Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

DRITTER BAND.

ERSTES CAPITEL. AUS DER FERNE.

Einsam im Gewirre zahlreicher, auf beschränktem Raume zusammengepferchter Menschen! Einsam zwischen wechselndem Himmel und ewig wogenden Meeresfluthen! Einsam bei ermüdenden Windstillen wie beim trotzigen Heulen des Sturmes und Angesichts beweglicher, weißschäumender Hügel!

So reihten Tage und Wochen sich aneinander. Hinter mir lag der Ocean, vor mir öffnete sich lieblich und geheimnißvoll der sichere Port, der von der Natur mit unbeschreiblichem Zauber geschmückte Hafen von New-York.

Wie geblendet von dem überraschenden Anblick kehrte ich mich östlich, der lang und tief athmenden Wasserfläche zu, welche den fernen Heimatsstrand bespülte, zwischen diesem und mir gleichsam vermittelte. Wiederum lag eine Trennungsstunde vor mir; wiederum sollte ich von treuen, liebgewonnenen Freunden Abschied nehmen: Von dem Schiff, welches mich wohlbehalten herübergetragen; von dem Ocean, der sogar im heftigen Aufbrausen nur spielend an die mich von der Ewigkeit trennenden Planken klopfte und welchem ich, über die Brüstung in die unergründliche Tiefe hinabspähend, alle, alle meine geheimsten Gedanken anvertraute. Der Ocean aber mit seinem bald heiteren, bald ernsten Wellenspiel, wie war er so gefällig, so zuverlässig! Alles was ich auf Erden liebte, brauchte ich nur anzurufen, und vor meinen Blicken verkörperten sich die regsamen Schaumgarben, mir zeigend die gute Winkelliese und den biederen Hänge-Gensdarm, die arme vereinsamte Sophie und den bestaubten ramponirten Fröhlich, die theure Försterfamilie, das liebliche Haideröschen und die stille, bleiche Lilie. Ach, diese Lilie mit den sanften, schwärmerischen Augen, wie sie aus dem weißen Gischt ihre Arme mir sehnsuchtsvoll entgegenbreitete, wie um mich hinabzuziehen in die kühle verschwiegene Tiefe! Weiter lehnte ich mich über den Schiffsrand und ängstlicher spähte ich in das blaue Wasser. Entsetzt bebte ich zurück; denn feindlich schoben sich zwischen jene lieblichen Visionen und mich das kalt lächelnde Gesicht des Candidaten, die schöne, ebenmäßige Gestalt des Burgfräuleins und höhnisch grinsende Marmorstatuen, mich bedrohend mit scharfen Jagdspießen und teuflische Jubelhymnen anstimmend auf künstlich gemeißelten Rohrpfeifen.

Wie das perlte und brauste, indem die rastlosen Fluthen eilfertig an der schwarzen Schiffswand hinglitten! In jeder sich schnell verflüchtigenden Perle ruhte ein Blick, hier aus herzig lächelnden, dort aus hinterlistig sinnenden Augen, dort wieder aus anderen, die in namenlosem Schmerz brachen.

Dies Alles, Alles lag jetzt hinter mir, war der Vergangenheit anheimgefallen!

Ein Schleppdampfer führte unsern getreuen Segler der Ankerstätte zu. Zierlich aufgeschürzt war alle Leinwand; Wimpel und Flagge wehten zur Begrüßung des neuen Welttheils. Anmuthig geschmückte Ufer fesselten zu beiden Seiten das Auge, und dennoch blieb das Herz kalt. Wohin ich mich wenden mochte, überall war ich ein Fremdling; nirgend hatte ich ein Recht, die freundliche Theilnahme Anderer für mich in Anspruch zu nehmen. Mit feindseligen Empfindungen betrachtete ich den vor seiner Last ächzenden Dampfer. Ich hätte ihn in seinem Lauf aufhalten mögen, wie ich Tags zuvor noch die Segel unseres Schiffes, um seine Fahrt zu beflügeln, von günstigem Winde gebläht zu sehen wünschte.

Deutlicher tauchte die gewaltige Stadt aus dem bläulichen Nebelduft. Graue Rauchwolken lagerten über dem Häusermeer; langsam die höheren Luftschichten aufsuchend, verwandelten sie die sich westlich neigende Sonne in einen dunkel glühenden Vollmond.

Dichte Mastenreihen, flüchtig einherschießende Dampfer, fliegende Segelboote und andere, von kräftigen Ruderern über die Fluthen gepeitschte! Wie das sich regte, wie es lebte und webte! – –

Endlich hielt der Dampfer in seinem Lauf inne. Er hatte die Quarantäne erreicht.

Ein schwerer Fall in's Wasser, darauf folgendes Rasseln einer Ankerkette, und unser Schiff lag so regungslos, als habe es mit dem Kiel auf dem schlammigen Boden des Hafenbeckens gerastet. Bis in's Mark hinein berührte mich das unmelodische Klirren und Knirschen der sich anspannenden Kettenglieder.

»Wohin wende ich mich?« trat an mich heran die Frage, deren ich bisher mit heimlicher Scheu gedachte; »wohin, wohin?«

Die Jagdtasche mit meinen geringen Habseligkeiten, lag neben mir auf einer Nothspiere; des alten Fröhlich Wanderstab hing an lang gedientem Riemchen von meinem Handgelenk nieder; verstohlen wog ich den letzten Rest meiner Baarschaft; ich war reisefertig, aber: »Wohin, wohin?«

Geräuschvoll drängten sich die aus ihrer traurigen Lage im Zwischendeck befreiten Emigranten durcheinander. Heimatliche Weisen ertönten und helles Jauchzen. Freudige Hoffnung strahlte aus allen Blicken. Jeder Einzelne hatte ein bestimmtes Ziel, wurde von vorausgegangenen Freunden und Verwandten erwartet; und ich? »Wohin, wohin!«

Ein schneller Flußdampfer, welchen ich bisher gleichgültig beobachtete, legte sich seitlängs unseres Schiffes.

