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SIEBENTES CAPITEL. DES IRLÄNDERSABENDUNTERHALTUNG.

Wochen waren dahingegangen, und ich hatte mich hinlänglich in meine Obliegenheiten eingearbeitet. Statt der Mrs. O'Cullen stand ich vom frühen Morgen bis zum Abend hinter dem Schreibepult, mit peinlicher Sorgfalt nach ihren Angaben die Bücher ordnend und führend. Gelegentlich arbeitete ich auch einen, mir, von dem des Lesens und Schreibens unkundigen Irländer dictirten Brief in bessere Formen aus, wofür ich jedesmal das größte Lob einerntete. Ich schien mir überhaupt seine Zufriedenheit erworben zu haben; denn abgesehen von seinen rohen Manieren begegnete er mir mit einer gewissen Höflichkeit, woran er vielfach Versprechungen für die Zukunft schloß, gegen welche die Wirkungen eines Talismans Spielerei gewesen wären. Mein Argwohn blieb indessen nach wie vor rege. Brauchte ich doch nur in das bleiche, abgehärmte Antlitz seiner stillen Frau zu blicken, um durch deren scheues Lächeln und das furchtsame, unterwürfige Wesen, welches, sobald ihres Gatten Stimme sie erreichte, zum Ausdruck gelangte, vor dessen feilem, hinterlistigem und grausamen Charakter gewarnt zu werden. Der Mißhandlungen aber, welche die arme Frau erduldete, mußten es viele und boshaft überlegte sein, und schwerere mußten sie noch bedrohen, um ihr die Kraft und den Willen zu verleihen, ihren Schmerz zu verheimlichen und ohne einen Laut der Klage die thierisch rohe Gewalt ihres Gatten und seine durch nichts, weder durch Flehen noch durch ernste Vorstellungen zu beugende Uebermacht anzuerkennen.

Der Anblick des Jammerbildes dieses armen Geschöpfes, welches einst, vielleicht von Verzweiflung getrieben, sich mit Leib und Seele einem Scheusal verkaufte, war es auch, was meine Geduld oft auf eine harte Probe stellte, mir die Thätigkeit in dem Geschäft erschwerte und verleidete; und meine ungetheilte geistige Kraft mußte ich aufbieten, um in Augenblicken tiefster Entrüstung meinen Vorsätzen nicht untreu zu werden.

Meinen Plan, O'Cullen über die geheimnißvollen Rollgardinen auszuforschen, gab ich nach dem ersten Versuche wieder auf; denn ich hatte derselben kaum Erwähnung gethan, als nicht nur mich, sondern auch die entsetzt zusammenschauernde junge Frau ein Blick aus seinen mißtrauisch funkelnden Augen traf, welchen man mit dem eines sagenhaften Basilisken hätte vergleichen mögen. Mir blieb also nur die Hoffnung auf vom Zufall herbeigeführte Ereignisse, welche vielleicht die so heiß ersehnten Aufschlüsse im Gefolge hatten.

Freundliche Unterbrechungen erlitten die trübe Einförmigkeit meines Daseins und die andauernde ängstliche Spannung durch meinen fortgesetzten Verkehr mit Bechler, dem professionirten Philanthropen und Müßiggänger. Die meisten Abende verbrachte ich in seiner Gesellschaft; doch vertraut, wie ich mit ihm wurde, nie entschlüpfte mir in seiner Gegenwart eine Silbe über meine Erfahrungen oder die Hoffnungen, welche sich an meinen Aufenthalt im Hause des Irländers knüpften.

Früher, als gewöhnlich, kehrte ich eines Abends von einem dieser Ausflüge nach Hause zurück. Behutsam, um einer Begegnung mit O'Cullen vorzubeugen, schlich ich von der Gasse aus durch ein mir zugängliches Pförtchen in meine Kammer. Dieselbe lag nach dem feuchten, moderig duftenden Hofe hinaus, auf welchen auch das einzige Fenster öffnete.

