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Die Trauung

Eines Tages beschlossen wir, meine Frau und ich, einander zu heiraten. Nämlich mit Hilfe der Staatsgewalten – damit wir ein anerkanntes, königlich bayerisches Ehepaar würden. Wir besprachen unsern Entschluß – und auch, daß wir vom nächsten Ersten an ein Abonnement auf die Straßenbahnen nehmen würden. – Doch was sind menschliche Entschlüsse? Wir vergaßen den einen wie den andern.

Irgend einmal sprach uns Väterchen Rößler von der schlechten Zugsverbindung, die er nach Dachau habe (er käme, wenn er erst in München sei, nicht vor dem dritten Morgen heim) – da erneuerten wir unsre Vorsätze, nahmen auch richtig das Abonnement – mit der Heirat bliebs wieder bei der Absicht.

Nicht mehr lang. Am Abend nach der Taufe unsres Jüngsten sagte meine Frau:

»Du, erinner mich morgen, daß ich aufs Standesamt gehe.«

Und sie ging. Und erzählte mir später:

»Es sind ganz umgängliche Menschen, garnicht sehr roh. Ich fragte: ›Bitte, was muß ich tun, um meinen Mann zu heiraten?‹ – Sie schrieben mir sofort alles nötige auf. Hier ist der Zettel.«

Er enthielt im ganzen sieben oder acht Gegenstände.

— — —

Ich bin irgendwo an der serbischen Grenze geboren – und als sei das des Jammers nicht genug, war unser Pfarrer am Tag meiner Geburt ein wenig angeheitert. Er schrieb mich nicht in die Matrikel.

Solang ich daheim lebte, machten sich die Folgen der hochwürdigen Laune nicht weiter fühlbar – die Ämter bei uns begnügten sich mit meiner Anwesenheit und fragten nicht nach dem Schein.

Jetzt aber sollt ich erfahren, was es heißt: auf der Welt und nicht in der Matrikel sein. In Deutschland muß man beweisen können, daß man geboren ist. Ich konnt es nicht beweisen.

Ich schrieb sieben Briefe nach Haus: sie sollten mir einen Geburtsschein schicken. Irgendeinen. Wenn er auch nur im mindesten für mich passe.

Auf jeden der sieben Briefe blieb ich sieben Wochen ohne Antwort. – Wer da berechnet, daß siebenmal sieben etwa fünfzig sind und daß ich vierzehn Tage brauchte, um mich zu besinnen – der wird mir gern glauben, daß ein Jahr fruchtlos verging.

Als das Jahr um war, fuhr ich – eine verdammte Reise! – persönlich nach meinem Geburtsort. Ich erkannte ihn nicht wieder. Mein Vaterhaus fehlte, ein vorüberfahrender Fuhrmann hatte es gestohlen. Den kostbaren schmiedeeisernen Torflügel des Hofes, seit Generationen ein Stolz der Familie, hatte der wirkliche Eigentümer erkannt und reklamiert.

Ich ging gradenwegs zum Pfarrer.

»Mein Sohn …,« begann er …

»Verzeihung, Hochwürden, Sie verwechseln mich mit jemand anderm.«

Der Irrtum klärte sich rasch auf – der Pfarrer hatte die Anrede ›Mein Sohn‹ nur figürlich verstanden.

Na, und da Seine Hochwürden zum Glück wieder gut gelaunt war, kriegte ich meinen Geburtsschein ohne weiters. Ich ordnete meine häuslichen Angelegenheiten, forschte den diebischen Fuhrmann aus, parierte geschickt seine Ohrfeigen, zeigte ihn an und fuhr vondannen.

Zu Haus in München empfing man mich mit großer Freude. Daß Papa so rasch heimkehren würde, hatte sich niemand gedacht.

»Aber,« sagte meine Frau, »du hättest auch gleich deinen Heimatschein mitbesorgen sollen.«

Nichtig, den Heimatschein! Ein endloser Briefwechsel erhob sich. Ähnlich wie einst um die Geburt des Homeros, stritten sich sieben Städte – nur verleugneten sie mich alle und schoben sich gegenseitig meine Angehörigkeit zu. Verleugneten mich unter den nichtigsten Vorwänden, das muß ich sagen. Endlich kamen Essegg und Agram in engere Wahl. Ich schlug vor, die Magistrate sollten um mich würfeln – man lehnte mit Erlaß vom 23. Juni v. J., Zahl 12 364, mein Ansinnen ab. Zehn Kronen Geldstrafe wegen versuchter Verleitung zur Veranstaltung eines unerlaubten Glücksspiels. – Dank dem Eingreifen eines befreundeten Abgeordneten mußte Essegg klein beigeben, und – da der Abgeordnete sehr mächtig war – wälzte man meine Geldstrafe auf die Staatskasse über. Sie prangt im letzten Budget der Königreiche Kroatien-Slavonien sub titulo ›Investitionen,‹ Punkt 7: ›Kanalbau‹ – kaum verschleiert durch einen Federhut für die Geliebte meines Beschützers.

