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ZEHNTES CAPITEL. EIN IRLÄNDER VOR SEINENBEICHTVÄTERN.

Der folgende Morgen fand in O'Cullens Geschäft Alles wieder in gewohnter Ordnung und in gewohnter eintöniger Weise verstrich der Tag. Krankhaft sehnte ich indessen den Abend herbei, und kaum war der Laden geschlossen, als ich mich auf den Weg zu meinen deutschen Freunden begab. Anstatt einzutreten, kehrte ich vor der bekannten rothen Laterne um. Denselben Weg, welchen ich gekommen war, ging ich bis zu dem mit Stella verabredeten Punkte zurück. Eine lange Strecke war es; bei meinen gemäßigten Bewegungen gebrauchte ich beinahe eine halbe Stunde zu derselben; aber zweimal hin und zweimal her wanderte ich und scharf beobachtete ich jede weibliche Gestalt, welche mich in Größe und Haltung entfernt an Stella erinnerte, ohne auch nur das leiseste Zeichen von ihr zu entdecken. Die verabredete Stunde hatte ihr Ende erreicht und zum fünften Mal schritt ich durch die bestimmten Straßen, um noch ein Stündchen in Bechlers Gesellschaft zu verbringen, als plötzlich Stella neben mich hinglitt und zutraulich ihren Arm auf den meinigen legte.

»Wir mögen ungestört unseres Weges gehen,« sprach sie sorglos, bevor ich Zeit zum Gruß und zum Ausdruck meiner Ueberraschung gewann, »wer uns begegnet, hält uns für Geschwister oder junge Leute, welche von der Arbeit kommen und noch ein Weilchen im Freien sich ergehen möchten – ehrbar genug sehen wir wenigstens aus.«

Verstohlen betrachtete ich Stella von der Seite. Zu meinem neuen Erstaunen prunkte sie nicht in der glänzenden Hülle der Tochter eines reichen Hauses, wie ich sie bisher stets gesehen hatte, sondern in der einfacheren, wenn auch zierlichen des mit bescheidenen Ansprüchen auftretenden Mittelstandes. Eine darauf hindeutende Bemerkung schwebte mir auf den Lippen, als Stella wieder das Wort nahm.

»Mit Mühe gelang es mir, die Augen zu täuschen, welche mich bewachen,« hob sie an, »ich fürchtete fast, Sie nicht mehr zu treffen; nun aber haben wir keine Eile, was mir um so willkommener, weil ich dadurch Gelegenheit finde, über Manches zu sprechen, was Ihnen Anlaß geben könnte, mich ungünstig zu beurtheilen. Muß es Sie doch befremden, eine Ihnen fern stehende Dame mit soviel Ausdauer, sogar mit scheinbarer Zudringlichkeit in Ihr Geschick eingreifen zu sehen.«

»Ich glaube, bereits früher in Ihren gütigen Worten eine entsprechende Erklärung empfangen zu haben,« antwortete ich mit schwer erkämpfter Ruhe, denn in dem Ausdruck, mit welchem Stella zu mir sprach, offenbarte sich eine beinah verletzende geschäftsmäßige Kälte.

»Daß ich ein an Ihnen begangenes Unrecht zu sühnen wünschte? O, das geschah bereits, als ich Ihre Befreiung erwirkte,« hieß es fortgesetzt sorglos zurück; »Sie werden daher nicht bezweifeln, daß andere, tiefer liegende Gründe, Gründe von den weittragendsten Folgen mich nur dazu bewegen konnten, die mir selbst schuldigen Rücksichten so weit aus den Augen zu setzen, wie ich es bisher gethan habe und fernerhin thun werde. Selbst mein Hineinschmiegen in die verschiedensten Rollen, dies bis zu einem gewissen Grade unweibliche Auftreten hat seine volle Berechtigung, ist bedingt durch Erfahrungen, welche Manche an meiner Stelle längst zermalmt hätten. In mir konnten sie freilich nur einen Willen erwecken, in dessen Ausführung die mildesten Regungen zur gleichgültigsten Nebensache wurden. Nun,« und sie lachte bitter, sogar feindselig, »vielleicht erfahren Sie gelegentlich mehr – und ich wünsche es, obwohl ich die Kraft nicht besitze, Ihnen selbst Alles zu offenbaren – dann aber sind Sie der Letzte, – ich weiß es – welcher mir trotz der – unweiblichen Züge in meinem Charakter, seine Achtung versagt.«

