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VIERTES CAPITEL. DIE FÖRSTEREI.

O Ihr holden, von den glücklichsten Träumen umwobenen Jugendtage. Wie reihen sich kindliche Freuden, kindliche Besorgnisse und Hoffnungen gleich lieblich aneinander! Wehmuth durchbebt meine Brust, indem ich jenes Zeitabschnittes gedenke; wie ein wunderbar rosig verschleiertes Märchen, andächtig gelesen vor vielen, vielen Jahren, liegt er vor meinen geistigen Blicken. Die Hand bebt mir, indem ich niederschreibe, was mein Herz am meisten bewegt. Wie der Maler die eigene Stimmung durch Beleuchtung und Farbenwahl zu verbildlichen und in Einklang mit den unter der künstlerisch schaffenden Hand entstehenden Gruppen und Scenerien zu bringen trachtet, so können meine Schilderungen das Gepräge nur derjenigen Empfindungen tragen, welche durch die frühen Ereignisse selbst, wie durch den über viele Jahre hinwegschweifenden Rückblick bedingt werden. Heute umgiebt für mich ein Hauch der Schwermuth Alles, was damals im goldigen Sonnenschein strahlte: Das in heiteres Grün eingenestelte Schweizerhäuschen, den duftenden Wald, den unergründlich tiefen See, das geheimnißvolle graue Jagdschloß und vor allen Dingen die lieben, lieben Menschen, unter deren gastlichem Dach ich so viele namenlos glückliche Stunden verlebte.

Hannchen und Hedwig, wie erschienen sie mir an jenem ersten thauigen Morgen so wunderbar schön! Weit schöner, als am vorhergehenden Abend; schöner, als in den folgenden Tagen, da ich mich an ihren Anblick gewöhnte und in wildem, knabenhaften Freudenrausch nur die einzige Aufgabe kannte, in kindlichen Spielen die Zeit mit ihnen zu verjubeln und auf kindlich sinnige Art den holden Zwillingsgestalten meine aufrichtigen Huldigungen darzubringen.

Da Frau Winkler ebenfalls nicht im Stande war, die beiden Kinder von einander zu unterscheiden, am wenigsten aber, wenn sie dieselben einzeln sah, andererseits sie nicht wünschte, daß man das liebliche Doppelbild durch verschiedenfarbige Kleider störte, so wählte die bedachtsame Försterfrau den verständigen Ausweg, Hannchen ein blaues Band um den Hals zu knüpfen, Hedwig dagegen durch ein rothes zu kennzeichnen. Aber auch jetzt ereigneten sich noch vielfach Namensverwechselungen, in Folge dessen mit Rücksicht auf den gemeinschaftlichen Anfangsbuchstaben – eine Erfindung von mir – ›rothes Haideröschen‹ und ›blaues Haideröschen‹ officiell eingeführt wurden. Auch Ponies wurden die Zwillinge genannt, und schwerlich gab es jemals ein jugendliches Zweigespann, welches gewandter durch Busch und Farrnkraut schlüpfte, als die beiden wunderbar geschmeidigen Schwestern. Hatte ich, der drei Jahre Aeltere, doch meine Noth, ihnen überall hin zu folgen und die gleichsam irrlichtartig meinen Blicken Entschwindenden jedesmal wieder in ihrem Versteck auszukundschaften.

Unser erster Weg führte selbstverständlich nach dem Schloß, um die Marmorschildwachen einer genaueren Prüfung zu unterwerfen. Vier Teckelhunde: eine ehrwürdige Mutter mit ihren halb erwachsenen Söhnen, begleiteten uns. Trotz dieser Escorte klopfte das Herz mir bange, als ich die grauen Mauern, den Thorweg und die beiden Statuen zwischen den Bäumen allmählich deutlicher hervortreten sah. Ich befand mich eben noch unter der Einwirkung Dessen, was ich am verflossenen Tage aus des Försters Munde über das gespenstische Schloß vernommen hatte. Erst als der Thorweg dicht vor uns lag und die vier Teckel um die Statuen, wie um jeden andern Stein, herumschnupperten, das blaue Haideröschen aber an dem grinsenden Herrn mit den Ziegenfüßen hinaufkletterte und hinter jedes seiner langen Ohren eine Butterblume klemmte, das rothe Haideröschen dagegen eine von Butterblumenstengeln zusammengefügte Kette der starren Jägerin um den Schwanenhals hing, machte des bedachtsamen Hänge derbe Erziehungsweise sich wieder bei mir geltend.

Wie die Teckelhunde, blicke auch ich furchtlos zu den beiden steinernen Gästen empor. Nur noch kaltes, todtes Gestein waren sie für mich; in dem Schloß aber erkannte ich einen unvergleichlichen Tummelplatz mit zahlreichen dunkeln, unheimlichen Winkeln, in welchen ich nach hundertjährigen Merkwürdigkeiten hätte forschen und mich dabei von den prächtigsten Schauern befallen lassen mögen.

