Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

SECHSTES CAPITEL. EIN TAG AUS DEM LEBEN EINESPHILANTHROPEN.

Die Sorge um den so geheimnißvoll abgereisten Freund hatte Bechler nicht gehindert, recht nach Herzenslust auszuschlafen; denn als er erwachte, da liebäugelte die Sonne bereits in einer Weise mit zwei Häuptlingsschädeln und dem einen, mitten im Salon liegenden Stiefel, als wäre sie mit der ernsten Absicht umgegangen, jenen das längst vertrocknete kriegerische Gehirn zu erwärmen und zu neuem Leben zu ermuntern, diesem dagegen den schief getretenen Absatz wieder gerade zu scheinen.

Im freundlichsten Sonnenschein stellte der professionirte Philanthrop darauf den äußeren Menschen her; im freundlichsten Sonnenschein bürstete er den stattlichen Cacadukamm und die in seinem Antlitz zerstreuten Borstenbüschel; im freundlichsten Sonnenschein schraubte er eine Cigarre in seine Wange und bereitete er sein Frühmahl, und als er dann endlich die Reise nach O'Cullens Eckhaus antrat, da brannte die Sonne so heiß vom hohen Himmel nieder, als hätte sie mittelst einiger aufgesparter Julistrahlen die Menschheit recht lebhaft an den entschwundenen Sommer erinnern wollen.

Um der armen Milly einen schönen guten Morgen zu wünschen, kam Bechler freilich zu spät, denn zwölf Uhr gehörte längst zu den abgethanen Dingen, allein er kam früh genug, um den vor dem verschlossenen Hause angesammelten Menschen über sein nächtliches Abenteuer zu berichten und dadurch den schwarzen Verdacht zu beseitigen, laut dessen der schlaue Irländer einen Scheinbankerott ausgeführt und mit einem hübschen Gewinn das Weite gesucht haben sollte. Die nächste Folge seines Berichtes war das Einschreiten der Polizei. Das Haus wurde geöffnet und durchsucht, und wie ein Lauffeuer pflanzte sich das Gerücht durch die Straßen fort, daß man Mrs. O'Cullen ermordet in ihrem Bett gefunden habe, zugleich aber die Hauptkasse des wuchernden Irländers verschwunden sei.

Ermordet war die arme Milly zwar nicht, allein lange dauerte es, nachdem man sie aus ihrer qualvollen Lage erlöst hatte, bis die herbeigerufenen Aerzte erklärten, das nur noch matt pulsirende Leben erhalten zu können. Und so brach denn die Nacht herein, bevor sie im Stande war, nothdürftig über ihre Erlebnisse Auskunft zu ertheilen, so daß über die Personen, welche die grauenvolle That ausführten, keine Zweifel mehr walteten und die Gerichtsbarkeit ihre Fühlhörner zu deren Habhaftwerdung auszustrecken vermochte.

Das Geschäft blieb den Tag über selbstverständlich geschlossen. Eine Wache wurde in dem Laden zurückgelassen, eine Wärterin an das Krankenbett der armen Milly gestellt, und da diese als erstes Zeichen ihrer neu erwachten geistigen Thätigkeit den Wunsch zu erkennen gab, daß auch der gerade anwesende Bechler bei ihr bleiben möge, so hinderte Niemand den professionirten Philanthropen sich mit der Wärterin in die Pflege der unglücklichen jungen Frau zu theilen.

Träge schlich die Zeit dahin. Mrs. O'Cullen verbrachte sie in beinahe ununterbrochenem Schlafe. Nur zuweilen erwachte sie unter Ausrufungen des Entsetzens, als ob die Gestalten der beiden Raubmörder oder die nicht minder drohende ihres Gatten sich in ihre fieberhaften Träume geschlichen hätten.

Bechler hatte die Wärterin zur Ruhe geschickt. Geduldig saß er neben dem Lager, mit ängstlicher Sorgfalt auf die Athemzüge der Leidenden achtend. Die Cigarre steckte freilich in seiner Wange; aber sie brannte nicht. Bei dem einfachen Geschmack des Tabaks kostete es ihn keine Ueberwindung, zu Gunsten der armen Milly auf einige Stunden dem Hochgenuß des Rauchens zu entsagen. Die nächste Folge war, daß seine Augen klarer blickten und weniger blinzelten; auch die Borstenbüschel schoben sich allmählich auf die ihnen von der Natur ursprünglich angewiesenen Stätten zurück, wodurch es den Betrachtungen des alten Freundes erleichtert wurde, sich auf seinen Zügen auszuprägen. Diese erhielten wenigstens einen trüben, schwermüthigen Ausdruck, als hätte sich in dem alternden Herzen die Frage erhoben, warum wohl manche Menschen von dem Geschick dazu auserkoren würden, so gänzlich vereinsamt durch's Leben zu wandeln.