»Stella, hören Sie meine Warnung,« versetzte ich leidenschaftlicher, sobald sie eine Pause machte, denn der gepreßte Klang ihrer Stimme ließ mich einen heftigen Ausbruch ihrer Empfindungen befürchten, »Ihre Gedanken schweifen in eine Richtung, welche trübend auf Ihre Gemüthsstimmung einwirken muß; lassen Sie ab, ich beschwöre Sie. Um Ihr Vertrauen zu bitten, wagte ich nie, und ich möchte es nicht gewinnen um den Preis, Ihnen dadurch eine traurige Stunde, schmerzliche Erregungen zu bereiten.«

Wiederum das unheimliche Lachen, welches ebensowohl einen unauslöschlichen Haß, wie ein mit seltener Kraft getragenes Seelenleiden verrieth.

»Nein, Sie haben nicht darum gebeten,« erwiderte sie ruhiger, »ebenso wenig fühle ich mich berufen, Ihnen im vollsten Maße ein solches zuzuwenden, obwohl unsere beiderseitigen Geschicke eng, sehr eng in einander greifen. Nur so viel: Ihre Person umgiebt ein Geheimniß, welches sorgfältig, eifersüchtig zu hüten, Sie Ihre bestimmte Veranlassung haben. Aehnlich ist es mit mir; ich zittere, daß einzelne mich betreffende Räthsel vor der Zeit gelöst werden könnten. Liegt es indessen erst in Ihrer Macht, einen unwiderstehlichen Druck auf Ihre jetzigen Feinde auszuüben – und die Zeit wird kommen, ich weiß es – wohlan, dann mag mein Geschick sich erfüllen; ungünstiger kann es sich nicht gestalten, als es bisher gewesen – bis dahin aber, bis zu der Stunde, in welcher der in Ihren Augen gegen mich zeugende Schein fällt – ja, bis dahin müssen wir Hand in Hand gehen, müssen alle Rücksichten schweigen, welche uns einander entfremden könnten. Sie besuchten jene verrufene Stätte, die Goldene Harpune?«

»Ich war dort,« antwortete ich, erschreckt durch den plötzlichen Wechsel von der starren, schmerzlichen Entschlossenheit zu der gleichsam lächelnden Ruhe in ihrem Wesen.

»Und erstaunten, daß ich einen solchen Ort, wenn auch nur dem Namen nach kenne?«

»Die Erklärung dafür wurde mir in der Goldenen Harpune selbst.«

»Sie erkannten Ihren Freund aus dem Irrenhause?«

»Tenuga.«

»Er hatte sich auf meine Benachrichtigung dorthin begeben. Ein glücklicher Gedanke; denn ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre es unmöglich gewesen, die Stunde der Zusammenkunft in Erfahrung zu bringen.«

»Sahen Sie ihn seitdem?« fragte ich gespannt.