Trotzdem folgte ich meinen lustigen Führerinnen nicht ohne Beklommenheit durch den Thorweg. Ich warnte sie sogar, darauf hinweisend, daß unsere Gegenwart die Schloßbewohner vielleicht störe und man uns mit harten Worten vom Hofe hinunterweisen würde.

»Wozu hat der Hof zwei Thore?« hieß es lachend zurück, »doch wohl nur, um durch das andere wieder hereinzukommen, wenn wir aus dem einen hinausgejagt werden.«

Mehr, als der Inhalt dieser Worte, beruhigte mich das sorglose Lachen, und gleich darauf begrüßten die beiden Schwestern einen aus Haut und Knochen bestehenden Mann in abgetragener Livree, der auf einem Bündelchen Stroh saß und mit einem abgebrochenen Messer das junge Gras zwischen den Steinen des Hofpflasters ausgrub.

» Bon jour, Monsieur,« redeten Hannchen und Hedwig den Menschen an.

Dieser sah empor, nickte kaum merklich, ohne eine Muskel seines mumienartig eingetrockneten Gesichtes zu verziehen, und wollte eben seine Arbeit wieder fortsetzen, als er meiner ansichtig wurde.

Das Messer entfiel seiner Hand, und seine schwarzen stechenden Augen weit aufreißend, starrte er mich an, als wäre ich eins der dort zur nächtlichen Stunde umhergehenden Gespenster gewesen.

Mich selbst beängstigte solch seltsames Benehmen; das hinderte mich indessen nicht, den unheimlichen Menschen ebenfalls aufmerksam zu betrachten und wahrzunehmen, daß er unter der alten Livree sehr feine Wäsche trug, also nicht zu den gewöhnlichen Arbeitern gerechnet werden durfte.

»Er wundert sich, ein fremdes Gesicht zu sehen,« ermuthigten mich die beiden fröhlichen Gefährtinnen; dann zogen sie mich nach einer offenen Stallthür hinüber.

Bevor wir dieselbe erreichten, spähte ich verstohlen rückwärts. Der schweigsame Schloßgeist stierte mir noch immer nach. Erst meine Bewegung verursachte, daß er hastig nach dem entfallenen Messer griff und kopfschüttelnd seine Arbeit wieder aufnahm.

»Es kommen wohl nicht viel fremde Menschen hierher?« fragte ich befangen.

»Gar keine; darum erschrak der alte Bonjour auch so sehr über Deinen Anblick,« antworteten die Zwillinge, dann trat Hannchen mitten in die Stallthüre, Hedwig und mich durch ein Zeichen bedeutend, etwas zurückzubleiben.

»Guten Morgen, Herr Seltsam,« rief sie in den Stall hinein.

»Schönen Dank, Hannchen!« knurrte es aus dem Hintergründe, und deutlich unterschied ich das mir so wohlbekannte Geräusch, mit welchem eine geübte Hand die Kartätsche abwechselnd über glatte Pferdehaut und die gezahnte, metallisch klingende Striegel rieb.

Hannchen sprang einige Schritte zur Seite und wiederum in die Stallthüre tretend, rief sie zum zweiten Mal:

»Guten Morgen, Herr Seltsam!«

»Schönen Dank, Hedwig,« antwortete die rauhe Stimme, »auch schon da?«

»Und was bleibt für mich?« jubelte Hedwig, nunmehr wirklich auf die Thürschwelle neben ihre Schwester hintretend.

»Immer die alten Streiche,« murmelte es verdrossen zwischen den Pferden; damit folgte das helle Klingen, mit welchem durch Klopfen auf einen Stein der Staub aus der Striegel entfernt wurde, und eh' ich mich dessen versah, stand ein mürrisch darein schauender ältlicher Mann in rother Weste, weißer Schürze und grauer Stalljacke vor den Schwestern, deren blonde Locken er alsbald ohne Umstände mittelst Striegel und Kartätsche zu ordnen begann, als ob die beiden munteren Kleinen wirklich ein paar lustige Ponies gewesen wären.

»Wir haben Besuch mitgebracht,« bemerkte Hannchen, die, gleich ihrer Schwester, der rauhen Behandlung des ergrauten Kutschers gewohnt zu sein schien.

Dieser schob sein volles, nichts weniger als ansprechendes Gesicht um die Thürecke, und wiederum glaubte ich vor Angst und Scham davonlaufen zu müssen, als die blinzelnden wasserblauen Augen des alten vierschrötigen Burschen sich gleichsam in meine Seele einbohrten.