Müde warf ich mich auf mein hartes Lager. Die Dunkelheit war mir willkommen; ich liebte es, Betrachtungen nachzuhängen, welche ebenso wohl durch meine augenblickliche Lage, wie durch die so fern, so unendlich fern erscheinende Vergangenheit bedingt wurden. Ein scharf einschneidendes Gefühl der Unzufriedenheit bemächtigte sich meiner. Was ich glaubte, im Sturm und unter schnell auf einander folgenden Ereignissen erringen zu können, schien bei dem schleppenden Einerlei jedes neuen Tages immer mehr in unerreichbare Weiten zu flüchten. Bis jetzt hatte ich nur Verluste zu beklagen; noch um keinen Schritt war ich dem mir vorschwebenden Ziele näher gerückt. Wohin ich mich wenden mochte, überall erkannte ich Hindernisse, welche zu besiegen meine Kräfte und Mittel nicht ausreichten. Zähneknirschend ballte ich die Fäuste; um milderen Empfindungen Raum zu gewähren, wendete ich meine Gedanken den lieblichsten Tagen meiner Kindheit zu.

Ein langgedehnter Klageton, welchem leises Wimmern nachfolgte, verscheuchte schnell wieder die trauten Gestalten und Physiognomien, die eben erst in dem mich umgebenden Dunkel aufgetaucht waren. Schnell richtete ich mich empor. Die Töne drangen von der anderen Seite des Hofes herüber. Das Fenster meiner Kammer zeichnete sich nur matt vor den schwarzen Wänden aus. Indem ich aber vor dasselbe hintrat, erhielt ich einen Anblick der beiden erleuchteten Fenster von O'Cullens Wohnung. Er hatte die ungastlichsten Räume des Hauses zu seiner Heimstätte erkoren. In ihnen fühlte er sich heimisch. Der in einem unter schweren Flüchen seufzenden Lande und in einer Höhle verthierten Elends geborene, unter geistverkrüppelndem religiösem Drucke aufgewachsene Wildling hatte nie die Neigung empfunden, der Behaglichkeit des Lebens Reize abzugewinnen.

Besorgt lauschte ich. Die ergreifenden Klagelaute, in welchen ich sofort Mrs. O'Cullens Stimme erkannte, wiederholten sich. Sie wurden indessen schnell übertäubt durch die spinettartig klimpernden Töne einer besaiteten Drehorgel. Dazwischen erscholl des Irländers grobes Organ, indem er wilde Drohungen mit gellenden Flüchen ohne Wahl durcheinander warf.

Vielfach hatte ich beobachtet, wie O'Cullen seine Frau in Begleitung der zärtlichsten Worte gräßlich mißhandelte. Die Aermste hatte Alles stets ruhig hingenommen. Meine Gegenwart war Ursache gewesen, daß sie selbst die leisesten Klagen gewaltsam erstickte, bevor sie auf ihre Lippen traten. Heute war es anders. Weil in meiner Kammer kein Licht brannte, man überhaupt meine Heimkehr nicht gehört hatte, wähnte man mich außerhalb. Wie aber die gequälte Frau keinen Grund zu haben meinte, die Bitterkeit ihrer Empfindungen durch gewaltsames Niederkämpfen zu verschärfen, so hielt auch ihr Gatte es für überflüssig, sich irgend welchen Zwang aufzuerlegen. Ringsum trennten ihn Mauern und Magazin räume von der übrigen Welt; es hinderte ihn daher nichts, seine thierische Wuth an Derjenigen auszuüben, welche er als ein nothwendiges Uebel, oder vielmehr als einen seine Unkenntniß ergänzenden, willenlosen, jedoch kostspieligen Schreibapparat betrachtete.