»Sind Passagiere an Bord, welche heute noch die Stadt zu besuchen wünschen?« rief dessen Capitän herüber.

Ich hätte ihm die Hand drücken mögen. Seine Bereitwilligkeit, an den Eintreffenden das erste Geld zu verdienen, hielt ich in meiner Einfalt für ein freundliches: »Willkommen im fremden Lande!«

Die Kajütpassagiere meldeten sich und vereinzelte Reisende aus dem Zwischendeck. Auch ich, der ich zu den Letzteren zählte, sehnte mich, so bald, als möglich, das Festland zu betreten. Zweifelnd sah ich zur Sonne hinüber, sie gleichsam fragend, ob es gerathener sei, auf dem Schiffe noch einmal zu übernachten und mit Anbruch des Tages den Kampf um's Dasein zu beginnen, oder mich sogleich kopfüber in denselben hineinzustürzen. Indem meine Blicke den Dampfer streiften, bemerkte ich einen älteren Herrn und eine junge Dame, die angelegentlich mit ihrem Capitän sprachen und zugleich forschend zu den neugierigen Emigranten hinaufspähten.

Eine von billigendem Kopfnicken begleitete Antwort des Capitäns schien sie in ihrem Entschluß zu bestimmen, denn sie begaben sich nach der Falltreppe hinüber, welche vom Bord unseres Schiffes auf das Vorderdeck des Dampfers niederhing. Ohne Säumen und unterstützt von dem ihr auf dem Fuße nachfolgenden Herrn stieg die junge Dame zu uns empor und in der nächsten Minute gewann sie einige Schritte von mir festen Fuß.

»Ich wünsche den Capitän zu sprechen,« redete sie diesen selber an, der sich alsbald mit einer höflichen Verbeugung vorstellte; dann fuhr sie mit sichtbarer Befangenheit und fortwährend ängstlich um sich spähend, in fremdländisch klingendem Deutsch fort: »Ich erwarte mit diesem Schiff eine Freundin –«

»Unter den Kajütpassagieren?« fiel der Capitän zuvorkommend ein, denn er hielt offenbar für unmöglich, daß eine so reich gekleidete Amerikanerin im Zwischendeck nach Bekannten forschen könne.

»Nein, nein,« nahm der Begleiter der jungen Dame lebhaft das Wort, »wenn Diejenige, welche wir hier zu finden hoffen, überhaupt kurz vor der Abreise ihren ursprünglichen Plan nicht änderte, kann sie nur im Zwischendeck ihr Unterkommen gesucht haben. Leider kennen wir sie nicht von Angesicht zu Angesicht; es wäre daher erwünscht, wollten Sie uns einen Blick in die Passagierliste gestatten.«

»Mit Vergnügen,« erwiderte der Capitän bereitwillig, »treten Sie in die Kajüte; in zwei Minuten stehe ich zu Ihren Diensten.«

Die junge Dame legte ihren Arm zutraulich auf den ihres Begleiters, und fortgesetzt um sich spähend, schlugen sie alsbald die Richtung nach dem Hintertheil des Schiffes ein.

In gleicher Höhe mit mir blieb Erstere plötzlich stehen, wie um mich aufmerksamer zu betrachten, wurde indessen von ihrem Begleiter, welcher ihr einige Worte zuraunte, sogleich wieder mit fortgezogen. Kurz, wie diese Zögerung war, genügte sie mir, das Bild der jungen Fremden vollständig in mich aufzunehmen. Von mittlerer Größe und doch schlank, zeigte sie den Typus einer vollendeten südlichen Schönheit, wie ich eine solche zuweilen träumerisch ahnte, wenn in den Lehrstunden auch die tropischen Breiten beiläufig erwähnt wurden. Ein kleidsamer Strohhut beschattete das jugendfrische Antlitz, dessen zarte Weiße durch die starken schwarzen Brauen und das schwarze üppige Lockenhaar in erhöhtem Grade zur Geltung gelangte. Die großen dunklen Augen blickten zugleich ängstlich und schwärmerisch; die auffallend langen Wimpern verliehen ihnen sogar einen eigenthümlichen Anflug von Müdigkeit; im Ausdruck erinnerten sie dagegen an jenen geheimnißvollen, verzückten Blick, wie ich ihn mehrfach an Madonnenbildern beobachtete und von welchem, obwohl nur von todten Farben ausgehend, ich dennoch mich bis in's Herz hinein beseligend getroffen wähnte. Liebliche Röthe schmückte die vollen Wangen; üppig glühten die leicht aufgeworfenen Lippen, welche sich, wie unbewußt, zu einem holden Lächeln der Befangenheit von einander getrennt hatten. Ich täuschte mich vielleicht, allein ich meinte, auf dem schönen Antlitz, als es sich mir zukehrte, eine gewisse Befriedigung zu entdecken, wagte indessen nur, diesen Ausdruck als freundliche Theilnahme zu deuten, welche dem ärmlich ausgerüsteten jungen Auswanderer gezollt wurde.

Wie ein Meteor am düsteren Himmel, das Auge blendend und die Phantasie mächtig anregend, schwebte die junge Fremde vorüber; anstatt aber in die Kajüte einzutreten, blieb sie neben der Thür stehen, sich den geräuschvollen Scenen auf dem reich belebten Verdeck zukehrend.

Sie sprach dabei fortgesetzt zu ihrem Begleiter, einem blonden, zur Corpulenz hinneigenden, elegant gekleideten älteren Herrn mit feinen, weltmännischen Manieren und einer Haltung, welche ebensowohl hohes Selbstbewußtsein, wie berechnende Aufmerksamkeit verrieth.

