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ACHTES CAPITEL. STELLA.

»Ihr scheint 'nen verdammt feinen Abend gehabt zu haben,« antwortete O'Cullen auf meinen Gruß, als ich am folgenden Morgen wohlweislich erst dann in den Geschäftsraum eintrat, nachdem er und seine Frau sich schon eine Weile in demselben befunden hatten. Ich wollte selbst den Schein vermeiden, als ob das von mir beschlossene Verfahren durch Blicke oder einen Wink von der armen Frau gelenkt und beeinflußt worden wäre.

»Jedenfalls verlebte ich ihn in guter Gesellschaft,« erwiderte ich kalt, »und manchen guten Rath mit Rücksicht auf die hiesigen Verhältnisse nahm ich mit in den Kauf. So beeinträchtigen allzugroße Verantwortlichkeiten – nach der Ansicht meiner Freunde – die Heiterkeit des Gemüthes; ich gebe Euch daher hiermit den Kassenschlüssel zurück. Meiner Thätigkeit in Eurem Geschäft wird dadurch kein Abbruch gethan.«

Nach dieser mit größtem Gleichmuth gegebenen Erklärung starrte O'Cullen mich an, als hätte er seinen Sinnen nicht getraut. Er wußte offenbar nicht, ob er den ihm dargebotenen Schlüssel annehmen oder zurückweisen sollte. Sein aufgeschwemmtes Gesicht erhielt eine Art Olivenfarbe, welche seltsam zu dem frischgeschorenen blauen Stoppelfelde auf Wangen und Oberlippe contrastirte. Doch er war eine zu gewiegte Verbrechernatur, um äußerlich lange die Eindrücke einer unangenehmen Ueberraschung zu verrathen. Ein drohender Blitz schoß flüchtig aus seinen funkelnden Augen auf die den Laden mit trüber Theilnahmlosigkeit kehrende junge Frau, ein Blick, in welchem sich aussprach, daß diese nur eine Minute außerhalb seines Gesichtskreises geweilt zu haben brauchte, um sie eines an ihm begangenen Verbrechens anzuklagen, dann wendete er sich mir wieder mit geheuchelter Ungezwungenheit zu.

»Habt Ihr erwogen, daß Ihr hier überflüssig seid, wenn Ihr Euch weigert, allen Euch zufallenden Obliegenheiten zu genügen?« fragte er mit verhaltenem Grimm.

»So sprecht das Wort, und ich gehe,« versetzte ich ruhig und im Vertrauen darauf, daß er es nicht bis zum Aeußersten kommen lassen würde.

»Ueberlegen wir die Sache,« erwiderte O'Cullen, indem er mir den Schlüssel förmlich entriß und seiner Frau vor die Füße warf, die, gehorsam solchem Befehl, ohne die Blicke zu erheben, ihn an sich nahm; »eine oder zwei Wochen seh' ich's mit an; vielleicht besinnt Ihr Euch bis dahin. Wenn nicht – bei der ewigen Verdammniß! so sind wir geschiedene Leute. Ich spiele selbst zu wenig den großen Herrn, um einem Fremden die Stelle eines solchen in meinem Geschäft einzuräumen.«

»Ganz nach Belieben,« entgegnete ich sorglos. Dann trat ich hinter das Pult, wo ich sogleich mit großem Eifer mich in die Bücher vertiefte. Wie heillos ich aber seine Pläne durchkreuzt hatte, darüber belehrte mich die Heftigkeit, mit welcher er unter den im Hintergrunde aufgestapelten Waarenvorräthen wirkte und schaffte, und aus dem schweren Stöhnen und den wilden Flüchen, mit welchen er seine Arbeit begleitete.

Bald darauf trat der Negerbursche ein, welcher regelmäßig jeden Morgen erschien, um Briefe nach der Post zu tragen und sich nach weiteren Aufträgen für den Tag zu erkundigen. Mit lustigem Gruß warf er ein versiegeltes Schreiben auf den Ladentisch, worauf er den neben der Thür befindlichen blechernen Kasten öffnete, in welchen die zu befördernden Briefe gelegt wurden. Kaum aber bemerkte dies der Irländer, als er mit einem grimmigen Goddam über den vor ihm liegenden Ballen fortsprang und dem bestürzten Burschen denselben Brief entriß, welcher am vorhergehenden Abend vor meinen Augen unter seiner Frau Händen entstanden war.

