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SECHSTES CAPITEL. DIE ERSTE BRODSTELLE.

In einem der lebhafteren, ausschließlich dem kaufmännischen Verkehr eingeräumten Theile der Stadt New-York hatte O'Cullen sein Geschäft begründet, und ein bedeutendes, weitverzweigtes Geschäft obenein. Sein Haus, ein rothbraunes, umfangreiches Eckgebäude, begrenzte mit der einen Seite eine Hauptstraße, mit der andern eine in diese mündende düstere Gasse. In letztere fand nur in besonderen Ausnahmefällen gelegentlich ein Sonnenstrahl seinen Weg. Die oberen Stockwerke enthielten Speicherräume und kleine Comptoirs mit besonderen Eingängen und Treppen. Waarenballen und Kisten konnten auf diesen nicht befördert werden; dafür ragte aus jedem Stockwerk ein Krahnbalken auf die Straße hinaus, von welchen, wie der Beschäftigung harrend, die entsprechenden Taue und Ketten träge niederhingen. Und so bot das Ganze einen unfreundlichen, eintönigen Anblick, welcher am wenigsten durch die mit Eisenblech beschlagenen Thüren und Fensterladen gemildert wurde.

Bis auf die Räume im Erdgeschoß, namentlich die nach der Gasse hinausliegenden, war Alles zu sehr hohen Preisen vermiethet, Erstere bildeten das hauptsächliche Feld von O'Cullens geschäftlicher Thätigkeit. Er nannte sich Kaufmann und Commissionär, wie über der nach der Hauptstraße öffnenden Thür deutlich zu lesen. Nicht vermerkt war dagegen auf dem prunkenden Schilde, was der biedere O'Cullen früher gewesen; ebensowenig, daß er noch heute als Hausirer gelegentlich kleine Ausflüge unternahm und sich gegen eine angemessene Entschädigung bereit finden ließ, bei vorkommenden Wahlen unter seinen irischen Landsleuten zu agitiren, ferner durch den Ankauf von Wechseln und Geltendmachung seiner Forderungen schwankenden Firmen etwas schneller zum Sturz zu verhelfen, und gar nach verloren gegangenen Personen und Selbstmördern zu forschen und die unglaublichsten Ereignisse unter Mitwirkung unzähliger, als Zeugen aufgerufener frommer Heiligen, durch erschütternde Eide zu bekräftigen.

Zu beiden Seiten der Hausthür befanden sich große Schaufenster, in welchen den Vorübergehenden das Beste für die billigsten Preise angeboten wurde. Trotz der Verschiedenartigkeit der ausgestellten Waarenproben, von Büchse und Revolver herunter bis zu dem bläulich schimmernden Angelhaken, von seidenen Roben bis zu den mit Washington- und Garibaldi-Portraits bedruckten baumwollenen Taschentüchern, vom türkischen Teppich bis zu dem allerelendesten Fußkratzer, charakterisirte doch eine gewisse anspruchslose Ehrbarkeit die ganze Zusammenstellung. So auch den geräumigen Laden selbst, welchen der Länge nach ein fester Tisch durchzog, der wieder nahe dem Straßenfenster von einem tragbaren Schreibepult gekrönt wurde. Sogar die nach dem Inneren des Hauses öffnende Thür trug in ihrer praktischen Einfachheit eine gewisse Biederkeit zur Schau, als hätten hinter ihr nur die idyllischsten Familienscenen abgesponnen werden können.

Einem derartigen Eindruck wäre ich zuverlässig unterworfen gewesen, als ich nach einer langen und kräftigenden Ruhe in der Villa zum abgedankten Eisenbahnwagen in Bechlers Begleitung jenen Laden betrat, hätte ich nicht eben den bösen Einflüsterungen betreffs der Rechtschaffenheit O'Cullens allzu willig meine Ohren geöffnet gehabt. Meine Zweifel an der Ehrenhaftigkeit des vielgenannten Irländers erlitten indessen eine starke Erschütterung, als eine wohlklingende Frauenstimme hinter dem Pulte hervor nach unserm Begehr fragte.