Ich hatte also meinen Heimatschein und brauchte nichts weiter als die Bewilligung des ungarischen Justizministers ‹ zur Verehelichung im Auslande.‹ Mir stiegen Beklemmungen aus. Das Justizministerium zu Budapest arbeitet bekanntlich fieberhaft. Doch die Last, die man ihm aufgebürdet hat, ist zu groß – kein Amt der Erde kann eine solche Aufgabe bewältigen: 896 n. Chr., vor mehr als tausend Jahren, fielen die Madjaren in Ungarn ein und nahmen das Land in Besitz. Man nennt das kurz: die Landnahme. Die Landnahme ist im königlichen Grundbuch noch nicht ganz durchgeführt. Tag und Nacht schreibt man seit 896 die Grundstücke um – man ist erst im dritten Achtel. Wie wird man da Zeit finden, mir meine Heiratsbewill…?

Ich bekam sie postwendend. ›Seine Exzellenz freue sich ungemein, dem großen Künstler dienen zu können.‹ Ich fühlte mich mädchenhaft geschmeichelt, sah die Heiratsbewilligung durch – da lautete sie für den Bildhauer Rodin.

Ich wehrte mich schriftlich. Man sah den Irrtum ein und gab mir meinen Schein. Die Budapester Blätter aber nennen Rodin seither ›unsern verblichenen großen Landsmann.‹

So hatte ich meine Papiere denn mit vieler Mühe gesammelt. Meine Frau ist Deutsche, bei ihr dauerte es natürlich ein wenig länger: die deutschen Behörden sind zäh, und Gewalt darf man hierzuland nicht anwenden. Schließlich gelang es aber, auch die deutschen Papiere herbeizuschaffen.

Wir gingen nun vereint aufs Standesamt. Der Beamte beanstandete einige Dokumente – wir drohten mit Konkubinat, und er gab nach. Nur müßte ich die Geschichte aus Budapest ins Europäische übersetzen lassen. Was mir mit Hilfe eines vom Polizeibezirk Schwabing beigestellten Taschendiebes sofort gelang.

Da sagte der Standesbeamte:

»Ja, das ist die Heiratsbewilligungsurkunde; aber nicht die Bescheinigung der Heiratswilligkeit. Ich brauche ein Dokument, aus dem Ihre Heiratswilligkeit hervorgeht. Wer bürgt mir denn dafür, daß Sie überhaupt heiraten wollen?«

Ein Naiver hätte nun vielleicht geantwortet:

»Herr, wenn ich nicht heiraten wollte, hätte ich doch all die Dinge nicht unternommen, die seit zwei Jahren an meinen Ganglien reißen, all die Schritte, die mir infolge ungeheurer Gallenabsonderung zu einem Leberleiden verholfen haben. Ich hätte mich überhaupt des Verkehrs mit den Behörden ängstlich enthalten.«

So hätte ein Naiver gesprochen. Ich aber weiß, daß man innerhalb von Amtslokalen Vernunftgründe nach Möglichkeit vermeiden muß – weil Vernunftgründe nur zu leicht zu Beamtenbeleidigungen führen.

Ich fragte also:

»Wo ist das Amt, wo ist die Behörde, die mir bescheinigen kann, daß ich heiratswillig bin?«

»Im Rathaus, vierter Stock, Zimmer 235.«

Vierter Stock … Donnerwetter! Aber wer weiß? Wenn ich Glück habe, gibt es einen Fahrstuhl.

Ich ging aufs Rathaus, ich fand auch einen Fahrstuhl. Und daran die Inschrift: ›Nur für Kranke und Gebrechliche‹. – Einen Augenblick spielte ich mit der Illusion, daß meine Leberverhärtung …

»Haben S' an ärztliches Zeugnis?« fragte der Portier. »Wann net, na schwitzens zwanzig Fennige, na fahr ich Ihnen hinauf.«

Ich schwitzte.