»Milly, süßer Schatz,« rief er dabei heiser vor Wuth aus, obwohl kein Anderer, als er selber den Brief zur Besorgung in den Kasten gelegt hatte, »Du bist eine ausgezeichnete Lady, allein, beim heiligen Patrik! so einfältig wie ein neugeborenes Niggerbaby! Dieses Schreiben soll erst morgen abgehen! Und Du,« wendete er sich an den Schwarzen, ihn durch eine Ohrfeige auf die Straße hinaussendend, »Dich will ich lehren, künftig aufmerksamer zu sein! Lauf zum Satan und richte Dich ein, daß Du nach Tisch pünktlich wieder hier bist!«

»Aye, aye, Herr!« grinste der Bursche, welcher den brutalen Angriff auf seinen eisenharten Schädel als einen derben Scherz betrachtete, und gleich darauf war er verschwunden.

Ich triumphirte, aber tiefer neigte ich mich über die Bücher, wie mit den allerschwierigsten Berechnungen kämpfend. Ich fürchtete, im Aufschauen den Blicken der armen Milly zu begegnen und dadurch O'Cullens Wuth noch mehr zu entflammen. Ich hätte indessen immerhin frei um mich sehen können; denn die arme Milly beschäftigte sich mit der Säuberung des Ladens, als hätte sie sich allein auf der Welt befunden. Ihre Bewegungen waren ausdruckslos, wie die einer Nachtwandlerin. Nur in ihrer Haltung prägte sich eine gewisse Erleichterung aus, ohne Zweifel erzeugt durch mein ruhiges, entschiedenes Auftreten und das, nach ihrer Ueberzeugung zufällige Durchkreuzen der gegen mich eingeleiteten, verderblichen Anschläge.

O'Cullen hatte unterdessen den Brief genommen, welchen der Negerbursche für ihn auf den Tisch geworfen hatte. Sinnend drehte er ihn zwischen seinen klobigen Fingern. Er kannte entweder die Handschrift oder der Brief war durch irgend ein besonderes Merkmal gezeichnet worden, denn er wußte offenbar, von wem er herrührte. Es ging dies hervor aus der Gier, mit welcher er ihn betrachtete, und aus den lauernden, zweifelnden Blicken, welche er verstohlen seiner Frau zusandte. Bedauern über seine gänzliche Unkenntniß der ersten und einfachsten Schulwissenschaften sprach deutlich aus seinen rohen Gesichtszügen, und schwerlich verfluchte er dieselbe jemals aufrichtiger, als in jenen Minuten. Und dennoch scheute er sich, die arme Milly, wie er sonst zu thun pflegte, abseits zu rufen und sich den Inhalt des geheimnißvollen Schreibens vorlesen zu lassen. Von Argwohn erfüllt, beobachtete ich ihn scharf. Aber auch die junge Frau schien aus seinen Bewegungen zu errathen, was in seinem Innern vorging; denn als er sich, den Brief noch immer in der Hand, zögernd und unentschlossen ihr näherte, dicht vor ihr aber plötzlich mit einem halblauten ›Goddam‹ den Brief zu dem andern in seine Brusttasche schob, sich kurz umdrehte und verdrossen die unterbrochene Arbeit wieder aufnahm, da zitterte sie so heftig, daß der Besen ihren Händen zu entfallen drohte und sie gezwungen war, sich flüchtig auf denselben zu stützen. Einen verzweiflungsvollen, gleichsam ersterbenden Blick sandte sie ihrem Peiniger nach, einen Blick, in welchem sich ihre ganze Angst offenbarte, daß es außer ihr noch Jemand gebe, welchen er, um seine Unkenntniß des Lesens zu ersetzen, nothwendigerweise in seine Geheimnisse, und zwar in den gefährlichsten Theil derselben, gezogen haben mußte. Den Mangel seines Vertrauens beklagte sie gewiß am wenigsten, denn welche Ansprüche hätte sie, die mit Füßen getretene und mißhandelte Sclavin, erheben dürfen; allein, daß er Beziehungen und Verbindungen aufrecht erhielt, welche ihn, es waltete ja kein Zweifel darüber, vor den Strafrichter und endlich in den Kerker bringen mußten, das war mehr, als sie glaubte ertragen zu können.