»Wie heißt denn der?« fragte er, nachdem er sein erstes Erstaunen über den ungewohnten Besuch überwunden hatte.

»Baldrian Indigo,« antwortete ich schnell, um vor meinen lieblichen Gefährtinnen eine Probe meines Muthes abzulegen.

Der Kutscher zuckte geringschätzig die Achseln und verschwand zwischen den Pferden; die kurzen mürrischen Antworten aber, mit welchen er nunmehr das Zwillingspärchen abfertigte, bekundeten zur Genüge, daß er unseres Besuches überdrüssig sei.

Ich wollte die Richtung vom Hofe hinunter einschlagen, als die Mädchen mich vor den Eingang des Schlosses hinzogen, um mir die oberhalb des Portals eingemauerte Steinplatte zu zeigen. Mehrere Reihen lateinischer Buchstaben, wie ich sie unregelmäßiger und wunderlicher nie sah, waren tief in dieselbe eingemeißelt. Ich versuchte zu lesen und hatte eben entziffert: ›Anno 1539‹, als plötzlich eine hagere, spitznasige Dame mit pergamentartig gelber Haut und langen vorspringenden Zähnen in der Hausthür erschien und, ihre weiße Schürze emporlüftend, mit derselben wehte, als hätte sie eine zudringliche Hühnerfamilie verscheuchen wollen.

Sie schien eine Art Haushälterin oder Kammerjungfer zu sein. Auf mich aber machte sie mit ihrer flatternden Tüllhaube, dem dürren, sehnigen Hals und den grimmig sprühenden. Augen noch den besonderen Eindruck eines seit Anno 1539 das Schloß bewachenden Kettenhundes.

»Was will das Gesindel hier?« zischte die unheimliche Person mit fremdländischem Accent, den seitwärts von mir stehenden Schwestern feindselig zu, »hinunter vom Hofe mit Euch, oder ich hetze alle Fledermäuse aus dem Thurm hinter Euch her!«

Die erschreckten Zwillinge ließen sich das nicht zweimal sagen. Gefolgt von den muthig kläffenden Hunden schlugen sie spornstreichs die Richtung nach dem nächsten Thorwege ein, und auch ich wollte mich zur Flucht wenden, als plötzlich eine Art Todesverachtung in mir rege wurde und ich das unbestimmte Verlangen empfand, mich als den unerschrockenen Beschützer meiner lieben, furchtsameren Gespielinnen auszuweisen.

»Wir wünschten zu lesen, was da oben geschrieben steht,« redete ich, obwohl innerlich bebend, mit herausfordernder Haltung die mir unbeschreiblich widerwärtige Person an. Anstatt aber meine Mütze zu ziehen, wie jedem älteren und fremden Menschen gegenüber zu thun der bedachtsame Hänge-Gensdarm mir streng anempfohlen hatte, schob ich vor lauter Befangenheit beide Hände in die Taschen meiner Beinkleider.

»Strolch!« keifte der gespenstische Kettenhund, der mich bisher nicht beachtet hatte, mir mit gellender Stimme zu, daß die Haare auf meinem Kopf sich sträubten. Weiter gelangte die unheimliche Erscheinung indessen nicht. Als hätte sie vor Wuth umsinken mögen, hielt sie sich mit beiden Händen an dem Thürpfeiler, und mich mit ihren eigenthümlich hohlen Augen wild anstarrend, rang sie offenbar nach Worten.

Ich zitterte; nur die Erinnerung an den tapferen Hänge, der mir wohl hundertmal anbefohlen hatte, ob schuldig oder unschuldig, niemals zu entlaufen, verhinderte, daß ich die Flucht ergriff.

»Wie heißt Du?« entwand es sich endlich den schmalen bläulichen Lippen.

»Baldrian Indigo,« antwortete ich beklommen.

»Wer ist Dein Vater?« hieß es mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung.

»Gensdarm,« versetzte ich selbstbewußter. Anstatt indessen, wie unzählige Male in meinem kurzen Leben unverschämte Altersgenossen, auch diese Person durch den Respect erheischenden Titel einzuschüchtern, lohnte mich nur ein höhnisches Lachen für meine Entschlossenheit.

»Also Gensdarm?« fragte der gespenstische Kettenhund schneidend, »dann hätte der Herr Gensdarm Besseres thun können, als Dich vor diese Thür zu schicken. Marsch, hinunter vom Hofe! Ich vermuthe, Du wohnst im Försterhause?«

»Beim Herrn Förster Wallmuth,« erwiderte ich. Dann kehrte ich mich um. Wenn es mir aber anfänglich gelang, noch etwas Muth zu erheucheln, und ich mich langsam einherbewegte, so wurden meine Schritte allmählich schneller und länger, bis ich endlich vollen Laufs durch den Thorweg in's Freie hinausstürmte.