Woher ich die Anmaßung nahm, ich weiß es nicht. Allein nach dem die junge Fremde mich eines ersten Blickes gewürdigt hatte, berührte es mich fast schmerzlich, daß sie nunmehr, wie über alle anderen Passagiere, so auch über mich theilnahmlos hinweg sah.

Bald darauf führte der Capitän sie und ihren Begleiter in die Kajüte. Etwa eine Viertelstunde verweilten sie in derselben, dann traten sie, sichtbar enttäuscht, wieder auf's Verdeck hinaus. Ich hatte meine Stelle neben der Brüstung noch nicht verlassen; mich fesselte der unbestimmte Wunsch, die schöne Südländerin noch einmal in der Nähe zu betrachten, dann aber auch zu erfahren, wer von meinen unscheinbaren Mitreisenden sich des Glückes ihres Schutzes zu erfreuen haben würde.

»Eine Namensverwechselung kann nicht stattgefunden haben?« wendete die junge Dame sich wiederum in meiner Nähe an den Capitän, indem sie stehen blieb.

»Unmöglich,« versetzte dieser zuversichtlich, »eine einzelne Dame kam überhaupt nicht an Bord; da ich selbst alle Namen in die Liste eintrug, hätte es mir nicht entgehen können.«

»Es bleibt kein anderer Ausweg, als neue Nachrichten zu erwarten,« betheiligte der blonde Herr sich nunmehr im reinsten Deutsch an dem Gespräch.

»Aber unsere Tage in New-York sind gezählt, theuerster Onkel,« wendete die junge Dame mit einer Anwandlung von Ungeduld ein.

»So werde ich Jemand beauftragen, uns zu vertreten,« versetzte dieser aufmunternd, »ich beginne übrigens, den Ernst ihres Entschlusses zu bezweifeln – Ihr Gepäck scheint ziemlich leicht zu sein,« kehrte er sich zu mir, wie um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, und freundliche Theilnahme lag im Tone seiner Stimme, »doch frischer Muth, Fleiß und Geduld helfen in diesem Lande schneller vorwärts, als Schiffsladungen heimatlichen nutzlosen Ballastes.«

»Fleiß und Geduld sind mir nicht fremd,« antwortete ich schüchtern und, wie ich fühlte, tief erröthend, denn die großen, geheimnißvoll glühenden Augen der schönen Südländerin ruhten mit einer so bezaubernden Neugierde auf mir, daß ich mich – und zum erstenmal in meinem Leben – meines dürftigen, wenig kleidsamen Aufzuges schämte; »für Muth kann ich dagegen nicht so zuversichtlich bürgen; es erfordert wohl einigen Erfolg, um ihn frisch zu erhalten.«

»Ein junger Gelehrter, wie ich vermuthe,« forschte jener weiter, und als ich es ablehnte, auf mehr, als die Bezeichnung eines Studenten Anspruch zu machen, fuhr er zuvorkommend fort: »So haben Sie wenigstens sich jenen Grad einer wissenschaftlichen Ausbildung angeeignet, welcher es erleichtert, sich über die gewöhnliche Arbeiterklasse zu erheben. Technische Fertigkeiten führen allerdings schneller zu Brod.«

»Meine technischen Fertigkeiten beschränken sich auf einige Uebung im Orgelspiel,« antwortete ich auf diese mittelbare Frage so offenherzig, wie ich es auf die mir bewiesene freundliche Theilnahme schuldig zu sein glaubte.

»Ein schönes Talent,« erwiderte der blonde Herr, und er schickte sich zum Gehen an, als er plötzlich mit erhöhter Lebhaftigkeit fragte: »Ich setze voraus, Sie haben bereits Ihre Bestimmung? Gute Kirchenmusik ist sehr gesucht bei uns und wird hoch honorirt.«

»Bisher lag mir der Gedanke fern, die Musik als Mittel zum Broderwerb zu betrachten,« stotterte ich verwirrt, denn die ruhigen Blicke aus den dunkeln Augen der lieblichen Südländerin und das eigenthümliche, gleichsam fragende Lächeln um die vollen rothen Lippen begannen eine Wirkung auf mich auszuüben, welcher der in klösterlicher Abgeschiedenheit erzogene Convictsschüler nicht gewachsen war.

»Und dennoch werden Sie es, mein junger Freund,« bemerkte der blonde Herr im Gönnertone, »wenigstens so lange, bis eine Ihren Neigungen mehr entsprechende Gelegenheit zur Begründung einer sicheren, sorgenfreien Zukunft sich darbietet.«

»Und wo die Kirchenmusik nicht Ihre ganze Zeit in Anspruch nimmt, würde Ihr Unterricht gewiß mit Freuden willkommen geheißen werden,« fügte die junge Dame freundlich ermuthigend hinzu, »es fehlt uns an guten Lehrern, – ich selbst brachte es nur bis zu einem sehr mittelmäßigen Clavierspiel.«

Bevor ich zu antworten vermochte, fragte der blonde Herr seine Begleiterin in mir bereits ziemlich geläufigem Englisch:

»Wie soll ich diese Andeutung verstehen?«

»Daß wir versuchen müssen, das Talent des Herrn für uns zu gewinnen,« hieß es heiter zurück, »Freunde und Nachbarn würden angenehm überrascht sein, unser Kirchlein plötzlich wieder einmal von kunstgeübten Händen mit den Tönen der Orgel erfüllt zu hören.«

»Schlagen Sie ein, junger Mann,« nahm der Capitän hier lachend das Wort, »schlagen Sie ein, wenn's ernstlich gemeint ist, und glauben Sie mir, es geschieht nicht oft, daß Leute Ihres Standes vom Bord des Schiffes abgeholt werden, um ihnen die Arbeit einiger Stunden – und leichte Arbeit obenein – mit Silber-Dollars aufzuwiegen!«

