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Schach

In einem Stimmungsbild aus München, das die Augsburger Abendzeitung unlängst abdruckte, wurde ich als Schachmeister gefeiert. Nach langen, enttäuschenden Jahren habe ich also doch noch erlebt, jene Anerkennung zu finden, die ich mir so oft erträumte: Anerkennung meiner Verdienste auf den vierundsechzig Feldern der Ehre.

Schach ist ein königliches Spiel, eigentlich nichts für meinesgleichen. Doch grade die hocharistokratische Atmosphäre des Schachs atme ich so gern – der arme Hund freut sich, wenigstens hier auf dem Brett Schiebungen vornehmen zu dürfen mit Bischöfen, Damen und Königen, die ja unserm Einfluß sonst entzogen sind.

Ein königliches, ein edles Spiel. Wers nicht nobel und edel treibt, lieber weit weg vom Handwerk bleibt.

Ich spiele Schach mit dem Major v. Vestenhof. Der Herr Major hat zahlreiche Feldzüge mitgemacht – gegen Preußen, gegen Piemont und Montenegro – und ich kann nur sagen: er ist ein unerschrockener Gegner. Seit Jahren kreuzen wir fast täglich unsre Bauern im Café Stefanie; ich habe den Major in Kriegslagen gesehen, wo jedem andern die Haare zu Berg gestanden wären. Vestenhof hat seine Kaltblütigkeit nicht verloren; kein Wimperzucken, kein fahler Schein im Aug des greisen Kriegers verriet Furcht.

Wir eröffnen gewöhnlich mit

e2 – e4;

der Gegner antwortet:

e7 – e5.

Bis hierher ist die Partie von uns theoretisch völlig durchgearbeitet.

Darauf folgt das Pensionistengambit der ältern Gebührenklasse. Der siebente Zug ist ein Rösselsprung, zugleich Angriff auf die weiße Dame. Nun sind zwei Fälle möglich: entweder Weiß bemerkt, daß seine Dame eingestellt ist und rettet sie – das ist dann die Feldmochinger Variante; oder Weiß bemerkt den Angriff nicht, die Dame wird genommen: Partie Seiner Exzellenz, des k. u. k. Feldzeugmeisters ad honores Stieglitz v. Donnerschwert.

Auf diesen Zug hat der verstorbene Gendarmeriewachtmeister Göttlicher eine prachtvolle Erwiderung gefunden.

Herr v. Vestenhof verwirft Göttlichers Erwiderung und zieht den weißen Läufer in rasantem Bogen von a2 nach h8. Dies h8 ist ein schwarzes Feld. Dadurch bekommt mein Gegner plötzlich zwei schwarze Läufer und ist in triumphierender Übermacht. (Man findet das interessante Endspiel veröffentlicht in der Schachecke der Allgemeinen Fleischerzeitung, Nr. 52, mit der Unterschrift: Weiß zieht und setzt in drei Minuten matt.)

Wie sichs für Meister schickt, spielen wir pièce touchée – das heißt: alle Figuren werden angerührt, ehe wir eine ziehen. Ist aber der Zug geschehen und dem Gegner unangenehm, dann leuchtet unsre Ritterlichkeit im schönsten Glanz auf: auf Verlangen auch nur einer Partei, selbst eines Kibitzes wird der Zug zurückgenommen.

Ja, die Kibitze! Sie scharen sich in dichten Reihen um uns und stören uns mit ihren Ratschlägen. Wir folgen ihnen aus Höflichkeit. Allen können wirs doch nicht recht machen. Gustav Meyrink in seiner unausstehlich höhnischen Art vergleicht unsern Kampf mit einem Duell, bei dem man mit den Pulsadern pariert.

Ja, die Kibitze! Meist sind es Maler. Sie spitzen ihre Stifte, um unsre Gesichter zu studieren – und, bei Gott, sie kommen auf ihre Rechnung.

Das Schach ist eine harmlose Lustbarkeit, wenn der Spieler die fünf, sechs, zehn, zwölf nächsten Züge des Gegners vorherweiß. Es ist, als hätte der Reichskanzler gesagt: »Wir leben im tiefsten Frieden, der stetige Gang der Politik ist auf Jahre hinaus gesichert.« Da bleibt die Börse flau.

Auf unserm Schachbrett aber? Ist ewige Pein. Wir tanzen auf einem Vulkan, mit einem Fuß im Grab, und über uns an einem unsichtbaren Faden hängt das Schwert des Damokles. Rechts, links, hüben, drüben ahnt der Partner unermeßliche Gefahren. Der leiseste Zug kann den Tod bringen. Mir oder dir?

Das ists, was unsre Partie so scheußlich spannend macht. Wir spielen Hazard – um die Ehre. Und die Kibitze studieren in unsern Gesichtern die Ausdrücke von Angst und Grauen.

Seit dreizehn Jahren gibt sich der Herr Major den fürchterlichen Erschütterungen des Glückspiels hin. Seine Hirnrinde ist ihm vor der Zeit ergraut. Ich aber sitze mit vibrierenden Nerven da, wenn mein Gegner wieder einmal die lauernde Frage tut: »Wer ist am Zug?« Und er antwortet sich regelmäßig selbst: ein kleines Rücken von zwei, drei Figuren – zunächst zu Versuchszwecken – dann ein Basiliskenblick – knurrige Flüche, die mich um alle Fassung bringen – endlich ein riesiger Sprung des Rössels über drei oder vier Felder – und mein Schicksal ist besiegelt.

Und stände mein Gegner allein da mit dem entthronten König gegen meine lückenlose Phalanx – nie gibt er die Partie auf, nie die Hoffnung. Er glaubt an ein Wunder; oft genug ist es gekommen.

Einen so zähen Kämpen zu besiegen, ist nicht leicht. Die meisten Partien enden damit, daß der Herr Major sich weigert, aus dem Schach zu ziehen. Meyrink nennt das: ewiges Schach. So hat der tapfere Vestenhof schon manche verzweifelte Situation gerettet.


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