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FÜNFTES CAPITEL. DER GESCHÄFTSVERTRETER.

Wenn O'Cullen selber das Regiment in seinem Laden geführt hätte, so wären die Geschäfte nicht leichter und glatter zu einem guten Ende gekommen, als da Wigham sich in demselben auf- und abrollte, bald diesem, bald jenem Kunden zur Hand ging, gelegentlich Milly's Rath einholte, dann wieder einen gewaltig weise prüfenden Blick in die Kassenbücher warf, kurz, wo nur immer möglich, sich nach besten Kräften nützlich zu machen suchte. Er zeigte sich überhaupt nicht nur als einen geborenen Geschäftsmann, sondern auch als ein so ausgiebiges ›Spinnrad‹, wie nur je ein phantasiereicher Theer für ein gut gesponnenes Garn von den Maats mit freiem Tabak versorgt wurde. Wo man feilschte und handelte, da war er sogleich bereit, durch die Schilderung irgend eines Erlebnisses die Billigkeit der gewünschten Waare zu beweisen, so daß schließlich die Kunden für seine launigen Mittheilungen gern Das zahlten, was sie an dem Preise für die Waare selber abzudingen hofften. Auf die Genauigkeit seiner Berichte kam es dabei weniger an; wenn sie nur gehörig fesselten und ihn selber als einen so biederen, allen Stürmen heiter und gelassen begegnenden Seegentleman kennzeichneten, wie das Schicksal schwerlich jemals einen zweiten zu seinem Lieblingsreitpferde erkor. So hatte ihm bald eine Vollkugel beide Beine fortgerissen, bald verdankte er den Mangel derselben wieder der Laune eines wenig gastfreien Haifisches, und einmal sogar beschwor er unter Anrufung einer der Gelegenheit entsprechenden Anzahl von Heiligen, auf den Freundschaftsinseln von einigen Dutzend uncivilisirten Kannibalen bei gesundem Körper ziemlich kunstgerecht amputirt und zu seinen eigenen gerösteten Gliedern zu Gaste geladen worden zu sein. Der heilige Patrik war sein Zeuge, daß er heutigen Tages den Geschmack von Menschenfleisch noch nicht überwinden konnte und die gefällige Milly sich daher bereit zeigen mußte, zur Beseitigung eines leichten Uebelbefindens schleunigst einen steifen Grog zu mischen.

So verging der erste Tag, ohne daß Mrs. O'Cullen auch nur einmal Ursache gehabt hätte, mit dem zuverlässigen Vertreter ihres Gemahls unzufrieden zu sein. Im Gegentheil, wäre sie nicht so entsetzlich theilnahmlos gewesen, sie hätte wünschen müssen, ihren alten Peiniger nie wiederzusehen und dafür bis an's Ende ihrer Tage friedlich mit dem gut gelaunten Spinnrad zu wirthschaften. Selbst in der Art, in welcher Wigham des Abends nach Schließung des Geschäfts die Klimperorgel drehte und den unermüdlich tanzenden Paaren, statt der fehlenden Köpfe, brennende Wachskerzen auf die Schultern klebte, lag, trotz der gelegentlichen derben Seemannsbetheuerungen, so viel kindlich harmlose Schalkhaftigkeit, daß jedes andere Gemüth, als das der in sich versunkenen Milly dadurch zur wildesten Ausgelassenheit gereizt worden wäre. Doch Wigham, anstatt solche Theilnahmlosigkeit übel zu vermerken, trug den waltenden Verhältnissen Rechnung, zumal Mrs. O'Cullen, wie ihr der abwesende Gatte streng auf die Seele gebunden hatte, dessen gewissenhaften Vertreter und Busenfreund so aufmerksam pflegte, als wäre er wirklich ein eben erst aus der Eierschale gekrochenes Küchlein gewesen.

Wie der erste Tag, so verstrichen auch die nächstfolgenden. Das Geschäft war längst geschlossen, stiller war es in den Straßen geworden. Das Spinnrad wurde indessen dadurch nicht gehindert, noch ein Weilchen das Drehpiano zu martern und der zwischen ihm und Milly auf dem Tische stehenden Whiskyflasche abwechselnd einmal für sich und das andere Mal für den abwesenden Freund liebevoll zuzusprechen. Milly hatte bereits die beiden Pfühle neben ihn hingelegt und war im Begriff, sich in ihre Kammer zurückzuziehen, als von der Straße aus mit Heftigkeit an der Hausglocke gerissen wurde. Milly erschrak und blickte fragend auf Wigham, der sein Spiel eingestellt hatte und verdrossen fragte, wer in aller Heiligen Namen so spät ihre Ruhe störe.

