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Kapitel 19.
Enthüllungen.

Einen Augenblick herrschte atemloses Schweigen, während Andrew die kleine Gruppe betrachtete. Dann trat er näher.

»Madame, Ihre Tochter ist in Sicherheit. Sie kann wegen des Unwetters nicht zurückkehren – heute nachmittag machte sie einen Ausflug auf die Insel.«

Die Prinzessin seufzte erleichtert auf.

»Dieses törichte Mädchen! Wo ist sie denn jetzt, Mr. Andrew?«

»In meinem Haus. Ich wollte Sie nur benachrichtigen, damit Sie sich nicht ängstigen.«

»Das war äußerst liebenswürdig von Ihnen.«

»Aber wie sind Sie denn herübergekommen?« fragte der Major, der Andrew erstaunt durch sein Monokel betrachtete.

»Ich bin einfach geschwommen. Die Entfernung ist ja nicht groß.«

Erst jetzt entdeckte sie, daß Andrew nicht mehr wie die Fischer im Dorf gekleidet war. Die Prinzessin starrte ihn verwundert an. Cecil fühlte, daß jetzt der gefürchtete Augenblick gekommen war.

»Es war wirklich sehr freundlich von Ihnen«, wiederholte die Prinzessin. »Ich hoffe nur, daß ich Sie in irgendeiner Weise –« Sie zögerte, denn sie wußte im Augenblick nicht, wie sie weiterfahren sollte.

»Mein Kommen hat auch noch einen anderen Grund«, sagte Andrew langsam. »Es tut mir sehr leid, wenn ich nicht gastfreundlich und höflich erscheine, aber eine bestimmte Angelegenheit muß sofort aufgeklärt werden. Ich spreche von dem Verschwinden Lord Ronalds.«

Sekundenlang herrschte beklemmendes Schweigen in dem Raum, dann lehnte sich Forrest bleich über den Tisch.

»Wer zum Teufel sind Sie denn eigentlich?«

»Ich bin Andrew de la Borne, der Eigentümer dieses Landsitzes. Meistens wohne ich nicht hier und überlasse das Haus meinem Bruder. Aber er ist noch sehr jung und macht manchmal Fehler. Sicher war es nicht vernünftig von ihm, Sie hier als Gäste aufzunehmen.«

Forrest erhob sich langsam. Die Prinzessin machte eine Bewegung mit der Hand, um ihn am Sprechen zu hindern, und wandte sich selbst an Andrew.

»Ich verstehe nicht, warum Sie sich verkleidet und einen anderen Namen gewählt haben. Warum kommen Sie jetzt, um die Gäste Ihres Bruders in solcher Weise zu belästigen? Ist es wahr, was er sagt, Cecil? Ist er tatsächlich Ihr Bruder?«

»Ja«, erwiderte Cecil düster. »Es sieht ihm ganz ähnlich, so unerwartet und unhöflich dazwischenzufahren.«

»Ich bitte um Verzeihung. Ich bin es nicht, sondern du, Cecil, der diese Leute aufgenommen hat. Du beherbergst unter diesem Dach einen Mann, der es nicht verdient. Der Herzog von Westerham, der die letzten Tage mein Gast war, hat mir alle nötigen Aufklärungen über Sie und Ihr Vorleben gegeben, mein Herr.«

Forrest wandte sich an Cecil.

»Mr. de la Borne, soviel ich weiß, haben Sie mich hierher eingeladen, und ich bin folglich Ihr Gast. Ich spreche deshalb auch mit Ihnen. Sie wissen hoffentlich, was das zu bedeuten hat. Ich kann nicht länger in diesem Hause bleiben, denn ich nehme nur die Gastfreundschaft von Leuten in Anspruch, die wenigstens gelernt haben, sich als Gentleman zu benehmen.«

Andrew lächelte.

»Ich will nicht mit Ihnen streiten. Jeder Vorwand, unter dem Sie mein Haus so bald als möglich verlassen, ist mir recht. Aber bevor Sie gehen, will ich erfahren, was aus Lord Ronald geworden ist.«

Cecil wandte sich ärgerlich an seinen Bruder.

»Ich habe nun schon soviel von Engleton gehört, allmählich werde ich es müde. Am Mittwochmorgen ist er von hier aufgebrochen und um neun Uhr fünfzig nach London oder jedenfalls nach Peterboro' abgereist. Nach welcher Himmelsrichtung er dann gefahren ist, geht uns doch wirklich nichts an. Wir wissen nur, daß er uns versprochen hat, möglichst bald zurückzukommen, und dieses Versprechen hat er nicht gehalten.«

»Wie kam er denn an jenem Morgen nach Lynn?«

»In seinem Auto«, erwiderte Cecil.

»Wer hat es gesteuert?«

»Major Forrest.«

»Das ist eine Lüge«, erklärte Andrew. »Der Wagen ist kaum hundert Meter weit gekommen. Das weiß ich ganz genau.«

Wieder trat ein Schweigen ein. Die Prinzessin rettete die Situation.