»Ich erfuhr wenigstens die näheren Umstände, von welchen sein Besuch in jener Höhle des Verbrechens begleitet war.«

»Er trat für ein armes Mädchen auf, welches ein böses Verhängniß dorthin führte.«

»Er that seine Pflicht, wie Sie die Ihrige.«

»In meinem Eifer, das arme Kind aus der Gewalt eines dieser zügellosen Menschen zu befreien,« versetzte ich klopfenden Herzens, »fürchte ich, eine That vollbracht zu haben, welche –«

»Beruhigen Sie sich,« fiel Stella sorglos ein, »Sie haben den Elenden wohl unschädlich gemacht, wie ich vernahm, allein ernstere Folgen erwachsen daraus nicht. Sie sehen, wie gerechtfertigt es war, Sie zur Vorsicht zu mahnen.«

Indem wir in eine andere Straße einbogen, bemerkte ich über die nächsten Häuser fort einen Kirchthurm. Trotz des nächtlichen Dunkels erkannte ich ihn wieder und erschrocken hemmte ich meine Bewegung.

»Dort – dort hinein soll ich Sie begleiten?« fragte ich, und vor meiner Seele erstanden jene Scenen, welche darauf berechnet waren, mich an meinem eigenen gesunden Denkvermögen zweifeln zu machen, gewissermaßen dem Wahnsinn einen Weg zu bahnen.

»Thun Sie Alles, nur bleiben Sie nicht stehen,« ermahnte Stella ungeduldig, »die Aufmerksamkeit der uns Begegnenden auf uns zu lenken, ist das erste Mittel, ein Fehlschlagen Ihrer – meiner Hoffnungen herbeizuführen. Ja – es ist dieselbe Kirche, in welcher Sie jene verworrenen Melodien erzeugten, welche dennoch so eigenthümlich waren zum Herzen drangen. Heute würden Sie schwerlich auch nur annähernd so spielen, es sei denn, man setzte durch gewürzten Wein Ihr Blut zuvor in Feuer, Ihr Gehirn aber in Flammen durch« – sie schwieg, ich meinte ihre Zähne auf einander knirschen zu hören, dann fuhr sie gedämpft und mit unverkennbar höhnischem Ausdruck fort: »Doch heute sind Sie ein Anderer; ärmliche Reize, welche den im Dunkel erzogenen Convictsschüler blendeten, verlieren dem im Mißgeschick erstarkten Manne gegenüber ihre Wirkungskraft –«

»Stella,« hob ich erschüttert an, »noch heute –«

»Sparen Sie Ihre Worte,« hieß es spöttisch zurück, »und erwägen Sie, daß mir die entsprechenden Gründe und damit auch die Neigung fehlen dürften, die Wirkungen meiner ärmlichen zufälligen Reize an Ihnen zu versuchen – doch Sie sehen dort vor der Laterne die Mündung einer dunkeln Sackgasse. In diese biegen wir ein, um unbemerkt in das Ihnen bekannte Haus zu gelangen – ein Jesuitenstift, wenn Sie es noch nicht erriethen, oder vielmehr die stattlichen Wohnräume der zu dem eigentlichen Stift gehörenden ehrwürdigen Herren. Sind Sie bereit, sich meiner Führung zu überlassen, oder überwiegt Ihr Mißtrauen –«

»Kein Mißtrauen mehr kenne ich Ihnen gegenüber,« fiel ich überzeugend ein, »wohin Sie mich führen mögen, ich folge ohne Bedenken.«

»In das Haus hinein und ebenso hinaus geleite ich Sie auf sicherem Wege,« versetzte Stella gleichmüthig; »wenn übrigens Diejenigen, welche Ihnen nachstellen, ernstlich daran dächten, sich Ihrer wieder zu bemächtigen, bedürften sie am wenigsten meiner Hülfe; selbst O'Cullen gehört zu ihren feilen Werkzeugen, und darin liegt Alles. Man hat offenbar seine bestimmten Gründe, geheimnißvoll, wie sie sein mögen, Ihnen noch eine Weile Freiheit des Denkens und des Handelns zu gönnen; an Ihnen aber und an uns, oder vielmehr an mir ist es, diese Frist so auszunutzen, daß wir unantastbar für sie werden. Doch hier sind wir,« und ohne Zögern, als ob wir daselbst zu Hause gehörten, bogen wir in das dunkle Gäßchen ein; »binnen wenigen Minuten stehen wir auf einem für uns Beide gefährlichen Boden, und ist daher die größte Vorsicht geboten. Ein unberechnetes Wort, eine falsche Bewegung, und wir sind verrathen. Ich selbst kenne jeden Winkel der Räume, in welche wir uns begeben; Sie hingegen vermeiden die drohende Gefahr nur durch pünktliches Befolgen meiner Rathschläge und Winke.«

