Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 9.
Jeanne und der Fischer.

Am nächsten Tage begegnete Andrew seinem Bruder in der Dorfstraße und sah ihn erstaunt an.

»Was hast du denn gemacht?« fragte er. »Bist du die ganze Nacht aufgeblieben?«

Cecil nickte niedergeschlagen.

»Wir haben bis fünf Uhr morgens Bridge gespielt.«

»Du hast natürlich verloren?«

»Ja, leider habe ich verloren«, gab Cecil kleinlaut zu.

»Deine Einladung scheint ja gerade kein großer Erfolg zu sein.«

»Du hast recht. Miß Le Mesurier war in den letzten Tagen vollständig unzugänglich. Sie ist nur höflich zu mir, weiter nichts. Sie ist nicht halb so nett als in der Stadt. Ich wünschte, ich hätte diese Leute nicht hergebracht. Es kostet eine Menge Geld, und ich komme wahrscheinlich doch nicht zum Ziel.«

»Cecil, glaubst du eigentlich, daß deine Gäste all diese Mühe wert sind, die du dir gemacht hast? Ich meine besonders die beiden Herren.«

»Sie verkehren überall in der Gesellschaft. Lord Ronald hat zwar üble Gewohnheiten, und Forrest kann ich nicht im geringsten leiden, aber sie waren dabei, als ich die Damen einlud, und ich konnte sie nicht gut übergehen.«

Andrew nickte.

»Nun gut, ich würde mich an deiner Stelle wenigstens beim Kartenspiel mit Forrest sehr in acht nehmen.«

»Du glaubst doch nicht etwa«, sagte Cecil halblaut, »daß er irgend etwas Unrechtes täte?«

»Ich kann dir nur zur Vorsicht raten – aber kommt dort nicht eine der Damen? Ich werde lieber gehen.«

Andrew setzte seinen Weg fort, und Cecil ging Jeanne entgegen. Aber sie sah an ihm vorbei und schaute Andrew nach.

»Wie unangenehm! Ich wollte doch so gern mit Mr. Andrew sprechen, und sobald ich ihn zu sehen bekomme, läuft er fort.«

»Soll ich ihm eine Nachricht übermitteln, wenn er von seinem Fischfang zurückkommt?« fragte Cecil ironisch.

Sie drehte ihm den Rücken zu.

»Ich gehe zum Haus zurück. Mit Ihnen wollte ich keinen Spaziergang machen.«

»Aber ich tue doch wirklich alles für Sie, was irgendwie in meinen Kräften sieht«, begann er.

»Ihre Verdienste um mich schmelzen zusammen, wenn Sie mich daran erinnern. Der einzige Mann, der mich seit Wochen nicht gelangweilt hat, ist Mr. Andrew. Alle anderen sagen dasselbe und haben nur das gleiche Ziel im Auge. Ich habe es tatsächlich satt!«

Sie wandte sich schon zum Gehen, aber plötzlich drehte sie sich wieder um.

»Ich vergaß ja ganz – ich muß ins Dorf, um ein Telegramm abzusenden.«

Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis sie zu dem Postamt kamen. Andrew trat gerade heraus, und die Beamtin verabschiedete sich in zuvorkommender Weise von ihm. Er legte die Hand an die Mütze, als die beiden hereinkamen. Jeanne reichte ihm die Hand.

»Mr. Andrew, ich freue mich so sehr, Sie wiederzusehen. Ich möchte noch einmal in Ihrem Boot fahren. Wann haben Sie Zeit?«

»Es tut mir leid, daß ich gerade sehr stark beschäftigt bin.«

Ihr Gesichtsausdruck verwirrte ihn plötzlich, denn sie sah aus wie ein Kind, das weinen will. Er fühlte sich sehr unbehaglich.

»Aber wenn Sie es natürlich durchaus haben wollen, will ich an einem Morgen gegen Ende der Woche gern mit Ihnen hinausfahren.«

»Bitte morgen«, sagte sie schnell.

Andrew sah seinen Bruder an, der nur die Schultern zuckte.

»Wenn Miß Le Mesurier wirklich fahren möchte, so ist sie bei Ihnen sicher in guter Obhut. Vielleicht kommt auch noch der eine oder andere von uns mit.«

Sie nickte Andrew einen Abschiedsgruß zu und wandte sich dann mit Cecil wieder zu dem Herrenhaus. Er sah ihr neugierig nach. Sie schien jetzt in besserer Stimmung zu sein als vorher. Was war das doch für ein launenhaftes junges Mädchen!

»Sagen Sie mir, Mr. de la Borne, warum nannte das Postfräulein Mr. Andrew ›Gnädiger Herr‹, wenn er doch nur ein einfacher Fischer ist?«

»Ach, das ist eine dumme Angewohnheit«, entgegnete er leichthin. »Das tun sie hier alle aus Höflichkeit.«

»Ich glaube kaum, daß es nur eine Höflichkeitsphrase war«, meinte sie nachdenklich. »Mr. Andrew ist wahrscheinlich nicht ganz das, was er angibt. Jemand, der keine Erziehung und keinen Umgang mit gebildeten Leuten hat, kann sich nicht so benehmen wie er. Er ist wohl manchmal etwas rauh und schroff, aber das sind andere Männer auch.«

Cecil antwortete nicht. Ein grauer Nebel kam von der See herüber, und Jeanne zitterte ein wenig, als sie in den Fahrweg zum Herrenhaus einbogen.

