E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 13.
In der Dunkelheit.

»Ich fürchte, daß ich nicht weitergehen kann«, sagte Jeanne. »Ich habe nicht die Augen einer Katze, die im Dunkeln sieht. Ich kann vor mir nichts erkennen.«

Kate lachte leise, als sie sich umwandte.

»Ich vergaß, daß Sie aus der Stadt sind. Für uns bedeutet die Dunkelheit nichts, und wir fürchten uns auch nicht davor. Ich kenne jeden Weg hier. Geben Sie mir Ihre Hand.«

»Wie weit haben wir denn noch?«

»Nicht ganz eine halbe Stunde. Vertrauen Sie sich mir nur an. Es wird Ihnen nichts passieren. Halten Sie meine Hand fest. So, nun kommen Sie.«

Sie gingen auf dem mit Gras bewachsenen Deich entlang. Unten schlug das dunkle, steigende Wasser mit leisem Plätschern an.

»Wenn Sie sich fürchten, dann nehmen Sie doch diese elektrische Taschenlampe. Ich brauche das Ding nicht.«

Jeanne atmete erleichtert auf.

»Nun wird es besser gehen.«

Schließlich kamen sie zu einem großen, schweren Boot. Kate sprang hinein, und Jeanne folgte zögernd. Mit einer Stange regierte das Mädchen das Fahrzeug. Jeanne leuchtete über das Wasser, aber sie konnte kein Ufer sehen und hatte das Gefühl, daß sie in das offene Meer hinaustrieben. Ihre Angst stieg noch, als sie Kate schwer atmen hörte. Wieder vergingen einige bange Minuten, dann lief das Boot an einem sandigen Ufer auf.

»Wir haben jetzt den schwersten Teil des Weges hinter uns.«

Kate nahm Jeanne wieder an der Hand und führte sie weiter.

»Drehen Sie das Licht bitte wieder aus«, bat sie, nachdem sie eine Viertelstunde gegangen waren. »Hier muß eine Mauer sein.«

Jeanne erkannte plötzlich zu ihrem Schrecken, daß sie sich in der Nähe des Herrenhauses befanden. Sie wollte nicht weitergehen, aber Kate beruhigte sie. Sie traten durch ein Tor in den Park ein.

»Verhalten Sie sich jetzt möglichst ruhig und leuchten Sie nicht mit der Lampe.«

Sie standen in einer etwas verwilderten Schonung von kleinen Bäumen. Jeanne war ein paarmal gestrauchelt.

»Wir kommen ja immer näher auf das Haus zu!«

»Ach nein, das liegt abseits. Wir gehen nicht mehr in dieser Richtung. Warten Sie einen Augenblick.«

Kate betastete sorgfältig einen Baum. Sie schien zufrieden zu sein, ging noch zwei Schritte weiter und legte sich dort flach auf den Rasen.

»Kommen Sie an meine Seite und legen Sie auch das Ohr auf den Boden. Sagen Sie mir dann, ob Sie etwas hören können.«

Jeanne gehorchte atemlos. Ihr Herz schlug wild, und plötzlich stieß sie einen kleinen Schrei aus. Sie glaubte, von unten ein Hämmern zu vernehmen.

»Was ist das?« fragte sie.

Kate richtete sich auf.

»Es gibt kein Tier, das ein solches Geräusch macht. Der Schall kommt aus der Erde. Wahrscheinlich versucht dort jemand an die Oberfläche zu kommen. Unter uns ist ein unterirdischer Gang, der von dem Hause bis zu den Klippen führt.«

»Ach, ich weiß«, sagte Jeanne plötzlich. »Mr. de la Borne hat ihn uns einmal gezeigt. Das war doch der Weg, auf dem die Schmuggler ihre Waren vom Strande nach Red Hall brachten.«

»Ja. Wir sind hier gerade über dem Gewölbe, und ich glaube, daß dort unten jemand eingesperrt ist.«

Plötzlich erkannte Jeanne die Zusammenhänge.

»Sie denken, daß Lord Ronald –?«

»Warum nicht? Hören Sie doch! Legen Sie Ihr Ohr noch einmal auf den Boden. Vorige Nacht habe ich ihn ganz deutlich um Hilfe rufen hören.«

Jeanne gehorchte und wurde bleich, als sie zwischen den Hammerschlägen Seufzen und Stöhnen vernahm.

 


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