Es war um die Mittagszeit, also eine Stunde, in welcher Käufer nur sehr spärlich eintrafen; für uns in so weit günstig, als wir hoffen durften, schnell abgefertigt zu werden.

Auf die freundliche Anrede kehrten wir uns dem Pulte zu, Bechler zog gleich mir seinen Hut, und nachdem er, scheinbar mit großer Anstrengung, die Cigarre aus seiner Wange geschraubt hatte, erkundigte er sich sehr angelegentlich nach dem Befinden der Mrs. O'Cullen.

 

Mrs. O'Cullen, eine junge Frau von höchstens vierundzwanzig Jahren, mit zwar nicht schönen, jedoch sehr einnehmenden, unbeschreiblich traurigen Gesichtszügen, schien eben etwas in das Kassenbuch eingetragen zu haben, denn sie legte die Feder zur Seite, und nachdem sie mir aus ihren melancholischen braunen Augen einen scheuen Blick zugeworfen hatte, kehrte sie ihre Aufmerksamkeit meinem Begleiter zu. Ein mattes Lächeln erhellte auf Secunden ihr Antlitz. Dasselbe wurde erzeugt durch den Anblick Bechlers, welcher durch das Entblößen seines Hauptes und das damit verbundene Emporsträuben seines Haars eine so wunderbare Aehnlichkeit mit einem Mitteldinge zwischen einem Kakadu und dem gelungensten Bühnenmephisto erhielt, daß ein in ernstester Arbeit begriffener Leichenbitter dadurch zum Lachen hätte gereizt werden können. Doch ob er einen guten oder einen weniger günstigen Eindruck bei der jungen Irländerin hervorrief, kümmerte den alten Burschen weniger, als der Dampf seiner Cigarre, welche bereits wieder begonnen hatte, seinen zusammengekniffenen Augen die bittersten Thränen zu entlocken. Er räusperte sich, und Feind aller überflüssigen Umschweife, wie er war, brachte er alsbald unser Anliegen in dem holperigsten Englisch vor, welches jemals die Pferde vor dem Wagen eines sanft lispelnden Kammerjunkers scheu machte.

»Ich habe die Ehre, Euch hier den Mr. Indigo, einen intimen, langjährigen Freund von mir vorzustellen,« hob er an, »einen Freund, welcher seine Reisekleider in Eurem Laden gegen andere, mehr für seine Lebensstellung passende umzutauschen wünscht.«

Mrs. O'Cullen erschrak und betrachtete ängstlich meinen Begleiter, wie ihn fragend, warum er selber, der schon seit einer Reihe von Jahren in Amerika ansässige Bürger, noch keine Gelegenheit gesucht habe, sich der Landessitte gemäß zu kleiden. Dann warf sie einen verstohlenen Blick auf mich, in welchem ich besorgnißvolle Theilnahme zu entdecken meinte, denn sie erröthete leicht, indem sie bemerkte:

»Möchtet Ihr Euch nicht an Mr. O'Cullen wenden? Er sieht es nicht gern, wenn ich in solchen Dingen ihm vorgreife.«

»Die Einkleidung ist es nicht allein, was uns hierher treibt,« versetzte Bechler gleichmüthig, »auch eine Anstellung oder sonstige Beschäftigung suche ich für meinen alten Freund. Ich hoffe, Ihr befindet Euch in der Lage, mir dergleichen – natürlich gegen die übliche Entschädigung – nachzuweisen.«

»Ich glaube – ich weiß es nicht – doch es käme auf einen Versuch an,« stotterte Mrs. O'Cullen mit einem Wesen, wie wenn eine geflüchtete Taube unter dem sie nothdürftig schützenden Dornenstrauch hervor ängstlich zu einem hoch über ihr schwebenden Stößer emporspäht.

Dann zog sie ein großes Buch vor sich hin, in welchem sie alsbald zu blättern begann. Aufmerksam und mit wohlwollender Neugierde überwachte ich ihre Bewegungen. Aber gerade das schien sie noch mehr zu verwirren, denn ich gewahrte deutlich, daß sie, wie um Zeit zu gewinnen, nicht nur den beschriebenen, sondern auch den unausgefüllten Theil des Buches vorwärts und rückwärts durchblätterte.