Eine Weile blieb ich wie festgebannt stehen. Leidenschaftlicher wurde des Irländers Stimme, kläglicher wimmerte sein armes Opfer und teuflischer klimperte die bald schneller, bald langsamer gedrehte Orgel, von deren Vorhandensein ich bisher nie eine Ahnung erhalten hatte. Beängstigende Bilder traten nur vor die Seele; ich dachte an das schwärzeste aller Verbrechen, an Gattenmord. Mich schauderte. Dann aber trieb es mich, zu erfahren, daß die Wirklichkeit vielleicht nicht so furchtbar, wie ich sie mit krankhaft erregter Phantasie ausmalte. Und wer konnte wissen, ob ich nicht zur rechten Zeit erschien, um durch mein Dazwischentreten eine gräßliche That zu verhindern.

Leise schlich ich auf den Hof hinaus, ebenso geräuschlos näherte ich mich dem nächsten der erleuchteten Fenster, und vor mir lag dasselbe dürftig eingerichtete, jedoch sauber gehaltene Gemach, in welchem ich mit dem Ehepaar zu Tische zu sitzen pflegte.

Den Irländer bemerkte ich zuerst. Er saß vor dem Eßtische beleuchtet von einer großen, hell flammenden, ihres Schirmes entkleidenden Lampe. In seinem Bereich standen eine Flasche und ein Glas. Auf einen neben ihn hingerückten Schemel hatte er das mißtönende Instrument so hingestellt, daß er es bequem im Gange erhalten konnte. Eine kurze brennende Thonpfeife haftete zwischen seinen wulstigen Lippen, der von ihm unzertrennliche Hut hing schief auf seiner niedrigen Stirn, der in seiner Physiognomie ausgeprägten Rohheit einen noch widerwärtigeren Charakter verleihend.

Ihm gegenüber saß seine Gattin auf einem niedrigen Schemel. Eine Lumpenhülle umgab ihren schmächtigen Körper. Das starke, dunkelbraune Haar floß aufgelöst und verwirrt zu beiden Seiten ihres abgehärmten Antlitzes nieder, dessen Leichenfarbe durch den scharfen Contrast noch auffälliger machend. Ihre Hände waren mittelst eines Strickes vor ihren Knieen zusammengeschnürt. Von ihnen liefen nach beiden Seiten andere Stricke, welche, auf dem Rücken sich kreuzend, die Unglückliche in gebückter Stellung mit dem sie tragenden Sitz fest vereinigten.

Ein Gefühl der Ohnmacht durchströmte mich bei diesem Anblick. Ich war so entsetzt, daß ich anfänglich kaum zu denken vermochte, die zwischen beiden Gatten gewechselten Worte daher für mich verloren gingen. Erst nach längerem Hinüberstarren war ich fähig, dem Gespräch mit Aufmerksamkeit zu folgen.

»Du hast mich geschnürt, daß ich kein Glied zu rühren vermag,« flehte das arme Geschöpf, die thränenleeren großen Augen mit stumpfem Ausdruck auf den unbarmherzigen Irländer gerichtet, »ich läge sonst auf den Knieen vor Dir –«

»Und dann?« höhnte das Scheusal, mit der linken Hand die Orgel drehend, und mit der rechten ein Glas füllend und an die Lippen führend.

»Höre mich zu Ende,« flehte die Aermste weiter, »ich sitze jetzt vor Dir in demselben Anzuge, in welchem Du mich, die von aller Welt verlassene Waise, auf der Straße fandest. Damals war ich dem Hungertode verfallen, und heute tödtet mich die Verzweiflung. Ich befinde mich also in keiner günstigeren Lage, denn je zuvor, bin Dir also nichts mehr schuldig. Laß mich daher meiner Wege gehen –«

»Um Dich über die ungebührliche Strenge Deines Herrn und Gemahls öffentlich zu beklagen, mein süßer Schatz?« fiel O'Cullen wieder lachend ein und schneller drehte er das eine Höllenmusik erzeugende verstimmte Instrument.