»Ich wundere mich eigentlich, warum wir hierherkamen. Für gewöhnlich liebt es meine Mutter nicht, sich vom Komfort zu trennen. Und Lord Ronald fühlt sich sicher auch sehr unglücklich.«

»Einen Grund Ihrer Mutter glaube ich zu kennen«, entgegnete Cecil langsam. »Sie wollte mir eine Chance Ihnen gegenüber geben.«

Jeanne eilte leicht und schnell davon. Cecil folgte ihr so rasch als möglich, aber der Abstand zwischen beiden wurde immer größer. An der Haustüre wartete sie, bis er keuchend näherkam.

»Sie rauchen zuviel Zigaretten«, sagte sie lachend. »Sie sind ganz aus der Übung. Wenn Sie nicht auf sich achten, sind Sie bald soweit wie Lord Ronald – dann sind Sie auch ein alter junger Mann. Ich gestatte niemand, solche Dinge zu mir zu sagen, wenn er mich nicht einmal im Laufen einholen kann.«

Sie eilte die Treppe hinauf, und Cecil trat in den Salon. Die Prinzessin, Forrest und Lord Ronald saßen dort in Klubsesseln.

»Endlich!« rief sie und legte die Karten nieder. »Cecil, wissen Sie, daß Sie uns ungefähr eine Stunde warten ließen?«

»Ich dachte, daß Sie vielleicht jetzt genügend Bridge gespielt hätten.«

»Was für ein Unsinn! Was könnten wir denn sonst hier anfangen? Kommen Sie, decken Sie eine Karte auf und sehen Sie zu, daß nicht ich ihr Partner werde. Ich habe kein Glück.«

»Klingeln Sie doch eben, Forrest«, bat Cecil. »Ich muß einen Brandy Soda nehmen, bevor ich dieses gemeine Spiel wieder anfange.«

Die Prinzessin zog die Augenbrauen hoch.

»Hoffentlich hat Sie meine Tochter nicht zu unliebenswürdig behandelt?«

»Sie hat soviel Launen wie ein Kobold. Wenn ich mit ihr spreche, gähnt sie und sieht sehnsüchtig nach einem Dorfbewohner hin. Verdammt noch einmal, dieser Kerl!«

»Nun, er ist doch ein ganz tüchtiger Mann«, erwiderte die Prinzessin, »wenn Sie Mr. Andrew meinen.«

Forrest schaute auf und sah de la Borne durchdringend an.

»Sind Sie auch sicher, daß dieser Mr. Andrew wirklich das ist, was er vergibt?«

»Ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Er hat fast sein ganzes Leben hier zugebracht und war nur ein paarmal fort.«

Sie spielten zusammen Bridge, bis der Gong das Zeichen zum Umkleiden gab. Cecil erhob sich seufzend.

»Das Glück im Spiel scheint mir vollständig den Rücken gekehrt zu haben.«

Die Prinzessin sah ihn fragend an.

»Das kann sein, mein Freund. Aber Sie müssen doch zugeben, daß Sie auch möglichst schlecht gespielt haben. Ihre letzte Ansage von Coeur war einfach unmöglich, und warum Sie Karo anspielten und nachher den Kreuzstich ausließen, mag der Himmel wissen!«

»Meiner Meinung nach war das das einzig Richtige«, entgegnete Cecil etwas mürrisch.

Die Prinzessin wandte sich zur Tür.

»Haben wir heute abend Gäste, Mr. de la Borne?« fragte sie.

»Nein. Zwanzig Kilometer im Umkreis wohnt doch niemand, den ich einladen könnte. Und Sie hatten doch besonders gewünscht, nicht mit diesem Landadel zusammenzukommen.«

»Ganz recht. Aber mit der Zeit wird es mir wirklich etwas langweilig. Wenn es schließlich nur einige Barone von der Sorte Mr. Andrews wären. Allerdings müßten sie etwas bessere Umgangsformen haben. Das wäre doch einmal eine Abwechslung. Sie drei sind auf die Dauer ein wenig eintönig.«

»Aber Prinzessin«, sagte Lord Ronald vorwurfsvoll, »Sie können doch das nicht behaupten! Man hat ja überhaupt keine Gelegenheit, sich mit Ihnen zu unterhalten! Wenn Sie auftauchen, fangen Sie sofort an, loszuspielen. Und während des Kartenspiels kann man doch keine geistreiche Konversation treiben!«

Sie gähnte.

»Ich streite niemals. Ich konstatiere nur Tatsachen, und ich muß wiederholen, daß ich mich ein wenig langweile. Sie müssen heute beim Abendessen unterhaltsam sein, sonst bekomme ich Kopfschmerzen.«

Mit diesen Worten ging sie hinaus.

»Es ist wohl besser, daß wir uns jetzt auch umziehen«, bemerkte Cecil.

Forrest war ans Fenster getreten, klemmte das Monokel ins Auge und lehnte sich vor. Ein leichtes Lächeln spielte um seine geöffneten Lippen, als er Cecil zu sich winkte. Draußen auf dem Deich gingen Jeanne und Andrew spazieren. Der Wind spielte mit ihrem dünnen Kleid und hob ihre zarten Formen plastisch hervor. Sie sah bewundernd zu dem Mann auf, dessen große Gestalt sich scharf von dem Abendhimmel und der See abzeichnete.

»Ein kleines Idyll«, meinte Forrest gähnend.

Cecil biß sich auf die Lippen und wandte sich ab, ohne ein Wort zu sagen.


 << zurück weiter >>