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Die Reinhold-Lenz-Gesellschaft
zur Förderung junger Talente

Wenn Sie, Gnädigste, Ihr kleines Handbuch der Weltliteratur aufschlagen, wissen Sie gleich Bescheid:

» Lenz, Jak. Mich. Reinhold, * 12. (23.) Jan. 1751 zu Seßwegen (Livland), studierte i. Königsberg, ging 1771 n. Straßburg, trat hier alsbald in Berührg. m. Goethe u. Jung-Stilling. Nach Goethes Abreise unterhielt L. ein leidensch. Verhältnis zu Friederike Brion (s. d.!), dem Lieder entstammten, die man lange für Goethes Werk hielt. Am Weimarer Hof machte sich L. durch Taktlosigkeiten unmögl. Verfiel 1777 in Wahnsinn, ging 1780 n. Petersburg u. Moskau, † 1792. Dramen: D. Hofmeister, D. Soldaten; Roman: D. Waldbruder.«

Welch erschütternde Tragödie in wenig Zeilen!

Nun war in München etwas ähnliches geschehen – ein junger Dichter war in Not umgekommen – und damit der Fall sich gewißlich nimmer wiederhole, gründete Universitätsprofessor Dr. Beutemann die Reinhold-Lenz-Gesellschaft. Mitglieder: die Münchener Dichter Mann für Mann – an ihrer Spitze Georg Hirth, Graf Keyserling, Ruederer und andre. Sitzung: jeden Freitag abend, Eberlbräu. Die Sache ließ sich schön an. Wir entdeckten Begabungen und unterstützten sie; lenkten die Aufmerksamkeit der Theater auf ringende Autoren; gaben Versbücher heraus, Almanache – veranstalteten Vorlesungen, bis ...

... bis sich dieser und jener verletzt fühlte, weil man seinen Schützling unaufgeführt ließ – Lyrik, die er empfohlen hatte, für Mist erklärte ...

Es starben Georg Hirth, Graf Keyserling und Ruederer – Professor Beutemann verzog nach Berlin – Gustav Meyrink nach Starnberg – der Eifer erlahmte – und von der Reinhold-Lenz-Gesellschaft ward es still. Malzumal hörte ich: anstelle Beutemanns wäre nun Doktor Kitzheimer Vorsitzender geworden; oder: die Lenzgesellschaft hätte die Absicht, im Schauspielhaus eine verschollene Komödie von Gumppenberg zu inszenieren. Wiederum vergingen Monate – und ich wußte nicht: hatte man den Plan fallen lassen? – vergessen? – ausgeführt?

Ich kümmerte mich nicht um die Reinhold-Lenz-Gesellschaft. Nur wenn ich irgendein Geschäft hatte, das ich mit meiner Frau nicht diskutieren wollte, verlegte ich es gern auf Freitag.

Und sagte nachmittag meiner Frau:

»Schatz, ich komme heut nicht zum Abendessen.«

»Oh! Warum?«

»Es ist Sitzung der Lenz-Gesellschaft. Im Eberlbräu ... Laß mir den Smoking bereitlegen!«

»Den Smoking ...??«

»Ja. Es ist Festsitzung.«

Das ging viele Jahre so.

Manchmal kam Dr. Kitzheimer zu uns ins Haus, und ich fürchtete sehr, entlarvt zu werden. Aber nein. Kitzheimer benahm sich tadellos. Meine Frau fragte lauernd (denn sie ist ein wenig mißtrauisch):

»Die Herren haben einander wohl lange nicht mehr gesehen?«

Dann hob Kitzheimer in seiner müden Art die Lider, und ohne sich auch nur durch einen Blick auf mich zu verraten, sprach er:

»Roda war doch wohl Freitag in der Lenz-Gesellschaft?«

Ich konnte seelenruhig erwidern:

»Letzthin habe ich leider gefehlt, Herr Doktor – aber vor zwei Wochen bin ich dagewesen.«

»Schon zwei Wochen?« murmelte Dr. Kitzheimer träumerisch. »Wie die Zeit vergeht ...«

Und das Schwert des Damokles war glücklich vorbeigesaust, ohne mir ein Haar gekrümmt zu haben; oder hing vielmehr wie eh und je an seinem Haar.

– – – Auch mein Freund Schütz gehört zu den fleißigen Mitgliedern der Reinhold-Lenz-Gesellschaft. Jede Woche wirft mir Frau Schütz vor:

»Ihr mit euerm abscheulichen Verein! Mein Mann ist erst um fünf Uhr morgens heimgekommen.«

Ich antwortete in schönem Bariton:

»Gnädigste, wo es solche Ziele gilt – die Förderung junger Talente – muß einen das Opfer an Stunden nicht gereuen.«

Schütz summt unterdessen sphärische Arien vor sich hin. Der Racker hat also immer noch seine Gesangselevin ...

– – – Als zweiten Vorsitzenden hatte ich meiner Frau stets den Geheimrat v. Huber angegeben, einen uralten Griesgram, der sich nie, oh, niemals in unsern Kreisen blicken läßt. Unseligerweis mußte grade er mit meiner Frau zusammentreffen, und sie verfehlte nicht, von jenem ›ersten Entwurf zum Urfaust‹ zu reden, den – nach meiner Angabe – die Lenz-Gesellschaft damals in so festlicher Gewandung beraten hätte.

Schon spaltete v. Huber die Lippen, um zu versichern: er wisse nicht das mindeste, keine Spur ...

Da trat ich dem alten Mann so energisch auf die Zehen, daß er, selbst er, sofort verstand und sprach:

»Au! Sie tun mir ernstlich wehe –«

– ein Schmerz, den meine Frau, die Zartfühlende, sich dahin deutete, daß der Geheimrat irgendwie – sei es von Goethen, sei es von Faust abstammen müsse, und die Erwähnung seiner toten Verwandten berühre sein Familiengefühl.

– – – Der Fall Huber-Urfaust war mir eine fürchterliche Warnung. Ich beschloß, den Aufenthalt unter dem Damoklesschwert aufzugeben und endlich mal nach so viel Jahren wirklich in die Lenz-Gesellschaft zu gehen.

Freitagabend. Die Extrastube im Eberlbräu. Ein freundlich gedeckter Tisch.

Neun Uhr. Ich der erste Lenz-Gesellschafter.

Zehn Uhr. Noch hat sich mir niemand zugesellt.

»Kathi,« locke ich die Kellnerin – »ich bin hungrig geworden. Bringen Sie mir die Speisekarte!«

Ich esse ein Schnitzel mit Kartoffeln – Käse – eine Omelette ... (unglaublich, wie hungrig einen das Warten macht) –

– und als auch 10 Uhr 30 noch kein zweites Mitglied da ist, beschließe ich in meiner Verwunderung, beim Vorsitzenden telephonisch anzufragen: ob denn die Sitzung am Ende verschoben wäre?

Nein. Die Gemahlin Dr. Kitzheimers bestätigt mir: es sei heute Sitzung.

Punkt elf abend. Ich – mutterseelenallein.

Offenbar irrt sich Frau Kitzheimer – ich klingle bei Huber:

»Halloh! Herr Geheimrat zu sprechen?«

Eine dünne, schläfrige Stimme erwidert mir:

»Mein Mann ist seit sieben Uhr im Eberlbräu – in der Reinhold-Lenz-Gesellschaft.«

Nun bin ich beruhigt.

»Kathi – zahlen!«

Ich gehe. Ihr Eberlräume seht mich nun ein Dezennium nicht wieder.

Doch die Reinhold-Lenz-Gesellschaft will ich fortan regelmäßig besuchen und leichtern Herzens.


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