»Warum sollen wir es nicht ernstlich meinen?« fragte der blonde Herr gutmüthig, aber um seine Lippen zuckte es wie leichter Spott, »wir gebrauchen Jemand, der in der Kirche unseren Gesang begleitet, dieser junge Herr sucht eine Gelegenheit zum Broderwerb, und wenn wir Gefallen an einander finden, hindert uns nichts, das Geschäft durch einen Handschlag zu besiegeln.«

Dieser erste Empfang an den amerikanischen Gestaden übertraf so unendlich weit meine kühnsten Hoffnungen, daß ich zu träumen meinte. Selbst die Spannung in den dunkelglühenden Augen der schönen Südländerin verscheuchte nicht die Befürchtung, daß man sich vielleicht einen unzeitigen Scherz mit dem ärmlichen, befangenen Fremdlinge erlaube. Mein Schweigen und die sich unstreitig in meinen Zügen ausprägenden Zweifel schienen meinen unbekannten Gönner heiter zu stimmen, denn er lachte herzlich, und mit einer gewissen herablassenden Vertraulichkeit mir die Hand reichend, rief er aus:

»Hier, mein junger Freund, schlagen Sie ein, und der Handel um Ihre Zeit, um Ihr Talent ist abgeschlossen! Solch' Verfahren befremdet Sie? O, Sie werden auf diesem Continente noch Manches finden, was Sie überrascht. Wir fragen nicht nach der Vergangenheit eines Menschen oder nach Empfehlungen, sondern nur nach Dem, was er zu leisten vermag.«

Ich war noch immer wie betäubt. Bevor ich wußte, was ich that, habe ich mich zu Dienstleistungen verpflichtet, deren Tragweite ich nicht einmal ahnte. Dem Anschein nach trat ich in Verhältnisse ein, welche mir nicht nur ein angenehmes Leben versprachen, sondern mich auch weit über die Sorgen des alltäglichen Lebens erhoben; und dennoch übte die Art, in welcher der blonde Herr meine Hand drückte, eine Wirkung auf mich aus, als hätte ich dadurch meine Freiheit auf ewig verkauft, einen Vertrag abgeschlossen, welchen ich über kurz oder lang bitter bereuen würde. Nachdem ich so lange in einer furchtbaren geistigen und körperlichen Sclaverei geschmachtet hatte, erfüllten unerwartete theilnahmvolle Blicke und wohlwollendes Entgegenkommen mich mit Argwohn. Der Umstand, daß die Form der Gottesverehrung nicht zwischen meinem Arbeitgeber und mir erörtert wurde, daß man die mir sonst so erhaben erscheinende Betheiligung an kirchlichen Handlungen nur, und allein nur als Geschäftssache behandelte, trug dazu bei, solche Empfindungen zu verschärfen. Trotzdem klammerte ich mich gleichsam krankhaft an die sich mir eröffnenden Aussichten an. Um keinen Preis hätte ich das Uebereinkommen rückgängig machen mögen. Ich fühlte mich angezogen und abgestoßen zugleich. Instinct und Ueberlegung, offene Neigung und heimliche Scheu fielen für mich in ein unentwirrbares Chaos zusammen. Wie sonst unter dem heillosen verkrüppelnden Druck, so jetzt den sich anscheinend über alle Maßen günstig gestaltenden Beziehungen gegenüber, verlor ich meinen eigenen freien Willen, hieß ich es willkommen, der eigenen Entscheidung überhoben zu sein, von Anderen geleitet zu werden und dem schwankenden Geiste eine dumpfe Hoffnung als, leider nur einzigen Stützpunkt bieten zu können.

»Bald genug werden Sie sich mit Allem, was Sie jetzt befremdet, ausgesöhnt haben,« fügte der blonde Herr lachend hinzu, als er auf meinen Zügen vielleicht den Ausdruck meiner Empfindungen las, »und dann weniger peinlich in der Beurtheilung hiesiger Sitten sein. Nebenbei und zu Ihrer Beruhigung bemerkt: Wir haben uns gegenseitig nur auf so lange verpflichtet, wie wir Gefallen an einander finden. Glauben Sie morgen, auf einem anderen Wege leichter und schneller an Ihr Ziel zu gelangen – und ohne ein Ziel blieb schwerlich jemals ein junger Mann Ihres Alters – so hindert Sie nichts, unseren mündlichen Vertrag jederzeit wieder aufzuheben.«

Erleichtert seufzte ich nach dieser Kundgebung auf. Er selbst aber hatte sich kaum der Falltreppe zu in Bewegung gesetzt, als seine Begleiterin ihn plötzlich zurückhielt und, halb zürnend, halb scherzend bemerkte, daß ich ohne einen Namensaustausch unmöglich wissen könne, wohin ich mich zunächst zu wenden habe.

»Wie leichtfertig,« versetzte der blonde Herr, sich selbst tadelnd, dann kehrte er sich mir wieder zu, »und gewiß eine neue Ueberraschung für Sie, daß wir sogar Namen als Nebendinge betrachten. Meine Nichte ist freilich bedachtsamer, und ich bin ihr dankbar dafür – mit wem habe ich die Ehre?«

»Indigo ist mein Name,« antwortete ich höflich.

»Gut, gut, Herr Indigo,« fuhr er alsbald etwas kälter und geschäftsmäßiger fort, »wir werden allmählich bekannter mit einander werden; damit Sie aber in der Stadt sich nicht verirren und verlieren – und das Pflaster New-Yorks ist sehr gefahrvoll für junge unerfahrene Leute – werde ich Ihnen meinen Diener zur Seite stellen. Sie sehen ihn dort auf dem Dampfer – ich meine den braunen Herkules neben dem Flaggenstock – ein Mestize, oder vielmehr halb Neger, halb Indianer; häßlich, wie die Nacht, aber treu, wie Stahl, wenn auch zuweilen etwas kindisch. Der soll Sie führen, und Sie mögen sich unbesorgt ihm anvertrauen. Wenn Sie hier nichts mehr hält, mögen Sie uns folgen. Mit seinem Leben mache ich den Burschen für Ihre Sicherheit verantwortlich.«

»Ich bin bereit,« erwiderte ich beschämt, denn ich brauchte nur die Tasche, welche meine ganze irdische Habe enthielt, umzuhängen und dem Capitän des Schiffes Lebewohl zu sagen.

