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Melodie

In acht Tönen – wie sie auch heißen mögen, immer nur acht – ist die Musik eingefangen, aller Klang enthalten, der das Herz rühren kann, befeuern und entmutigen.

Durch Kombination dieser Töne, nur dieser – indem man sie gelegentlich dehnt oder verkürzt, entstehen:

das Gralsmotiv,

Ich küsse Ihre Hand, Madame,

Giovinezza,

die Internationale,

Deutschland, Deutschland über alles –

Hymnen und Gassenhauer, Attackesignale und Liebesseufzer, Walzer und Gebete.

Man kann die Töne zu Akkorden binden, durch Pausen trennen.

Immerhin sind es nur acht – aus acht Steinchen baut sich das ungeheure Gebäude auf einer Kunst – einer blühenden Industrie, die Millionen Hände beschäftigt und ernährt.

Acht Töne – die Zahl der Kombinationen daraus muß beschränkt sein.

Die niedere Mathematik nennt die Zahl: acht zur achten Potenz, das sind nicht einmal 17 Millionen Möglichkeiten.

Überdies kommen viele der 16 oder 17 Millionen mathematisch konstruierbaren Varianten für die Praxis gar nicht in Betracht: weil sie ohrenzerreißend mißtönig oder albern klingen, banal und derb.

Ich glaube also, daß die Reihe der angenehmen oder auch nur erträglichen Kombinationen bald erschöpft sein wird. 17 Millionen, so viel Operetten, Verlage, Volkslieder und Tänze gibt es längst.

Ja, ich fühle das Ende der Musik schon nahen. Wir alle werden es noch miterleben. Ich gebe dem ganzen Betrieb nur noch zwei, drei Jahre Zeit.

Man suche mich nicht durch das Beispiel der Literatur zu widerlegen; die Literatur verfügt immerhin über 25 Elemente, die Buchstaben A bis Z, und das in zahllosen Sprachen: 25 zur 25sten Potenz gibt einen astronomischen Wert.

Der Untergang der Musik läßt sich beschleunigen. Ich erbiete mich, eine Maschine zu entwerfen – und jeder mittelmäßig begabte Ingenieur wird sie nach meinen Angaben verwirklichen können: eine Maschine, die leicht und rasch sämtliche aus acht Tönen überhaupt noch ausstehenden Motive komponiert und auf Pappestreifen stanzt; das gewöhnliche elektrische Klavier kann die Motive abspielen.

Hierauf wird das Musizieren als erfüllt aufzugeben sein.


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