Sie kannte ihre eigene, völlige Hülflosigkeit, wußte, daß die leisesten Einwendungen von ihrer Seite das Signal zu neuen Mißhandlungen geben würden. Trotzdem war ihr Sinnen und Trachten dahin gerichtet, denjenigen, in dessen thierische Gewalt ein grausames Geschick sie rettungslos geschleudert hatte, vor einem schmählichen Ende zu bewahren, dadurch ihn an einem schweren Verbrechen zu hindern, daß sie ein ihm preisgegebenes Opfer warnte, es seiner mit dem Entsetzlichsten drohenden Macht zu entziehen suchte.

Der Laden begann sich mit Kunden zu füllen, um vor Abend nicht wieder leer zu werden. Wir hatten alle Hände voll zu thun; selbst in der Mittagsstunde mußten wir zum Zweck des Speisens uns gegenseitig ablösen, um vereinzelte Käufer nicht unverrichteter Sache davon gehen zu lassen. Ich selbst wurde abgelöst durch Mrs. O'Cullen, welche während der letzten beiden Stunden in der Küche beschäftigt gewesen. Nach gehaltener Mahlzeit trat ich sogleich wieder hinter das Pult. Im Begriff, einen Posten in das entsprechende Buch einzutragen, entdeckte ich beim Ansetzen der Feder mehrere mit Bleistift geschriebene Worte, welche nur von Milly's Hand herrühren konnten. »Vorsicht für Euch selber,« las ich klopfenden Herzens, denn nur die größte Seelenangst und eine nahe drohende Gefahr konnten die arme, eingeschüchterte Frau zu dieser, mit dem Muthe der Verzweiflung ausgeführten That bewegt haben, »Schonung für Eure Freunde, indem Ihr das unverbrüchlichste Schweigen beobachtet. Wollt Ihr Euch selbst retten und Andern eine Wohlthat erweisen, so begebt Euch in den Abendstunden nach der ›Goldenen Harpune‹. Dort werdet Ihr mehr erfahren. Nehmt Euren Freund mit. Vorsicht für Euch, Schonung für Andere.«

»Schonung für Andere,« wiederholte ich in Gedanken, indem ich mit der Feder quer durch diese geheimnißvolle Warnung hindurchschrieb. Erst ein Weilchen später, als des mißtrauischen Irländers Argwohn nicht dadurch angeregt werden konnte, vernichtete ich die feinen Schriftzüge mittelst des vor mir liegenden Gummis.

Gern hätte ich Mrs. O'Cullen durch einen Blick gedankt, allein es konnte kein Irrthum darüber walten, was sie unter dem Worte ›Schonung‹ verstand. Meine Kundgebung, daß die Warnung mir nicht entgangen war, mußte sich darauf beschränken, daß ich des Abends nach Schließung des Geschäftes mich sogleich verabschiedete, anstatt nach gewohnter Weise mit ihr und O'Cullen mich zu Tisch zu setzen.

Auf dem Wege zu meinen Freunden hatte ich mehrere Straßen und Gassen durchwandelt und ich unterschied bereits in der Ferne das durch eine rothe Laterne sich auszeichnende Kosthaus, in welchem Bechler meiner harrte, als eine tief verschleierte Dame plötzlich meine Aufmerksamkeit erregte. Sie kam mir entgegen, so daß ich höflich auswich, um sie nicht zu hindern. Sie folgte indessen, wie von anderen Fußgängern gedrängt, meinen Bewegungen, und dicht an mir vorüberstreichend, vernahm ich eine Stimme, welche, obwohl im Flüsterton gehalten, mir das Blut schneller zum Herzen trieb.

»Begleiten Sie mich,« sprach sie dringend, jedoch mit einer Haltung, als sei ich nur zufällig an ihre Seite getreten, »Wichtiges habe ich Ihnen mitzutheilen, weiß aber nicht, ob ich in diesem Augenblick nicht selber beobachtet werde.«

»Stella,« flüsterte ich einfallend, sobald ich meinte, die Wirklichkeit nicht mehr bezweifeln zu dürfen.

