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Der Mezzofanti von München

Giuseppe Mezzofanti (1774 bis 1849) war Kardinal und Erster Kustos der Vatikanischen Bibliothek; er beherrschte 58 Sprachen. Es geht über ihn eine hübsche Anekdote, die vielleicht nicht wahr ist, aber sehr bezeichnend:

Ludwig XIV. von Frankreich (1643 bis 1715) fragte leutselig, wie die Könige schon sind, den Kardinal:

»Hat Ihnen das Lernen Schwierigkeiten bereitet?«

»Nur bei den ersten fünfzehn Sprachen, Sire,« antwortete der Kardinal.

Seit einiger Zeit hat auch München seinen Mezzofanti. Das geschah so:

Ich kam zu Benz, um da Kaffee zu trinken.

Vater Benz, der freundliche Wirt, wollte mir den Aufenthalt in seinen Räumen genußreich gestalten, ergriff mich am Pulsgelenk der rechten Hand und brachte mich zu einer reizenden jungen Dame – einer Tänzerin, wie sich alsbald herausstellte, Spaniolin aus Salonik.

»Fräulein,« sprach Vater Benz, »hier stelle ich Ihnen einen Landsmann vor.«

Nun bin ich ja nicht eben am Ägäischen Meer geboren, sondern an der Save – doch Vater Benz nimmt es mit der südöstlichen Geographie nicht so genau.

Die Dame, erfreut, einen der Ihren, einen echten Saloniker so hoch im Norden anzutreffen, redete mich mit ihrer süßesten Stimme an:

»Ah, Señor, welche Freude! Usted ablate español?«

Ja, ich spreche spanisch: wenn mich mein Partner oder meine Partnerin richtig fragt. Ich vermag dann zu entgegnen, und das in so reinem Kastilisch, als wäre Cervantes selbst aus dem Grab gestiegen:

»Si, Señora, ich spreche spanisch, unas palabras, einigermaßen.«

Darauf muß sich der andre verwundert erkundigen:

»Sieh da! Wo haben Sie es gelernt?«

Ich antwortete: »Estaba un invierno en Barcelona, en Cataluña.«

Bringt mein Gegenüber das Stichwort nicht richtig: nun, dann kann ich eben nicht spanisch.

Die Tänzerin aus Salonik verhielt sich genau, wie ich es brauchte. Ich konnte meine Sprachkenntnisse voll verwerten und wurde an den umliegenden Tischen nach Gebühr bewundert.

Meine Spaniolin aber, feinen Ohrs wie Frauen sind, mochte bemerkt haben, daß das Spanische nicht eben meine Muttersprache ist – und da ich doch nach des Benzvaters Worten ein Landsmann aus Salonik sein sollte, redete sie mich griechisch an:

»Issthe Ellin? Omilite Elliniká?«

Auch diese Sprache handhabe ich vollkommen. Ich konnte in klassisch schönem Griechisch mit einem Satz erwidern, der, wörtlich ins Deutsche übersetzt, lautet:

»Ick nein könn den ellenisch Sprech, aber ick manckmal stehen ver, wenn Freiläun meckte redden.«

Vater Benz zu den Umstehenden: »Entzückend! Griechisch kann er auch.« – Die Umstehenden nickten.

Worauf das Fräulein den Kopf wiegte – (»Himmelherrgott, was ist der Kerl nur für ein sonderbarer Landsmann?«) – und sie versuchte es auf eine dritte Art:

»Türkdje bilirmissinis?«

Oh, türkisch! Freilich spreche ich türkisch. Man kann sagen: mit Vorliebe türkisch. Leider beschränkt sich meine Kenntnis auf eine einzige Redensart:

»Jawasch söilerssenis daha eji anlajadjaim.« – »Sie müssen langsam reden, damit ich Ihnen folgen kann.«

Die Dame ließ ihre schönen Hände mutlos in den Schoß sinken und fragte:

»A, togawa goworite sigurno bölgarski?« – »Sie sind also wohl Bulgare?«

Ich gab schwitzend Bescheid:

»Tscheta otlitschno, no negoworja, poneshe nemam uprashnenja.« – »Ich lese bulgarisch, doch aus Mangel an Übung kann ich es nicht sprechen.«

Als mich aber die Jugend ringsum nun auch diese schwierige Zunge meistern hörte, da entstand ein Murmeln der Bewunderung – ein Murmeln, das gar nicht enden wollte – ein Murmeln, das sich seither überall erhebt, wo ich mich sehen lasse. – Man weist mit den Fingern auf mich, man zeigt mich als Merkwürdigkeit den Fremden. Man erzählt einander: ich hätte Rabindranath Tagore ins Indische übersetzt.


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