Tiefer neigte sich das struppige Haupt. Der gute Bechler! Bisher war die zuversichtliche Hoffnung, daß bei der Nachricht von seinem Tode eine Anzahl Knopflöcher sich mit Florschleifen schmücken würde, ein freundlicher Trost für ihn gewesen. In der ungewohnten Lage aber, in welcher ihm die Aufgabe zugefallen war, den Schlaf einer vom Mißgeschick hart verfolgten Dulderin zu bewachen, erschienen ihm die sonst so gepriesenen Florschleifen nicht tröstlicher, als die vom rauhen Herbstwinde den sich zur Winterruh vorbereitenden Bäumen entführten welken Blätter. Auch sein Herbst war vor der Thür und es konnte die Zeit kommen, in welcher ein abgedankter Eisenbahnwagen und ein invalides Sopha seinem morschen Körper nicht mehr genügten. Wer sollte sich dann seiner annehmen, ihm die letzten Schweißtropfen von der Stirn trocknen, ermuthigend zu ihm sprechen, seine letzten Wünsche entgegen nehmen und schließlich ihm die Augen zudrücken? So Manchem hatte er in seinem Leben mit Rath und That getreulich zur Seite gestanden; mit so Manchem die herzlichsten Freundschaftsversicherungen ausgetauscht; allein wo waren diese Alle geblieben? Hierhin und dorthin waren sie gegangen, wohin sie meinten, daß ihr gutes Glück sie rufe. Die Einen hatten sich verheirathet und lebten behaglich im Kreise ihrer Familien, Andere fanden ihre Befriedigung im erfolgreichen Ringen nach Gold und Schätzen; noch Andere hatten sich zum ewigen Schlafe in die fremde Erde gebettet, und nur er, er allein war einsam zurückgeblieben, um einen alten baufälligen Eisenbahnwagen seine Heimat, vier leere Indianerschädel und einen gefühllosen Haifisch seine einzige Gesellschaft zu nennen. Wenn aber Alter und Siechthum ihn an sein Lager fesselten, was sollte ihm dann eine Gesellschaft, die ebenso wenig seinen Kochofen zu heizen verstand, wie sie selbst sich zum Heizmaterial eignete? Sein Bild lebte gewiß noch frisch in der Erinnerung zahlreicher Leute, welchen er einst freundlich den Weg aus dem wüsten Gomorrah nach den westlichen Fluren und Gefilden zeigte und anbahnte; sie sprachen gewiß oft von ihm, wie von einem Sonderling, welchem sie Gutes verdankten und alles Gute wünschten; allein wo dieser Sonderling sein Ende genommen, ob in einem Hospital, ob hinter einem Zaun oder in einem abgelegten Eisenbahnwagen, das kümmerte sie nicht.

Schärfer, schwermüthiger blickte er auf das abgehärmte Antlitz der fieberhaft schlummernden Frau. Kranke Freunde hatte er oft genug gepflegt, bis zu einem weiblichen Wesen hatten sich seine Dienstleistungen indessen noch nie verstiegen, darum machte dieses erste Mal auch wohl einen so tiefen Eindruck auf ihn. Eine braune Locke war über der armen Milly weiße Stirn hinabgesunken. Zögernd streckte Bechler seine Hand nach derselben aus, aber dreimal zog er sie wieder zurück, bevor er wagte, sie behutsam zur Seite zu streichen.

Wenn sie starb, grübelte er weiter, ob O'Cullen sich dann wohl um sie grämte? Er mußte, ja er mußte, und wenn er ein zehnmal größerer Gauner gewesen wäre; denn die Milly hatte alle seine üblen Launen mit himmlischer Geduld ertragen, hatte sich nie beschwert oder geklagt und war ihm stets eine treue und ergebene Gattin gewesen. Und starb sie, und wurde sie von Allen, Allen vergessen, dann war er selber ja noch da, um von Zeit zu Zeit eine Blume auf ihr Grab zu legen und sich dabei ihrer so recht lebhaft zu erinnern.

Tiefer neigte sein Kinn sich auf die Brust. Die gesenkten offenen Augen sahen nichts mehr, aber vor seine Seele war ein anderes Bild getreten.

Um den morschen Eisenbahnwagen standen Menschen, harrend, dem in der Vergessenheit gestorbenen Eigenthümer der wunderlichen Häuslichkeit das letzte Geleite zu geben. Der halbe Giebel des alten Kastens hatte weggebrochen werden müssen, um den Sarg hinein und wieder heraus zu schaffen. Zu dem Todten hatte man vielleicht, gutmüthig scherzend, die vier Indianerschädel sammt Kamm und Zahnbürste geworfen, wohl gar den grimmigen Haifisch. Das Todte zum Todten; und dennoch, wie ungemüthlich wäre eine solche, wenn auch herzlich gemeinte Mitgift, gewesen! Der braune Sarg trug die Inschrift: ›Friede dem Philanthropen.‹ Mit einem gewissen Humor besprachen Freunde und Bekannte die guten und bösen Seiten seines Charakters, mit einem gewissen Humor gedachten sie seiner Seltsamkeiten. Keinem einzigen fehlte die Florschleife im Knopfloch; unumflort blieben dagegen die Augen, mochte man auch noch so sehr den Verlust des biederen Gefährten bedauern, noch so aufrichtig beklagen, daß ihm nicht ein Dutzend Jahre mehr beschieden gewesen. Manche tadelten ihn, weil er ihnen keine Nachricht von seiner Krankheit gegeben, da man ihm doch so gern jede nur denkbare Erleichterung verschafft hätte. Als ob er die einfältigen Häuptlingsschädel mit einer Botschaft hätte absenden können, oder es dem Haifisch möglich gewesen wäre, mit einem Brieflein zwischen den Zähnen schwimmend seinen Weg durch die von Menschen überflutheten Straßen zu finden!

Tief auf seufzte Bechler. Wenn die arme Milly starb, weinte wenigstens Einer um sie; wenn man ihn in die frisch aufgeworfene Gruft hinabsenkte –

Er sah es vor sich, das dunkle Grab; sah, wie ein brauner Sarg von der Oberfläche der Erde verschwand, sah, wie Bekannte und Freunde ihre Häupter entblößten, ein stilles Gebet sprachen, jeder drei Handvoll Erde rasselnd auf seine letzte Villa warf und ihm noch einen herzlichen Gruß nachsandte.