So verrannen mehrere Minuten, während welchen Bechler seine blinzelnden Augen mechanisch auf die knisternden Blätter gerichtet hielt. Plötzlich schob er seine Hand mitten in das Buch hinein.

»Hier auf der letzten Seite muß es stehen,« sprach er zuvorkommend, »da – richtig – plenty Namen, welche noch nicht durchstrichen wurden.«

»In der That,« erwiderte Mrs. O'Cullen bestürzt, und einen flehenden Blick nach dem Hintergrunde des Laderaumes hinübersendend, begann sie, die bezeichneten Namen abwärts zu lesen:

»Ein Kärrner gesucht; einen Dollar pro Tag und Beköstigung.«

Bechler blinzelte mich fragend an.

»Als Kind lernte ich etwas reiten; das ist Alles, was ich von Pferden verstehe,« antwortete ich befangen.

»Also nichts,« versetzte der unerbittliche Abenteurer.

»Portier in einem Barbierladen; zwanzig Dollars den Monat,« las Mrs. O'Cullen kaum verständlich.

»Keine Beschäftigung für einen Gelehrten,« entschied Bechler an meiner Statt.

»Gesucht ein junger Mann mit den entsprechenden Schulkenntnissen, um als Secretär bei einem Gerichtsbeamten einzutreten; fünfundzwanzig Dollars monatlich,« las die bebende Frau weiter.

»Das läßt sich hören,« wendete Bechler sich mir zu; »'s klingt zwar lächerlich, daß ein Kärrner mehr werth sein sollte, als ein Gelehrter, allein die Sache wäre zu erwägen –«

Hier unterbrach ihn das Geräusch, mit welchem im Hintergrunde des Ladens eine Thür geöffnet und wieder geschlossen wurde.

Mrs. O'Cullen erbleichte; ich hörte noch, daß sie tief aufseufzte, dann kehrte ich mich dem Besitzer des Geschäftes zu. Mit heiterem Gruß trat uns derselbe entgegen. Mich beachtete er kaum; meinem wunderlichen Gönner drückte er dagegen freundschaftlich die Hand, wobei er sich angelegentlich nach seinem Ergehen erkundigte. Dadurch gewann ich Zeit, ihn, von dem ich schon so viel gehört hatte, und auf dessen nähere Bekanntschaft ich so gespannt war, aufmerksamer zu betrachten.

Das Wort ›Kärrner‹ summte mir noch in den Ohren. Daher wohl auch, daß beim Anblick der kleinen gedrungenen Gestalt mit den breiten Schultern, in dem olivenfarbigen Rock, den in schwarzen Manchester gehüllten kurzen Beinen, deren eines im Kniegelenk eine unnatürliche Biegung nach innen zeigte, und den in lange Reitstiefel beherbergten großen Füßen ich wirklich einen in der besten Sonntagsgarderobe prangenden Fuhrmann zu sehen meinte. Seinem Anzuge aber und der groben Arbeitergestalt entsprach nicht minder das volle rothe Gesicht, in welchem sich neben einem charakteristischen Ausdruck von Rohheit, so viel kriechende Unterwürfigkeit ausprägte, wie nur je ein unter dem Schutze des heiligen Patrik zur Reife gediehener Sohn der grünen Insel in seiner Physiognomie vereinigte. Ein hoher Grad von Verschmitztheit funkelte dabei aus seinen vorquellenden wasserblauen Augen, wogegen das kurz geschorene, röthlich braune, tief über die Stirn gewachsene Haar wieder jenen eigenthümlichen äußeren Charakter stierartiger, einfältiger Verstocktheit erzeugte. Ein pechschwarzer, sorgfältig unter der Scheere gehaltener Bart zog sich von dem einen Ohr unter dem Kinn hindurch und dieses verhüllend, wie ein dichtes Filzgewebe nach dem andern hinüber. Die dicke Oberlippe und die mit zahlreichem flammendem Geäder geschmückten Wangen waren dagegen glatt rasirt und schimmerten im leichten Blau der Haarwurzeln. Seine Hände waren nicht minder die eines Kärrners und erinnerten, trotz der tadellos weißen Manschetten, an Schraubestock, Hebebaum und Theerbehälter.