Jubelnd wurde ich von den beiden Zwillingen willkommen geheißen. Ihre Bewunderung meiner Unerschrockenheit kannte keine Grenzen. Im Triumph führten sie mich nach Hause, wo unsere Abenteuer haarklein erzählt und mehrfach wiederholt wurden, als ob ich einen furchtbaren Kampf mit einem Drachen glücklich bestanden hätte. Da die Schilderung des Erstaunens, welches die Leute bei meinem Anblick an den Tag legten, den Förster nicht befremdete, so vergaß auch ich diesen Umstand in den nächsten Minuten. Ich setzte voraus, daß es jedem Anderen nicht besser ergangen sein würde, als mir, und anstatt von erhöhter Scheu vor dem Schloß erfüllt zu werden, zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt dorthin, um neue Abenteuer zu bestehen, noch sprechendere Beweise für meine Tapferkeit zu liefern.

Eine Gelegenheit dazu sollte mir schneller werden, als ich ahnte.

Es war kurz vor Mittag und alle Bewohner des Schweizerhäuschens hatten sich vor der Hinterthür in den Schatten einer Linde zurückgezogen, um der hohen Sonnengluth zu entgehen, als die Hunde auf dem Hofe das Eintreffen eines Besuchs verkündeten.

»Das gnädige Fräulein Thekla und der Herr Candidat Leise,« rief Hedwig, welche um die Ecke des Hauses gelugt hatte, geheimnißvoll aus, worauf sie schnell sich uns wieder zugesellte.

Wallmuth warf einen freundlich forschenden Blick auf uns, wie fragend, ob wir durch anderweitige tolle Streiche auf dem Schloßhofe Veranlassung zu dem unerwarteten Besuch der Angemeldeten gegeben, dann eilte er diesen entgegen, um sie zu begrüßen und nach den besten schattigen Sitzen zu führen.

Gemeinschaftlich mit Hedwig und Hannchen hatte ich mich in eine nahe Laube verkrochen, und die Ranken zurückbiegend, spähten wir zwischen dem Blätterwerk hindurch nach der Hausecke hinüber, hinter welcher hervor der Besuch erscheinen mußte. Die Zwillinge kicherten lustig. Mir dagegen klopfte das Herz bange. Ich dachte zagend an die beiden Marmorstatuen.

Endlich traten die Fremden in unsern Gesichtskreis und namenloses Entsetzen bemächtigte sich meiner, als ich in der That die steinerne Dame von dem Thorwege zu erkennen glaubte. Sie bewegte sich zwar ruhig an der Seite des Försters einher, und dunkelfarbige Seidenstoffe umhüllten ihre hohe schlanke Gestalt, allein das Antlitz war so wunderbar schön und geisterhaft bleich, als wäre es wirklich aus dem reinsten Alabaster gemeißelt gewesen. Die beängstigende Wirkung auf meine krankhaft erregte Phantasie wurde erhöht durch den starren Blick der großen blauen Augen, durch die eisige Kälte und Regungslosigkeit, welche auf den schönen Zügen ruhten.

Das starke braune Haar hatte sie ähnlich aufgesteckt, wie die Jägerin, und wie um die Täuschung zu vervollständigen, funkelte mitten auf ihrem Scheitel eine kostbare Nadel oder Agraffe, welche mich an den halben Mond der Marmorstatue erinnerte. Der Stab in ihrer Hand aber, welchen sie trotz ihrer Jugend – sie mochte kaum achtundzwanzig Jahre zählen – und trotz ihrer stolzen, sicheren Haltung als Stütze benutzte, verwandelte sich vor dem fieberischen Flimmern meiner Augen in einen kurzen Jagdspieß.

Mein nächster Blick galt den Füßen ihres Begleiters, welcher auf der anderen Seite gleichen Schritt mit ihr hielt.