»Gute Nacht, Onkel!« »Glückliche Reise, Becherleer!« »Auf Wiedersehen, alter Gouverneur!« rief man über das sich schnell füllende Grab hin, rief man mit demselben wohlwollend heiteren Ausdruck, mit welchem man ihn wohl tausendmal des Abends in seiner gemächlichen Stammkneipe entließ, »'s ist ein ungebrochener Nachmittag,« hieß es weiter, »feiern wir des heimgegangenen Philanthropen Himmelfahrt in einer würdigen Weise, feiern wir ihn beim vollen Becher.«

»Angenommen!«

Und ein Stündchen später, da saßen Freunde und Bekannte um den langen trauten Tisch. Dicht gedrängt saßen sie; nur ein Platz war leer geblieben, und auf dem Tisch vor dem leeren Stuhl stand ein volles Glas. Wie die Stimmen so munter klangen, indem man dem fehlenden Freunde zutrank.

»Schmollis! – Fiducit! Trank nie einen Tropfen mehr!«

Ein Thränlein und noch eins rannen über Bechlers Wangen. Mechanisch ordnete er die Schleifen an seinen Stiefeln, hinter welchen der untere eigenwillige Rand der Beinkleider wenig anmuthig hängen geblieben war. Dann blickte er wieder sinnend auf das abgehärmte Antlitz der armen Milly. Wie leidend sah sie aus; und doch hätte er sie darum beneiden mögen, daß eine treue Seele an ihrem Schmerzenslager sah und ihren unruhigen Schlummer überwachte. Den Verlust der im jugendlichen Leichtsinn vergeudeten achtzigtausend Thaler beklagte er nicht; aber die achtundvierzig Lebensjahre, wo waren sie geblieben?

Mrs. O'Cullen regte sich und schlug die Augen auf.

»Bechler – suchen,« entwand es sich flüsternd ihren Lippen. Ihr erster Gedanke nach dem Erwachen zu klarem Bewußtsein galt den mit Bleistift flüchtig in's Kassenbuch niedergeschriebenen Worten, welche sie gleich nach dem Aufbruch ihres Gatten entdeckt hatte.

Besorgt neigte sich Bechler über sie hin. Er meinte die Aeußerungen einer krankhaft wirkenden Phantasie vernommen zu haben.

»Von keiner Seite droht Gefahr, und ich selber bin hier,« trachtete er die ängstlich zu ihm Aufschauende zu beruhigen.

»Mr. Indigo schrieb es für mich nieder,« fuhr Mrs. O'Cullen hastiger fort, denn sie mochte den Ideengang des alten Philanthropen errathen, »er mußte fort, und ihm stand kein anderes Mittel zu Gebote, Euch davon zu benachrichtigen. Ich glaube, Ihr sollt ihn suchen. Er fürchtet die Feindschaft O'Cullens, und Gott mag mir verzeihen, wenn ich durch diese Mittheilung einen Verrath an meinem Gatten begehe. Seit vier Tagen hoffte ich vergeblich, daß Ihr hier vorsprechen würdet.«

»Aber wo – wo soll ich ihn suchen?« fragte Bechler verstört, wie in Vorahnung eines Unglücks, und er wußte nicht, ob er der mißhandelten jungen Frau, oder der in ihren Worten verborgenen Anklage gegen O'Cullen mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.

»Stromaufwärts,« flüsterte Milly mit sichtbarem Widerstreben, »stromaufwärts und auf dem rechten Ufer des Flusses. Ich war nie dort, allein Briefe mußte ich zuweilen dahin richten. Rocklanding heißt der Punkt, wo er das Dampfboot verließ und sich landeinwärts wendete. Jeder kennt dort den Pedlar O'Cullen und wird Euch sagen, welche Richtung er einschlug. Aber seid vorsichtig; wenn Ihr ihn findet, gebt vor, Ihr wäret gekommen, ihm die Kunde von seiner Beraubung zu hinterbringen.«

Eine geräuschvolle Bewegung auf dem Hofe und demnächst in dem Vorzimmer störte das Gespräch. Gleich darauf erschien die Wärterin und überreichte Bechler einen offenen Zettel.

»Treten Sie auf die Straße hinaus und schlagen Sie dort jede beliebige Richtung ein; verlieren Sie keine Secunde,« las er die mit flüchtiger Hand in deutscher Sprache geschriebene Aufforderung.

Ein Weilchen zögerte er unentschlossen. Je länger er aber auf die mit unverkennbarer Vorsicht gewählten Worte niederstarrte, um so mehr gewannen sie für ihn den Charakter eines Hülferufes.

»Ich muß fort, aber ich kehre zurück,« beruhigte er Mrs. O'Cullen, die ihn mit ängstlicher Spannung beobachtet hatte. Dann ergriff er seinen Hut, und im Vorbeigehen die seit Stunden feiernde Cigarre anzündend, eilte er in den Laden, wo ihm von der Wache bereitwillig die Thür geöffnet wurde.

Als er auf die Straße hinaustrat, war er wieder der alte sorglose Abenteurer. Glühte doch lustig sein Cyclopenauge, und da ihm die Richtung freigestellt war, schlug er ohne Säumen den Weg ein, auf welchem er am schnellsten nach seiner Eisenbahnvilla gelangte. Die Straßen waren noch mäßig belebt. Es erregte daher kein Aufsehen, als plötzlich ein Mann neben ihn hinglitt und, seinen Arm ergreifend, ihn hinderte, stehen zu bleiben.

»Ihr müßt zu erfahren suchen, wo Euer Freund Indigo sich zur Zeit aufhält,« redete derselbe ihn mit gedämpfter Stimme an, »ich weiß, er ist Euer Freund, und sicher seid Ihr bereit, ihm und Anderen einen Dienst von unschätzbarem Werthe zu leisten.«

»Hättet Ihr in Eurem ganzen Leben noch kein wahres Wort gesprochen, so geschähe es jetzt zum ersten Mal,« versetzte Bechler lebhaft, »denn einem Freunde nützlich zu sein, bin ich jederzeit der Mann; und nach dem Aufenthaltsorte Indigo's zu forschen ist überflüssig geworden, seitdem ich erfuhr, wohin O'Cullen ihn schleppte.«

Tenuga, denn kein Anderer war es, seufzte tief auf.