»Keinen Namen,« hieß es kalt zurück, »Schweigen und Hören, weiter wird von Ihnen nichts verlangt, oder ich hätte mir die Mühe ersparen können, Sie hier auf Ihrem gewöhnlichen Abendwege zu erwarten. Außerdem bestreite ich Ihnen das Recht, mich mit dem von Ihnen beliebten Namen anzureden. Wo es sich um Leben und Tod, ja, um noch mehr handelt, sind ungerechtfertigte Vertraulichkeiten am wenigsten an ihrem Orte. Treten Sie fort von mir, so weit, daß meine Worte Ihnen gerade verständlich bleiben – so – nicht zu dicht unter den Laternen hin, man möchte auf uns achten. Sind Sie für den heutigen Abend frei?«

In meiner Erregung vergaß ich Mrs. O'Cullens Warnung, vermochte indessen nur durch eine leichte Verneigung zu antworten.

»Verlassen Sie so bald als möglich das Haus des verrufenen Irländers,« traf es wie ein Hauch mein Ohr, »verlassen Sie es, wenn Freiheit und Leben den geringsten Werth für Sie haben.«

»Es hieße, meine Brodstelle aufgeben,« antwortete ich unter dem Eindruck der mit verwirrender Gewalt auf mich einstürmenden Empfindungen.

»Die Brodstellen in diesem Lande zählen nach Tausenden; fliehen Sie, so lange es noch Zeit ist.«

»Ich kann nicht, ich muß ausharren. Selbst wenn O'Cullen mir freistellte, ihn zu verlassen, würde ich Alles aufbieten, in Verbindung mit ihm zu bleiben.«

Stella neigte das Haupt, wie um sich ungestört ihren Betrachtungen hinzugeben; aber schon nach wenigen Schritten richtete sie sich wieder empor, und wie das Athmen des Abendwindes zwischen sommerlich belaubten Zweigen, drang es zu mir herüber:

»Ihre Weigerung, meinem Rathe zu folgen, sagt mir Alles. Sie vereinigen mit Ihrem Entschluß einen bestimmten Zweck?«

»Den Zweck, mir Kenntniß der hiesigen Landesverhältnisse zu verschaffen,« räumte ich ein, denn sogar Stella gegenüber hegte ich zu viel Mißtrauen, um die Wahrheit einzugestehen.

Ein leises Lachen war die nächste Antwort, welche ich erhielt, ein Lachen, tief einschneidend in meine Seele durch die sich in demselben offenbarende Bitterkeit.

»Geständnisse verlange ich von Ihnen nicht,« schloß es sich spöttisch an jenes Lachen an, »würden Sie doch nur theilweise Das bestätigen, was ich bereits weiß oder mindestens errathe. Sie haben sich verändert seit unserem ersten Zusammentreffen, und das dient vielleicht zu Ihrem Heil. Ich erinnere an jene Zeit, weil ich dankbar anerkenne, daß Sie selber es nicht thun. Vielleicht erscheint der Tag, an welchem Ihnen klar wird, was Ihnen heute noch räthselhaft. Ja, er muß erscheinen, aber auch dann – ich verlange es von Ihnen – gedenken Sie jener Stunden, in welchen ich als ein Mittel zum Zweck benutzt wurde, nur als eines wilden Traumes –«

»Stella, halten Sie ein,« flehte ich, sie unterbrechend, denn in ihrer unverkennbar schmerzlichen Erregung übte sie einen noch unwiderstehlicheren Zauber auf mich aus, als damals in Erfüllung der Aufgabe, meine Sinne zu umstricken.

»Schon einmal bat ich Sie, aus früheren Ereignissen kein Recht zu vertraulichen Annäherungen herleiten zu wollen,« wurde mir das Wort eisig kalt, jedoch mit zitternder Stimme abgeschnitten, »wir treten einander als opferwillige Freunde entgegen – denn auch von Ihnen werden Opfer und Dienste gefordert werden – und diese Grenze dürfen wir nicht überschreiten. Selbst in unsern Gesprächen müssen wir Alles vermeiden, was die Klarheit des Geistes, den natürlichen Scharfsinn beeinträchtigen könnte; denn ein ungetrübter Geist und ein schnell und sicher entscheidender Blick werden fortan unsere einzigen zuverlässigen Bundesgenossen sein. Ich würde, zum Zeichen unseres Uebereinkommens, um Ihre Hand bitten, allein ich scheue die Menschen ringsum. Sind Sie indessen mit mir einverstanden und würdigen Sie, ohne sie zu kennen, die Gründe, welche mich zu dem Ihnen gewiß seltsam erscheinenden Verfahren bewegen, so lüften Sie, jedoch nur wenig auffällig, Ihren Hut.«

Wie im Traume, führte ich die bezeichnete Bewegung aus, worauf Stella gleich wieder fortfuhr:

»Gut, das dient mir als Handschlag, und daß Sie diese heilige Zusage keinem Kinde oder gedankenlos tändelnden Mädchen machten – nun – ich denke, mein ganzes Auftreten bürgt Ihnen dafür.