Erleichtert seufzte ich auf. Es waren keine Ziegenhufe, was die mittelgroße, etwas geneigt einherschleichende Gestalt trug, sondern breite, menschliche Füße in schwarzen Strümpfen und feinen Schnallenschuhen. Letztere glänzten in der Sonne, als hätten sie aus demselben Material bestanden, wie der lackirte Helm meines lieben getreuen Hänge, der mir beständig vor der Seele schwebte und aus den sich täglich wiederholenden Vergleichen mit anderen Sterblichen stets als das vollkommenste aller Schöpfungswerke hervorging. Aber auch der krause Bart des steinernen Gastes fehlte und die langen Eselsohren. Groß genug waren seine Ohren freilich; denn indem sie unter dem glänzend gebürsteten Hut weit vorsprangen, verglich ich sie in meiner Einfalt mit den Henkeln eines umgestürzten eisernen Kochtopfes. Sein glatt geschorenes Gesicht war ebenfalls bleich, contrastirte dagegen zu dem Antlitz der schönen Dame, wie ein vergilbter, aber sauber gewaschener Diensthandschuh des Hänge-Gensdarm zu einem eben unter den Händen der Winkelliese hervorgegangenen blendend weißen Chemiset. Er konnte nur wenig älter sein, als der wettergebräunte Wallmuth; trotzdem durchfurchten zahlreiche Falten seine hohe Stirn. Ebenso zogen sich auf jeder Seite der breiten kurzen Nase zwei Furchen im Bogen um die geneigten Winkel des zusammengekniffenen, scheinbar lippenlosen Mundes. Die Farbe seiner lichtbraunen, durch eine goldene Brille geschützten Augen vermochte ich anfänglich nicht zu unterscheiden, indem er sie fast beständig senkte. Sobald er sie aber emporschlug, erzeugten sie den Eindruck, als ob die Oeffnungen zwischen den Lidern zu klein geschnitten gewesen wären, so daß ich die eigenthümliche, feindselige Neigung empfand, mit meinem Taschenmesser etwas nachzuhelfen.

Seine Bekleidung war schwarz und sehr fein; sogar auf den großen Händen trug er schwarze, eng zugeknöpfte Handschuhe. Nur am Halse und an den Handgelenken entdeckte ich schmale Streifen, an deren Weiße selbst meine gute Frau Winkler nichts zu tadeln gefunden hätte.

Als die beiden Herrschaften sich der von Weinranken beschatteten Thür näherten, trat Frau Hannchen ihnen mit ehrerbietigem Gruß aus derselben entgegen, sie höflichst einladend, auf der Bank unter der Linde Platz zu nehmen. Ihr prächtiges Antlitz glühte von der Einwirkung des Herdfeuers, und ein Lächeln ruhte auf demselben, als hätte sie es den beiden blondlockigen Engeln selbst entlehnt gehabt.

»Ich danke Ihnen,« antwortete die schöne bleiche Dame so hell und doch so ausdruckslos, daß ich in Gedanken ihre Stimme mit dem Ton verglich, welchen ich dadurch erzeugte, daß ich mit meinem Taschenmesser auf den Fuß der Marmorstatue klopfte, »auf einem Spaziergange begriffen, konnte ich mir nicht versagen, auf einige Minuten bei Ihnen vorzusprechen. Ich hörte, es seien Bekannte oder Verwandte von Ihnen eingetroffen.«

Dann reichte sie Frau Hannchen die Fingerspitzen der rechten Hand, der fein geschnittne Mund zuckte, wie um ebenfalls zu lächeln, wogegen die Blicke aus den wunderbar lang bewimperten Augen ruhig und dennoch spähend in der Runde schweiften.

Ein eisiger Schauer überlief mich. Instinctartig fühlte ich, daß sie nach mir suchte, und ängstlich verkroch ich mich noch tiefer hinter die beiden muthwillig kichernden Gefährtinnen zwischen die Ranken.

Unterdessen hatte auch der Candidat die Försterfrau begrüßt, und zwar mit einer gewissen vornehmen Demuth, welche ebenso gut gerade für das Gegentheil genommen werden konnte.

Als er seinen Hut lüftete, entdeckte ich, daß nur ein Streifen röthlich blonden Haares seinen kahlen Scheitel umkränzte.

Was älteren, erfahrungsreicheren Leuten zuweilen entgeht, erweckt nicht selten die rege Aufmerksamkeit neugierig forschender Kinder. So bemerkte ich von meinem Versteck aus, daß während des Grüßens ein spöttischer Zug um seine schmalen Lippen spielte, als wenn auch er wer weiß wie hoch erhaben über alle Mitglieder der Försterfamilie gewesen wäre. Der spöttische Zug erhielt indessen einen noch verschärften Ausdruck, als plötzlich die Winkelliese mit ihren anmuthigsten Vernetzungen und dem ihr eigenthümlichen ›resolut‹ verbindlichen Wesen sich als Grundbesitzerin vorstellte – das ›Plätterin‹ war ihr offenbar nicht vornehm genug – und sich sehr angelegentlich nach dem Befinden der geehrten Herrschaften erkundigte. Als sie aber fortfuhr, den ›himmlischen Aufenthalt im stillen grünen Walde‹ zu preisen und zu behaupten, daß nichts über ›romantische Einsamkeit und Tannennadeln‹ gehe, drangen mir vor bisher nie gekannter Beschämung und Entrüstung Thränen in die Augen. Was langjährige Unterweisungen nicht vermocht hätten, lehrte mich in wenigen Secunden der versteckte Spott um des Candidaten Mundwinkel, lehrte mich das kalte, mitleidige Lächeln der schönen bleichen Dame.