»Was verschafft mir die Ehre?« fragte er vertraulich höflich, indem er nach einem wiederholten herzhaften Händedruck von Bechler fort und um den Ladentisch herum neben seine bessere Hälfte hintrat.

»Gute Waare und billige Preise suche ich,« versetzte Bechler seinerseits vertraulich herablassend, »zunächst wünsche ich eine auskömmliche Stellung und dann einen passenden Anzug aus zweiter Hand für meinen Freund hier. Ihr seid ein zu feiner Geschäftsmann, als daß ich ihn hätte mögen allein hierher gehen lassen.«

»Ein Verwandter von Euch?« fragte O'Cullen, das ihm gespendete Compliment überhörend.

»Nur ein Landsmann,« erläuterte Bechler, »und Indigo ist vorläufig noch sein Name. Mrs. O'Cullen war so gütig, uns eine Anstellung für ihn zu empfehlen, welche der Erwägung werth zu sein schien.«

Da ich selbst nicht mit in das Gespräch hineingezogen wurde, hinderte mich nichts, den mir eine unerklärliche Scheu einflößenden Irländer heimlich zu beobachten. Und so glaubte ich zu bemerken, daß, sobald mein Name genannt wurde, seine Augen heller aufleuchteten. Es war indessen nur ein Blitz; denn Bechler sprach noch, da hatte er mit der harmlosesten Miene die linke Hand auf den Oberarm seiner Frau gelegt, und denselben umspannend, neigte er sein Stierhaupt über das aufgeschlagene Buch hin.

»Meine theure kleine Milly,« sprach er zärtlich, indem er die neben dem Dintenfaß liegende Feder ergriff und schnell hinter einander alle noch freien Namen durchstrich, »da will das süße Herz mein Buchhalter sein und begeht einen Irrthum nach dem andern. Hat meine goldene Milly vergessen, daß alle hier verzeichneten Stellen längst besetzt wurden? Ei ei, was würden die Leute von der Gewissenhaftigkeit des alten O'Cullen gedacht haben, hätte er ihnen den jungen Gentleman um nichts und wieder nichts auf den Hals geschickt?«

Während er so sprach und seine Rede für einen besonnenen Geschäftsmann unnöthig ausdehnte, war aus den Wangen seiner Gattin der letzte Blutstropfen gewichen. Die Lippen krampfhaft zusammengepreßt, schaute sie vor sich auf das Buch, als hätte sie einen, durch die zärtlichen Vorwürfe des Irländers erzeugten namenlosen Schmerz niederzukämpfen gehabt. Eine Lösung dieses Räthsels erhielt ich, sobald O'Cullen die Feder zur Seite legte und sich wieder aufrichtete. Seine Hand ruhte noch immer auf dem Oberarm der zitternden Frau; seine Finger aber hatten sich mit eiserner Gewalt so tief in das durch dünnen Stoff geschützte arme, zuckende Fleisch hineingepreßt, daß nur noch die Gelenkknöchel, weiß gefärbt durch die Anstrengung, sichtbar blieben.

Bei dieser Entdeckung meinte ich, vor Jammer und Entrüstung davonstürzen zu müssen. Nur das Bewußtsein, denjenigen vor mir zu sehen, durch welchen allein ich mir Kunde über den Verfertiger der geheimnißvollen Fenstervorhänge zu verschaffen vermochte, hielt mich ab, eine Unvorsichtigkeit zu begehen. Bechlers Augen aber wurden gerade wieder zu sehr von seiner kohlenden Cigarre in Anspruch genommen, um etwas zu bemerken; außerdem besaß er, trotz der eigenen zahlreichen Mißerfolge, noch immer einen zu guten Glauben an die Menschheit, um, wenn seine Blicke wirklich auf den, Mrs. O'Cullens Arm umspannenden Schraubstock gefallen wären, solche unter der Maske inniger Zärtlichkeit ausgeführte Martern für möglich zu halten.