»Nimmermehr; bei allen Heiligen schwöre ich es,« klagte Milly herzerschütternd, »Deinen Namen will ich nie wieder über meine Lippen bringen; der Hudson ist tief und reißend. Ob ich hier sterbe oder auf einer anderen Stelle, es ist gleichgültig. Heimlich will ich auf einen Fährdampfer schleichen, heimlich mich hinabstürzen in die Fluthen, welche mich weit, weit forttragen, bis dahin, wo Niemand mehr nach meinem Namen forscht und man die verunglückte Fremde in dem ersten besten Winkel verscharrt.«

»Das möchtest Du?« grinste der verstockte Bösewicht unter der verkrüppelten, sich stets wiederholenden Melodie der ›Letzten Rose‹; »und wenn ich Dir Deinen Willen ließe, mein süßer Schatz, wer sollte meine Bücher führen und meine Geschäftsbriefe besorgen? Beim heiligen Patrik und der gesegneten grünen Insel! 's findet sich so leicht Niemand, der 'ne feinere Schrift aufsetzte, als Du, meine schöne, getreue Milly.«

»Mr. Indigo–«

»Hol' der Satan den Mr. Indigo,« schnaubte O'Cullen wild, und dröhnend fiel die freie linke Faust auf den Tisch, während die rechte im schnellen Drehen den Mechanismus des invaliden Instrumentes vollends zu zertrümmern drohte, »als ob Du nicht wüßtest, daß der verdammte Dutschmann nur so lange unter meinem Dache bleibt, wie meine guten Freunde es für rathsam halten! Aber dieser Dutschmann geht Dir über Alles, geht Dir über Denjenigen, welcher Dich aus dem Straßenstaube auflas und 'ne Lady aus Dir machte! Hüte Dich indessen; riemenweise schäle ich das Fleisch von Deinen Gliedern, wenn Deine Liebelei mit ihm kein Ende nimmt. Denn ich bin Dein Herr, und kann mit Dir aufstellen, was mir beliebt, und siede ich Dich in Pech und Schwefel – Goddam – so kräht kein Hahn danach. Du siehst mich hier in demselben Aufzuge, in welchem ich das alte Land verließ. Mit diesem Drehpiano habe ich mir die ersten Cent und Schillinge in dieser gesegneten Republik verdient. Dann wurden die Schillinge zu Dollars, und ein Dollar kam zum andern, bis es ihrer so viele waren, daß ich 'nen Hausirhandel einrichten konnte, und aus dem Hausirhandel wurde die Firma O'Cullen, und 'ne verdammt feine Firma obenein. An allem diesem Glück ist aber allein das Drehpiano schuld –« und schneller rasselte die Letzte Rose, »und dann spiele ich den alten Kasten noch heute gern, wenn 's sich um Wichtiges handelt. Verdammt, Du mein süßer, holder Schatz, ohne den Kasten wäre ich nie in die Lage gerathen, mich verheirathen zu müssen, und ohne den Kasten würden mit Deinen Knochen heute die Aepfel von den Bäumen geworfen; oder war ich es nicht, der Dich in denselben Lumpen, in welchen Du vor mir sitzest, halb verhungert auf der Straße fand und mit heimnahm?«

»Hättest Du mich liegen lassen, brauchte ich heute nicht mehr zu leiden.«

»Das ist Nebensache! Ich frage Dich, ob ich es war, welcher Dich kleidete, wie 'ne Prinzessin, und der Dich herausfütterte, wie 'ne Weihnachtsgans?«

»Du warst es; allein Du warst es auch, der mich –«

»Keine Ueberstürzung, meine süße Milly, oder ich ziehe die Stricke an, daß Dir das Blut aus den Fingern quillt,« fiel O'Cullen grimmig ein; »nur auf das hast Du zu antworten, wonach ich Dich frage, mein schönes Turteltäubchen. Ich fand Dich also in denselben Lumpen, welche Du, um 's im Gedächtniß zu behalten, auf mein Geheiß heute wieder einmal angelegt hast.«

»Ich leugne es nicht,« gab Mrs. O'Cullen zitternd vor Todesangst zu.