Mir war, als hätte ich der biederen Winkelliese, deren freies, derbes Auftreten gerade ein Beweis für ihre Achtung gebietende Rechtschaffenheit, zurufen müssen, ihre Worte nicht an Leute zu verschwenden, in deren Augen sie sich lächerlich mache. Wagte ich aber nicht, dies zu thun, so fühlte ich doch, wie Stolz und Zorn sich in mir aufbäumten; in einer Anwandlung knabenhafter Ritterlichkeit wünschte ich sogar nichts sehnlicher herbei, als eine Gelegenheit, jenen Beiden meine tiefe Abneigung zu erkennen zu geben.

»Meine Tante und liebe, getreue Pflegemutter,« fiel die Försterfrau der heftig mit ihren rothen Händen gesticulirenden Winkelliese in die Rede, denn auch sie empfand, daß das Brüsten der guten Seele mit einer vorzüglichen geselligen Bildung am unrechten Orte.

»So gut, wie meine leibeigene Tochter, und sogar noch besser,« versetzte dagegen die Winkelliese würdevoll zu meinem neuen Entsetzen, »und ich freue mich, den geehrten Herrschaften vorgestellt zu werden, zumal in des grünen Waldes himmlischer Einsamkeit.«

Wiederum das bezeichnende Lächeln, dann fragte das Burgfräulein ruhig: »Sie sind allein gekommen?«

»Bitte um Verzeihung,« erklärte die gefällige Alte verbindlich, »ein junger Mann begleitete mich; ebenfalls mein Pflegekind – werde sogleich die Ehre haben, ihn den hohen Herrschaften vorzustellen.«

Sie wollte mich rufen, als ich bereits an ihrer Seite stand. Gefühl von Abneigung gegen das unheimliche Paar, hatte ich mit schlauer Berechnung meine Mütze in der Laube zur Erde geworfen, um sie nicht abnehmen und in der Hand behalten zu müssen. Die langen braunen Locken wogten mir daher wild um's Haupt, und trotziger und selbstbewußter hatte sich die Brust des Hänge-Gensdarm selber unter dem grünen Stoff meiner Jacke schwerlich jemals ausgedehnt, als die meinige, indem ich furchtlos, ja herausfordernd, in die großen Augen des Burgfräuleins schaute und mit durch Mißtrauen verschärften Sinnen ihre Bewegungen sowohl, als die ihres Begleiters argwöhnisch bewachte.

Und so entdeckte ich, daß das bleiche Antlitz sich flüchtig röthete und die Spitze ihres Stabes wie unter dem Druck eines erhöhten Gewichtes, etwas tiefer in den losen Sand des Weges eindrang. Der Candidat dagegen, die Blicke fest auf mich gerichtet, trat einen Schritt zurück, worauf er unter den ehrerbietig und fromm gesenkten Adern hervor bald mich, bald das Fräulein mit unverkennbarer Spannung beobachtete.

Der Winkelliese Antlitz glühte vor Entzücken; das Erstaunen der beiden Fremden schrieb sie der Wirkung meines Aeußeren und meiner entschlossenen Haltung zu. Aehnlich mochte das Försterpaar denken, denn Keiner wagte, die plötzlich eingetretene Stille zu unterbrechen.

»Nicht wahr, meine Herrschaften, ein Staatsjunge?« brachen der guten Plätterin Empfindungen sich endlich Bahn, »aber nahrhafte Kost und saubere Aufwartung verrichten Wunder und machen aus dem schwächlichsten Kinde einen Riesen.«

Anstatt zu antworten, kehrte das Fräulein ihr Antlitz dem Candidaten zu. Ihre Blicke begegneten sich und ruhten ein Weilchen in einander. Dabei zuckten die Lider leicht, wie etwas bestätigend, worauf Beide ihre Aufmerksamkeit mir wieder zuwendeten.

»Wie heißt Du?« fragte die Dame gelassen, als hätte sie zu einem der sich auf dem heißen Sande behaglich dehnenden Teckelhunde gesprochen.

»Baldrian Indigo,« antwortete ich furchtlos.

Die Blicke der Beiden suchten sich wieder, ein nur von mir allein bemerktes leises Kopfschütteln und: »Wer ist Dein Vater?« ertönte es zwischen den mattrothen Lippen und den kleinen, blendend weißen Zähnen hervor, zu mir nieder.

»Der Gensdarm Hänge,« gab ich kühn zur Antwort, und bevor die Winkelliese hinlänglich Fassung gewann, meine Behauptung zu erläutern, hieß es weiter:

»Und Deine Mutter?«

»Hier, die Frau Winkler,« erklärte ich in der Ueberzeugung, in diesem Fall mit demselben Recht von der Wahrheit abweichen zu dürfen, wie meine mütterliche Freundin Tags zuvor noch in dem Hauderer gethan.