Ein bedauernder Blick aus den klugen Augen des blonden Herrn traf mich; dann an seiner Begleiterin vorbei dicht neben mich hintretend, flüsterte er mir zu:

»Ihre Empfindungen begreife ich. Dieselben sind gerechtfertigt und ich handelte vorschnell. Unmöglich können Sie uns in diesem Aufzuge begleiten. Der Mestize soll Sie daher zu einem Geschäftsfreunde von mir führen, bei welchem Sie den entsprechenden Credit finden – natürlich auf Abschlag der Ihnen zu leistenden Honorarzahlung,« fügte er hinzu, als er meine plötzliche Bestürzung gewahrte, »also keine Einwendungen, junger Mann; Ihre ehrlichen Augen sind mir eine sicherere Bürgschaft, als einige tausend Morgen liegender Gründe.«

Dann reichte er seiner Begleiterin den Arm und gleich darauf sah ich sie auf der Falltreppe niedersteigen. Auf dem Dampfboot angekommen, rief er den Mestizen zu sich heran, und nachdem er demselben einige Befehle ertheilt hatte, nahm er neben seiner Nichte auf einer Bank des Hinterdecks Platz, fortwährend sprechend und erzählend, als ob die Verabredung mit mir längst vergessen gewesen wäre.

Ich stand noch immer auf derselben Stelle, träumerisch auf das sich allmählich füllende Dampfboot niederblickend. Trotz des gegebenen Versprechens zögerte ich, dem fremden Gönner zu folgen, als ein nicht mißzuverstehender Wink des Mestizen mich zur Eile mahnte. Gleichzeitig vernahm ich neben mir die befreundete Stimme des Capitäns.

»Ein merkwürdiges Land,« meinte er gutmüthig lachend, »ein großes Land, in welchem die Menschen auf ehrliche Gesichter bindende Verträge abschließen. Aber säumen Sie nicht, oder der Dampfer fährt ohne Sie ab, und zum zweitenmal wird Ihnen schwerlich ein ähnliches Anerbieten gemacht werden.«

»Werde ich den an mich gestellten Anforderungen genügen können?« fragte ich beklommen.

»Ohne Zweifel,« lachte der Capitän wiederum, »und finden Sie nach einigen Tagen, daß Sie nicht für einander passen, so zieht Jeder mit kurzem Gruß seines Weges. Das nennt man amerikanische Sitte. Aber vorwärts!« fügte er hastiger hinzu, als unten mittelst einer gellenden Glocke das Zeichen zur Abfahrt gegeben wurde, »und mögen wir erleben, daß Sie, anstatt im Zwischendeck eines trägen Seglers, in der ersten Kajüte eines flinken Dampfers Ihre nächste Seereise zurücklegen.«

Gleich darauf befand ich mich auf dem Verdeck des Passagierbootes, dessen Schaufeln bereits zu arbeiten begannen. Vor mir stand der herkulische Mestize, mich mit einer gewissen vertraulichen Ehrerbietung begrüßend und mit dem Namen Indigo anredend.

Jetzt erst entsann ich mich, daß bei der Vorstellung ich wohl meinen Namen genannt, dagegen nicht den meines Gönners erfahren hatte. Doch nur einen flüchtigen Gedanken weihte ich diesem Umstande, und an der Seite des Mestizen nach dem für weniger begüterte Passagiere bestimmten Vorderdeck hinüberschreitend, fragte ich ihn nach seinem Gebieter.

»Ein erstaunlich reicher und vornehmer Herr,« hieß es zurück, indem mein Begleiter sich stolz in die Brust warf, als habe er von sich selbst gesprochen, »er besitzt Farmen und Plantagen, Fabriken und Mühlen und viele Millionen Dollars.«

Besorgt spähte ich in das braune Gesicht. Kein Zug desselben klärte mich darüber auf, ob die handgreifliche Uebertreibung ein Ausfluß schwachen Begriffsvermögens, oder der Neigung, sich auf Kosten eines mit den Landesverhältnissen noch unbekannten Einwanderers zu belustigen.

»So besitzt er in New-York ebenfalls ein eigenes Haus?« fragte ich ernst.

»Vier, fünf Häuser,« betheuerte der Mestize ebenso ernst, »nebenbei wohnt er in allen Gasthöfen erster Classe.«

»Und sein Name?«

»Hat erschrecklich viele Namen. Er heißt Masser, Senner, Mr. Constant, Mr. Grub und noch anders.«

Wiederum betrachtete ich den Mestizen aufmerksam. Ich fürchtete, einen Irrsinnigen vor mir zu sehen, und dennoch ruhte in seinen unstät rollenden großen schwarzen Augen so viel Schlauheit, daß ich glaubte, sein kindisches Wesen nur für erheuchelt halten zu dürfen.

»Ihr steht in Diensten bei dem Mr. Constant Grub?« hob ich nach einer Pause wieder an.

»Seit vielen Jahren.«

»Begleitet ihn auf allen Reisen?«

»Ihn und Miß Stella.«

»Stella heißt seine Nichte?« fragte ich zögernd, und die gleichsam exotisch glühende junge Südländerin mir vergegenwärtigend, meinte ich, daß kein passenderer Name für sie hätte erdacht werden können.