Wir blieben stehen. Der Schein der Straßenlaterne erreichte uns nicht mehr und dennoch offenbarten sich in Stella's Bewegungen neue Besorgnisse. Auf unserer rechten Seite lief eine hohe Mauer hin. Dieser näherten wir uns, und nachdem Stella ein versteckt liegendes Pförtchen aufgeschlossen hatte, traten wir in den Raum ein, welchen ich als den Vorhof der erwähnten Kirche wiedererkannte. Behutsam und kaum vernehmbar schloß Stella hinter uns ab, dann ergriff sie meine Hand.

»Was Sie auch sehen und erfahren mögen,« hauchte sie, indem wir uns dicht an der Mauer hinbewegten, »beherrschen Sie Ihre Empfindungen, vor allen Dingen richten Sie keine Fragen an mich; sogar auf sicherer Stätte würde ich Ihnen keinen Aufschluß ertheilen.«

Die Antwort legte ich in den leidenschaftlichen Druck meiner Hand, und ein Schatten hätte nicht geräuschloser einherschweben können, als wir auf unserem Wege nach dem Seitenflügel des vor uns in düsteren Massen sich erhebenden Gebäudes.

Durch ein Pförtchen, zu welchem Stella ebenfalls den Schlüssel besaß, gelangten wir in das stille, gleichsam Unheil brütende Haus hinein. Wie auf der Außenseite kein erleuchtetes Fenster die Einförmigkeit der schwarzen Mauern unterbrach, lag auch im Innern der sich vor uns öffnende Weg in undurchdringlicher Finsterniß. Unsere Umgebung schien verödet und ausgestorben zu sein. Ein Weilchen blieben wir lauschend stehen, dann vertieften wir uns in ein solches Labyrinth von Gängen, daß mir die sichere Entschiedenheit meiner Führerin geradezu unerklärlich erschien. Bald nach rechts, bald nach links bogen wir ab; bald Treppen hinauf, bald einige Stufen hinunter ging es. Nur einmal glitten wir an mehreren Fenstern vorüber, durch welche die matte Beleuchtung der Sternennacht zu uns hereindrang. Nach wenigen Schritten umgab uns wieder schwarze Finsterniß. Mehrere Gemächer durchschlichen wir noch, dann verkündete ein Druck von Stella's Hand mir, daß wir am Ziele seien. Tief athmete ich auf und gespannt harrte ich der Lösung des Räthsels, in welches ich mich blindlings gestürzt hatte. Ich unterschied das summende Geräusch von Stimmen, welche bald einzeln, bald, wie im ernsten Meinungsaustausch, zugleich sprachen.

Stella lauschte.

»Sie sind früher zusammengetreten, als ich vermuthete,« flüsterte sie und ihre Lippen meinem Ohr nähernd, daß ich deren Wärme fühlte, »noch einmal warne ich Sie: Eine unvorsichtige Bewegung und wir sind rettungslos verloren.«

Sobald sie geendigt, zog sie mich, zwei rechte Winkel beschreibend, behutsam an drei Wänden hin. Als wir nach meiner Berechnung die ungefähre Mitte der dritten erreichten, hinter welcher hervor die Stimmen nunmehr verständlicher zu uns drangen, hielt sie an und wiederum ruhten ihre Lippen vor meinem Ohr.

»Bemerken Sie vor sich auf der Wand den hellen Punkt?« vermischte es sich mit ihrem warmen Athem.

Die zustimmende Antwort gab ich durch den Druck, mit welchem ich ihre zarte Hand umspannte.