Es klingelte zum zweiten Male und noch heftiger.

»Milly, ich denke, wir müssen zusehen, wer da ist,« bemerkte Wigham, und wie um den in seinem breiten Gesicht aufflammenden Ausdruck wilder Zügellosigkeit zu verbergen, stürzte er ein Glas Whisky hinunter, »denn wer an der Glocke reißt, als wär's 'ne Buleine,« fuhr er darauf fort, mit der Rückseite der Hand die Tropfen aus seinem rothen Bart entfernend, »der muß auch 'nen Grund dazu haben.«

Milly zündete ein Licht an und wollte sich entfernen, als Wigham seine Pieken ergriff und mit zwei Stößen neben sie hinrollte.

»Bei der ewigen Versöhnung, Kind,« rief er mit geheimnißvoller Geberde aus, »wäre ich doch des Vertrauens meines Freundes O'Cullen so unwürdig, wie 'n Galeerensträfling der Admiralsepauletten, wollte ich Dir nicht getreu zur Seite stehen. Verdammt, wer auch immer die Abwesenheit des alten John zu einem Schurkenstreich benutzen möchte, ich will ihm zeigen, daß 'n Spinnrad ohne Beine seinen Mann besser steht, als ein Einbrecher, welcher sich zu den eigenen Beinen noch die eines Maats zuborgte. Doch vorwärts, Milly, und nicht gezittert – da klingelt's zum dritten Male – wo's über die Schwellen geht, leih' meiner Radjolle 'ne Hand, das Weitere besorge ich allein flink genug.«

Milly antwortete nicht, aber pünktlich gehorchte sie Wighams Anordnungen, und bald darauf befanden sie sich im Laden. Wigham hielt im Hintergrunde, während Milly sich nach der Thür hinbegab und ängstlich hinausfragte, wer da sei.

»Ist Meike Wigham noch munter?« fragte eine rauhe Stimme zurück.

»Daheim und munter,« antwortete das Spinnrad hastig, und drei Stöße brachten es wieder an der jungen Frau Seite, »daheim und munter, aber hängen will ich, bevor ich die Thüre des ehrenwerthen O'Cullen einem Fremden öffne!«

»In der Goldenen Harpune ist der Teufel los,« entgegnete der Fliegende Holländer, welchen Wigham längst an der Stimme erkannt hatte, »und wenn Ihr nicht augenblicklich mich dahin zurückbegleitet, giebt's Mord und Todtschlag.«

»Um so besser,« hohnlachte Wigham, »laßt sie sich gegenseitig abschlachten, bis der Teufel den Letzten geholt hat, das ist der sicherste Weg, Ordnung zu stiften!«

»Aber ich selber,« klagte der Fliegende Holländer, »komme ich ohne Euch zurück, geb' ich nicht 'ne Pfeife Tabak für mein Leben.«

»Also daher pfeift der Wind,« höhnte Wigham, und immer leidenschaftlicher und drohender wurde der Ausdruck seiner glühendrothen Physiognomie, »werdet ihnen wohl Scheidewasser statt des Rums unter den Grog gemischt haben? Doch gleichviel: Von hier fort gehe ich nicht, und bezahlet Ihr mir für jeden Stoß mit meinen Pieken 'ne spanische Dublone; denn meinem Freunde O'Cullen gab ich's Wort, Haus, Hof und Weib zu bewachen, und was ich einmal versprach, ist so sicher, als hätte 'ne ganze bezopfte Admiralität Namen und Siegel d'runtergesetzt. Aber 'nen andern Ausweg kenne ich, verdammt! 'nen Ausweg, wie ihn mein Freund John nicht besser auspeilen würde – Milly, Schatz, öffne die Thür und laß das Weib herein. Es mag bei uns übernachten, und wenn's in der Frühe seinen Cours nach der Goldenen Harpune hält, findet's sie so klar, wie's Deck eines Klippers am Tage des Einlaufens.«

Milly öffnete zitternd und herein trat die Wirthin der Goldenen Harpune.

Was auch immer sie dazu bewegt haben mochte, ihren Posten hinter dem Schanktisch zu verlassen, jedenfalls hatte sie Zeit gefunden, sich auszurüsten, als wäre sie im Begriff gewesen, Heuer auf einem Ostindienfahrer zu nehmen; denn in der linken Hand trug sie eine straff gefüllte Reisetasche, wogegen sie in der rechten Faust einen keulenähnlichen Stock führte, schwer genug, den härtesten Negerschädel auf einen Hieb wie eine Eierschale zu zersplittern. So hatte sie auch, wie um sich auf einen Sturm vorzubereiten, einen Matrosenhut von Oelzeug, einen sogenannten Südwester auf ihrem Haupte befestigt, ihren Oberkörper dagegen in eine dicke, tief niederreichende Matrosenjacke eingehüllt.