»Stella,« bestätigte der Mestize, »und eine so feine Lady, wie keine zweite unter dem Monde geboren wird.«

»Sie beschäftigt sich gern mit Musik?«

Der Mestize blickte mich befremdet an, als sei er um eine Antwort verlegen gewesen; dann sprach er wie zweifelnd:

»Ich weiß es nicht.«

Argwöhnisch spähte ich in die funkelnden Augen; jedoch vorsichtig jede Aeußerung des erwachenden Mißtrauens unterdrückend, forschte ich weiter:

»Wohin begeben wir uns zunächst?«

»In einen Kleiderladen, um 'nen Gentleman aus Euch zu machen.«

»Und dann?«

»Zum Masser, von welchem Ihr das Weitere erfahrt.«

»Ich möchte ihn sprechen, bevor wir das Dampfboot verlassen.«

»'s geht nicht, Herr. Masser Grub ist in vielen Dingen sehr merkwürdig; und es würde sich erstaunlich schlecht für ihn und Miß Stella schicken, sähe man ihn in der Gesellschaft eines dürftigen Emigranten.«

Auf's neue peinlich berührt, neigte ich das Haupt. Mit wie viel freierem Herzen hätte ich es begrüßt, wäre ein einfacher Handwerker vor mich hingetreten, um mich für Dienstleistungen zu gewinnen, deren Vortheil für ihn selber klar zu Tage gelegen hätte. Mit Freuden würde ich die Axt oder den Spaten ergriffen haben, um, getragen von dem Bewußtsein persönlicher Sicherheit und fern allen hinterlistigen Nachstellungen meiner Feinde, im Schweiße des Angesichts mein Brod zu essen. Selbst der Gedanke an die strahlende Südländerin und deren mich sichtbar freundlich auszeichnendes Wesen vermochte nicht, den Bann zu lösen, welcher auf meiner Seele ruhte.

In meinem Brüten wurde ich gestört durch laute Rufe, kurzes Schwanken des Fahrzeugs und einen darauf folgenden leichten Stoß. Den letzten Theil des Weges auf der glatten Bahn hatte ich zurückgelegt, ohne etwas Anderes zu sehen, als die vor dem scharfen Bug sich theilenden gelben Fluthen. Mechanisch kehrte ich mich dem Hintertheil des Schiffes zu, welcher neben einer Landungsbrücke lag. Vor mir drängte man sich der Laufplanke zu. Jeder hatte Eile, festen Boden unter sich zu fühlen. Zwischen den Vordersten entdeckte ich den hoch gewachsenen blonden Herrn. An seinem Arme hing Stella. Sie schienen mich vergessen zu haben, denn ohne sich um den Mestizen oder mich zu kümmern, bestiegen sie eine Miethskutsche, welche alsbald schnell mit ihnen davonrollte.

Mechanisch drängte ich mich zwischen die sich vorwärts schiebenden und mit mancherlei Gepäckstücken beladenen Reisenden. Meinen braunen Begleiter hatte ich in der letzten Zeit kaum noch beachtet. Obwohl gänzlich rathlos in der fremden Umgebung, hätte ich es willkommen geheißen, wäre ich in dem Gewühl von ihm getrennt, also durch einen zu entschuldigenden Zufall meines gegebenen Wortes entbunden worden. Doch der alte Hänge, wenn er einen gefährlichen Vagabonden transportirte, hätte nicht wachsamer sein können, als der Mestize. Grub schien ihn wirklich mit dem Leben für meine Sicherheit verantwortlich gemacht zu haben; denn als ich von der breiten Laufplanke auf die Landungsbrücke trat, glitt er neben mich hin, um seinen Posten als Führer gewissenhaft zu übernehmen.

Bald darauf saß ich in einer Miethskutsche; der Mestize stieg zum Kutscher auf den Bock, und binnen wenigen Minuten befand ich mich in einem solchem Gewirre übermäßig belebter Straßen, daß ich mit heimlichem Grauen der Möglichkeit gedachte, mir eines Tages ohne fremde Hülfe einen Ausweg aus diesem beängstigend geräuschvollen Labyrinth suchen zu müssen.

Etwa zwanzig Minuten war der Wagen bald schneller, bald langsamer einhergerollt, als er plötzlich anhielt und fast gleichzeitig der Kutschenschlag aufgerissen wurde.

»Hier sind wir, Mr. Indigo,« grinste des riesenhaften Mestizen braunes Gesicht mir entgegen. »Seid so gut und steigt aus; in fünf Minuten und 'ner halben ist Alles vollbracht und dann geht's weiter.«

Ohne zu antworten leistete ich dieser Aufforderung Folge. Kaum aber hatte ich den Wagen verlassen, als der Mestize mich hastig einem düster aussehenden Hause zuschob, so daß ich nur einen flüchtigen Blick um mich zu werfen vermochte. Ich gerieth sogar auf den Verdacht, daß er mit Ueberlegung mir die Möglichkeit raubte, mit der Umgebung mich vertraut zu machen oder gar die Aufmerksamkeit Vorübergehender auf mich zu lenken. Und doch bemerkte ich nur wenig Menschen. Die Straße, offenbar ein Nebenverkehrsweg, war nur schmal. Zweiräderige Lastkarren hielten vor offenen Portalen. Die zu beiden Seiten hoch hinaufragenden, rauchgeschwärzten fünfstöckigen Häuser schienen durchgängig Lagerräume zu enthalten. Das Tageslicht dämpfend übten sie in ihrer düsteren Einförmigkeit eine ähnliche Wirkung auf mich aus, wie einst bei meinem ersten Eintritt die Gasse, in welcher der Antiquar Sachs hauste. In der Entfernung von ungefähr hundert Schritten mündete die Gasse in eine dicht belebte Hauptstraße. Das Gebäude, nach welchem der Mestize mich hindrängte, war ein Eckhaus, welches mit seiner Hauptfront jene Hauptstraße begrenzte. Ich empfing daher den Eindruck, als habe man mich mit meinem ärmlichen Aeußeren nicht für würdig gehalten, anders, als durch eine Hinterthür einzutreten.

