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Kleines Abenteuer in der Provinz

Ein seltsames Erlebnis das –.

Ich war um elf mit dem D-Zug aus Berlin angekommen und sollt um drei mit der Bimmelbahn weiter ins Land. Vier Stunden Zeit also ... Gott, ich werde durch die Stadt flanieren (kenne sie von frühern Besuchen her) – dann esse ich ... wie heißt doch der nette Gasthof? beim »Pfauen?« oder »Schwan?« – schließlich werde ich eine Stunde im Café Zeitung lesen.

Es kam aber ganz anders: Der Tag war sonnig, für diese Jahreszeit ungewöhnlich lau. Als ich auf einer Bank an der Promenade ausruhte, saß neben mir ein Mann, der machte mich irgendwie neugierig. Er trug sich ziemlich abgeschabt; dem Profil nach, mit seiner feinen Nase, dem straffen schwarzen Haar, gehörte er nicht in die Landschaft. Ich witterte einen besonderen Menschen und ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein.

Doch meine Erwartung lief auf Sand – der Mann erwies sich als vorn und hinten gewöhnlich. Einheimischer – 30 Jahr alt – nicht sehr intelligent; Schlosser, arbeitslos. – Seit wann? – Acht Monat. – Und er erzählte langatmig Dinge, auf die ich nicht recht hörte: von seinem letzten, seinem vorletzten Posten – erzählte unplastisch, so recht talentlos durcheinander; erzählte von einer Unterstützung, die er bezieht – Zuschuß – Notstandshilfe – 19 Mark – 7 M. 30 – bis ich schließlich, nur so obenhin, fragte: »Sind Sie verheiratet?« – »Ja.« Die Frau werde gleich kommen. – Und da war sie schon; mit dem dreijährigen Jungen. – Bekümmerte, scheue, unterernährte Menschen.

Was fange ich mit ihnen an? Ich bat sie zum Essen. Sie blickten zu Boden. Ich mußte ausdrücklich sagen: auf meine Kosten – dann erst sahen sie einander an, und die Frau griff nach dem Knaben, bereit, mir zu folgen. – Ich wollte die Leute nicht beschämen, in Verlegenheit setzen; und trat in eine kleine, eine Kutscherkneipe.

Die Einladung schon hatte sie völlig eingeschüchtert; ich suchte das Gespräch in Fluß zu halten; sie schwiegen aber.

Eine Speisekarte gab es nicht. Der Wirt, schmuddlig, zählte drei, vier Gerichte auf: Wurststullen, groben Käse. Davon, dachte ich, werden mir die Drei doch nicht satt. Und ich schlug Schnitzel vor. »Das lieben Sie doch?« – Die Frau sagte: »Ja.« Der Wirt nickte zögernd.

Die Schnitzel – konnt ich es ahnen? – machten die Schenke rebellisch. Der Wirt hatte Schnitzel offenbar nicht vorrätig. Wir mußten endlos warten.

Um darüber wegzutäuschen, bot ich ihnen Rotwein an – ihr und ihm einen Schoppen. Das hätt ich nicht tun sollen. – Der Kleine langweilte sich, kroch immerwieder zu den andern Tischen. Ich wunderte mich, daß die Frau ihn nicht berief; sah sie an und merkte erschrocken, daß sie totenbleich saß, die Lippen waren verkniffen. Sie erhob sich mühsam und wankte nach dem Hintergrund der Gaststube. Ihr war kotzübel; von einem Schoppen Wein. – Warum begleitet er sie nicht, stützt er sie nicht, der Schlosser? – Ja, wenn er könnte! Er ist stieselsteifbesoffen. Von einem Schoppen Wein. Die armen ausgehungerten Magen.

Endlich, endlich kommt alles in die Reih: die Frau ist da – das Kind – die Schnitzel.

Der Mann ißt zögernd; der Knabe beschnuppert mißtrauisch die unbekannte Speise – zu den Kartoffeln muß man ihn nicht nötigen. Und die Frau? Sie hat sicherlich seit Wochen, seit Monaten alle Nahrung dem Mann, dem Jungen zugeschoben. Nun – nach dem Wein – hackt sie drauflos; sie stopft – stopft mit würdeloser Gier in sich hinein: das Fleisch, die Beilagen – putzt das Schnitzel weg, das der Kleine verschmäht hat – schlingt ihre, seine, meine Kartoffeln hinab – und ißt den Brotkorb leer. Wer weiß, wie lange sie, wie schmerzlich sie Fleischkost entbehrt hat. – Die Frau erhebt sich mühsam, totenbleich, wankt nach dem Hintergrund der Gaststube. – Er sagt, seine Augen sind verglast: »Jeden Tag so ein Schnitzel – wo käme man da hin?«

Sie dauerten mich unsäglich. Ich schämte mich meiner behäbigen Sattheit vor den Armen. Und wollte dem Schauspiel ein Ende machen, auf möglichst gute Manier loskommen. Da setzte ich – in meiner Verlegenheit – aller Dummheit die Krone auf: rechnete rasch mit dem Wirt ab – als mir die Schlosserleute neidisch auf die Finger sahen, drückte ich dem Kleinen das Restgeld, etwa sechs Mark, ins Händchen – trank dem Schlosser zu und wollte davongehen.