»Und zum Dank dafür, daß ich Dich kleidete, speiste und sogar zu meiner Frau machte, versprachst Du, mir treu zu dienen und Dich nie über Deinen Stand zu erheben?«

»Mein Versprechen hielt ich redlich; aber erlöse mich, länger ertrage ich es nicht. Die Stricke schneiden in meine Gelenke ein – ich muß – ich muß laut aufschreien und –«

»Schreie, mein Schatz,« spottete der durch den Genuß des Branntweins noch unbarmherziger gewordene Irländer, und hastig drehte er wieder sein Instrument, welchem er eine kurze Ruhe gegönnt hatte; »schreie, bis Jemand kommt, um Dich zu befreien – wenn er Dich zwischen diesen Mauern hört – und bei allen Teufeln der Hölle und bei allen Heiligen des Himmels schwöre ich's: Dort steht die Axt neben der Thür; der Erste, welcher seinen Fuß über meine Schwelle setzt, ist ein todter Mann, und die Jury spricht mich los, weil ich nur von meinem Hausrecht Gebrauch machte. Du meinst also, Du habest Dein Versprechen gehalten, Schatz? Beim heiligen Patrik, ein rechtes Kunststück, so lange ich mit meinen Fingern die Zähigkeit Deines Fleisches prüfe. Goddam! Du hast's gehalten, gleichviel ob gezwungen oder aus freien Stücken, bis auf den heutigen Tag. Warum aber bist Du jetzt plötzlich halsstarrig geworden, weigerst Du Dich jetzt zu thun, was ich Dir befehle?«

»Alles, Alles will ich thun,« jammerte das arme Geschöpf laut zu dem dämonischen Klimpern des Drehkastens, »Alles, was Du von mir verlangst und was auszuführen einem Christen erlaubt ist; allein eine Missethat begehen – o, habe Barmherzigkeit mit mir! Bestehe nicht auf Deinen Willen!

Erwürge mich, aber fordere nichts, wozu ich nimmermehr meine Hände hergeben kann!«

»Dir ist dieser milchbärtige Dutschmann in den Kopf gefahren!« schrie O'Cullen, indem er emporsprang und sich mit drohender Haltung seiner Frau näherte. »Aber wartet! Zusammenschnüren will ich Dich mit diesem Indigo und Euch in den Strom werfen, damit Ihr gemeinschaftlich zur Hölle fahrt. Doch nein, Du sollst leben, lange leben und noch lange meine Befehle pünktlich ausführen, oder ich will verdammt sein. Vorläufig bleibst Du da sitzen, bis Du mir auf Deine Art schwörst, Deine lächerlichen Selbstmordgedanken aufzugeben. Dann verfügst Du Dich zu Bett, um gehörig auszuschlafen und Dich so munter aus Deinen Federn zu erheben, wie eine Lerche aus einem blühenden Kleefelde. Im Laufe des Tages habe ich außerhalb zu thun; Du wirst dann Gelegenheit finden, den Indigo auf ein Weilchen abzulösen, mit diesem Schlüssel hier die Kasse zu öffnen und eine Handvoll Dollars herauszunehmen. Ich würd's selber thun, allein mir traut der Bursche nicht. Dir dagegen steht die Einfalt auf dem Gesicht geschrieben und das Weitere ist dann meine Sache.«

»Zum Dieb soll er gemacht werden?« jammerte Mrs. O'Cullen mit herzzerreißendem Ausdruck, und von den aus der unnatürlichen Lage ihr erwachsenden Qualen übermannt, ließ sie das Haupt auf die Brust sinken, »warum denn solch entsetzliches Unglück auf ihn herabbeschwören, ihn um seinen ehrlichen Namen bringen?«

»Das wundert Dich eben so wenig, wie mich,« versetzte das Scheusal, sich auf seinen Platz zurückbegebend und die von der Todesangst eingegebene Frage offenbar als eine Art Zustimmung deutend, »die Herren wünschen's, und da sie keinen Schritt umsonst verlangen, haben wir keinen Grund, ihnen einen kleinen Liebesdienst zu verweigern. Wir sind also einig, mein süßer Schatz, und nun sage mir zum Schluß, ob Du jetzt mürbe bist?«

Die darauf folgende Antwort wurde so leise ertheilt, daß ich sie nicht verstand. Sie befriedigte indessen augenscheinlich den Irländer, denn er beeilte sich nunmehr, die Stricke zu lösen und die unglückselige junge Frau aus ihrer peinvollen Lage zu befreien. Als sie aber unter seinen Händen zu Boden zu sinken drohte, schleppte er sie nach dem Tische hin, wo er sie auf einen Lehnstuhl niedergleiten ließ. Dann nahm er die Flasche, und sie der Halbohnmächtigen zwischen die Lippen führend, zwang er sie, von dem Inhalte zu trinken.