»Gott sei Dank,« sprach er leise, wie zu sich selbst, »dann ist die letzte Hoffnung noch nicht verloren, und mit erhöhtem Muthe mögen wir an's Werk gehen. Ich rechne auf Euern Beistand in einer Sache, an der ich nun schon seit Jahren erfolglos arbeite, welche aber jetzt in ihrem Gelingen nicht minder die Hoffnungen und Aussichten Eures jungen Freundes fördert.«

»Rechnet darauf,« versetzte Bechler enthusiastisch, denn vor ihm öffnete sich ein neues Feld zu seinen philanthropischen Bestrebungen, »ja, baut auf meinen besten Willen, und ich müßte mich in meinen Ahnungen unverantwortlich täuschen, knöpftet Ihr – wer immer Ihr sein mögt, – bei der Nachricht von meinem Tode, wie so manche Andere, nicht ebenfalls eine Florschleife auf Eure Brust.«

»Aber das Unternehmen, zu welchem ich Eurer Hülfe bedarf, ist nicht gefahrlos,« wendete Tenuga zweifelnd ein, indem er in eine Nebenstraße einbog und, Bechler mit sich fortziehend, seine Schritte beschleunigte.

»Je größer die Gefahr, um so ruhmreicher ein gutes Ende,« betheuerte Bechler mit großer Entschiedenheit.

»Ihr seid mit den Verhältnissen Eures jungen Freundes einigermaßen vertraut?«

»Wir haben keine Geheimnisse vor einander.«

»Ihr kennt die Gründe, welche ihn zwingen, sein Thun und Treiben vor den Menschen in einem andern, als dem wahren Lichte erscheinen zu lassen?«

»Ohne Zweifel.«

»Dann darf ich hoffen, daß Ihr zur jetzigen Stunde mir alle weiteren Erklärungen erlaßt und mit blindem Vertrauen meine Rathschläge befolgt. Merkt wohl, es handelt sich um mehr, als um Menschenleben –«

»Genug, genug,« fiel Bechler eifrig an, »hier ist meine Hand zum Zeichen meines guten Willens, und fahre ich bei dieser Gelegenheit selber zum Teufel – nun, – dann bin ich in meinem Beruf gestorben und der Florschleifen werden es deshalb nicht weniger.«

Er lachte bitter, so bitter, wie seit vielen Jahren nicht. Gespenstisch war vor seiner Seele das Bild eines vereinsamten alten Mannes aufgetaucht, dessen letzter erlöschender Blick an den leeren Augenhöhlen gleichmüthig dareinschauender Häuptlingsschädel hing. Die wenigen Stunden an dem Schmerzenslager der armen Milly hatten einen eigenthümlichen Eindruck auf ihn ausgeübt. Wie viel anders wäre es gewesen, hätte sein Leben einen Verlauf genommen, daß ihm die tröstliche Hoffnung zulächelte, dereinst unter heißen Thränen von theuren, theuren Händen die starren Augen zugedrückt zu erhalten!

Wiederum lachte er bitter, und die Cigarre aus seiner Wange schraubend, warf er sie auf's Straßenpflaster, daß die Funken, wie von einem explodirenden Feuerwerkskörper, lustig umhersprühten.

Zu ferneren Bemerkungen fehlte ihm die Neigung. Auch Tenuga schwieg. Und so wanderten sie schnellen Schrittes wohl eine halbe Stunde durch die allmählich verödenden Straßen, bis sie endlich eine düstere Sackgasse ereichten, in welche Tenuga nach kurzem Umherspähen, mit geheimnißvollen Bewegungen einbog. Wie früher Stella, so öffnete auch er jetzt das kaum bemerkbare Mauerpförtchen, und gleich darauf schob er behutsam einen Schlüssel in das Schloß der die Verbindung zwischen dem Wohnsitz der Jesuitenväter und der Kirche herstellenden Thüre.

»Ihr scheint hier zu Hause zu sein?« fragte Bechler leise, als Tenuga zögerte zu öffnen.

»So wenig als Ihr,« versetzte dieser mit feindseligem Ausdruck, »allein wenn man Jahre lang mit unerschütterlichem Willen ein bestimmtes Ziel verfolgt, so wird man von Zufälligkeiten nicht leicht unvorbereitet gefunden.«

»Schwer wiegende Gründe müssen Euch leiten, zuverlässige Hände Euch dienen,« bemerkte Bechler ernst, »oder wie sollte ich es anders deuten, daß alle Thüren sich vor Euch öffnen, Ihr sogar einen Fremden zu einem blindlings gehorchenden Werkzeuge wählt?«

»Ja, schwer wiegende Gründe,« bestätigte Tenuga zähneknirschend. »Nur ein einziges Wort brauchte ich zu sprechen, und Ihr würdet begreifen, was meine Sinne verschärfte, meinen Willen stählte, meine Vorsicht aber und ein tief gewurzeltes Mißtrauen erhöhte. Und einen Fremden nennt Ihr Euch? Mir seid Ihr nicht fremd, und ich verlange nicht mehr von Euch, als Euer Freund Indigo an Eurer Stelle gern gethan hätte. Ich dagegen? Ha, besäße ich die Macht dazu, Himmel und Hölle würde ich in Bewegung setzen, um einem feindlichen Geschick das abzuringen, was zu fordern ich ein unbestreitbares Recht besitze.