Der Schlosser war mit mir aufgestanden. Er pendelte ein wenig, eh er ins Gleichgewicht kam; und quatschte: »Das Kapital. Natürlich. Aussaugen bis aufs Blut. Im Klassenkampf.« – Es gingen ihm offenbar Phrasen irgend einer Versammlung, einer Zeitschrift durch den trunkenen Kopf. – Plötzlich blickte er mich an – auf der Straße schon – blickte mich scharf an, mit wutunterlaufenen Augen, puterrot, und krisch:

»Überhaupt, was wollen Sie von mir?« Schreiend: »Was Sie wollen?« – Zur Frau, die ihn beruhigen möchte: »Schweig! Das ist ein ganz Verdächtiger. Ein Werkspion is das.« – Ich erschrak über so viel Mißverstehen. Der Arme! Er ist so gehetzt im Daseinskampf, daß er sogar nach der Hand schlägt, die ihm einen Augenblick helfen möchte.

Zwei – drei – fünf Passanten sind stehenblieben. – Er immer: »Was Sie von mir wollen? Der ist verdächtig. Ein Werkspion.« – Und da ich ein Monokel trage – eine rote Weste – und die Mundart des Orts nicht spreche, wurden die Menschen stutzig: »Was geht da vor?« – Und als ich wegwollte: »O nein. Halt! Das muß aufgeklärt werden.«

Nun begann der Vorgang mich zu spannen. Was wird daraus? – Ich blieb und wartete. Die Menge war sehr geschäftig. Einer hielt mich am Ärmel fest, es war gar nicht nötig. Jene, die den Auftritt von Anfang mitgemacht hatten, unterrichteten die neu Hinzukommenden. Nach Ewigkeiten kam der Schutzmann.

Er musterte mich – die Prüfung verlief sichtlich ungünstig für mich. Dennoch getraute er sich nicht recht ... Ich sah nach der Uhr – noch reichlich Zeit bis zur Abfahrt – da machte ich dem Schutzmann Mut: »Bringen Sie uns doch aufs Revier!« – Wie anders konnte ich die Handlung weiterführen?

Wir gingen. Etliche Neugierige geleiteten uns, der Rest verlief sich. Unterwegs fiel kein Wort: weil sich nämlich Schutzmann und Schlosser augenscheinlich unsicher fühlten.

Auf dem Revier der Beamte hieß mich ins Nebenzimmer treten, da blieb ich allein. – Unterdessen verhörte er vorn wohl die Ankläger. Rief mich wieder vor und fragte nach meinen Personalien. Ich nannte meinen Namen – zu »Beruf?« zuckte ich die Achseln. – »Heimat?« – »Wien.« – Ob ich Herrn Strahlke sechs Mark geschenkt hätte, vielmehr dem Jungen? – Ja. – Warum? – Ich zuckte die Achseln. – Daß ich lautere Absichten nicht haben konnte, leuchtete dem Beamten ein. Im übrigen wußte er sich mit mir ebensowenig zu helfen wie der Schutzmann; und winkte, ich sollte mit ihm kommen, in ein drittes Zimmer. Der Schutzmann stellte sich in die Tür; damit ich nicht fliehe.

Der nächste Beamte schien ein Rangsgenosse des ersten zu sein, denn sie duzten einander. Er verlangte den Paß – ich gab vor, ich hätte keinen. Der ganze Fall wurde von Anfang aufgerollt: vom Zusammentreffen auf der Bank – den Schnitzeln und Schoppen an – bis zum Geldgeschenk. Über die sechs Mark kamen sie nicht weg. Wozu das Geschenk? Was hatte ich damit erreichen wollen? Ich sagte: »Wollen Sie mich nicht Ihrem Kommissar vorführen?«

Roda Roda? Er stutzte. Den Namen schien er schon gehört zu haben. Oder gelesen ... Aber: in welchem Zusammenhang? – Er dachte emsig nach – dann griff er irgend welche Papiere aus dem Fach und blätterte darin; es war wohl die Fahndungsliste.

Nun meinte ich ihm helfen zu sollen und zeigte meinen Paß. Er studierte ihn – doch der Paß ist neu, er sagt nichts aus über meine Reisen. Der Kommissar forschte: wo ich mich in den letzten Jahren aufgehalten hätte, auch nur vorübergehend? Ich zählte rückblickend auf: Berlin; Lugano; Prag; Brioni; Bukarest; Gastein; und immer wieder: Berlin. – »Sonst nirgends?« – Ja, früher: Riga, Helsingfors ... »Ah,« sagte er, »wir kommen schon näher.« – Er hätte gern »Moskau« gehört; doch da bin ich leider nie gewesen.

Endlich, der vierte Beamte, ein ganz Hoher, befreite mich. – Die telefonische Auskunft aus Berlin nämlich, meldete Einer, habe beruhigend gelautet – kommunistische Zellenbildung kommt nicht in Frage. Ein Werkspion aber wird sich nicht »ausgerechnet« an einen Arbeitslosen wenden – darin stimmten sie mir bei. – Daß ich also ganz einfach einen armen Teufel hatte füttern und beschenken wollen, blieb zwar durchaus unglaubhaft, war mir aber nicht zu widerlegen. – Ich war entlassen.

»Wie wärs,« schlug ich noch lächelnd vor, »wenn sich die Herren für den Mißgriff bei mir entschuldigten?«

Der Hohe – wieder barsch: »Dazu ham wa keene Veranlassung.«

Schmiß mir die sechs Mark hin, die der Dummkopf von Schlosser abgeliefert hatte, und wies deutlich nach der Tür.

Ich hatte einen erschütternden Blick getan auf das Leben der Arbeitslosen.


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