Während Milly der unheimlichen Erscheinung ängstlich auswich und mit bebenden Händen die Thür wieder verschloß, trat der Fliegende Holländer an Wighams Seite, ihm zunächst einige Worte leise zuraunend, dann aber mit lauter Stimme ihn begrüßend.

Wigham nickte befriedigt, wirbelte seinen Stuhl auf derselben Stelle herum, und Milly befehlend, ihm vorauf zu leuchten, folgte er der jungen Frau mit dem ihn schiebenden gräßlichen Weibe nach.

Auf dem ganzen Wege nach dem Hofe bestand die Unterhaltung zwischen den beiden Letzteren nur aus einzelnen Worten, welche aber eine besondere Bedeutung zu haben schienen, zumal sie von Mienen begleitet waren, wohl geeignet, die arme Milly in Todesangst zu versetzen, wenn sie deren ansichtig geworden wäre.

Doch wie bei ihrem Gatten, so fügte sie sich auch dessen Vertreter gegenüber ohne eine Silbe der Widerrede in die Rolle einer Sclavin.

Sie hatte sich bereits in die unabweisliche Nothwendigkeit, einem gefährlichen Verbrecher, für welchen sie Wigham hielt, dienen zu müssen, so sehr hineingelebt, daß nur die Marmorfarbe ihres abgehärmten Antlitzes Zeugniß für die sie unablässig folternde Seelenqual ablegte.

Sogar dafür schien sie empfindungslos geworden zu sein, daß nach dem Eintreffen des Fliegenden Holländers das Wesen Wighams sich plötzlich änderte, und er, anstatt wie früher, in einem gewissen wohlwollenden Tone, nur noch mit dem Ausdrucke eines brutalen Gebieters zu ihr sprach. Um so freundschaftlicher verkehrte er dagegen mit der Wirthin der Goldenen Harpune. Nachdem sie aber erst ein Weilchen der Flasche zugesprochen hatten, erhielt ihre Unterhaltung einen solchen Charakter, daß Milly sich endlich entschloß, sie nach Willkür schalten zu lassen und leise davonzuschleichen.

Kaum aber hatte sie sich erhoben, als Wigham seine Pieken ergriff, wie ein Blitz um den Tisch herumrollte und sie durch eine Bewegung seines Armes auf ihren Stuhl zurückschleuderte.

»Hier sitze!« brüllte er ihr zu, »und sei versichert, daß ich auf den ersten Laut, welchen Du von Dir giebst, mit dieser Pieke Deinen Gänsekopf einschlage!«

Ein Weilchen starrte Milly den Verbrecher an, als hätte sie am liebsten durch einen Hülferuf ihn dazu bewegt, sie von ihrem qualvollen Dasein zu erlösen; dann aber ihren letzten Muth zusammenraffend, wies sie mit einer matten Handbewegung auf die den Tisch beschwerenden Speisevorräthe und Getränke.

»O'Cullen befahl mir, Euch mit Allem, was Ihr wünscht, reichlich zu versehen,« sprach sie, entsetzt über den brutalen Gleichmuth, mit welchem der schreckliche Fliegende Holländer sie betrachtete, »sagt daher, womit ich Euch dienen kann; dagegen vergeßt nicht, daß Ihr Euch im Hause meines Mannes befindet und daher nicht berechtigt seid, mir eine Behandlung zu Theil werden zu lassen, welche selbst er nicht billigen würde.«

Ein schallendes Gelächter der beiden Genossen raubte der armen jungen Frau die mühsam errungene Fassung. Der Verdacht, daß Wigham wohl gar im Auftrage ihres Gatten handle, wurde in ihr rege und wirkte so erschütternd, daß sie in sich zusammenbrach und starr auf ihre gefalteten Hände blickte, als habe O'Cullen selber vor ihr gesessen, mit grausamem Hohne alle an ihr auszuübenden Martern an seinen Fingern abzählend.