»Dein Vater, der Gensdarm Hänge; Deine Mutter, die Frau Winkler und Du selber Baldrian Indigo? Das klingt wunderbar,« bemerkte das Fräulein achselzuckend und mit einem flüchtigen Seitenblick in das Antlitz des Candidaten.

»Wir sorgen für ihn,« nahm die Winkelliese nach Ueberwindung des ersten Schreckens jetzt wieder das Wort, vor lauter Bescheidenheit die treuen graugrünen Augen eine Secunde schließend, »sonst besitzen wir kein Anrecht an ihn.«

»Ich verstehe, der Knabe ist bei Ihnen in Pflege,« schnitt das Burgfräulein ab, was sie noch hinzufügen wollte, und obwohl sie im gleichmüthigsten Tone sprach, entging meiner Aufmerksamkeit nicht, daß sie wie der Candidat fast ängstlich auf eine Rückäußerung harrten.

»So ist es, meine geehrten Herrschaften,« bestätigte Frau Winkler denn auch lebhaft, »und läugnen darf ich nicht, daß ich ihn wie mein eigen Kind liebe. Ebenso hält der Herr Hänge – nebenbei bemerkt, ein steinalter, hinfälliger Mann – große Stücke auf ihn.«

»So, so,« lispelte es tonlos zwischen den Perlenzähnen hervor, dann kehrte das Fräulein sich den schüchtern näher tretenden Zwillingen zu, ihnen die Hand reichend. Sie begleitete diese Bewegung mit einem zwar helleren, dafür aber noch erzwungeneren Lächeln.

Zwei Umstände waren es, welche mich damals im höchsten Grade befremdeten. Zunächst begriff ich nicht, weshalb die Winkelliese unsern gemeinschaftlichen Freund, diesen rüstigen Reitersmann, als einen von der Jahre Last gebeugten Mann beschrieb; dann aber bemühte ich mich vergeblich, zu enträthseln, weshalb das Fräulein sich anderen, gleichgültigen Dingen zuwendete, als die redselige Winkelliese eben einen Anlauf nahm, ihren ersten Mittheilungen über mich weitere Aufschlüsse folgen zu lassen. Und gelang es ihr wirklich, alle Anderen zu täuschen, mich konnte sie nicht überzeugen, daß sie nicht dennoch, was auch immer der Grund sein mochte, eine besondere Theilnahme, gleichviel, ob im bösen, ob im guten Sinne, für mich hegte. Zu mißtrauisch, zu scharfsichtig war ich durch die Entdeckung des spöttischen Lächelns geworden.

»Der Hauptzweck meines Besuches ist,« sprach das Burgfräulein zu den Zwillingen, »Euch zu verkünden, daß die gewöhnlichen Nachmittagsstunden des eingetroffenen Besuches halber heute ausfallen mögen. Morgen sehen wir uns indessen wieder, und gefällt es Eurem jungen Freunde, sich an dem Unterricht zu betheiligen, soll er mir willkommen sein.«

»Ich habe Ferien,« antwortete ich hastig, von der Furcht beseelt, ein ähnliches spöttisches Lächeln, wie es der Winkelliese zu Theil geworden, könnte mich für mein, mir plötzlich schmachvoll gering erscheinendes Wissen lohnen.

Das Fräulein schenkte mir einen langen kalten Blick, welchen ich, ohne Verlegenheit zu verrathen oder mit einer Miene zu zucken, aushielt. Wußte ich doch, daß alle Augen gespannt auf mir ruhten, die Winkelliese auch wohl gar über meine männliche Unerschrockenheit triumphirte.

»Man scheint früh gelernt zu haben, auf eigenen Füßen zu stehen,« bemerkte der Candidat, halb zu mir, halb zu seiner Begleiterin gewendet.

Letztere neigte zustimmend, jedoch kaum bemerkbar das Haupt. Dann grüßte sie ringsum, wie ich meinte, daß die Statuen beim Thorwege zur nächtlichen Stunde vorüberschwebenden Eulen und Fledermäusen für die ihnen dargebrachten Huldigungen dankten, und sich abkehrend, schritt sie an Wallmuths Seite davon.

Der Candidat verabschiedete sich durch eine vertraulich herablassende Handbewegung und folgte mit schleichenden Bewegungen nach. Als der Sand unter seinen breiten, im Sonnenschein glänzenden Schuhen knirschte, meinte ich, daß alle die seinen Kieselchen laut aufjammerten und stöhnten vor Unwillen, den finsteren schwarzen Herrn tragen zu müssen.

»Wie gefallen Dir die Beiden?« fragte die Försterfrau ihre Pflegemutter, sobald der Candidat hinter der Hausecke verschwunden war.

