E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 2.
Andrew hat eine Idee.

Cecil traf seinen älteren Bruder in einem der Salons, in dem die Diener Erfrischungen anboten. Er sah ihn erstaunt an.

»Um Himmelswillen, was machst du denn hier, Andrew?«

»Das möchte ich selbst gerne wissen. Heute nachmittag traf ich Bellamy Smith in der Bond Street, und er lud mich zum Abendessen ein. Er sagte allerdings nicht, daß hinterher noch getanzt würde. Aber wie kommst du hierher?«

»Ich bin nur für einen Tag in London. Morgen fahre ich wieder zurück. Ich hatte Verschiedenes zu besorgen, und es war leichter, hierher zu kommen als zu schreiben.«

»Ist Major Forrest noch bei dir?«

Cecil zögerte, und Andrew hatte den unangenehmen Eindruck, daß sein Bruder nicht wußte, ob er ihm die Wahrheit sagen sollte oder nicht.

»Ja, er ist noch dort«, sagte Cecil schließlich. »Ich weiß, daß du ihn nicht leiden kannst, aber er ist wirklich kein schlechter Mensch.«

»Spielt er denn Karten mit dir?«

»Nein, wir sind den ganzen Tag draußen, schießen Enten oder fischen, und nach dem Abendbrot legen wir uns bald zur Ruhe.«

»Nun, dabei kannst du ja nicht zu Schaden kommen. Weißt du auch, daß Engleton noch nicht wieder aufgetaucht ist?«

»Ich habe davon gehört, aber ich bin eigentlich nicht sehr erstaunt darüber.«

»Warum denn nicht?«

Cecil runzelte die Stirne.

»Er hat sich sehr darüber aufgehalten, daß sich sein Bruder soviel um ihn kümmert. Er hatte wieder eine kleine Affäre, von der nichts in die Öffentlichkeit kommen sollte. Sicherlich läßt er deshalb nichts von sich hören.«

»Sein Bruder ist aber in größter Sorge.«

»Ach, der Herzog war immer ein pedantischer Mensch. Aber ich sehe, daß du dich heute abend schon angestrengt hast.« Cecil wollte das Gesprächsthema ändern.

»Sehe ich schon so erhitzt aus? Ich bin allerdings nicht an geschlossene Räume und Tanzen gewöhnt. Unglücklicherweise scheinen wenige Tänzer hier zu sein, und Mrs. Bellamy Smith hat mich gleich beschäftigt.«

»Du siehst gar nicht so übel aus«, sagte Cecil gönnerhaft. Er musterte Andrew von Kopf bis zu Fuß. »Aber der Anzug ist doch noch von einem Schneider auf dem Lande gemacht?«

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, du junger Windhund!«

»Weißt du auch, wer heute abend hier ist?«

»Die ganze Gesellschaft, möchte ich fast sagen.«

»Die Prinzessin und Jeanne! Aber ich glaube kaum, daß einer von uns die Möglichkeit hat, sich ihnen hier zu nähern. Die Leute wissen alle von der reichen Mitgift, und Jeanne ist dauernd umschwärmt.«

Andrew schien enttäuscht zu sein, und Cecil lachte, als er den Gesichtsausdruck seines Bruders sah.

»Nun, du kannst ja deinen kleinen Flirt hier fortsetzen. Das hatte ich ganz vergessen. Auf mich brauchst du keine Rücksicht zu nehmen. Ich habe sowieso keine Aussichten bei ihr. Sie ist mir auch viel zu launenhaft. Ich brauche eine Frau, die sich dem gesellschaftlichen Leben etwas mehr anpaßt.«

Cecil entfernte sich, und Andrew ging in den Ballsaal zurück. Im Eingang standen mehrere Herren, und er mußte auf die Seite treten, um verschiedene andere Paare durchzulassen. Zuletzt kam Jeanne am Arm des jungen Bellamy Smith. Andrew stand wie angewurzelt, als er sie sah. Er bemerkte auch, wie sie zusammenfuhr, als sie ihn erkannte. Sie betrachtete ihn halb ungläubig und halb verwirrt. Aber dann neigte sie nur kühl den Kopf.

»Wie geht es Ihnen, Mr. de la Borne?« fragte sie im Vorübergehen, ohne seine Hand zu beachten, die er ihr entgegenstreckte.

Andrew eilte in die Garderobe und hatte den Mantel schon über dem Arm, als Cecil auf ihn zukam.

»Aber warum gehst du denn schon fort?« fragte er.