»Halloh, altes Gespensterschiff!« rief Wigham seiner verbrecherischen Genossin zu und er schmetterte die eine Pieke auf den Tisch, daß Gläser und Flaschen klirrend tanzten, »legt Euch seitlängs von meines Freundes O'Cullen Musikkiste, und dreht, als gelte es, Euern Kehlkopf von 'ner hänfenen Halsbinde zu befreien! Ja dreht und gebt uns 'nen richtigen Irländer, während ich und die Milly 'n Trick aushecken, wie nie eins lustiger in einem Menschenschädel erdacht wurde.«

Der Fliegende Holländer sprang empor und schüttelte sich, wie ein dem Wasser entstiegener Hund. Sein blatternarbiges Gesicht zuckte vor gewaltsam gebändigter Raubgier, und mit entsetzlicher Geschäftsmäßigkeit einen zusammengerollten Strick aus der Tasche seiner Matrosenjacke ziehend und vor sich auf den Tisch werfend, fragte er scheinbar ruhig:

»Wär's nicht besser, gleich fest zu machen? Ich meine von wegen des Schreiens.«

Ein heftiger Schauder durchlief der armen Milly gekrümmte Gestalt. Es war die einzige Kundgebung ihrer Todesangst und des Bewußtseins, sich in den Händen von Menschen zu befinden, welche kein Mitleid, kein Erbarmen kannten, vor deren Ohren die verzweiflungsvollsten Bitten ungehört verhallt wären.

Wigham prüfte die Haltbarkeit der Leine, jedoch mehr, um ein Weilchen ungestört nachzudenken, worauf er sie mit einem seiner Lieblingsflüche wieder auf den Tisch warf.

»Das eilt nicht,« rief er aus, und seine mit Blut unterlaufenen Augen funkelten, wie die einer in warmem Blute wühlenden Hyäne, »nein, das eilt nicht; zuvor will ich sehen, ob die Milly das verständige Frauenzimmer ist, für welches ich sie immer gehalten habe. Aber einen lustigen Ton gebt uns, während wir uns mit einander in Einvernehmen setzen, verdammt! 'ne feine Melodie, sag' ich Euch, denn das macht Eindruck und ist dasselbe Mittel, durch welches der alte John den Eigensinn seines Turteltäubchens bändigt. Also heraus mit der Musik! Bei der allerheiligsten unbeflecktesten Empfängniß! und legt die Pianokiste so in's Dock, daß wir 'nen Anblick der lustigen Tänzer haben, denn das wärmt's Herz und frischt den Muth auf! Nicht wahr, Milly? Goldene Milly, Allerwelts-Milly?« und den Oberkörper seines bebenden Opfers zu sich heranziehend, küßte er mit widerwärtiger Geberde Stirn und Mund der halb Ohnmächtigen, worauf er seinen Stuhl so weit herumrollte, daß er gerade vor sie zu sitzen kam, ohne ihr dadurch die Aussicht auf die Drehorgel zu entziehen.

Der Fliegende Holländer hatte begonnen, mit dämonischer Wuth dem wackeligen Instrument Töne zu entlocken, welche im vollsten Einklange mit der grausigen Scene standen. Wigham klopfte etwa eine Minute mit dem Anstande eines Capellmeisters den Tact zu der schnellen Musik, wie um sie recht in den Gang zu bringen, dann kehrte er sich seinem Opfer wieder zu.

»Ich setze voraus,« hob er geschäftsmäßig an, »O'Cullen hat Dir nie verrathen, daß dieses Haus mit Allem, was drinnen ist, eigentlich mir angehört; aber die Sache hat ihre Richtigkeit. Vor'n dreißig, vierzig Jahren stahl er mir vier Schillinge, welche ich mir von 'nem reisenden Gentleman verdient hatte, und wenn ich nun Zinsen und Zinseszinsen rechne, so müßte der alte John zehn solche Häuser besitzen, wollte er alle meine Ansprüche – die zum Teufel gegangenen Beine nicht zu rechnen – bis auf den letzten Cent befriedigen. Verstanden?«

Milly nickte mechanisch, und das erfinderische Spinnrad fuhr fort:

»Da mit Güte bei Deinem Eheherrn wenig auszurichten ist, so bleibt mir kein anderer Ausweg, als mir selbst zu helfen. Das Haus und die Waaren mag er behalten – das heißt, will ich als guter Freund ihm schenken; allein das baare Geld – und ich weiß, er hat 'ne hübsche Ladung im Hause, das nehme ich mit. Die Sache liegt klar auf der Hand und kann innerhalb weniger Minuten abgewickelt werden, wenn Du auf meinen Vorschlag eingehst. Verstanden?«

Wiederum das ausdruckslose Nicken; der Fliegende Holländer klimperte eine Strophe aus der ›Letzten Rose‹, und das Spinnrad erklärte weiter:

»Machen wir's also kurz: Du sagst mir, wo der schlaue John seine Hauptkasse verborgen hält – zu der Ladenkasse helfen wir uns ohne Deinen Beistand – dann binden wir Dich zum Schein an Dein Bett fest, damit's nach Unschuld aussieht, und wir sind fertig. Morgen wird sich wohl Jemand finden, der Dich losmacht, und bis dahin verhungerst Du nicht. Und nun sage mir also, bist Du bereit, auf meinen Vorschlag einzugehen und die Sache zum schnellen Abschluß zu bringen?«

»Nein,« nickte Milly entschieden. ›Wie magst Du so einsam blüh'n,‹ hohnklimperte der Fliegende Holländer. Wigham biß vor Wuth ein Stück von dem Rohr seiner Thonpfeife, worauf er, wie um sie zu durchbohren, die Spitze einer Pieke auf der bebenden jungen Frau Brust setzte.