»Mr. Andrew – Verzeihung, Mr. de la Borne – es wäre doch möglich, daß Lord Ronald seine Abreise und die Art und Weise, wie sie vor sich ging, geheimhalten möchte. Warum kümmern Sie sich denn darum? Sie nehmen doch hoffentlich nicht an, daß es hier einen Streit oder dergleichen gegeben hat?«

»Ich weiß, daß der Bruder eines meiner besten Freunde aus diesem Hause verschwunden ist, nachdem er mehrere Tage in der Gesellschaft dieses Majors zugebracht hat. Das genügt mir. Ich bin fest entschlossen, die Sache aufzuklären.«

»Es ist doch wirklich eine ganz unbedeutende Angelegenheit«, sagte die Prinzessin ruhig. »Vielleicht –«

Sie zögerte und sah die beiden anderen an.

»Vielleicht«, fuhr sie dann fort, »wäre es das Beste, wenn ich Mr. de la Borne die Wahrheit sage.«

»Wenn Sie es nicht tun, werde ich sie wahrscheinlich selbst sehr bald herausbringen.«

Forrest und Cecil schienen sprachlos zu sein, und bevor sie sich fassen konnten, sprach die Prinzessin fließend und überzeugend weiter.

»Lord Ronald verließ das Haus um die Zeit, die wir dem Herzog angegeben haben. Major Forrest versuchte, ihn nach Lynn zu fahren. Als er aber fand, daß es unmöglich war, den Motor in Gang zu bringen, ließ Lord Ronald sein Gepäck hier und ging zu Fuß nach Wells. Das ist das letzte, was wir von ihm gehört haben. Er bat, sein Gepäck nach seiner Wohnung in London zu schicken, und dieser Wunsch ist auch am nächsten Tag erfüllt worden. Er ist in Frieden von uns allen geschieden, aber er betonte ausdrücklich, daß die Geschäfte, die er zu erledigen hätte, sehr unangenehmer Art seien. Ich glaube, daß ihn jemand erpressen wollte. Stellen Sie doch selbst Nachforschungen an! Ich bin davon überzeugt, daß alles, was Sie auch entdecken mögen, sehr zu ungunsten von Lord Ronald sprechen wird.«

»Madame, ich bin natürlich gezwungen, an die Wahrheit Ihrer Geschichte zu glauben, aber ich sage Ihnen schon jetzt offen, daß ich sofort dem Herzog weiter berichten werde, der sicher nähere Nachforschungen anstellen lassen wird. Wenn die Tatsachen nicht mit Ihren Angaben übereinstimmen, so werden die Konsequenzen für Sie alle sehr unangenehme sein.«

»Was wollen Sie denn eigentlich von uns?« fragte Major Forrest scharf. »Glauben Sie vielleicht, wir hätten Engleton beiseitegebracht? Warum sollten wir denn das tun? Wir mögen wohl Abenteurer sein, wie Sie vorhin bemerkt haben, aber schließlich müßte doch ein Beweggrund für ein solches Verbrechen vorhanden sein. Engleton hatte nicht einmal zehn Pfund bares Geld bei sich. Zufällig erfuhr ich das, weil ich ihm Geld lieh, damit er seinen Chauffeur bei der Entlassung auszahlen konnte.«

»Dann haben Sie wahrscheinlich auch noch Schuldscheine von ihm?«

»Auch das. Je eher ich von ihm höre, desto besser. Wenn Sie wirklich der Eigentümer dieses Hauses sind, reise ich morgen früh ab.«

Andrew verneigte sich kühl.

»Das ist sicher das Beste, was Sie tun können, Ich bin aber noch nicht ganz sicher, ob ich Sie so ohne weiteres gehen lassen darf.«

Die Prinzessin runzelte empört die Stirne.

»Was für ein Unsinn, Mr. de la Borne! Wenn Sie Versuchen sollten, den Major unter einem derartig haltlosen Vorwand an der Abreise zu hindern, so würde es Ihnen sehr schlecht gehen. Außerdem haben Sie doch gar keine Vollmacht in der Hand.«

»Madame, ich bin hier Friedensrichter, und ich könnte auf der Stelle einen Haftbefehl unterzeichnen. Aber im Augenblick fühle ich mich noch nicht berechtigt, soweit zu gehen. Wenn Major Forrest gewünscht wird, werden wir ihn sicher finden.«

»Das ist doch ganz selbstverständlich«, sagte die Prinzessin ruhig. »Herren wie er laufen doch nicht davon, weil irgend jemand eine lächerliche Anklage gegen sie erhebt. Wenn ich nur Jeanne bei mir hätte, so würde ich noch heute abend aufbrechen.«

»Aber teuerste Prinzessin«, rief Cecil. »Ich hoffe, daß Sie das nicht tun werden. Mein Bruder hat sicher mehr gesagt, als ihm lieb ist.«

»Nein, ich habe weniger gesagt. Ich habe allen Grund zu der Annahme, daß Major Forrest sich deine und Lord Ronalds Freundschaft erschwindelt hat.«

Forrest ging auf die Türe zu.