»Ich habe genug. Diese Luft hier ist unerträglich, und ich tanze nicht gern, wie du weißt. Morgen möchte ich gern einmal mit dir sprechen. Ich gehe auf einige Wochen fort.«

»Schon recht, aber jetzt im Augenblick mußt du noch hier bleiben. Miß Le Mesurier hat mich nach dir geschickt. Sie möchte dich sofort sprechen. Ich bin überall herumgelaufen, um dich zu finden. Komm jetzt schnell, ich will dich zu ihr bringen.«

Andrew reichte dem Diener wieder Mantel und Hut und folgte Cecil. In dem Gang zu dem Billardzimmer standen mehrere Stühle. Jeanne saß dort und unterhielt sich mit zwei Herren. Mit einer Geste verabschiedete sie die beiden, als sie Andrew kommen sah, und lud ihn ein, neben ihr Platz zu nehmen.

»Ich habe Ihren Auftrag ausgeführt, Miß Jeanne«, sagte Cecil und verneigte sich. »Wenn wir uns wieder treffen, werde ich meine Belohnung fordern.«

Als Cecil verschwunden war, wandte sich Jeanne sofort an Andrew.

»Es tut mir leid, daß ich Sie behelligt habe, denn Sie haben mir ja klar zu verstehen gegeben, daß unsere kleine Freundschaft zu Ende ist. Aber ich möchte vor allem wissen, was Sie mit der Prinzessin während jener halben Stunde besprochen haben, als Sie von Red Hall weggingen. Bitte sagen Sie mir die Wahrheit. Wir beide haben es doch stets so gehalten.«

»Wir haben von Ihnen gesprochen. Worüber hätte ich mich denn sonst mit Ihrer Stiefmutter unterhalten können?«

»Sagen Sie mir alles.«

Sie lehnte sich zu ihm hinüber und sah ihn forschend an.

»Ihre Stiefmutter hat sehr vernünftig mit mir gesprochen. Sie erinnerte mich daran, daß Sie eine große Erbin sind, und daß Sie bis jetzt kaum etwas von der Welt gesehen haben. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum sie mir das alles erzählt hat. Sie dachte wohl, ich hätte mich in einem unüberlegten Augenblick dem Gedanken hingegeben, daß Sie –«

»Nun, daß ich?« wiederholte sie leise, als er nicht weiter sprach.

Er biß die Zähne zusammen und runzelte die Stirne.

»Nun, Sie wissen doch, was ich meine«, sagte er kühl. »Ihre Stiefmutter ist eine kluge Frau, und eine Dame von Welt. Sie hat einen weiten Blick, ganz abgesehen davon, was sie sonst sein mag. Sie fürchtete, daß ich von Entwicklungen träumen könnte, die niemals zur Wirklichkeit werden könnten, und sie wollte mich warnen. Das war alles. Sie meinte es gut, aber ihre Worte waren eigentlich überflüssig.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz. Sind Sie denn deswegen drei Wochen auf die hohe See hinausgefahren, ohne mir Lebewohl zu sagen? Sie haben unser nächstes Wiedersehen dem Zufall überlassen. Was denken Sie eigentlich von mir, Mr. Andrew? Glauben Sie denn, daß ich tatsächlich zu der Welt gehöre, in der sich meine Stiefmutter bewegt? Haben denn die Stunden, die wir miteinander verbrachten, Sie nicht anders belehrt?«

»Die Gespräche mit Ihnen haben mich ernster und nachdenklicher gemacht. Ich habe eingesehen, daß unser flüchtiges Leben nur kurz ist, und daß müßige Tage und sportliche Vergnügungen nicht den ganzen Lebensinhalt ausmachen. Diese Erkenntnis hat mich unzufrieden mit mir selbst gemacht, und ich bin Ihnen dankbar dafür.«

Sie berührte seine großen, braunen Hände mit ihren feinen Fingern.

»Mein lieber Mr. Andrew, Sie sind doch so groß und so stark, Sie werden immer Ihren eigenen Weg gehen. Führen Sie die Taten aus, zu denen Sie das Geschick treibt. Auch ich werde mir meinen Weg durch die Menge bahnen und werde versuchen, dieses Leben zu ergründen. In kurzem werden wir uns wieder treffen und unsere Anschauungen vergleichen.«

Er erhob sich. Zu bleiben war eine größere Qual für ihn als zu gehen.

»Nun gut, so soll es sein. Jeder wird seine eigenen Erfahrungen machen. Aber erinnern Sie sich immer an die Richtlinien, die wir miteinander besprochen haben.«

Sie drückte ihm die Hand und sah ihn mit einem Lächeln an.

»Das will ich tun«, sagte sie schlicht.

 


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