»Hölle und Verdammniß,« schnaubte er drohend, »so höre denn, was geschieht: Mit der Leine dort, und 'ne gute Leine ist's obenein, schnüren wir Dich in 'n Bündel zusammen, daß Dir's Blut aus Ohren und Fingerspitzen quillt; dann hängen wir Dich an 'nen Thürhaken. Die Kasse finden wir ohne Deine Hülfe; zur Strafe aber für Deine Verstocktheit werfen wir, bevor wir's Haus verlassen, 'nen Feuerbrand in's Waarenlager, und Du hast dann nicht nur das Vergnügen, lebendig geröstet zu werden, sondern es soll auch Derjenige geboren werden, welcher den wahren Sachverhalt aus dem Aschenhaufen herauspeilt. Nun aber zeige die Flagge, Milly,« und des Scheusals Stimme zitterte vor Raubgier, »willst Du jetzt verrathen, wohin der schlaue John seine Dollars staute?«

»Wozu die Umstände?« betheiligte der Fliegende Holländer sich an dem Gespräch, ohne sein Spiel einzustellen, »'nen Strick um ihren Kopf geschnürt, das Schüreisen dort als Handspeiche benutzt, und sie verräth die Seele ihrer eigenen Mutter.«

Wie oft, wie unzählige Male, wenn sie dahinsank unter den Martern ihres unbarmherzigen Gebieters, hatte die arme Milly den Tod herbeigesehnt, wie oft in ihrer Noth gewünscht, daß ein Schlag von seiner Faust ihrem Leben auf einmal ein Ziel setzen möchte. Nun aber, da sie hörte, wie mit geschäftsmäßiger Ruhe und teuflischer Ueberlegung die Qualen berathen wurden, welche man an ihr in Ausführung zu bringen beabsichtigte, brach ihr letzter Widerstand. Gleichgültig gegen alle späteren Folgen und in ihrer Todesangst nur von der einzigen krampfhaften Hoffnung beseelt, von der Gegenwart des schrecklichen Verbrecherpaares befreit zu werden, richtete sie ihr leichenähnliches Antlitz empor. Einen in Verzweiflung ersterbenden Blick sandte sie zu dem schrecklichen Weibe hinüber, einen zweiten auf Wigham, und das Vergebliche aller Vorstellungen und des innigsten Flehens begreifend, hob sie kaum verständlich an:

»Wenn ich sterben soll, so mag wenigstens Derjenige seine Hand an mich legen, welcher vielleicht ein Recht dazu hat. Seine Schuld aber ist es, wenn er das Seinige verliert, denn er hätte wissen müssen –«

»Halloh!« rief der Fliegende Holländer ungeduldig aus, und indem er mit erhöhter Gewalt an dem Instrument drehte, zerstörte er krachend den verborgenen Mechanismus, in Folge dessen die Fortsetzung der Musik sich in ein fast weniger unmelodisches dumpfes Poltern verwandelte. »Halloh, Milly, Du Satanshexe, wenn Du 'n Garn spinnen willst, so wähle Dir 'ne andere Zeit dazu aus, oder der Tag bricht an, bevor O'Cullens leere Ballastkiste nach neuer Füllung ausschaut.«

»Heraus mit der Sprache!« fiel Wigham wüthend ein, als hätte die so plötzlich zum Abschluß gelangte höllische Musik bisher noch eine besänftigende Wirkung auf ihn ausgeübt; »heraus damit, wenn Du nicht willst, daß ich Dich festschnüre und den Feuerbrand, anstatt in's Magazin, unter Deinen Stuhl lege!«

Milly vermochte nur noch den Arm matt emporzuheben und auf eine Stelle des Fußbodens hinter dem Ofen zu weisen.

Mehr bedurfte es aber auch nicht bei der Wirthin der Goldenen Harpune und ihrem Genossen. Fast eben so schnell, wie Erstere nach der bezeichneten Stelle hinstürzte, rollte auch Wigham herbei. Ein Weilchen prüften sie die fest an einander gefugten Bretter, wobei sich der Athem keuchend ihren Lungen entwand; dann aber verkündete ein doppelter Fluch des Triumphes, daß sie entdeckt hatten, was sie suchten. Eine kurze Arbeit mit den beiden Pieken, ein noch kürzeres Zersplittern spröden Holzes, indem das fest mit den Brettern vereinigte Schloß sich von der Fallthüre löste, und gierig spähten sie in einen sauber gezimmerten Behälter hinab, in welchem sieben oder acht straff gefüllte Lederbeutel eine mäßig große Kiste von polirtem Nußbaumholz umringten.