»Gut,« flüsterte sie, ihr Haupt zutraulich auf meiner Schulter rastend, »Sie befinden sich auf einer Stätte, auf welcher man gewohnt ist, Besucher wie Hausgenossen zu beobachten und streng zu überwachen. Die Wände haben Augen und Ohren. Sie wissen jetzt Alles. Spähen Sie durch jenen hellen Punkt; was Sie erblicken werden, weiß ich nicht; beherrschen Sie aber Ihre Empfindungen und vermeiden Sie es, die Wand zu berühren; ein unvorsichtiger Druck, und keine Macht der Erde vermöchte einer Entdeckung vorzubeugen.«

Wiederum preßte ich die mir willig gelassene Hand; dann that ich, wie mir geheißen war.

Leicht überzeugte ich mich, daß der helle Punkt von dicht neben einander gefügten feinen Nadelstichen herrührte. Indem ich aber das Auge der kleinen, siebartigen Fläche näherte, verschwammen die winzigen Löcher ineinander, so daß ich den hinter ihnen liegenden erhellten Raum, wie durch einen Florschleier hindurch, zu übersehen vermochte. Nur die auf weitmaschige Leinwand geklebte Tapete schied mich von demselben und schloß zugleich eine etwa vier Quadratfuß haltende Mauernische ab. Durch einen beweglichen Holzrahmen wurden Leinwand und Papier straff gehalten. Ein Glasthürchen begrenzte auf der anderen Seite die Nische. Dasselbe stand zwei Finger breit offen, hinderte also nicht, daß die in dem Nebenzimmer gesprochenen Worte mich deutlich erreichten; das Verstehen aber wurde dadurch gefördert, daß die betreffenden Persönlichkeiten sich in meinem Gesichtskreise befanden. Sie saßen so vor einem runden Tische, daß ich manche zu gedämpft verhallende Worte aus den Bewegungen ihrer Lippen herauszulesen vermochte.

Obwohl auf das Wunderbarste vorbereitet, überraschte es mich, zunächst die Physiognomien Grubs und Cringes zu erblicken. Bei ihnen befand sich ein Genosse, welchen früher gesehen zu haben ich mich nicht entsann, aber gleich ihnen in die Ordenstracht der Jesuiten gekleidet. Er schien eine gewisse Gewalt über sie auszuüben.

Verschieden, wie die drei geistlichen Herren sonst in ihrem Aeußeren von einander waren, trugen sie doch den gleichen Ausdruck unerschütterlichen, feierlichen Ernstes zur Schau. Am wenigsten hätte man ihnen zugetraut, daß sie es verstanden, ein ausgesucht üppiges Mahl mit sprudelndem Witz und den allerweltlichsten Anspielungen geistreich zu würzen, wie ich es an dem vermeintlichen Pflanzer Grub und seinem Freunde Cringe in weitester Ausdehnung kennen gelernt hatte.

Die Ursache ihrer feierlichen Haltung entdeckte ich zuletzt. Es war kein Anderer, als der offenbar vor wenigen Minuten erst eingetroffene Irländer O'Cullen. Derselbe stand seitwärts von dem Tische, mit verschmitzter Unterwürfigkeit seinen Hut zwischen den großen Kärrnerfäusten drehend.

Auf dem Tische lag ein wenig umfangreicher blauer Gegenstand, in welchem ich nach schärferem Hinüberspähen zu meinem namenlosen Erstaunen das für verloren gehaltene Skizzenbuch erkannte. Neben demselben lagen zwei zusammengerollte Fenstervorhänge, welche, nach den daran befestigten Schnüren zu schließen, bereits eine Weile gedient hatten. Es waltete also kein Zweifel: Die Uebereinstimmung des Monogramms unter den Skizzen mit dem räthselhaften Zeichen auf den Vorhängen war meinen Verfolgern kein Geheimniß mehr. Meine Spannung wurde durch diesen Umstand bis auf den höchsten Gipfel gesteigert. Ich wagte kaum zu athmen. Sogar der Gedanke an die mich umringenden Gefahren trat zurück vor dem Verlangen, den Zweck zu erlauschen, zu welchem man den

»Jedenfalls habt Ihr an uns Kunden gehabt, welche Euch manchen Dollar zuwendeten,« bemerkte Cringe, indem er sich dem Irländer zukehrte.

