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Eine Begegnung im Wald

Ich war – mit einem Ränzel und einer Botanisierbüchse auf dem Rücken – aus Fondina im Montenegrinischen aufgebrochen und überschritt hart am Dorfausgang die türkische Grenze. Da führt ein steiler Weg, der kein Weg ist, durch den Buchenwald nach Dinoschi, dem ersten albanischen Ort.

Hungrig war ich wie ein Bär, der aus dem großen Schlaf erwacht – die Kleider am Leib waren zerrissen – Haar und Bart von der langen Wanderung verwildert – die Haut war gebräunt, so weit auf sie die Sonne schien. Und wohin schien sie nicht?

Ich ging stundenlang. Wenn ich eine Lichtung erreichte, setzte ich mich auf einen Wurzelknorren, spähte rundum und zog die Karte aus der Sohle des Bundschuhs. Doch die Karte log auf Schritt und Tritt.

Plötzlich – mitten in der einsamsten Einsamkeit tauchte ein Kerl aus dem Dickicht, ein magerer Albaner. Den Martini hielt er lässig auf dem Rücken, die Rechte auf den Gürtelwaffen – so stand er da, überlebensgroß, ein Bild von Erz. So lang ich lebe, werde ich den Blick nicht vergessen: Hohn, Trotz, Macht – ein ganzes Todesurteil war in diesem Blick.

Ich sah, daß er ein Moslem war und bot ihm Gottesfrieden.

»Steh!« antwortete er kurz.

Dann, als er mich gemustert hatte:

»Kannst du nicht ausweichen?«

Ich versuchte zu lächeln. – »Gewiß, Herr, wenn du viel Raum brauchst.« – Und ging im Bogen um ihn herum am Dickicht.

Er wendete sich langsam mit – da standen wir wieder Aug in Auge.

»Du bist von drüben – ein Deutscher,« sagte er. »Was treibst du hier?«

»Eh ... Herr ... ich suche seltene Gräser – ein närrischer Mensch, weißt du, wie alle Deutschen.«

»Ja – Gräser!« rief er hämisch. »Närrischer Mensch! – Hunde seid ihr. Hurensöhne. Spionieren kommt ihr. – Da – setz dich!« herrschte er und zeigte auf einen Windbruch.

Ich setzte mich gehorsam, und er neben mich.

»Hast du was zu trinken?«

»Ja, Herr.«

Er tat einen Schluck und schüttelte sich unmutig. – »Woher hast du das?«

»Aus Podgoritza, Herr. Zwanzig Kreuzer die Halbe.«

»So –. Von dort also kommst du. – Na, wie sieht es denn da aus?«

»Wie bei armen Leuten eben ... Die Montenegriner sind arm, Herr.«

»Hast du einen Imbiß? Nein? Na, dann warte! Hier ist Maisbrot und ein Kopf Knoblauch. Teilen wir!«

Wir aßen und tranken. Die Flasche war bald leer.

»Nun,« sprach er, »und hast du etwas Geld bei dir?«

Ich zog gutwillig die Brieftasche und zählte ihm mein Vermögen auf die Hand: fünf und achtzig Gulden.

Er prüfte die Scheine, nickte und steckte sie zufrieden ein.

»Du hast doch wohl auch Kleingeld?«

»Herr,« fuhr ich auf, »das könntest du mir füglich lassen. Ich hab einen weiten Weg und Hunger ... Es sind nur zwei Gulden ...«

»Ach, was! – Brot und Käse bekommst du in jedem Haus umsonst. Gib her! – – Ist das alles? Hast du sonst nichts? Keine Ringe?«

Er suchte mir die Taschen ab. Ich hielt die Rockflügel offen – er fand meine Stahluhr. Sie machte ihm viel Kopfzerbrechen.

»Wie teuer hast du sie bezahlt?«

»Fünf Gulden.«

»So –. Wo hat man je gehört, daß Gold und Silber schwarz würde? Und was soll sie mir? Ich erkenne die Zeit an der Sonne.«

Er schmetterte die Uhr an den nächsten Buchenstamm.

»Sieh nur, wie du bist, Herr!! Konntest du mir die Uhr nicht lassen?«

»Wirst dir schon eine andre kaufen. Ihr Deutschen habt ja Geld wie Spreu.«

Dann zog er das Messer und schnitt mir die Riemen von Ranzel und Botanisierbüchse durch – Ranzel und Büchse fielen zu Boden.

»Du kannst gehen,« sagte er.

Ich stand auf, rührte mich aber nicht von der Stelle.

Er betrachtete mich sinnend und wiederholte:

»Du kannst gehen ... Aber du sollst nicht sagen, wir wären Heiden. – Da hast du noch ein Stück Brot. Iß es in Glück und Gesundheit ... Und da ... hast du dein Kleingeld wieder: zwei Gulden, fünf Kreuzer. Damit du nicht sagst, wir wären Heiden ...« – Alles in tiefem Ernst, in Menschenliebe. – »Zieh jetzt mit Gott und blick dich nicht um – sonst schieß ich. – Und halt dich links. Rechts wohnen böse Leute, wahre Beutemacher. Die – hätten dir auch das Kleingeld weggenommen.«

Ich grüßte und wanderte – – – wanderte vier Tage – über hundert Kilometer – nach unserm nächsten Konsulat.

Dort schrieb ich einen Bericht an das Evidenzbüro des Generalstabs – eine Bittschrift um Ersatz meiner verlornen kleinen Habe.

Das Evidenzbüro antwortete:

»Private Erlebnisse sind hieramts ohne Interesse.«


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