»Doch Ihr werdet Alles erfahren, vielleicht später, vielleicht schon in der nächsten Zeit, und dann mögt Ihr selber urtheilen. Forscht daher nicht weiter, sondern seid mir treu nur diese einzige Stunde; denn ein gewöhnlicher Feind ist es nicht, gegen welchen ich den letzten Entscheidungskampf eröffne. Es ist ein Feind, dessen Arme so weit reichen, wie die der Erbsünde; ein Feind, welchen ohne Sicherheit des Erfolges anzugreifen, ebenso gefährlich, wie mit ungeschützten Händen in einer mit den giftigsten aller Schlangen angefüllten Grube zu wühlen. Eine günstige Gelegenheit aber, wie heute, kehrt nie wieder; denn diejenigen, von welchen eine Ueberwältigung zu fürchten wäre, befinden sich weit abwärts; sie sind die Bluthunde, welche den Spuren Eures Freundes folgen, nicht ahnend, daß zu derselben Zeit ihnen eine Waffe entrissen wird, vor welcher, wenn von den richtigen Händen geführt, sie sich sclavisch beugen müssen.«

Bei den letzten Worten hatte er die Thür geöffnet, und Bechler in den dunkeln Flurgang hineinziehend, schloß er sie wieder, ohne indessen den Schlüssel zu benutzen.

Nach kurzer Wanderung in der Finsterniß blieben sie wieder vor einer Thüre stehen. Tenuga klopfte leise; sobald aber von der andern Seite ähnliches Klopfen antwortete, zündete er eine Blendlaterne an, bei deren Schein er zwei schwere eiserne Riegel von der vor ihnen liegenden Thüre zurückschob und demnächst mittelst eines Hauptschlüssels das Schloß öffnete. Die Thür wurde von innen aufgedrückt und heraus trat Stella. Eine Begrüßung fand zwischen den beiden jungen Leuten nicht statt: Nur wenige Worte wechselten sie im Flüstertone, worauf Stella Bechlers Hand nahm und dem voraufschreitenden Tenuga nachfolgte. Dieser hatte die Laterne geschlossen, sie nur dann flüchtig benutzend, wenn der Weg um Ecken herumführte oder Stufen zu ersteigen waren. So gelangten sie in's zweite, durch Flurlampen erleuchtete Stockwerk hinauf. Nach kurzem Lauschen wählten sie die Richtung, welche ihnen durch mehrere laute Stimmen bezeichnet wurde, die, offenbar in einer lebhaften Unterhaltung begriffen, aus einem verschlossenen Zimmer gedämpft auf den Flurgang herausschallten.

Festen Schrittes näherte Tenuga sich der ihn von der geräuschvollen Gesellschaft trennenden Thüre, während Stella, welcher er die Laterne eingehändigt hatte, mit Bechler vor einer andern Thüre zurückblieb, um unter dem Schutze des von Tenuga erzeugten Geräusches ebenfalls einzudringen.

Als sein Klopfen bei der regen Unterhaltung überhört wurde, wiederholte Tenuga dasselbe nicht, sondern hastig öffnend, trat er in ein hell erleuchtetes Zimmer und fast eben so schnell verschwanden Stella und Bechler von dem Flurgange.

»Guten Abend, Gentlemen,« begrüßte er mit ruhiger Würde den Pater Honoré, Cringe und zwei andere geistliche Herren, welche sich bei seinem Erscheinen von ihren Sitzen erhoben und den fremden Eindringling bestürzt ansahen; »ich bedaure stören zu müssen.« –

»Wer seid Ihr und wie fandet Ihr den Weg hierher?« fragte Honoré, seinen Verdruß hinter einen Ausdruck kalter Unfehlbarkeit verbergend.

»Dies mitzutheilen bin ich gekommen,« versetzte Tenuga spöttisch, »nur um etwas Geduld bitte ich. Ihr müßt zuvor die Ueberzeugung gewinnen, daß ich keinen Schritt rückwärts thue, ohne den von mir verfolgten Zweck erreicht zu haben. Nehmt daher Eure Plätze wieder ein, ehrwürdige Herren, und gewöhnt Euch an den Gedanken, einen von wilder Verzweiflung Getriebenen vor Euch zu sehen, der lieber einen zehnfachen Mord auf sich lüde, ehe er ein gewaltsames Durchkreuzen seiner seit Jahren gehegten Pläne duldete,« so sprechend zog er eine kurze Drehpistole aus der Tasche, sie aber sogleich wieder verbergend.

»Ein Wahnsinniger,« kehrte Honoré sich seinen ängstlich erstaunten Genossen zu, »derselbe Irre, welcher –«

»Derselbe Irre, welcher einen gewissen Indigo aus der Irrenanstalt entführte,« fiel Tenuga ein, »derselbe Irre, welcher seit seiner Geburt sich einen so gesunden Geist bewahrte, wie Ihr selber ihn nicht klarer aufzuweisen habt, der aber, um Eure Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken, für angemessen hielt, sich auf einige Zeit den geistig Gestörten zuzugesellen. Ihr erstaunt und Ihr habt Ursache; denn ein schwacher Wille gehört am wenigsten dazu, sich freiwillig einer solchen gefährlichen Prüfung zu unterwerfen. Doch ich lese Unglauben in Euern Zügen; es wäre daher nutzlos, weitere Erklärungen folgen zu lassen, welche ebenso wenig Glauben fänden. Vernehmt daher den Zweck meines Besuches. Der Gedanke, Euch in irgend einer Weise zu benachtheiligen, liegt mir fern; und so frage ich Euch denn, ob Ihr geneigt seid, mir die in Eurem Besitz befindliche Sclavin Stella zu verkaufen. Fordert frei, fordert nach Tausenden und seid überzeugt, daß ich mit Freuden mein Letztes hingebe, um Jemand zu befreien, der schon zu lange, nur aufrecht gehalten durch bange Hoffnung, in unnatürlichen, unwürdigen Fesseln schmachtete.«

Auf Honoré's verschlossenem Antlitz spielte ein eigenthümlich triumphirendes Lächeln, welches sich in Cringe's und der anderen geistlichen Herren ängstlich gespannten Physignomieen sofort widerspiegelte.