»Euer Ehrwürden und Gnaden, die Heiligen mögen Euch dafür mit ihrem besten Segen überschütten,« versetzte O'Cullen, sich bekreuzigend und demnächst die Hand andächtig auf's Herz legend, »ich bin gewiß ein so treuer Katholik, wie je einer zerknirscht die Messe hörte, und wenn es mit Hülfe des heiligen Patrik mir gelang, mich etwas aus dem Staube emporzuarbeiten, so haben die mir zugewendeten Dollars doch am wenigsten dazu beigetragen; denn was will das sagen, wenn ich selber sieben Dollars für jeden einzelnen Vorhang zahle und deren achte dafür zurückerhalte?«

»Sollte der Verfertiger wirklich einen so hohen Preis von Euch bezogen haben?« fragte Grub, den Irländer scharf ansehend.

»Bei meiner Ehre und Seligkeit,« betheuerte dieser inbrünstig, »sieben Dollars, die heilige Mutter Gottes ist mein Zeuge! Ich hätte meine Finger wohl davon gelassen, wäret Ihr nicht gewesen; denn wer, außer Euch, verschwendet gern so viel Geld für 'ne schöne Augenweide!«

»'s läßt sich nicht leugnen, es ist etwas mehr, als Fabrikarbeit,« mischte der fremde Pater sich in das Gespräch, »rechnet Ihr aber die ganze Zahl der von Euch entnommenen Vorhänge, so beläuft der Gewinn sich doch immer auf ein erhebliches Sümmchen, und wir sind ja noch nicht fertig; zwei oder drei Dutzend könnte ich noch für ein Haus in Philadelphia gebrauchen, wenn Ihr sie zur Hand hättet.«

»Die allerheiligste unbefleckte Jungfrau segne Euer Ehrwürden und Gnaden,« versetzte O'Cullen, »allein nicht 'n halbes Dutzend habe ich im Hause – vier oder fünf Stück, das ist Alles; aber um Euch gefällig zu sein, unterziehe ich mich gern der Mühe, 'nen neuen Vorrath herbeizuschaffen, und verdiente ich nicht 'nen Cent bei dem Geschäft.«

»Das thut, guter Freund,« führte Cringe auf einen Wink des fremden Paters die Verhandlung weiter, »der Verfertiger der Vorhänge muß übrigens eine Art Künstler sein. Vielleicht finden wir durch Euch Gelegenheit, den merkwürdigen Menschen näher kennen zu lernen?«

»Es lohnt sich nicht, ehrwürdiger Herr,« erwiderte O'Cullen, der für die drei geistlichen Herren etwas zu listig war, »ein alter einfältiger Gentleman, welcher nicht einmal hier in der Stadt lebt.«

»Ihr weigert Euch, meinen Wunsch zu erfüllen?« fragte Cringe streng.

»Euer Hochwürden und Gnaden erblicken in mir einen ebenso ehrlichen, wie guten Geschäftsmann, welcher sich des besonderen Schutzes des heiligen Patrik erfreut,« versetzte O'Cullen unterwürfig, »und als solcher bin ich klug genug, die Wege nicht zu verrathen, auf welchen ich mühsam mein tägliches Brod erwerbe; nein, ich würde dadurch mir selber Concurrenten auf den Hals ziehen.«

»Ihr sprecht zu Euerm Beichtvater,« bemerkte Cringe feierlich.