Bald darauf stand Alles zwischen den Flaschen und Gläsern auf dem Tisch, und so eifrig beschäftigten die beiden Raubgenossen sich mit der Prüfung des Inhaltes der Beutel, und so berauschend wirkte auf sie der Anblick des blanken Goldes, daß Milly, ohne von ihnen beachtet zu werden, hätte davon schleichen können. Doch der armen Milly fehlten ebensowohl der Muth, wie die Kraft zu einem solchen Unternehmen. Erst als man den Inhalt des Kastens prüfen wollte und nach dem Schlüssel zu demselben fragte, erwachte sie wieder aus dem einer Betäubung ähnlichen Zustande.

»Er hat ihn,« mehr vermochte sie nicht hervorzubringen.

»Der Kasten ist leicht, was enthält er?« fragte der Fliegende Holländer mit einem durchbohrenden Blick auf die zusammenschauernde junge Frau, »Gold und Silber kann's nicht sein, und zu Briefschaften ist O'Cullen nicht gelehrt genug.«

»Banknoten,« flüsterte Milly.

»Um so besser, beim heiligen Patrik,« versetzte Wigham triumphirend, »und ich müßte meinen Freund John schlecht kennen, hielte er unter seinem Verschluß auch nur 'ne Dollarnote, welche nicht an jeder Kasse für echt und vollgültig befunden würde,« und in den nächsten Minuten war die junge Frau wieder vergessen. Dann aber, nachdem Kasten und Lederbeutel zusammen mit des Fliegenden Holländers Reisetasche sicher auf dem Räderstuhl verpackt worden waren, kehrten die beiden Raubgenossen sich ihrem Opfer wieder zu.

»Nun, Milly,« begann Wigham höhnisch, »Du hast Dich als so 'ne gescheidte Kraft ausgewiesen, wie nur je eine von 'nem gesunden Schmuggler gesteuert wurde. Jetzt aber noch eine Frage, und hüte Dich, sie falsch zu beantworten, oder 'n chinesischer Hochverräther wurde nie wunderlicher hingerichtet, als ich mit Dir verfahre. Wohin hat sich mein Freund John gewendet?«

»Ich weiß es nicht,« stöhnte die Aermste schaudernd.

»Das klingt wie Wahrheit,« fuhr das Spinnrad fort, »denn er ist ein zu schlauer Hund, um seinen Cours jedesmal vorher durch die Zeitung bekannt machen zu lassen. Wissen mußt Du dagegen, ob er zu Wasser oder zu Lande kreuzt.«

»Zu Wasser, denn es war nur ein Stadtwagen, welcher ihn von hier abholte, wie Ihr selber saht.«

»Gut. Steuerte er stromaufwärts oder stromabwärts?«

»Ich glaube stromaufwärts.«

»Sagte er's ausdrücklich?«

»Ich glaube, ihn so verstanden zu haben.«

»So ist er stromabwärts gefahren,« erklärte Wigham, »denn er thut immer gerade das Gegentheil von Dem, was er sagt, und ich weiß, wohin 's Gallion weisen muß, um ihm nicht zu begegnen. Die Ladenkasse magst Du behalten, die brauchen wir jetzt nicht mehr, beim heiligen Patrik, aber damit wir 'nen kleinen Vorsprung gewinnen, bevor Du die Nachbarschaft aufrührst –«

Er sprach noch, da hatte der Fliegende Holländer die junge Frau ergriffen und zu Boden geworfen, und sie mit dem Tode bedrohend, zwängte er der zu jedem Widerstände Unfähigen ein Tuch in den Mund, worauf er sie mit Hülfe Wighams in eine unnatürliche Lage so fest zusammenschnürte, daß sie kein Glied zu rühren vermochte. Anstatt aber, wie das Spinnrad gedroht hatte, sie aufzuhängen, trug das Weib sie nach der Kammer, wo es sie auf das Bett warf. Dann legte es seine Hand auf das Antlitz der schwer Röchelnden, offenbar in der Absicht, sie zu ersticken; bevor es aber noch seinen teuflischen Plan ganz ausgeführt hatte, gellte vom Laden die Glocke herüber.

Mit zwei Sprüngen befand der Fliegende Holländer sich an Wighams Seite, und den nicht minder Erschreckten verstört in die funkelnden Augen blickend, legte er Alles, was er sagen wollte, in die Bewegung seines Daumens, mit welchem er nach dem Vorderhause hinüberwies.

