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Ninkos lustiger Abend

Ninko ist ein Lebzeltner, mit Verlaub zu sagen – ein Lebkuchenbäcker. Eigentlich auch Wachszieher, sogar vorwiegend Wachszieher – mit seiner Liebe ist er doch mehr bei den Lebkuchen. Denn eine Kerze, man mag sie noch so schön aufputzen, bleibt nur eine Kerze und flackert vor einem düstern Heiligenbild, im besten Fall vor der Mutter Gottes. Wem macht es Freude? Niemand. Wer sie spendet, tut es aus Not, oder weil er siech ist – den Küster ärgert die Arbeit – der Pope kümmert sich nicht darum – und daß die Heiligen für eine Kerze Gnade vor Recht ergehen lassen, bestreiten im geheimen sogar die Wachszieher.

Aber seht euch dafür solch ein Kuchenherz an! Das ist doch ein Symbol, da ist Bedeutung dabei. Angenommen, man bäckt es ganz einfach – mit einem Mandelkern in der Mitte – da heißt es schon: süße Liebe. Oder man färbt es mit Alkermes: brennende Liebe. Oder man tut einen hübschen Spiegel darauf, von Tragantrosen umgeben: ›du bist schön, ich liebe dich.‹ Dann die Verse, die doch auch allerhand ausdrücken können – von der sprießenden Neigung an bis zur blutigen Leidenschaft ...

Ninko ist also ein Lebzeltner. Er hat seinen Laden knapp unterhalb der Terasia, vom Fürst-Milosch-Brunnen linkerhand. Es ist aber besser, den Polizisten zu fragen, denn der Laden liegt etwas abseits.

Ninko zahlt seine Steuer pünktlich. Ein Hauptmann wohnt bei ihm zur Miete – und wenn grade Ebbe in den Staatskassen ist, also immer, bekommt der Hauptmann statt des Gehaltes Steueranweisungen. Die gibt er Ninko – Ninko geht damit aufs Amt und läßt sich die Steuer abschreiben. Wenigstens hat man die Sorge los.

Das Geschäft geht nämlich nicht recht. Wenn man bedenkt, wie die Verhältnisse früher lagen und wie sie jetzt sind – es ist ein gewaltiger Unterschied. Sind die Leute lauer im Glauben geworden oder ist es die allgemeine Armut – – genug, es gehen jetzt nur die geringern Sorten. Oft brennt vor einem Heiligen Georg ein Stümpfchen Licht wie ein kleiner Finger. Wirklich, das Herz krampft sich einem zusammen.

Die Märkte – du lieber Gott – haben auch bedeutend abgenommen. Ehedem, solch ein Markt in Wranitschi! Dieses Gewühl! Zehn, zwölf Kisten Lebkuchen an einem Vormittag. Oder die Kirchweih in Schabatz. Man sollte es ja nicht glauben – aber bis von der Drina, selbst aus Bosnien kamen rechtgläubige Menschen und kauften sechs, sieben, achthundert Kerzen – ungerechnet, was die Slavoniter aus dem Klenaker Winkel über die Save wegführten.

Jetzt fährt Ninko garnicht mehr nach Schabatz. Es lohnt den Fuhrmann nicht. Er fährt am weitesten bis Palesch. Und selbst dahin verlangen die Leute schon fünfundzwanzig Dinar und die Zehrung, während man früher bis Schabatz dreißig zahlte. – Was ist das für ein Verhältnis?

Es ist wahr, Ninko hat seine Freude am Lebkuchenbacken – und wenn man die andern Gewerbe betrachtet, ist seins immer noch eines von den schönsten. In der innersten Seele aber hegt er einen andern, einen törichten Wunsch. Lacht nicht: Ninko möchte Soldat sein.

Wenn der Hauptmann, der oben im ersten Stock wohnt, des Morgens weggeht – sporenklirrend, mit flatterndem Mantel – hui! – das ist ein Mann, der was kann, das ist Pracht und Macht vom Scheitel bis zur Stiefelsohle. Ninko sieht ihm nach – und in seiner Entzückung merkt der arme Ninko garnicht, daß sich oben ... leise ... eine Stirn an die Scheiben drückt, an die kalten Fensterscheiben – daß auch dort oben ... zwei Augen dem Hauptmann folgen ...

Nataschas Augen.

– – – Eines Tages – Ninko packt eben seine Kisten für den Palescher Markt, und Natascha hilft ihm, fröhlich wie noch nie – da öffnet sich die Tür, und der Herr Hauptmann selber tritt in den Laden. Ninko ist ganz bestürzt vor Schüchternheit.

»Guten Tag, Pate,« sagt der Herr Hauptmann. »Ich möchte gern mit Ihnen sprechen.« Dabei lacht er so leutselig, daß man sich wie erhöht dünkt.

Ninko winkt seiner Frau, sie möchte gehen.

»Ach, lassen Sie sie nur,« sagt der Herr Hauptmann und wechselt mit Natascha einen verschmitzten Blick. »Es ist ja kein Geheimnis. Ich brauche hundert Dinar – das ist alles.«

Ninko versteht noch nicht.

»Sie sollen mir hundert Dinar borgen, wissen Sie. Am Ersten haben Sie das Geld wieder, darauf können Sie sich verlassen, Pate ...«

»Aber natürlich, aber selbstverständlich,« unterbricht ihn der Lebzeltner beinahe jubelnd und eilt nach seinem Schrank – »wie sollt ich denn nicht ... Das heißt ... hundert ...« – und der arme Ninko sieht beschämt auf Natascha – »Hast etwa du vierzig? Denn ich, gnädiger Herr ... offen gesagt, hab im ganzen achtzig – und zwanzig davon muß ich dem Fuhrmann bis Palesch zahlen.«

Natascha und der Hauptmann wechseln einen verschmitzten Blick.