»Verstelle Dich nicht,« höhnte er, »Dir schmeckt ein roher Whisky nicht schlechter, als anderen vernünftigen Menschen. Aber munter, munter, Schatz; wir sind noch nicht fertig. 'nen Brief mußt Du mir schreiben und dann magst Du die Lumpen wieder abstreifen und Dein Nest suchen.«

Mrs. O'Cullen antwortete nicht mehr. Wie im Traume nahm sie die ihr dargereichte und bereits mit Dinte befeuchtete Feder, und die Hand auf den vor sie hingeschobenen Papierbogen legend, schicke sie sich zum Schreiben an.

»An den Reverend Mr. Cringe,« dictirte O'Cullen, langsam auf und ab wandelnd, wobei er gelegentlich über seiner Gattin Schulter sah und nach den Bewegungen der Feder seine Worte abmaß. »Theurer Herr! Wenn's morgen nicht mit dem Indigo einschlägt, mag die holdseligste Gottesmutter wissen, wie's zusammenhängt. Aber es muß, oder mein Name ist nicht O'Cullen. Reif ist er morgen Abend. Aber zuverlässige Leute gehören dazu, denn der Bursche sieht nicht aus, als möchte er gutwillig folgen. Also morgen Abend, oder 's ist überhaupt für die nächsten Wochen nichts damit. Denn ich muß eine Reise antreten, oder Andere kommen mir in den Geschäften zuvor. Habt Ihr Verwendung für einige Dutzend Rouleaux, von der fein gemalten Sorte, ist mir's angenehm. Ich werde dann wieder eine Anzahl mitbringen. Kein Vergleich mit Fabrikmustern, und wenn Ihr die heilige, gebenedeite, unbefleckte Jungfrau anruft, ehrwürdigster Vater, so bittet auch für mich und meine Frau, denn meine Frau denkt gerade, wie ich selber. Und verbleibe ich mit großer Freundschaft und bester Hochachtung des Reverend Mr. Cringe ergebener O'Cullen, Kaufmann und Commissionair.«

So ungefähr lautete der Brief, welchen O'Cullen dictirte. Ob seine Gattin Alles so niederschrieb, wie er ihr vorsagte, oder höflichere Formen wählte, erfuhr ich nicht. Eingeschüchtert, wie sie war, wagte sie schwerlich eine Aenderung, auch hätte ihr die geistige Kraft dazu gefehlt. Aehnlich einer nur noch durch electrische Schläge belebten Leiche saß sie da. Keine Muskel des bleichen Antlitzes regte sich; ausdruckslos starrten die großen, tiefliegenden Augen auf das Papier. Kaum bemerkbar zitterte die rechte Hand, indem die vorgesprochenen Worte unter der Feder entstanden. Laut aufjammern hätte ich mögen vor tief empfundenem Weh und Mitleid beim Anblick dieses erschütternden Bildes; laut aufjammern vor Entsetzen und Wuth, als ich vernahm, zu welchen Mitteln man griff, um sich meiner wieder zu bemächtigen, als ich erfuhr, daß nach dem Mißlingen des Planes mit dem Irrenhause, man mit der durchdachtesten Bosheit das Gefängniß als die Stätte betrachtete, auf welcher ich am sichersten unschädlich zu machen sein würde. Doch wie vor wenigen Minuten, als die Qualen der armen Frau den höchsten Gipfel erreicht hatten, durfte ich auch jetzt meine Nähe nicht verrathen. Alles, meine eigene Wohlfahrt, wie die des im Bereich meiner Blicke befindlichen, in sich zusammengebrochenen elenden Opfers, hing von meiner Vorsicht, von der peinlichen Geheimhaltung des Erfahrenen ab.