»Mit welchem Recht Ihr einer jungen Weißen die Bezeichnung Sclavin beilegt, mögt Ihr mit deren Verwandten, dem Mr. Grub erörtern,« bemerkte er ruhig, »ich dagegen erlaube mir nur, – im Falle Ihr wirklich klaren Geistes seid – die Frage, mit welchem Rechte Ihr hier eindringt und derartige sinnlose Forderungen an uns stellt.«

Tenuga's bleiches Antlitz erhielt eine wahre Marmorfarbe. Dann lachte er wild, daß es die vier Jesuiten mit Entsetzen erfüllte.

»Ihr wollt es nicht anders haben?« rief er feindselig aus, und seine schwarzen Augen funkelten in unheimlichem Feuer, »wohlan, schwer, wie es mir werden mag, vor der Zeit zu sprechen, um den Preis, Euch als schmachvolle Entsteller der Wahrheit zu entlarven, will ich auch dieses Opfer noch bringen.«

»Sprecht, sprecht,« reizte Honoré den jungen Mann in der Absicht, aus seinen Mittheilungen Waffen gegen ihn selbst zu gewinnen, »ja, sprecht, so lange Euch die Freiheit dazu gegönnt ist, ich aber mich nicht bewogen fühle, für den nächtlichen Bruch des Hausfriedens Euch zur Verantwortung ziehen zu lassen.«

»Geduld, Geduld, Ihr Herren,« fuhr Tenuga alsbald wieder fort, »Geduld, denn ich will Euch eine kurze Geschichte erzählen, nach deren Kenntnißnahme Ihr vielleicht geneigter sein dürftet, auf meine Vorschläge einzugehen. Eine Geschichte so voller Gram und Herzeleid, so voller Verrath und Hinterlist, daß es ein Wunder, daß die Irrenanstalt nicht wirklich meine lebenslängliche Heimat wurde.«

Er holte tief Athem, dann begann er ruhiger und gefaßter:

»Vor vier Jahren weilte Stella, eine angebliche Weiße, in einem Pensionat in der Havannah. Sie lernte dort einen jungen freien Farbigen kennen, welchen man ebenfalls allgemein für einen reichbegüterten Weißen hielt. Und er hatte in der That mit der hellen Farbe von seinem edelmüthigen Vater ein namhaftes Vermögen geerbt, über welches er, trotz seiner Jugend, unabhängig verfügte. Die beiden jungen Leute, welche sich oft heimlich sahen, hatten bald kein Geheimniß mehr vor einander, und bei einer dieser Zusammenkünfte geschah es, daß sie, in dem Wahne, dadurch den ersten Schritt zur Befreiung Stella's zu thun, nicht nur durch eine Gerichtsperson vor dem Gesetz gültig verheirathet wurden, sondern auch, des jungen Mädchens Wünschen genügend, die kirchliche Weihe empfingen. Die darauf bezüglichen Papiere befinden sich in sicheren Händen und können zu jeder Zeit vorgelegt werden. Doch was die beiden jugendlichen Gatten als eine Besiegelung ihres Glückes betrachteten, es wurde ihnen zur Quelle unsäglichen Kummers und endlosen Grames. Trotzdem hätte Keiner von ihnen den in fast noch kindlicher Schwärmerei gethanen Schritt rückgängig machen mögen. Im Gegentheil, dieses Hoffen und Bangen, dieses beständige angstvolle Verheimlichen, diese Furcht vor Verrath und die sich täglich wiederholende Aufgabe, zu täuschen, wurden für uns eine Schule der Geduld, in welcher Treue und Anhänglichkeit geläutert, die Willenskraft dagegen gestählt werden mußte. Oder meint Ihr etwa, Ihr ehrwürdigen Herren, Eure Sclavin, Eure mit listiger Vorausberechnung und namhaftem Kostenaufwande zu einer Dame ersten Ranges herangebildete Sclavin wäre im Stande gewesen, Euren nichtswürdigen Anforderungen zu genügen, hätte ich nicht beständig sie im Auge behalten und Mittel gefunden, sie zu ermuthigen? Oder meint Ihr, sie hätte hundertfachen Tod nicht der, unter den furchtbarsten Drohungen verlangten Ausübung ihrer sorgfältig geschulten natürlichen Anlagen vorgezogen? Hätte die Farbe der Gesundheit ihr schönes Antlitz während dieser Jahre des Elends schmücken, ihr treues Auge lachen können, wäre nicht Jemand nahe gewesen, der sie tröstete und aufrichtete? Der sie auf seinen Knieen anflehte, den Muth nicht zu verlieren, dessen Herz sie selbst aber nicht dadurch zertreten wollte, daß sie durch Unvorsichtigkeit eine Katastrophe herbeiführte, aus welcher sie zuverlässig hervorgegangen wäre, um, ihrem Gatten zum Hohne, ihr selbst zur teuflisch erdachten Strafe auf öffentlicher Auctionsstätte nicht dem Meistbietenden – denn wer hätte mich überboten – sondern dem schurkischsten Wüstlinge zugeschlagen zu werden? Ja, Ihr ehrwürdigen Herren, das war das drohende Gespenst, vor welchem wir zitterten, welches uns aber mit übermenschlichen Kräften ausrüstete und unsere Sinne in einer Weise verschärfte, daß es uns sogar gelang, Jahre hindurch die schlauen Jesuitenväter zu täuschen.