»Bewahre mich die gebenedeite Jungfrau, daß ich das jemals vergesse,« erwiderte O'Cullen, inbrünstig ein Kreuz schlagend, »da ich aber mit meinem Handel keine Sünde begehe, brauche ich auch nicht in der Beichte Absolution dafür nachzusuchen.«

»Vollkommen richtig, mein Sohn,« bestätigte der fremde Pater, sich scheinbar auf des schlauen Irländers Seite stellend, und Grub und Cringe nickten beistimmend,»das Irdische muß stets sorgfältig vom Heiligen und Himmlischen getrennt werden, nur dann ist es möglich, nach beiden Richtungen hin tadellos zu wirken. So kann auch nie in unserer Absicht liegen, Euern irdischen Gewinn zu schmälern; im Gegentheil, ich bin sogar bereit, eine kurze Zusammenkunft mit dem Verfertiger der Vorhänge mit einer runden Summe zu bezahlen.«

O'Cullen rieb sich hinter den Ohren, dann antwortete er zögernd und mit einem so einfältigen Gesicht, als hätte er eine irländische Kartoffel nicht von einer reifen Banane zu unterscheiden vermocht:

»Wenn ich nur wüßte, was Euer Ehrwürden und Gnaden von dem Menschen wollen.«

»Danach zu fragen, habt Ihr ein heiliges Recht,« hieß es billigend zurück, »ich dagegen sehe mich nicht veranlaßt, einem getreuen Katholiken die Wahrheit vorzuenthalten. Jener Mensch besitzt nämlich eine zu große Kunstfertigkeit, als daß er länger im Verborgenen schaffen dürfte. Wir möchten daher versuchen, ihm auf die eine oder die andere Art emporzuhelfen.«

»Damit er ein Gentleman würde, Euer Ehrwürden und Gnaden, und ich zum letzten Male Geschäfte mit ihm gemacht hätte?« wendete O'Cullen mit listiger Berechnung ein; »nein, nein, Jeder ist sich selbst der Nächste, und für 'nen verfluchten Ketzer und für 'nen deutschen Ketzer obenein lebt der Mann gut genug, und Hülfe braucht er überhaupt nicht, so lange ich ihn über Wasser halte – und dann, Eurer Ehrwürden und Gnaden, seit Jahren kennt Ihr seine Arbeiten, und alle Eure Häuser versorgte er mit seinen Vorhängen, warum fiel's Euch nicht früher ein, ihn in Euren Schutz zu nehmen?«

Cringe biß sich auf die Lippen. Er begriff, daß sie die Verschlagenheit des Irländers unterschätzt und in Folge dessen zu Mitteln gegriffen hatten, welche sich schließlich als zu plump auswiesen und daher ihn in seiner Hartnäckigkeit bestärkten.

»Es giebt Dinge, welche Euch nicht ganz verständlich sind,« sprach er nach kurzem Sinnen, O'Cullen die Hand reichend, welche dieser unterwürfig küßte; »im Uebrigen trifft Euch kein Tadel, zumal es gerade ein Ketzer, von welchem Ihr Euren gewiß recht erheblichen Gewinn zieht. Die Kirche und in's Besondere Eure Beichtväter haben allen Grund mit Euch zufrieden zu sein, und wohl dürfte es sich ereignen, daß eines guten Tages bei einer Seelenmesse Eurer gedacht würde, was gleichbedeutend mit dem Erlaß einer beträchtlichen Anzahl von Jahrhunderten im Fegefeuer. Aber auch schon in diesem Leben empfinden wir die segensreiche Wirkung des Bewußtseins der Freisprechung von unseren Sünden; denn es erleichtert das Herz, fördert das Emporblühen des Geschäftes und erweitert die Grenze, bis zu welcher man den Gewinn berechnen darf. Nun aber, nachdem ich solches vorausschickte, sagt mir offen, was meint Ihr, wenn Ihr dazu beitrüget, jenen geheimnißvollen Künstler in den Schooß der allein seligmachenden Kirche zu führen, daß er zum Beispiel nur noch Altarbilder, für Euch selber vielleicht gar Euren Schutzpatron malte? Manch' irdischer Vortheil würde Euch dadurch zufließen, ein erhöhter Lohn im Himmel Euch erwarten.«