Meine sich flüchtig jagenden Betrachtung gelangten dadurch gewissermaßen zu einem Stillstand, daß auf des Mestizen zweifaches Klingeln eine schmale Pforte geöffnet wurde, durch welche wir in eine geräumige, dabei aber düstere Flurhalle traten. Ein langer, sechszehnjähriger Bursche in Hemdärmeln, auf dem Kopf einen hohen Cylinderhut, die eine Wange aufgebauscht durch einen ansehnlichen Tabaksknoten, in dem gegenüber liegenden Mundwinkel eine brennende Cigarre und beide Fäuste in die Taschen seiner hellen Sommerbeinkleider gezwängt, empfing uns daselbst.

»Halloh, Pumpkin, was in der Hölle Namen führt Euch hierher?« rief er überrascht aus, und zugleich betrachtete er mich mit einem solchen Ausdruck bemitleidender Geringschätzung, daß ich meinte, in der nächsten Secunde wieder auf die Straße hinausgewiesen zu werden, »und obenein in Gesellschaft des verdammtesten grünen Deutschen, auf welchen jemals meine Augen fielen?«

Pumpkin, wie der Mestize genannt wurde, nickte dem Burschen, welchen ich, trotz meiner Rathlosigkeit, hätte behandeln mögen, wie einst den Nickel des Doctor Sachs, vertraulich zu. In dieser Bewegung aber lag so viel Unverschämtheit, eine so beißende Verspottung meiner Person, daß ich ernstlich daran dachte, mich zu entfernen. Ob der junge Republikaner meine Absicht errieth, weiß ich nicht, jedenfalls mißtraute er mir; denn seinen Fuß an mir vorbeistreckend, schleuderte er durch einen heftigen Stoß die Thür mit einer Gewalt in's Schloß, daß die nächsten Wände davon zu beben schienen. Dann bequemte er sich dazu, einen ihm von dem Mestizen dargereichten Zettel entgegenzunehmen.

» All right!« sprach er, nachdem er einen richtigen Blick auf den Zettel geworfen hatte, und jeder Zoll breit an ihm war Bürger einer ewigen, untheilbaren Republik, » all right, Pumpkin, Ihr seid der verdammteste braune Schurke, auf welchen jemals meine Augen fielen; aber gleichviel, Mr. Grubs Name bürgt für Alles. Nehmt daher den Burschen, beginnt mit ihm unten, nehmt die Richtung nach vorne, und wenn Ihr fertig seid, mögt Ihr ihn mir vorstellen.«

So sprechend drehte er sich auf dem Absatz um; ein letzter spöttischer Blick auf mich, wobei die Cigarre und der Tabaksknoten ihre Stellung zu einander wechselten, und ich befand mich allein mit dem Mestizen.

»Ein feiner Gentleman, dieser Masser Sparebird,« grinste mein Begleiter, sobald die Schritte des Jungen hinter der nächsten Flurecke verhallt waren, »das Ebenbild seines Vaters und wohl noch schlauer als dieser.«

»Ein feiner Gentleman,« wiederholte ich bitter und mir selbst zürnend, daß ich die empörend geringschätzige Behandlung von Seiten eines halben Kindes hatte widerstandslos über mich ergehen lassen und daß es dem jungen Geschäftsstrolch überhaupt gelungen war, mir durch seine grenzenlose Unverschämtheit die Zunge zu fesseln.

Ich war entrüstet, fluchte meiner Schüchternheit; trotzdem hatte ich auf der anderen Seite des Oceans meinen Lehrern in dem Convict keinen pünktlicheren Gehorsam bewiesen, als jetzt dem Mestizen, da er mich aufforderte, ihm zu folgen, um aus mir ebenfalls einen Gentleman zu machen. Ja, ich folgte ihm, aber mit den Empfindungen Jemandes, welcher zwischen Träumen und Wachen schwankt, sich vergeblich bestrebt, diesen oder jenen Gegenstand zu erhaschen, um sich an demselben, bevor er unter seinen Händen in Nichts zerronnen, gegen einen jähen Sturz zu sichern.

So begann ich, wie der Tabak kauende Junge es bezeichnet hatte, unten im Erdgeschoß, um endlich in der Nähe der Hauptstraße wieder an's Tageslicht zu treten. Ich ging durch eine Badestube und durch einen Barbierladen, durch ein Wäschemagazin und einen Kleiderladen, und überall fand ich braune und schwarze Männer, welche mich höflich bedienten und durch ihre Gewandtheit und mir oft wunderbar erscheinende Kunstgriffe Das ersetzten und erleichterten, was durch meinen Mangel an Eifer für die Sache, durch meine Gleichgültigkeit wesentlich erschwert wurde. Aehnlich einem Stück aufzupolirenden Hausgeräthes, wanderte ich von Hand zu Hand. Ohne die leiseste Einsprache zu erheben, ließ ich mit mir geschehen, was ich für unerläßlich für die von mir einzunehmende Stellung hielt.

Erst als ich vor einem großen Spiegel saß und die allmählich fortschreitende Veränderung in meinem Aeußeren beobachtete, als ich sah, wie mein starkes braunes Haar, in weiche Locken geordnet, über meine Schläfen fiel, der während der Reise weder von Scheere noch von Messer berührte jugendliche Bart, derselbe Bart, welcher in dem Convict als etwas Unnatürliches verdammt wurde, in gleichsam herausfordernde Formen zugestutzt wurde, kam es über mich, wie ein Gefühl der Zufriedenheit. Ich erstaunte über mich selbst, erkannte mich kaum wieder, und unbegreiflich erschien es mir, daß ich bisher so gänzlich gleichgültig gegen meine äußere Erscheinung hatte sein können. Indem aber meine erste Eitelkeit wachgerufen wurde, wuchs auch das Selbstvertrauen. Frei wählte ich unter den mir dargebotenen Kleidungsstücken; kalt stimmte ich zu, als man mir vorschlug, den abgelegten bescheidenen Anzug auf einen Kehrichthaufen zu werfen, weil es doch nur Lumpen seien, und als ich endlich von des Tabak kauenden Jungen Tabak kauendem Vater in seinem Bureau höflich begrüßt wurde, sein unverschämter Sprößling dagegen behauptete, daß ich der verdammt feinste Gentleman sei, auf welchen jemals seine Augen gefallen,« schämte ich mich nicht nur nachträglich der abgelegten Kleidungsstücke, sondern auch meines gefüllten Jagdranzens, welcher mir von dem nunmehr doppelt dienstfertigen Mestizen überall hin nachgetragen wurde.

