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Münchener Sittlichkeit

Als wir noch die ›schwarze Schmach‹ in Bayern hatten (ich persönlich habe mich unter der Zentrumsherrschaft sehr wohl befunden) – damals klagte man viel über den Niedergang der Sittlichkeit. Ich fürchte, man werde auch in aller Zukunft noch in Schlagwortschätzen wühlen – darum sage ichs vorweg:

Es geht nicht an, sich bei Abwägung der Sittlichkeit (diese im engherzigsten Sinn verstanden) auf das Gedächtnis der Generation zu verlassen. Ihr Urteil ist von Gefühlsmomenten gefälscht. Manch ein älterer Herr wird behaupten: in den Sechzigerjahren, selbst zur Zeit Ludwigs II. noch, wäre mehr als heut geliebt worden. – Für die Wissenschaft sind solch wehmütige Erinnerungen natürlich ebenso wertlos wie das Gezeter jugendfeindlicher Neutra.

Wie aber die Wahrheit feststellen?

Mit amtlichen Daten? Der Polizeibericht erfaßt nur jene Damen – und triumphiert: wir in München hätten – mit Ausnahme der betagten Dame Ecke Maximilianplatz-Pfandhausstraße – sozusagen überhaupt keine.

Da rümpfen die Herren Neutra besorgt die Achseln (warum besorgt? um den Fremdenverkehr??) und erwidern:

»Tja, der Polizeibericht ist eben unverläßlich; er beweist eher, daß die Polizei zu lax ist.«

Ein andres amtliches Material über das Wachsen oder Sinken der Sittlichkeit aber gibt es nicht. Das Leben scheint sich zum Verkehr mit den Behörden wieder einmal nicht zu eignen. – Die Grenzen zwischen Tugend und Laster fließen, sogar zwischen Ehe und Nichtehe. – Die Sozialwissenschaft versagt vollends: sie bedauert seit Jahren, die Liebe und ihre Ausartungen nicht statistisch erfassen zu können. – Ein überaus heikles Thema, ein oedipëisches Problem. Man ist, kurz und gut, hilflos.

Da kann ich ihnen den Vorwurf nicht ersparen – der Regierung, der Presse, den Anwälten allen des öffentlichen Lebens: daß sie nicht mich zuerst befragt haben, den einzigen vielleicht, von dem gewissenhafte Auskunft zu holen war.

Ich bin vermöge meines Alters an der Unsittlichkeit rundum persönlich unbeteiligt; ich bin aus Gründen, deren Darlegung man mir gütigst ersparen möge, an der größern oder geringern Willfährigkeit des Münchener Weibes nicht mehr unmittelbar interessiert. Trotzdem habe ich das Studium der Unmoral zu meiner Lebensaufgabe gemacht.

Doch ich habe meine Forschungen weise auf eine einzige unter den vielfältigen Formen der Unsittlichkeit beschränkt: auf den Ehebruch; ihn betrachtet mein akademischer Eifer seit langen Jahren.

Die Zunft der Sozialkritiker blickt scheel auf meine Arbeit – selbstverständlich. Je m'en fiche. Ist der Ehebruch nicht eine gesellschaftliche Einrichtung? Die man wissenschaftlich betrachten kann wie … – na, sagen wir: die Ehe selbst? Die man doch wohl als Objekt nützlicher und notwendiger Forschungen wird gelten lassen müssen? – In Polynesien ist der Hausfreund eine behördlich anerkannte Person des Familienrechtes und wird in den dortigen Matrikeln geführt; ein Beweis, wie verbreitet die Institution ist …

Ich habe ohne staatliche Hilfe, ohne Anerkennung der Zunft fertiggebracht, woran sie alle verzweifelten, die Fachleute: eine Statistik des Ehebruchs; aus ihr werden Rückschlüsse auf die übrigen, ähnlichen Verirrungen zu ziehen sein.

Ich greife, indem ich die folgende Tabelle veröffentliche, zwei Quartbänden vor, die ich demnächst bei Perthes in Gotha herausgebe.

Meine Methode zwang mich, dem weitesten Kreis zunächst die Fragen vorzulegen:

»Wie oft haben Sie sich leider des Ehebruchs schuldig gemacht?

In wieviel Fällen hatten Sie das Pech, gefaßt zu werden?«

Dank dem Vertrauen meiner Freunde konnte ich ermitteln, daß von 123 Übertretungen erst 1,0 fatal endet (0,81 %).

Ein überraschendes Blitzlicht auf die Leichtgläubigkeit und Milde der Betroffenen wirft dann die unwahrscheinliche und doch (von mir) durchaus erwiesene Tatsache: daß erst jeder siebente Flagrantifall zur Ehescheidung führt.

Das Ei des Columbus. Ich mußte nurmehr die Zahl der Scheidungen auf Grund von Untreue (816 auf 1000) multiplizieren mit 123 mal 7, um zu folgendem Ergebnis zu gelangen:

Es entfallen auf den Kopf der Bevölkerung

 

Ehebrüche in München Wien Berlin
1917 0,047 0,048 0,048
1918 0,046 0,039 0,046
1919 0,047 0,049 0,047

 

Wiewohl sich meine Beobachtung nur auf einen kurzen Zeitraum erstreckt, wiewohl die letzten Jahre von mir noch nicht methodisch durchgearbeitet sind, lassen sich schon jetzt einige wichtige Lehrsätze gewinnen:

Die Unsittlichkeit bleibt in allen drei deutschen Großstädten auf der einmal behaupteten Höhe, ohne die Tendenz, zu fallen oder zu steigen.

Die Not des letzten Kriegsjahrs 1918 hat überall kalmierend auf die menschlichen Leidenschaften gewirkt – am meisten in Wien – worauf sich (und das ist höchst merkwürdig) grade im Tiefstand des Wirtschaftslebens, 1919, die Zahl der Verfehlungen wieder hob. Wollten sich die Leute trösten?

Die Frequenz ist überall ungefähr die gleiche – Wien hat einen kleinen Vorsprung, nicht der Rede wert.

Gewiß aber ist, daß München immernoch sehr gut abschneidet – mag man die Sache nun vom Standpunkt des Fremdenverkehrs betrachten oder vom andern der Sexualethik.

Meine Herren! Angesichts meiner Tabelle werden Sie nicht mehr zu jammern wagen, wir in München hätten uns vor andern Städten, Berlin besonders, auch nur im mindesten zu schämen.


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