O'Cullen, von angeborener knechtischer Unterwürfigkeit gegen das geistliche Gewand erfüllt, drehte eifrig seinen Hut. Ganz ohne Wirkung blieben die an ihn gerichteten Worte nicht, allein was Cringe von ihnen hoffte, traf nicht ein. O'Cullen war eben ein zu geriebener Gauner, als daß es leicht gewesen wäre, irgend welche Erklärungen seinem Seelenzustande mit durchschlagendem Erfolg anzupassen. Er bekreuzigte sich, beichtete, wand sich im Staube, verarbeitete den Rosenkranz und huldigte seinem Schutzheiligen mit ähnlichen Empfindungen, mit welchen er sich nach des Tages Last der Stiefel entledigte, um die Füße in bequemeres Schuhzeug zu kleiden. Außerdem galten handgreifliche irdische Vortheile ihm im Grunde mehr, als die unbestimmte Aussicht auf den Erlaß einiger Jahrtausende im Fegefeuer. Wenn er aber mit solchen Begriffen sich zufrieden und, nach gelegentlicher Abzahlung des üblichen religiösen Tributes, vollkommen beruhigt um seine Zukunft fühlte, so war er dazu berechtigt. Zu oft war er von denjenigen, welche er als einzige Autorität betrachtete, ein guter, getreuer Sohn der Kirche genannt worden. Ich dagegen, der ich aus dem Mienenspiel Aller herauszulesen suchte, was auszusprechen man sich scheute, empfing den Eindruck, als ob für sie die Sprache nur den einzigen Zweck gehabt hätte, ihre wahren Gedanken zu verbergen.

Nach manchen Vorstellungen von Seiten der drei geistlichen Herren, entzog der listige Irländer sich endlich dadurch allen ferneren Verlegenheiten, daß er sich bereit erklärte, den an ihn gestellten Forderungen zu genügen. Hieran aber fügte er die heilige Betheuerung, als streng katholischer Christ und ebenso reeller Geschäftsmann keinen derartigen Schritt thun zu können, ohne vorher den bewußten Künstler um seinen Rath und Willen befragt zu haben.

Auch für diesen schlau gewählten Ausweg erhielt er das wärmste Lob, worauf man das Gespräch, wie zufällig, auf mich und meine Lebensweise überlenkte. Sogar meines Kunstsinnes wurde gedacht, und sichtbar überraschte es die frommen Väter, als O'Cullen mir denselben gänzlich absprach, sich darauf berufend, daß ich die prachtvollen Landschaften kaum angesehen habe. Dann entließen sie ihn mit der Weisung, fernerhin ihnen treu zu dienen, namentlich aber den von mir gewählten Verkehr sorgfältig zu überwachen.

Das also war die Freiheit, deren ich mich seit meiner Flucht aus dem Irrenhause zu erfreuen meinte!

Auf ein Zeichen mit der auf dem Tische stehenden Glocke erschien Pumpkin, der Mestize, mit demüthiger Vertraulichkeit nach den Wünschen seiner Gebieter fragend.

»Führe unsern Freund O'Cullen auf die Straße hinaus,« befahl Cringe, »dann harre unten weiterer Anordnungen.«

Ein letztes herablassendes Nicken dem Scheidenden, welcher im Vorbeigehen ehrfurchtsvoll die Aermel der geistlichen Herren küßte und dabei wie Jemand grinste, der glaubt ein gutes Geschäft gemacht zu haben; eine außerhalb meines Gesichtskreises liegende Thüre ging, und gedämpft verhallten in der Ferne die schweren Schritte des verschlagenen Irländers.


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