Wo blieben in jener Stunde die Erinnerungen an den getreuen Hänge und die sorgliche Winkelliese? Die Erinnerungen an die theure Försterfamilie und die holden Zwillingsschwestern? Wohl nie in meinem Leben glich ich mehr einem im düsteren Winkel gezogenen Reis, welches, in üppigeres und von Helligkeit umstrahltes Erdreich verpflanzt, erschreckt und geblendet die Blätter senkt und der ersten besten Hand gestattet, die welken Zweige vor ihrem Erhärten in jede beliebige Form zu gewöhnen, sie zu zwingen, sich an jeder beliebigen Stütze emporzuranken, gleichviel ob es ein sinnig zusammengefügtes Spalier oder ein edle Früchte tragender Baum, ob ein lächelnder Rosenstock oder giftige Dünste ausströmender Stechapfel, ob eine süß duftende Lilie oder unheimlich wirkende Belladonna.

Erst als der Wagen wieder mit mir davonrollte, erwachte ich vorübergehend aus diesem, einer Betäubung ähnlichen Zustande.

»Was ist aus mir geworden?« fragte ich entsetzt, indem ich meine in helles feines Leder gezwängten Hände betrachtete, »wo blieben die auf der Seereise sorgfältig geschonten Kleidungsstücke, in welchen ich zum letzten Mal die lieblich umrankte Försterei als obdachloser Fremdling besuchte? Auf einen Kehrichthaufen hatte man sie geworfen, sie aus meinem Bereich gebracht, um mich der Heimat zu entfremden, mir die Gelegenheit zu rauben, immer wieder an die fernen Theuren erinnert zu werden. Die Rückkehr war mir abgeschnitten; ich gehörte vollständig Denjenigen, welche mich gegen meinen sich nur matt sträubenden Willen zunächst zu ihrem Schuldner gemacht hatten. Nicht die Handschuhe auf meinen Händen nannte ich gerechtfertigter Weise mein Eigenthum.

Meine Blicke streiften die Jagdtasche und den alten Wanderstab, was Beides der Mestize vor mich auf den Rücksitz gelegt hatte. Mich schauderte. War ich doch so nahe daran gewesen, diese Kleinodien ebenfalls zu verlieren, und mit ihnen mein einziges Heiligthum: das Skizzenbuch und die Andenken an die stille Schläferin auf dem Friedhofe des heimatlichen Dorfes und an meinen unbekannten, verschollenen Vater.

Mit fieberhafter Eile und mit gerechter Besorgniß, durch einen unglücklichen Zufall von meiner letzten Habe getrennt zu werden, zog ich jene Kleinodien zwischen der fest gepackten Wäsche hervor, um sie zu mir zu stecken. Die Jagdtasche aber liebkoste ich, als wäre sie mein treuer, rathender Freund gewesen; ich erflehte Verzeihung von ihr, sie schnöde verleugnet und verstoßen zu haben, und fester umklammerte ich sie mit beiden Händen, wie um mich dadurch vor einem Sturz in unabsehbare Tiefen zu bewahren. Bebenden Herzens gedachte ich der Zukunft. Schwarz, undurchdringlich lag sie vor mir. Aus dem beängstigenden Dunkel aber strahlten mir entgegen zwei leuchtende Sterne, zwei exotisch glühende Augen, mit zauberischem Feuer meine ganze Seele erfüllend.

»Stella,« sprach ich unbewußt, und vor mir auf dem Rücksitz wiegte sich wieder bei den leichten Schwankungen des Wagens ausdruckslos die abgeschabte Tasche, bis sie endlich herunterglitt. Ich achtete ihrer nicht, stellte sogar meine Füße auf sie, war froh, nicht mehr durch ihren Anblick in neue Zweifel gestürzt zu werden.

Dumpf rollte der Wagen. Ich hatte mich in die eine Ecke gedrückt, die Augen fest auf den mir durch die Scheiben sichtbaren Mestizen gerichtet. Er erinnerte mich an die Wirklichkeit meiner Lage.

»Die im Staube kriechende Schnecke,« suchte ich mich in Gedanken zu ermuthigen, wenn ängstlich und vorsichtig mit ihren Fühlhörnern umhertastend, wie weit gelangte die, vor jedem kleinen Hinderniß scheu in ihr enges Haus Zurückbebende?«

Spöttisch lachte ich vor mich hin und stolzer warf ich mich in die Brust.

»Meine Bahn liegt in glanzvollen Regionen,« folgte der nächste Gedanke, »nur im kühnen Fluge sichere ich mir Erfolg.«

Wiederum lachte ich spöttisch. Ich war bereit, in freiem, offenem Blick jenen geheimnißvoll glühenden Augen zu begegnen.

Gleich darauf hielt der Wagen in einer breiten Straße vor einem großen, stattlichen Hause und fast gleichzeitig wurde der Kutschenschlag aufgerissen. Neben dem Hause ragte ein Kirchthurm empor. Das war Alles, was ich von meiner Umgebung sah. Dem Mestizen anheimstellend, Tasche und Wanderstab in seine Obhut zu nehmen, näherte ich mich festen Schrittes der Thüre, welche, bevor ich die Klingel zog, geräuschlos nach innen wich.


 << zurück weiter >>