»Mr. de la Borne, Sie verzeihen, wenn ich es ablehne, mich weiter hier von Ihrem Bruder derartig beleidigen zu lassen.«

Die Prinzessin folgte ihm. Cecil und Andrew blieben allein zurück.

»Verdammt noch einmal, Andrew!« sagte Cecil erregt. »Warum bist du hierhergekommen und hast mir alles verdorben?«

Andrew sah seinen Bruder streng an.

»Cecil, mein Leben ist ruiniert worden, weil ich immer für deine Ausschweifungen habe zahlen müssen. Solange ich denken kann, mußte ich deine Schulden decken und Geld für dich beschaffen. Ich habe dich sogar hier in Red Hall den Hausherrn spielen lassen, weil es dir so paßte. Aber ich habe jetzt genug davon. Wenn du wieder Schulden machst, so mußt du sie allein bezahlen. Ich bin hier der Herr, und daran wird sich auch nichts ändern.«

»Soll das heißen, daß du jetzt hier bleiben willst?«

Andrew zögerte.

»Deine Gäste verlassen ja sowieso das Haus – warum soll ich nicht hier bleiben?«

»Sie gehen vielleicht erst übermorgen – ich kann sie doch nicht hinauswerfen.«

Andrew sah einen Augenblick nachdenklich auf die Uhr.

»Sie können nicht länger als einen Tag bleiben, wenn der Major tatsächlich ihr Freund ist. Auf jeden Fall werde ich erst nach ihrer Abreise zurückkommen.«

Cecils Züge erhellten sich ein wenig.

»Sie hatten kurz vorher versprochen, noch eine Woche zu bleiben.«

»Wenn du die Prinzessin und Miß Le Mesurier noch halten willst, und sie nach diesem Vorfall noch hier bleiben wollen, so habe ich nichts dagegen, aber den Major dulde ich nicht länger hier. Der Kerl ist ein ganz gemeiner Falschspieler.«

»Er hat mir keine namhaften Summen abgenommen«, erklärte Cecil.

»Du bist wahrscheinlich auch viel zu arm für ihn. Wie ging es denn mit Engleton? Hat der viel verloren?«

»Das weiß ich nicht genau. Ich glaube aber, es war nicht viel.«

In diesem Augenblick kam die Prinzessin wieder zurück. Sie hielt ihren kleinen Schoßhund an die Backe, übersah die etwas gereizte Haltung der beiden und wandte sich sofort an Andrew.

»Meiner Meinung nach sind Sie gegen den Major sehr ungerecht und unhöflich gewesen. Er ist mein alter Freund. Sie täuschen sich ganz bestimmt, und Sie werden ihn eines Tages um Verzeihung bitten.«

Andrew sah ihr offen ins Gesicht.

»Prinzessin, darf ich Sie fragen, wie lange Sie diesen Herrn schon kennen?«

»Schon seit vielen Jahren – warum wollen Sie das wissen?«

»Sind Sie ganz sicher, daß er wirklich ein einwandfreier Charakter ist, und daß sein Name nicht mit Skandalaffären verknüpft ist?«

»Auf Klatsch höre ich nicht. Major Forrest verkehrt überall in der Londoner Gesellschaft, und ich wüßte nicht, warum ich ihm meine Freundschaft entziehen sollte. Sein Betragen war immer tadellos.«

»Nun, dann werden Sie eines Tages wohl entdecken, daß Sie sich getäuscht haben.«

»Was werden wir nun aber mit Jeanne machen?« fragte die Prinzessin und änderte dadurch das Thema in geschickter Weise.

»Ich schlage vor, daß Ihr Mädchen mich morgen früh auf die Insel begleitet und Miß Jeanne eine kleine Tasche mit allem Nötigen bringt. Vorher können wir nicht hinüber.«

»Aber das Kind wird sich allein zu Tode ängstigen!« rief die Prinzessin.

»Mein alter Diener ist dort und betreut sie. Sobald es möglich ist, werde ich sie zurückbringen.«

»Es tut mir leid, daß wir Ihnen soviel Unannehmlichkeiten bereiten, Mr. de la Borne«, sagte die Prinzessin etwas steif. »Morgen früh werden wir nach London zurückfahren, sobald das Mädchen meine Sachen gepackt hat.«

Andrew verneigte sich kühl.

»Ich hoffe, daß Sie sich durch mich nicht in Ihren Plänen stören lassen. Nachdem ich Ihre Tochter zurückgebracht habe, werde ich wieder auf die Insel gehen.«


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