Urteil insofern ins Schwarze:

als Frau Agathe in ihrem jüngst dem Amtsgericht überreichten Scheidungsbegehren grade den anläßlich der Auffindung des Marienkäfers vom Ehegatten gehaltenen geschwollenen Sermon als ersten Erreger ihrer unüberwindlichen Abneigung gegen den Gatten (§ 115, Bürgerliches Gesetzbuch) bezeichnet hat.


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