»Doch die Zeit der Täuschung hat ihr Ende erreicht, hinter uns liegen die Tage des Bangens und Zagens, welche in ihrer Fortsetzung gleich vernichtend auf den Körper, wie auf den Geist wirken würden. Ja, sie hat ihr Ende erreicht, und vor Euch steht Henriquez, jener freie Farbige, welcher einst Stella, die junge Sclavin, zu seiner Lebensgefährtin erkor, und der nun sein Eigenthum von Euch fordert, bereit, jede Bedingung zu erfüllen, welche Ihr an die Ausfertigung ihres Freibriefes knüpfen mögt.«

Hier schwieg Tenuga, mit sichtbarer Spannung die vier geistlichen Herren beobachtend und aus deren Gesichtsausdruck die Antwort herauslesend, bevor sie in Wirklichkeit ertheilt wurde.

Endlich, nachdem Honoré einige Male auf- und abgewandelt war, blieb er in einiger Entfernung vor Henriquez stehen. Ein Weilchen prüfte er ihn mit ruhigen Blicken, dann hob er in fast theilnehmendem Tone an: »Eure Worte, mein Freund, tragen zu sehr den Stempel der Wahrheit, als daß ich geneigt wäre, große Zweifel in dieselben zu setzen. In Anerkennung der obwaltenden Verhältnisse verzeihe ich Euch sogar Euer gewaltsames Eindringen und die ganze Art Eures Auftretens. Ließet Ihr Euch dagegen, gemeinschaftlich mit Stella, im Kindesalter zu einer unverständigen Handlung hinreißen, so kann dieselbe nie für Andere als bindend betrachtet werden. Ihr müßt die Folgen Eures Unverstandes tragen, was nebenbei in Eurem jugendlichen Alter keine schwierige Aufgabe sein dürfte. Ich will Euch indessen entgegenkommen, indem ich mit wenigen Worten Euch von der Ungereimtheit Eures Verlangens, von der Unmöglichkeit der Verwirklichung Eurer knabenhaften Träume überzeuge. Stella ist in der That Sclavin, auf Grund ihrer Bildung steht sie aber zu hoch, als daß über sie irgend eine Vereinbarung getroffen werden könnte, welche einem Handel um sie auch nur im Entferntesten ähnlich. Mit einem Wort, sie ist unverkäuflich; ihre Zukunft liegt in den Händen wohlwollender Freunde, welche es an der entsprechenden Fürsorge für sie nie fehlen lassen werden. Solltet Ihr hingegen auf Eure widersinnigen Anschauungen beharren, Stella aber fernerhin Euren thörichten Einflüsterungen ihr Ohr leihen und dadurch ihre Unverbesserlichkeit bekunden, so würden von unserer Seite natürlich die entsprechenden Gegenmaßregeln getroffen werden. Wider Euch erhöbe sich die Anklage: Eine Sclavin zur Auflehnung gegen ihre Besitzer gereizt zu haben, wogegen Stella an demselben Tage, an welchem sich Eure wahnsinnigen Zumuthungen wiederholen, oder durch Euch ihr Ruf geschädigt, oder ihr Verhältniß als Sclavin öffentlich besprochen wird, durch nichts vor dem Auctionshammer bewahrt werden könnte. Dies meine Antwort auf Euer sinnloses Verlangen. Und nun geht; kümmert Euch nicht weiter um Stella, und habt Ihr wirklich jemals Theilnahme für die reich Begabte gehegt, so hütet Euch, sie durch eine Unvorsichtigkeiten einen Abgrund des Elends hinabzustürzen.«

Eine verabschiedende Handbewegung bildete den Schluß dieser Erklärung. Tenuga aber, anstatt sich zu entfernen, richtete sich stolz empor. Seine Augen funkelten in endlosem Hasse, seine Lippen bebten vor verhaltenem Zorn, und mit seiner schmalen Hand die glänzend schwarzen Locken, wie eine böse Vision verjagend, von der weißen Stirn streichend, sandte er den vier Jesuiten Blicke zu, vor welchen sie heimlich zusammenschauerten.

»Eure letzte Entscheidung?« fragte er mit bebender Stimme und einem Ausdruck, als hätte er nur mit Mühe den Drang bekämpft, seine Hand gegen die hinterlistigen Feinde zu erheben.

»Ich wiederhole, Ihr seid entlassen,« antwortete Honoré mit eisiger Kälte, indem er ihm den Rücken zukehrte.