»Also keine Stelle offen,« meinte er nachdenklich, »das ist das erste Mal, daß ich mich vergeblich an Euch wende. Doch die Sache eilt nicht; vielleicht in den nächsten Tagen. Wie steht es dagegen mit einem Anzuge für meinen Freund Indigo? Ganz neu braucht er nicht zu sein.«

O'Cullen war von dem Pult zurückgetreten, und wie der mißhandelte Hund mit erhöhter Aufmerksamkeit des Winkes seines Herrn gewärtig, so hingen der armen Frau Augen an der brutalen Physiognomie des Irländers, um seine Befehle gewissermaßen aus derselben herauszulesen. Geistig und körperlich schien sie furchtbar zu leiden, und es kostete sie sichtbar große Mühe, ihre Thränen zurückzuhalten.

»Ihr besuchtet hohe Schulen, Mr. Indigo?« fragte O'Cullen, seinen dichten Bart bedächtig streichend.

Ich verneigte mich zustimmend. Mein Widerwille gegen ihn hinderte mich, zu sprechen.

»Meiner theuren kleinen Milly möchte ich das Leben herzlich gern erleichtern,« fuhr er nachdenklich fort, »sie wird zwar Einwendungen erheben und führt in der That die Bücher mit lobenswerthem Fleiße, allein kleine Irrthümer – Ihr selbst waret Zeuge – sind nicht zu vermeiden, und da trage ich mich mit dem Gedanken – wenn Ihr Neigung dazu hättet, in mein Geschäft einzutreten, zum Beispiel als Buchhalter und vielleicht probeweise, möchten wir wohl fertig mit einander werden. Zwanzig Dollars monatlich bei freier Wohnung und Kost wären ziemlich leicht verdient.«

Bei diesem unerwarteten Vorschlage wußte ich nicht, ob ich meinen Ohren trauen sollte. Anfänglich bebte ich davor zurück, mit dem mich anwidernden Menschen dieselbe Luft einzuathmen. Doch keiner Minute der Ueberlegung bedurfte es, und ich war entschlossen, diesen sichtbaren Wink des Schicksals – dafür hielt ich des Irländers Anerbieten – nicht außer Acht zu lassen.

Bevor ich indessen eine endgültige Entscheidung traf, kehrte ich mich Bechler zu, der nicht minder erstaunt, als ich selber zu sein schien.

»Haben Sie keine Gründe, mir abzurathen,« hob ich in deutscher Sprache an, als er mir auch schon durch zustimmendes Kopfnicken seine Ansichten zu verstehen gab.

»Beim heiligen Patrik!« rief O'Cullen mit einem Ausdruck aus, als sei ihm an meiner Person außerordentlich viel gelegen gewesen, was ich natürlich für erkünstelt hielt, »beim heiligen Patrik und der glorreichen Insel! Mit dem Henker müßte es zugehen, dauerte unsere Verbindung nicht länger, als vier Wochen; und ich bin der Mann dazu, das Gehalt zu erhöhen, sobald ich einsehe, daß Jemand meinen Vortheil im Auge behält!« Dann streckte er mir seine breite, schwielige Hand entgegen.

Zögernd und mit heimlichem Grauen legte ich meine Hand in den feuchten Schraubstock, welcher sich eben noch in das warme Fleisch der bebenden jungen Frau einkrallte. Ich meinte nicht anders, als daß ich meine Finger zermalmt zurückziehen würde.

»Und nun in's Kleidermagazin,« fuhr mein zukünftiger Brodherr nach dieser Besiegelung unseres Vertrages munter fort, indem er sich dem etwas befremdet dareinschauenden Bechler zukehrte, »und wenn unser junger Freund binnen zehn Minuten für ein Lumpengeld nicht als ein so feiner Gentleman aus meinen Händen hervorgeht, wie nur je einer die Tochter eines Lords um ihren Verstand brachte, mögt Ihr mich wie einen Mordbrenner hängen. Milly, meine Theure,« rief er im Davonschreiten der erschreckt zusammenfahrenden jungen Frau zu, »in besonders schwierigen Fällen habe die Güte, die Klingel zu ziehen!«

»Steht Ihr und Eure Frau dem Geschäft allein vor?« fragte Bechler, sobald wir aus dem Laden in einen düsteren feuchten Flur getreten waren.