Sie bringt die vierzig Dinar herbei, Ninko zählt hundert auf den Tisch. – »Oh, einen Schuldschein? Was fällt Ihnen ein, Herr Hauptmann? Es ist mir nur eine Ehre, eine große Ehre.«

Natascha und der Hauptmann wechseln einen verschmitzten Blick.

Als der Hauptmann gegangen ist, von Ninko mit vielen Bücklingen begleitet – als er lange gegangen ist, beginnt der Lebzeltner zu rechnen. Und er findet: mit zwanzig Dinar reicht er nicht bis Palesch. Er geht ins Zimmer – vielleicht hat Natascha noch etwas Silber übrig – greift in ihre Jacke, die an der Wand hängt, und findet darin ... einen Zettel:

»Ins Boulevardcafé also – es wird sehr lustig.«

Nichts weiter.

Ob auch morgen Markt in Palesch ist – des Abends, als es zu dunkeln beginnt, steht Ninko vor dem Boulevardcafé und wartet und wartet. Wartet und wartet.

Und plötzlich sieht er Natascha kommen – in starrer Seide – und den Hauptmann sporenklirrend, mit flatterndem Mantel hinterdrein. Einen Augenblick bleiben sie unter der Bogenlampe am Schalter stehen – dann verschwinden sie – dort hinein.

Ninko aber wartet wieder, hilflos und unschlüssig.

Endlich faßt er sich ein Herz und überquert die Gasse.

»Ein Billett? Was für ein Billett?« fragt der Kassierer.

»Das beste, das Sie haben.«

»Fünf Dinar, fünfzig.«

Ninko bleibt an der Tür des Saales stehen. Durch den Schleier des Tabakqualms sieht er über die schwätzende Menge weg – zuerst Licht, nichts als Licht, das ihn verwirrt und blendet – und dann auch, später erst, die Bühne.

Hier also ist Natascha – bei diesen unzüchtigen Weibern und Liedern! Für sein Geld.

Für sein Geld. Der Gedanke gibt ihm Kraft. Er geht vor und braucht nicht lang zu suchen.

»Guten Abend, gnädiger Herr,« sagt er und faßt nach einem leeren Stuhl. »Wundern Sie sich, daß ich hier bin? Je nun – ich hab mirs überlegt.« Und, vom Blick des Offiziers verschüchtert: »Der Palescher Markt wirft von jeher wenig ab.«

Ninko hat sarkastisch sein wollen, doch es geht ihm damit nicht richtig von der Hand. Er wird friedlich, fast gemütlich. Natascha beginnt sich zu beruhigen. Der Hauptmann findet sogar allmählich seine Laune wieder und tischt Wein und Braten auf.

Ninko trinkt vom Wein und ißt vom Braten, sieht neues, zu viel neues – entblößte Schultern und geschminkte Lippen – Gesichter, so schön, wie nie zuvor im Leben – Augen, so begehrlich, wie er nie gesehen hat ... und – er mag und mag auch nicht – sagt, was ihr wollt, so muß er fröhlich werden. Eine hitzige Abart von Fröhlichkeit – der kleinen Natascha wird ganz unheimlich; sie mißt verstohlen ihren Mann und fürchtet sich.

»Lassen Sie ihn nicht so viel trinken,« zischt sie ihrem Liebhaber zu.

»Ach was,« erwidert der Hauptmann und schenkt die Gläser voll, »der Serbe verkauft seinen Wein nicht.« – Die Gesellschaft des Lebzeltners geniert ihn – am besten, man spült den Ärger hinab.

Es wird ein Uhr – und sie gehen in ein andres Café.

Es wird zwei Uhr – und sie gehen nach Hause.

»Wie nett es gewesen ist,« sagt der Hauptmann.

»Nett, wirklich sehr nett,« versichert Ninko. »In meinem ganzen Leben der erste lustige Abend. Immer nur arbeiten und niemals Herr sein ...! Heut bin ich endlich einmal Herr gewesen – für mein Geld.«

›Für sein Geld‹ ... Das rührt wieder alle Bitterkeit in ihm auf.

Und als sie vom Fürst-Milosch-Brunnen linker Hand nach dem Wohnhaus einbiegen ...

Als sie nach dem Wohnhaus einbiegen, da geht Ninko allein voraus, öffnet die eichene Haustür und riegelt sie von innen wieder zu.

Und als die beiden, Natascha und der Hauptmann, eintreten wollen, finden sie die Tür verschlossen.

Drinnen aber schreit der trunkene Lebzeltner:

»Meiner Seel, ich laß euch nicht ein. Um keinen Preis. Wissen Sie, was Sie sind, gnädiger Herr? Ein Hund. Verstehen Sie? Ein räudiger Hund. Die Person dort draußen, mit der Sie mich betrogen haben, die können Sie nun für sich behalten. Die hundert Dinar geb ich als Mitgift drein.«

Mit dem Gefühl eines Menschen, der seine Feinde aufs Haupt geschlagen hat, tappt Ninko, ausgelassen vor Fröhlichkeit, hinauf in den ersten Stock und legt sich in das schöne, feine Bett des Herrn Hauptmanns schlafen.

Eh, man muß doch einmal versuchen, ganz so lustig wie ein Herr zu leben ... ›für sein Geld‹.


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