Wie hatte die Nummer des Zimmers gelautet? 253 – nicht wahr?

Nein, da sitzt der Sachverständige für Bewertung von mäßiggekrümmten Metallgasschläuchen. 243 ist das Bureau für Vermessung bayerischer Starkbierbestände. 233: Amtslokal der Delegierten zur Besichtigung normalspuriger Straßenwalzen. Man glaubt nicht, wie verwickelt der Verwaltungsapparat einer Großstadt ist. Ein humaner Beamter wies mich auf das Zimmer 235, ›Register der ausländischen Heiratswilligen‹.

Der Vorstand dort erklärte: es läge ein häretischer Aberglaube des Standesamtes vor; die Bescheinigung der Heiratswilligkeit könne man hieramts nicht ausstellen, die könne niemand auf Erden ausstellen als ich selbst; denn niemand als nur ich selbst könne wissen, ob ich Willens sei, eine Ehe einzugehen.

Die Gründe waren so einleuchtend, daß sie mir ganz und gar unrichtig erschienen. Und wirklich stellte sich später heraus: für Leute, die im ehemaligen Österreich-Ungarn geboren sind, besteht eine Ausnahme: sie müssen eine behördliche Bescheinigung ihrer Heiratsabsicht beibringen – die einfache Erklärung von Österreichern hält das Standesamt nicht für glaubwürdig.

Schon rieten mir wohlmeinende Freunde, auf die Trauung zu verzichten.

»Denn,« sagten sie mir, »du bist jung – auch Sie, gnädige Frau, sind jung – es wird euch früher oder später gereuen, den Behörden für nichts und wieder nichts soviel Plackerack gemacht zu haben.«

Indessen kehrten wir uns nicht an die Redereien und heirateten rüstig weiter. Ich stellte schriftlich die dezidierte Behauptung auf, heiratswillig zu sein, bat einen mehrfach, auch vor dem Feind dekorierten Oberstleutnant, mein Zeuge zu sein, und begab mich aufs Konsulat, um meine Identität beglaubigen zu lassen. Als das Konsulat immernoch zögerte, holte ich den Oberkellner aus dem Café Stefanie und stellte ihn als meinen Vetter, den Grafen Wiltschek vor. Das wirkte. Man beglaubigte mich.

Nun zurück aufs Standesamt. Der Beamte empfing mich freundlich. Meine Frau fand ihn sehr gealtert gegen das erstemal.

»Gut,« sprach er, »Ihre Papiere sind in Ordnung. Ich kann Sie ohne weitres trauen. Haben Sie aber auch die Konsequenzen bedacht? Sie sind Österreicher. Österreicher, die sich im Ausland trauen lassen, werden daheim bestraft.«

»Bestraft?«

»Ja. Wegen Bigamie.«

»Erlauben Sie – ich bin doch noch nie verheiratet gewesen?«

»Nicht? Dann wegen Monogamie. Bestrafen wird man Sie jedenfalls.« – Und mit leisem Mitleid: »So wollens die österreichischen Gesetze. Ich kann sie nicht ändern.«

Tu, felix Austria, nube! Da stehe ich nun mit meinen Papieren. Mit meinem gräflichen Freund, dem Oberkellner. Dem mehrfach dekorierten Oberstleutnant. Der unüberwindlichen Zuneigung meiner Frau. Daheim schreien die Kinder.

Kostenrechnung: 5 M dem Oberkellner. 1,25 dem Portier. 20 M für Papiere. Ein Vaterhaus – 60 M. Eine Porzellanpfeife für meinen Beschützer, den Abgeordneten – 3 M 50.

Ruiniert, blamiert und ledig. Mit einem Haufen unnützer Papiere. Sämtliche Amtsdiener Bayerns grüßen mich auf der Straße – wenn ich im Keller neben sie zu sitzen komme, trinken sie, ohne zu fragen, eine Maß auf meine Kosten.

5 M dem Oberkellner, 1,20 dem Portier. Ein Vaterhaus – 60 M usw. usw.

Zusammen 182 M 20.
Hiezu für Amtsdiener bisher 13 M 80.
     
Zusammen 196 M –.

Ich bin entschlossen, diesem verfehlten Leben ein Ende zu machen.

B. G. Nuschitsch nacherzählt


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