»Ganz allein,« schmunzelte O'Cullen selbstzufrieden, »und ich fahre nicht schlecht dabei. Viel fremde Gesichter im Hause stören die Familienbehaglichkeit; sie lernen zu bald alle Winkel kennen, und eh' man sich dessen versieht, ist man bestohlen und betrogen. Zu den schwereren Hülfeleistungen bedarf ich freilich zuweilen fremder Hände, allein nie miethe ich denselben Mann zweimal – man darf Niemand trauen; sogar die eigene Frau, excellent, wie sie sein mag, erweist sich nicht immer als zuverlässig. Ich hätte überhaupt nie an's Heirathen gedacht, wäre unter dem Beistande der Heiligen mein Geschäft nicht ein so umfangreiches geworden. Dazu kam, daß ich gerade ein unschuldiges Ding fand, wie ich es nur gebrauchen konnte: Nicht Vater, noch Mutter, noch sonstiger Anhang; dabei gelehrt, wie 'n Parlamentsmitglied, nebenbei in Irland geboren und dabei vertraut mit der heimatlichen Küche. Was konnte ich Besseres thun? Und nie ist's mir leid geworden; die Milly ist 'ne gute Seele, welche das Meinige zusammenhält, und Widerspruch oder Unzufriedenheit liegen nicht in ihrer Natur.«

Wir waren in einen Raum getreten, in welchem nicht nur ähnliche Waarenballen, wie vorn im Laden, sondern auch Gegenstände geordnet und aufgestapelt lagen, die offenbar auf Auctionen erstanden und gleicher Weise für solche bestimmt waren. Durch die kleinen halbmondförmigen Oeffnungen in den eisernen Fensterladen fiel nur dürftiges Licht herein. Ich unterschied indessen Polstermöbel, Uhren und Bilder, ebenso farbige Gardinenstoffe, und zwischen diesen bemerkte ich ein Bündel dünner grünlicher Rollen, welche ich auf der Stelle als gemalte Fenstervorhänge erkannte. Bei dieser Entdeckung ergriff mich eine eigenthümliche Bangigkeit. Ich zitterte vor Verlangen, einen Blick auf dieselben zu werfen und zu erfahren, in wie weit meine Vermuthungen sich der Wahrheit näherten.

O'Cullen, einen sauber gebürsteten Cylinderhut auf seinem Stierkopf, ging uns einige Schritte voraus und näherte sich bereits der nach dem Kleidermagazin öffnenden Thür. Schnell entschlossen trat ich neben Bechler hin, und seine Hand heftig drückend, flüsterte ich ihm zu, indem ich auf die Rollen wies:

»Bevor ich hier einziehe, möchte ich Näheres über das Wesen des Mannes wissen. Fragen Sie ihn – es dient zu meiner Beruhigung – zu welchem Preise er zum Beispiel jene Rollgardinen verkauft.«

Bechler blieb stehen. Mein seltsames Anliegen deutete er als lobenswerthe Vorsicht, denn er nickte beifällig, worauf er den Irländer zurückrief.

»Da entdecke ich gemalte Fenstervorhänge,« fuhr er fort, und er schloß die Augen, als hätte er, um sie dem ätzenden Rauch zu entziehen, sie hinterrücks in seine Brust hinabstürzen wollen, »wären sie nicht zu theuer, möchte ich ein oder zwei von den Dingern mir zulegen zur Verschönerung meiner Wohnung.«

»Halb geschenkt sollt Ihr sie erhalten,« versetzte O'Cullen schnell, indem er die Rollen zwischen den anderen Waaren hervorzog und sie auf einen Tisch warf, »halb geschenkt, beim heiligen Patrik, um damit zu räumen und weil Ihr's seid. Kosten mich selbst mehr,« fuhr er lebhaft fort und schnurrend breitete er mehrere Vorhänge vor uns aus, »'s ist nämlich keine Fabrikarbeit, sondern Handmalerei und zehnmal so viel werth, wie ich dafür fordere. Zahlt vier Dollars für's Stück und sucht aus, was Euch am besten gefällt.«