Den Gedanken an Flucht aus der unheimlichen Umgebung gab ich fast eben so schnell wieder auf, wie er entstand. Was auch drohte oder dazu beitrug, mir das Dasein zu verbittern: Vor nichts durfte ich zurückscheuen. Der räthselhafte Verfertiger der Vorhänge lebte und schaffte noch, wie O'Cullen's Bemerkungen sich nur deuten ließen; aus solchem Bewußtsein aber schöpfte ich einen kalten, berechnenden Muth, welcher mir sogar in jenen verhängnißvollen Minuten ein höhnisches, boshaft triumphirendes Lächeln entlockte.

Einen letzten Blick unversöhnlichsten Hasses und tiefster Verachtung warf ich auf den Irländer, welcher, den noch unversiegelten Brief in der Hand, mit wahrhaft teuflischer Befriedigung seiner sich langsam entfernenden Frau nachspähte; dann schlich ich in das die Gasse begrenzende Nebengebäude zurück.

Klirrend schob ich den Schlüssel in das Schloß der Außenthür. Geräuschvoll öffnete ich sie und ebenso geräuschvoll schlug ich sie wieder zu. Fest auftretend näherte ich mich meiner Kammer. Bevor ich dieselbe erreichte, tönte O'Cullens Stimme mir von der Hofthüre entgegen.

»Seid Ihr es, Mr. Indigo?« fragte er höflich.

»Kein Anderer,« antwortete ich kurz und noch unter dem Eindruck des eben Erlebten.

»Beim heiligen Patrik!« versetzte jener lustig, »'s ist sonst nicht Eure Art, heimkehrend viel Lärm zu schlagen.«

Bei dieser Mahnung, daß ich zu ängstlich bedacht gewesen, den hinterlistigen Irländer zu täuschen, erschrak ich. Doch mich schnell ermannend, rief ich ihm erzwungen sorglos zu:

»Oft geschieht es auch nicht, daß mir ein Landsmann so tapfer zutrinkt, wie an dem heutigen Abende.«

»Mr. Bechler, vermuthe ich?«

»Es giebt mehr, als eine Schänke in der Stadt,« gab ich gelassen zurück, um ihm die Möglichkeit des Nachforschens abzuschneiden, »und außer Bechler genug andere heitere Gesellen, welche spätes Sitzen beim Glase einem wohl aufgeschüttelten Federbett vorziehen. Gute Nacht, Mr. O'Cullen.«

»Gute Nacht, Mr. Indigo!«

Die Thür des Kämmerchens fiel hinter mir in's Schloß. Ich aber lachte bitter vor mich hin. Wie war ich durch die stete Wachsamkeit, durch mein nie schlummerndes Mißtrauen allmählich berechnend und listig geworden!

Indem ich die Lampe anzündete, streifte deren Schein ein breites rothes Gesicht, welches sich auf der Außenseite des Fensters vor den Scheiben behutsam hin- und herbewegte. Ich beachtete es nicht, sondern fuhr fort, mich im Täuschen zu üben.

Mein Hut flog in den einen Winkel, mein Rock in einen andern; dann warf ich mich auf die krachende Bettstelle.

»Es bildeten drei munt're Gesellen
Ein froh Collegium,«

sang ich des biederen Bechlers einzige ihm mögliche Melodie. Ich hatte schon etwas gelernt. Durch Wehen mit einem Tuche löschte ich die außerhalb des Bereiches meines Athems befindliche Lampe aus. »Trank nie – einen – Tropfen« – – schloß ich murmelnd.

Auf dem Hofe knirschte der Sand unter breiten Schuhsohlen, indem Jemand sich von meinem Fenster entfernte. Ich aber lag noch lange, mit offenen Augen in die mich umgebende schwarze Finsterniß hineinstierend.


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