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Der CCXLVII. Balneologen-Kongress

Nach Jahresfrist wieder versammelten sich die deutschen Badeärzte, um ihre wissenschaftlichen Erfahrungen auszutauschen. Man traf sich diesmal in der alten Kaiser- und Quellenstadt Aachen. Montag morgens begannen die fachlichen Vorträge.

Von Beifall überschüttet, betrat der Nestor der Balneologie, der Geheime Obermedizinalrat Professor Doktor Ahn die Tribüne. Er gab einen Rückblick auf die medizinischen Errungenschaften seit 1900. Nie mehr werde der Kunst des Meißels und der Säge so reichliches, so schönes Menschenmaterial zur Verfügung stehen wie im Krieg. Die Seuchen-Vernichtung feierte Triumphe. Solche Erfolge lassen hoffen, daß auch die Bekämpfung der Psychosen und Neurosen, Folgeerscheinungen des Kriegs und Umsturzes, gelingen werde. Redner erinnert an das massenhafte Auftreten des Kropfes – fünfzig von hundert österreichischen Schulkindern leiden daran – und die damit zusammenhängende Verbreitung der Idiotie.

In die Diskussion griff Sanitätschef Professor Doktor Bahn-München ein. Man müsse den Kropfträgern regelmäßig eine minimale Jodmenge zuführen, ohne das Individuum merkbar zum Objekt ärztlicher Behandlung zu machen. Man dachte zunächst, das Trinkwasser der Leitungen mit Jod zu versetzen. Leider zeigt sich, daß grade die von Kropf befallenen Kreise der östlichen Alpenländer den Wassergenuß meiden.

Universitätsprofessor Dr. Cahn-Frankfurt warnt vor einschneidenden Maßregeln. Plötzliche Beseitigung der Kropfverbreitung könnte Wandlungen der politischen Anschauung breiter Volksschichten und damit Staatsumwälzungen im Gefolge haben.

Die Sitzung von Dienstag wandte sich Sonderfragen zu. Im Vertrag von 1924 hatten sich die Badeorte auf einen Radiumgehalt von 3,5 Einheiten festgelegt. Nun tritt eine Schmutzkonkurrenz mit Ankündigung von 27 Einheiten auf den Plan. (»Pfui!«) Man wird mit unbarmherzigem Boykott vorgehen. Oberregierungsrat Doktor Dahn-Gleichenberg regt an, versuchsweise einen Brunnen als ›gänzlich radiumfrei und grade darum besonders heilkräftig‹ anzupreisen. Doch findet der Vorschlag Dahn nicht den Beifall der Mehrheit; Radium sei immer noch die große Mode.

Dr. Ehn-Nauheim berichtet über einzigartige Erfolge mit Höhensonne. Eine wohlhabende Patientin aus New York (»Ah!«) trug einen störenden Schnurrbart. Durch Bestrahlung in 60 halbstündigen Sitzungen konnte Referent nicht nur die vieljährigen Zinsen des in den Höhensonnen-Apparat investierten bedeutenden Kapitals hereinbringen, sondern auch diesen selbst restlos amortisieren.

Im Anschluß an die Ausführungen des Vorredners empfiehlt Dr. Fahn-Kissingen Höhensonne auch zur Bekämpfung der Glatze; er habe damit ebenso schöne Einnahmen erzielt.

Primarius Professor Dr. Giehn-Innsbruck demonstriert einen Fall ungewöhnlich starker Gefäßverkalkung, den er seit über 20 Jahren beobachtet. Der Kranke, subjektiv bei bestem Wohlsein, war bei Beginn der Behandlung k. u. k. Generalmajor, brachte es als Feldherr zu hohen Ehren und bekleidet jetzt ein führendes Amt in der Aktienindustrie. Der Blutdruck des greisen Würdenträgers läßt sich schon durch eine ganz kleine politische Debatte auf 8 bis 9 Atmosphären steigern; Patient braust dann wie eine Lokomotive.

Gynäkologe Dr. Hahn-Franzensbad beklagt die unmäßige Ausübung des Sports. Der junge Mann von heute wird so von seinen natürlichen Pflichten gegen das weibliche Geschlecht abgelenkt – und wer hat die Pflichten nun in ihrer schier untragbaren Schwere zu übernehmen? Der Badearzt. (»Sehr richtig!«)

Regierungsrat Dr. Janak-Teplice möchte in den amtlichen Kundgebungen des Balneologenkongresses anstelle der verbalhornten germanisierten Ortsnamen die ursprünglichen tschechischen verwendet sehen. Es muß demnach heißen:

Karlové Vary – für: Karlsbad,
Biaøce – für: Biarritz,
Brežánky – für: Bretagne,
Blatnémoøe – für: Baltimore,
Kostiruèka – für: Costarica.

Die Schlußberatung war der Austragung einer peinlichen Affäre gewidmet. Ein unwürdiges Bundesmitglied, Dr. Kiehn-Wiesau, mußte sich die strengste Rüge gefallen lassen. Er hatte seine Kurgäste nicht nur in standesunwürdiger Tracht (ungestutztem Vollbart) empfangen, er verwandte auch zur Zählung der Pulsfrequenz nachweislich eine einfache goldne Uhr ohne Sprungdeckel; noch mehr: er entblödete sich nicht, einen Badebesucher mit der Diagnose wegzuschicken, die Quelle des Kurorts vermöge nicht alle irgend denkbaren Krankheiten zu heilen. Nur mit knapper Not entging der unkollegiale Vereinsgenosse der härtesten Strafe: dem Ausschluß aus der Balneologischen Gesellschaft.


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