»Wohlan, so vernehmt denn, was ein verachteter Farbiger Euch zu sagen hat,« rief Tenuga laut aus und seine Faust erhob sich drohend gegen die geistlichen Herren, »was Ihr mir verweigert, mein unveräußerliches Eigenthum, ich nehme es mit Gewalt, und an Euch, den schurkischen Verräthern, an Euch, den Mördern, welche einen gewissen O'Cullen beauftragten, den Euch von der anderen Seite des Oceans her empfohlenen Erben einer reichen Besitzung zu verderben, an Euch, die Ihr Wahnsinn, ewige Finsterniß und Verzweiflung zu Euren treuesten Bundesgenossen zählt, an Euch ist es, zu zittern, wenn alle diese Anklagen Euch öffentlich in's Gesicht geschleudert werden und die Volksjustiz den Brand in diese fluchgefüllten Räume wirft! Ha! Ihr staunt über meine Kenntniß Eurer gefährlichsten Geheimnisse; aber die Mauern dieses Hauses mit seinen verschlungenen Irrwegen haben scharfe Ohren. Ihr überseht, daß zwischen Ehegatten, und wären sie noch halbe Kinder, nur Vertrauen walten kann, die Gedanken des Einen leicht den Weg zum Herzen des Andern finden. Ihr meint gar, mich durch Euer bedauerndes Lächeln einzuschüchtern? O, ich unterschätze nichts, weiß sehr wohl, welche Mittel Euch gegen einen, die heilige Brüderschaft der Jesuiten angreifenden Farbigen zu Gebote stehen; allein fußt immerhin auf Eure untastbare Stellung, denn der drohende Schlag wird Euch aus einer Richtung treffen, aus welcher er mit Nachdruck geführt werden kann. Ihr staunt wiederum über die Kühnheit eines Farbigen. Aber dieser Farbige hat im Laufe der Jahre schweren Seelenkampfes gelernt, hat sich weit hinausgeschwungen über die ihm ursprünglich zuerkannte Stufe, hat sich eine Beurtheilungsgabe angeeignet, welche der Eurigen kaum viel nachstehen dürfte. Oder meint Ihr, ich sei blind dafür, daß mit der vermeintlichen erhöhten Sicherheit, wie der amerikanische Continent sie Euch und Eurem finstern Treiben bietet, die altgewohnte Vorsicht einschlummerte? Ha, es erfordert keine allzu scharfe Beurtheilungsgabe, zu entdecken, daß Ihr mit dem wenig, oder vielmehr ungeschickt versteckten gewaltsamen Verfahren auf dieser Seite des Oceans wohl manche der Eurer Grundsätze würdigen Aufgaben im Sturm erfüllt, drüben in Europa dagegen auf solche Weise höchstens die Bezeichnung einfältiger, plumper Spieler erringen würdet. Und wiederum das Hohnlächeln, durch welches Ihr Euren unsäglichen Verdruß zu verbergen glaubt. Ich bin es, der Euch in der That verlacht, verachtet, Euch dem öffentlichen Hohne preisgiebt! Nicht wahr, meine Worte treffen? Ihr gelangt zu der Ueberzeugung, daß ich gut gerüstet sein muß, um eine so verwegene Sprache zu führen? Ihr möchtet einlenken, dürft es aber nicht, um Euch nicht gänzlich in meine Hände zu geben. Und Eure Verfolgungen –«

Auf dem Flurgange wurde eine Thür mit Heftigkeit zugeschlagen.

»Grub!« riefen Cringe und Honoré fast gleichzeitig erleichtert aus.

»Nicht Grub, nicht Euer Henkersknecht Pumpkin,« fiel Henriquez wieder höhnisch ein, »nein, Keiner, der im Stande wäre, mir den Rückweg zu verlegen! Freilich, Eures Geschäftsführers Bureauthür wurde geöffnet, allein sie öffnete sich vor Jemand, welcher die Beweise Eurer Schurkereien davonträgt, und ihn begleitet Jemand, der sich nur vierundzwanzig Stunden lang nicht bei seinen zahlreichen Freunden zu zeigen braucht, um einen Sturm gegen Diejenigen herauf zu beschwören, welche man als die Ursache seines Verschwindens betrachtet. Ihr seht, ehrwürdige Herren, wie überlegt der verachtete Farbige handelte –«

»Gewaltsamer Einbruch!« »Diebstahl!« »Läutet die Hausglocke!« riefen die Jesuiten aus, indem sie emporsprangen und sich Tenuga zu nähern suchten.

»Nicht von der Stelle, ehrwürdige Herren,« sprach dieser mit düsterer Entschlossenheit, »nicht von der Stelle, bis das, was ich zu besitzen wünsche, sich außerhalb dieser Mauern befindet. Dann mögt Ihr handeln, wie's Euch beliebt. Eure Feindschaft, Eure Verfolgungen verlache ich. Ihr dagegen mögt von den unabweislichen Uebeln das kleinste wählen, indem Ihr nicht zu fest auf Eure Unfehlbarkeit rechnet, sondern den Euch gewiß gern meidenden Feinden goldene Brücken baut. Dies ist mein letztes Wort; das letzte Wort eines Andern dürfte weniger schonend lauten.«

So sprechend kehrte er sich ab, und mit würdevoller Haltung schritt er zur Thüre hinaus, die vier Jesuiten in unbeschreiblicher Verwirrung zurücklassend. Sie hatten sich über das zunächst zu beobachtende Verfahren noch nicht geeinigt, da trat Tenuga auf den dunkeln Vorhof der Kirche hinaus. Stella und Bechler erwarteten ihn daselbst. Erstere in Reisekleidern und ein fest zusammengeschnürtes Packetchen in den Händen, der alte Philanthrop noch immer sprachlos vor Erstaunen. Stella durch zwei Zimmer bis vor die letzte sie von den versammelten Jesuiten trennende Thür begleitend, hatte er den größten Theil des zwischen diesen und Stella's Gatten geführten Gespräches erlauscht. Seine Mitwissenschaft betrachteten die beiden Flüchtlinge zunächst als ihren Schutz.

Sobald sie auf die Straße hinausgelangt waren, beschleunigten sie ihre Schritte. Ihr Ziel war der Eisenbahnwagen des alten Philanthropen, in welchem sie den Rest der Nacht zubrachten. Bald nach Tagesanbruch verließen sie denselben wieder. Tenuga und Stella wendeten sich stromaufwärts. Bechler dagegen begab sich nach O'Cullens Geschäft, um der armen Milly seine Dienste anzubieten, bis zur Heimkehr ihres Gatten sich im Laden nützlich zu machen und dem gänzlichen Schließen desselben vorzubeugen. Auf des Irländers Dankbarkeit rechnete er nicht; aber für die arme, stille Frau wäre er gern zehnmal durch's Feuer gegangen. Ganz heimlich fragte er sich sogar, ob sie bei der Nachricht von seinem Tode wohl ein oder zwei Florschleifen an ihrem Häubchen befestigen würde.


 << zurück weiter >>