Wiederum unterbrach das gellende Geräusch die plötzlich eingetretene unheimliche Stille.

»O'Cullen,« flüsterte die Wirthin der Goldenen Harpune, »kein Anderer, als der Eigenthümer, meldet sich auf solche Weise an; O'Cullen, und wir sind verloren.«

»Hinaus müssen wir und das Geld geht mit,« entwand es sich heiser, wie bei einem Erstickenden, Wighams Kehle, »ja, es geht mit, und wäre ich gezwungen, meinen besten Freund zur Hölle zu schicken.«

Seine wild umherschweifenden Blicke waren auf die neben der Thür lehnende Axt gefallen. Ein Wink von ihm und die Genossin reichte sie ihm dar.

Es klingelte lauter und anhaltender.

Wigham nahm die Lampe, und sie neben der Axt vor sich auf seinen Beinstumpfen haltend, bedeutete er den Fliegenden Holländer, ihn über den Hof nach dem Laden hinzurollen. Dort schob er die Lampe auf das Pult, aber erst, nachdem er die zu seinem mörderischen Vorhaben günstige Stellung eingenommen und die Genossin durch einen Wink aufgefordert hatte, sich zum Oeffnen bereit zu halten, fragte er auf das abermalige Reißen an dem Glockenzuge drohend hinaus, wer noch so spät störe?

»Ist Mrs. O'Cullen zu sprechen?« fragte Bechler ungeduldig zurück.

Wigham seufzte tief auf und wechselte mit dem Fliegenden Holländer einen Blick des Einverständnisses.

»Was in der Hölle Namen will ein Fremder um Mitternacht bei Mrs. O'Cullen?« rief er grimmig aus.

»Es genügt, wenn Mrs. O'Cullen mich kennt,« versetzte Bechler verdrossen.

»Die liegt in den Federn seit zwei Stunden,« erwiderte Wigham, »aber ich bin der Vertreter ihres Mannes, und wenn Ihr 'n Anliegen an's Geschäft habt, mögt Ihr mir's eben so gut mittheilen.«

»Ist Mr. Indigo daheim?« fragte Bechler mit unverkennbarer Besorgniß, »seit drei Tagen warte ich vergeblich auf ihn. Krank ist er nicht geworden?«

»Hat O'Cullen begleitet,« rief das Spinnrad hinaus, »und nun macht, daß Ihr fortkommt, bevor mir's einfällt, den Riegel von der Thüre fortzuschieben und Euch die nächtliche Ruhestörung zu bezahlen!«

»Also begleitet?« wiederholte Bechler verwundert, und nicht auf die an ihn ergangene Drohung achtend, »das müßte sich schnell geändert haben; ich will des Teufels sein, wenn ich ein Wort davon glaube.«

»Dann glaubt's nicht und seid verdammt,« erwiderte Wigham, »aber noch einmal: Scheert Euch zum Henker oder wir machen genauere Bekanntschaft mit einander.«

»Nun, so böse wird's nicht werden,« lenkte der professionirte Philanthrop versöhnlich ein, »ich fragte überhaupt nur im Vorbeigehen; 's muß ja wieder Tag werden, und Mrs.

O'Cullen ist nicht die Frau, einen guten Freund aus ihrem offenen Geschäft fortzuweisen, wenn er erscheint, um 'nen höflichen Gruß anzubringen. Also auf Wiedersehen morgen in den Vormittagstunden, wer Ihr auch immer sein mögt.«

»Auf Wiedersehen am Galgen, wer Ihr auch sein mögt!« rief Wigham hinaus, indem er in seiner Wuth einen Schlag auf die Thür führte, als hätte er mit Gewalt zu dem friedlichen Sonderling durchbrechen wollen.

Dieser lachte und trollte munter von dannen.

» Plenty Zeit morgen früh, der armen Milly einen Besuch zu machen,« vermischte es knurrend mit dem zu den thränenden Augen emporsteigenden Dampf der kohlenden Cigarre, »aber mit dem Indigo, das gefällt mir nicht. Plenty andere Stellen, wo er besser aufgehoben wäre, als in der Bude dieses gottvergessenen Irländers. Arme Milly, ar - me – Mil – ly.« Zwischen je zwei Silben lag ein tiefer Zug aus der neues Leben gewinnenden Cigarre, so daß es zweifelhaft erschien, ob sie bis zur Ankunft vor dem abgelegten Eisenbahnwagen aushalten würde. Aehnlich mochte Bechler denken, denn er beschleunigte seine Schritte, aber indem er sich beeilte, glühte auch heller und drohender das Cyklopenauge auf seiner tief eingesogenen Wange. Man hätte ihn für einen gespenstischen Nachzügler der sagenhaften wilden Jagd halten können.