»Zu theuer, viel zu theuer für meine Verhältnisse,« entgegnete Bechler, der ebenso wenig daran dachte, seine Villa durch Rouleaux zu verschönern, wie deren Umgebung durch eine Schiffsladung Guano zu verbessern.«

»Zu theuer?« schrie O'Cullen, sich mit der Faust vor die Brust schlagend und schnell stieß er eine Fensterlade auf, um das Tageslicht durch die Transparentbilder hindurch scheinen zu lassen, »bei meiner Seele und Ehrlichkeit, ich selber bezahlte sechs Dollars für's Stück, und gebt Ihr drei – zwei und einen halben, so seid Ihr im Besitz eines Gemäldes, wie sie nicht schöner in Barnums Museum eingerahmt hängen.«

»Schlecht ist die Arbeit eben nicht,« meinte Bechler, der von der Kunst gerade so viel verstand, wie nothwendig, um eine sehr gute Cigarre von einer sehr schlechten zu unterscheiden, »aber ich bleibe dabei, für meine Verhältnisse zu theuer. Fabrikarbeit leistet außerdem bei mir dieselben Dienste.«

»Bietet Fabrikarbeit etwa eine solche Augenweide?« fragte O'Cullen beinah ungeduldig, und sich mir zukehrend, ließ er einen Vorhang nach dem andern langsam vor dem Tageslicht vorübergleiten; »und sollte man für eine schöne Augenweide nicht ein Uebriges thun?«

Während dieser ganzen Verhandlung hatte ich vorsichtig das Wesen eines unbetheiligten Zuschauers beobachtet. Aber das Herz schnürte sich mir vor tiefem Weh zusammen, indem ich auf jedem einzelnen Vorhange leicht das bekannte Monogramm herausfand und zugleich lauschte, wie man um die mühevollen Erzeugnisse eines Talentes handelte und feilschte, welches wohl einen besseren, edleren Wirkungskreis verdient hätte, als sich in der allerniedrigsten Dekorationsmalerei zu üben. Wo weilte der Künstler, von welchem die duftigen, mit einem melancholischen Hauch umgebenen Landschaften angefertigt wurden, und in welcher Lage befand er sich? Am wenigsten in einer sorgenfreien; denn wie viel konnte der habgierige Irländer selber für eine Arbeit mehrerer Tage gezahlt haben, welche er zu einem verhältnißmäßig so sehr geringen Preise ausbot? Mit Freuden hätte ich den kleinen Vorrath für das in den nächsten Monaten zu erwartende Gehalt angekauft; allein die Klugheit gebot mir, strenge Gleichgültigkeit zu erheucheln, selbst meinem wunderlichen Gönner die Wahrheit nicht zu verrathen, wollte ich nicht Gefahr laufen, die kaum erwachten Hoffnungen alsbald wieder in ihrem Keim zu ersticken. Im Stillen aber gelobte ich mir, durch keine Widerwärtigkeiten mich abschrecken zu lassen, gewissenhaft einem Manne zu dienen, welchen ich zwar aus tiefster Seele haßte und verachtete, dagegen als das einzige nur denkbare Mittel zur Erreichung meines Zweckes betrachtete.

»Sehr saubere Arbeit,« antwortete ich endlich, nachdem der Irländer das letzte Bild wieder auf den Tisch geworfen hatte, »aus einer kunstgeübten Hand ist sie hervorgegangen und, wie mir scheint, nicht auf dieser Seite des Oceans.«

»Ein gesundes Urtheil, beim heiligen Patrik,« versetzte O'Cullen, und während ich noch sinnend auf den mit der leichten Waare bedeckten Tisch niederschaute, fühlte ich förmlich den mißtrauischen Blick, mit welchem er mich beobachtete; »doch warum sollten sie nicht hier angefertigt sein?« fügte er lauernd hinzu, denn er befürchtete offenbar, daß ich ihn nur ausfragen wolle, um das ohne Zweifel sehr einträgliche Nebengeschäft seinen Händen zu entwinden.