»Prachtvoll!« rief die Winkelliese enthusiastisch aus, »jedes Haar an ihnen majestätisch und edelmännisch, und dabei doch so umgänglich!«

»Beinah etwas zu majestätisch,« versetzte Frau Hannchen zweifelnd, »ich wenigstens fühle mich in ihrer Gegenwart befangen und weiß doch keinen Grund dafür. Es mag in ihren Blicken liegen. Oft erscheint es mir, als hätten sie viel Kümmerniß erlebt; denn wahrhaft glückliche Menschen sind nicht so ernst und bleich. Die Kinder denken freilich anders, und ihretwegen ist mir die stille Nachbarschaft sehr viel werth.«

»Sie erzählen uns wunderbare Geschichten von Heiligen, welche in den Wolken wohnen und von dort aus die guten Menschen beschützen,« fielen die Zwillinge mit lieblichem Eifer ein.

»Heiligen-Geschichten?« rief die Winkelliese entzückt aus, obwohl sie als gute Protestantin nur eine schwache Vorstellung von der heiligen Genofeva und einem heiligen Herrn besaß, dessen Namen sie zwar vergessen hatte, der aber zuerst geschunden und demnächst zum Ueberfluß noch auf einem weißglühenden Roste gebraten wurde; »ach, die Heiligen-Geschichten sind außerordentlich schön und lehrreich,« fuhr sie überzeugend fort, »man möchte vor Rührung schwere Thränen vergießen, wenn Unschuldige erbarmungslos verstoßen und gräßlich gemartert werden. Jahn, Du solltest wirklich die Kinder auf's Schloß begleiten.«

»Ich habe Ferien,« wiederholte ich mit einer Entschiedenheit, wie meine alte Pflegerin sie bisher nicht an mir kennen lernte, »und zu der Frau Thekla und dem Herrn Leise gehe ich erst recht nicht. Ich fürchte sie nicht, allein ich hasse sie; sie sind scheußlich, sie lachen über uns.«

Das Gespräch wurde durch den zurückkehrenden Wallmuth unterbrochen. Sein heiterer Sinn, der Anblick der sein ganzes irdisches Glück umfassenden Scene und das Gewirre, der ihn umspringenden, bereits auf ihr Mittagbrod harrenden Hunde, dies Alles vereinigte sich, den Eindruck zu verwischen, welchen der unerwartete Besuch bei jedem Einzelnen nach der einen oder der andern Richtung hinterlassen hatte, dagegen der allgemeinen geräuschvollen Unterhaltung wieder den Charakter ungetrübten, hoffnungsreichen Frohsinns zu verleihen.

Den Aufenthalt im Schatten der Linde vertauschten wir mit dem in dem kühleren Wohnzimmer. Zum Schutz gegen die hohe Mittagsgluth waren die Fensterladen bis auf Fingersbreite geschlossen worden. Sonnenscheinbalken, belebt von unzähligen Staubatomen, schoben sich durch die Spalten und herzförmigen Ausschnitte der Läden ziemlich abschüssig in das Gemach hinein. Summend durchschnitten große Fliegen dieselben. Auch Kinderköpfe suchten jubelnd mit geöffnetem Munde die Lichtstreifen aufzufangen, gleichsam zu trinken.

Auf dem breiten Klapptisch klirrten Teller und Löffel.

»Aller Augen warten auf Dich, Herr,« tönte es lieblich von den Rosenlippen des blauen Engels.

»Und Du giebst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit,« schloß der andere mit andächtig gesenkten Augen.

Neuer Jubel, verdoppeltes Klirren und Klappern. Große Hundeköpfe mit langen Schlappohren blicken verständig und zurückhaltend über die Tischecken.

Auf den Stühlen der drei unmündigen Menschenkinder, neben diesen und unter deren sie haltenden linken Armen hindurchspähend, saßen die drei unmündigen Teckelkinder. Die Teckelmutter lag auf der Erde in einem warmen Lichtherzen und vergnügte sich mit der Jagd auf Fliegen. Toller wirbelten nach jedem neuen Angriff die wilden Sonnenstäubchen durcheinander. Unter dem vorspringenden Dache in ihren festgebauten Nestern plauderten zwitschernd einige rastende Schwalben.

Auf Wald, See und Flur, auf Garten und Schweizerhäuschen lagerte erschlaffende Gewitterschwüle. Der guten Winkelliese Mondgesicht schien sich vor Entzücken in eine strahlende Sonne verwandeln zu wollen. Alle Sterne des Himmels zusammengenommen strömten in der heitersten Sommernacht nicht so viel Wohlgefallen aus, als der biederen Plätterin lustig umherfunkelnde, graugrünen Augen.


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