Der biedere Philanthrop war kaum um die zweite oder dritte Straßenecke herumgebogen, da öffnete sich geräuschlos die Thür von O'Cullens Laden und in der Spalte erschien das zottige Haupt des Fliegenden Holländers. Einige Secunden spähte er die dunkle vereinsamte Straße hinauf und hinunter; dann öffnete er die Thüre ganz und heraus rollte das Spinnrad.

»Zuschließen?« fragte das Weib geheimnißvoll, indem es den Schlüssel von innen abzog.

»Doppelt und dreifach,« antwortete Wigham ebenso gedämpft; »je mehr Zeit man gebraucht, hineinzukommen, um so größer der Vorsprung, welchen wir gewinnen; 'ne Kieljagd ist 'ne lange Jagd.«

Gleich darauf trat der Fliegende Holländer hinter den Stuhl, und ehrbar, wie wenn ein Gichtbrüchiger von seinem Bediensteten von Ort zu Ort geschafft wird, zogen sie ihres Weges. Eine Decke verbarg die Beinstumpfen und die auf dem für gewöhnlich unbenutzten Trittbrett rastende Reisetasche und den Kasten mit den Papieren. Rechts und links lehnten die für den Augenblick außer Dienst gesetzten Pieken. Zwischen Lehne und Sitz hatten die straffen Lederbeutel ein erträgliches Unterkommen gefunden. Gegen fünfzehntausend Dollars waren es und ein starker Charakter, was der Fliegende Holländer mit leichter Mühe auf dem nächsten Wege nach dem Hudson hinunterschob. Hin und wieder begegneten ihnen vereinzelte Fußgänger, meistens Wächter der öffentlichen Sicherheit, aber jedesmal wichen dieselben ihnen zuvorkommend aus. Selbst in der Brust eines Constablers wohnt eine gewisse Achtung vor fremden Leiden; es äußerte sich dies in dem theilnehmenden Tone, mit welchem man der jämmerlich zusammengekrümmten Gestalt auf dem Rollstuhle eine gut zu schlafende Nacht wünschte.

Wenn nun Wigham, das lustige Spinnrad, mit Fug und Recht die Bezeichnung eines starken Charakters verdient, so durfte der weibliche Fliegende Holländer nichts weniger, als schwach genannt werden. Am augenfälligsten bewies er dies, als nach einer Viertelstunde der Rollstuhl auf dem Ufer des Hudson vor einer zum Wasser niederführenden Landungstreppe hielt und er Wigham mit einer Leichtigkeit auf seinen Rücken lud, als sei er wirklich nicht schwerer, als ein aus dem Holz der Rothbuche gedrechseltes Spinnrad gewesen. Behutsam stieg er mit ihm die Treppe hinab. Ein leichtes Boot lag vor der untersten Stufe. Auf der einen Ruderbank waren sinnig solche Vorkehrungen getroffen worden, daß ein beinloser Ruderer nicht nur mit dem Kreuz sich anzulehnen, sondern, was noch wichtiger, auch seine Beinstumpfen zu stützen vermochte. Auf diesen Sitz ließ das Weib seine Last niedergleiten, und nachdem es mit rührender Sorgfalt seinem Freunde in die bequemste Lage geholfen, stieg es mit anerkennenswerther Geduld noch fünfmal nach dem Werft hinauf. Dreimal mußte es sich bemühen, das mit so viel Leichtigkeit gewonnene schwere Vermögen in das Fahrzeug hinabzuschaffen. Das vierte Mal belud es sich mit den drei von ihren Achsen gestreiften Rädern, und den Schluß bildete der festgepolsterte Lehnstuhl. Letzterer fand seinen Platz im Stern des Bootes, wo eine große Decke über ihn ausgebreitet wurde. Eine volle Flasche holte es darauf noch aus der verschließbaren Bugkiste, in welcher bei einem Vorrathe guter Lebensmittel, auch die reiche Beute untergebracht worden war; dann stärkten die beiden Genossen sich durch einen Trunk, die Kette klirrte, indem sie von dem Treppenpfosten gelöst wurde, und leise schob sich das Boot zwischen schwarzen Schiffswänden hin auf das im lieblichsten Mondlicht glitzernde offene Wasser hinaus. Dort senkten sich die Ruder in die Fluthen; zwei oder drei Fehlschläge, um den Tact herzustellen, und stromaufwärts glitt das verhältnißmäßig schwer befrachtete Fahrzeug vor den Riesenkräften der nervigen Arme, als ob es ein Kork oder ein aus Rinde geschnitztes Kinderspielzeug gewesen wäre.


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