»Weil sie mich an Arbeiten erinnern, wie sie meines Wissens in Europa auf den Markt gebracht werden,« antwortete ich schnell gefaßt.

»Richtig, bei der ewigen Schöpfung, sehr richtig,« gab O'Cullen nunmehr sorglos zu, »im Grunde ist's Arbeit aus der alten Welt, denn 'ne Hand von drüben hat die Dinger angefertigt, und Geld gebe ich zu, um 'nem armen Teufel 'n Stück Brod zuzuwenden – einfältig genug von mir, allein Mitleid liegt in meiner Natur, und dagegen läßt sich nichts ausrichten.«

»Im Schaufenster würde die hübsche Malerei gewiß Käufer anlocken,« bemerkte ich, das Gespräch mechanisch weiter spinnend und ohne eine bestimmte Absicht.

O'Cullen sandte mir wiederum einen durchbohrenden, argwöhnischen Blick zu; dann rollte er die Vorhänge hastig wieder zusammen.

»Verdammt will ich sein, wenn sie dahin gehören!« brach seine Rohheit sich Bahn, der sicherste Beweis, daß wesentlichere Vortheile sich an diesen Nebenhandel knüpften, als einzuräumen er für rathsam hielt, »für Jedermann sind die Dinger nicht, sondern nur für meine Privatkunden. Warum also den Leuten 'ne Augenweide geben, welche – doch kommt, kommt Gentlemen,« und er eilte uns voraus dem Kleidermagazin zu, »meine Milly, das süße Herz, wird sonst ungeduldig, und zuverlässig und treu, wie sie sein mag, sitzen die Thränen ihr doch lose, wie der Regen im Aprilmonat.«

Bechler hatte nicht auf unser Gespräch geachtet. Zufrieden, seine philanthropischen Bemühungen von gutem Erfolge gekrönt zu sehen – denn als solcher galt ihm die lebhafte Unterredung zwischen dem Irländer und mir, vergnügte er sich damit, eine neue Cigarre in seine Wange zu schrauben und anzurauchen. Dann folgten wir unserem beständig vor sich hinsprechenden Führer durch mehrere dunkele Räume in das abgelegene Kleidermagazin nach.

Wenn auch nicht so glänzend, wie einst unter der Leitung des Mestizen, so ging ich nach kurzer Frist aus O'Cullens Ankleidezimmer äußerlich doch so zweckmäßig verwandelt hervor, daß ich die Blicke der mir Begegnenden nicht mehr zu scheuen brauchte. Außerdem aber gewährte mir einen gewissen Rückhalt das Bewußtsein, binnen wenigen Monaten die eingegangen Verbindlichkeiten durch meine Dienstleistungen gelöst zu haben.

Der Abend desselben Tages wurde als der Zeitpunkt meines Einzuges in des Irländers Behausung festgestellt. Die Stunden der Freiheit bis dahin waren mir doppelt willkommen. Ich bedurfte der Ruhe, um die jüngsten Erfahrungen in meinem Kopfe gleichsam zurecht zu legen; nicht minder aber wünschte ich, die Beziehungen zwischen meinem wunderlichen Freunde und mir zu befestigen, um nicht von ihm aus den Augen verloren zu werden. Denn vergeblich suchte ich mich zu überreden, daß es nicht dennoch meine mächtigen Verfolger gewesen, welche meine Aufnahme in dem Hause und Geschäft des unheimlichen Irländers bewirkten. Zu vielfach hatte ich Beweise erhalten, daß gerade unter den gewissenlosesten Individuen ihre Werkzeuge und Helfershelfer sich am häufigsten vertreten fanden.

Doch mochte dies sein; mochten ihre Zwecke und die meinigen immerhin eine kurze Strecke neben einander gehen, es war kein Knabe mehr, mit welchem sie, wie in früheren Zeiten, nach Willkür verfahren konnten.


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