»Doch die Zeit entflieht, und bis jetzt wurde der eigentliche Zweck noch nicht berührt, zu welchem ich mich hierher wagte. Kannten Sie die Gründe, wegen deren von einer gewissen Seite solch' hoher Werth darauf gelegt wird, sich Ihrer zu versichern?«

»Ich ahne sie, ohne sie zu kennen,« antwortete ich gespannt.

»Wohlan, Wichtiges muß sich an Ihre Person knüpfen, es läge sonst kein Sinn darin, Sie mit so außerordentlicher Energie und Ausdauer zu verfolgen. Doch ob wichtig oder geringfügig, das kommt jetzt nicht mehr in Betracht; es kann sich nur noch darum handeln, die nach unschuldigen Häuptern geführten Schläge abzuwenden – und Sie sind es nicht allein, auf welchen ich mich beziehe.«

»Tenuga« – begann ich, als Stella wieder ungeduldig das Wort ergriff:

»Nennen Sie Ihren Befreier nicht, und wo Sie ihm begegnen mögen, verrathen Sie ihn nicht durch Erkennungszeichen.«

»So weilt er nicht mehr im Irrenhause?«

»Er verließ es vor einigen Tagen – doch Sie werden vielleicht mehr von ihm hören. Vergessen Sie dagegen nie meine Warnung. Meine Vorstellungen genügen also nicht, Sie zur Aufgabe Ihrer jetzigen Stellung zu bewegen?«

»Ich kann nicht, darf es nicht.«

Wiederum eine längere Pause, während welcher wir schweigend unsern Weg verfolgten. Dann richtete Stella sich empor, und ihren Arm auf den meinigen legend, nahm sie das Gespräch wieder auf.

»Nach einer solchen Kundgebung wäre es vergebliche Mühe, durch Worte Sie Ihrem Entschluß untreu machen zu wollen,« hob sie mit vorsichtig gedämpfter Stimme an, »es bleibt daher als letztes Mittel, daß Sie mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, damit die nach Ihnen geführten Schläge Sie nicht unvorbereitet treffen. Ich wiederhole meine Frage: Können Sie frei und ohne Argwohn bei Ihren Hausgenossen zu erregen über den heutigen Abend verfügen?«

»Darf ich zuvor die Ursache dieser Frage erfahren?« erwiderte ich zögernd, denn ich entsann mich Mrs. O'Cullens Warnung.

»Ihre Vorsicht theile ich nicht,« hieß es bitter zurück, »zu oft schon wurde Ihr blindes Vertrauen getäuscht – nein – entschuldigen Sie sich nicht, Sie haben keinen Grund dafür. Ich wünsche nämlich, Sie an einen Ort zu fuhren, von welchem aus Sie Ihren Brodherrn, den verrufenen Irländer, in seinem Verkehr mit Leuten zu beobachten vermögen, welche Ihnen ebenfalls nicht fremd sind.«

»Mit Cringe oder Grub?«

»Namen nenne ich nicht. Beantworten Sie einfach meine Frage.«

»Wann soll die Zusammenkunft stattfinden?« forschte ich gespannt.

»Heute Abend noch, gegen elf Uhr.«

»Wie wurde O'Cullen davon in Kenntniß gesetzt.«

»Glücklicher Weise durch einen Brief, oder es wäre mir nicht möglich gewesen, es zu erfahren.«

»So wird er nicht da sein,« erklärte ich zuversichtlich, »denn den Inhalt des Briefes kennt er zur Stunde noch nicht. Er begiebt sich erst zu Jemand, um sich denselben vorlesen zu lassen, und dann ist es zu spät, die verabredete Stunde inne zu halten.«

»Und wer ist derjenige, welcher sein Vertrauen im höheren Maaße besitzt, als seine eigene Gattin?«

»Den Namen der Person erfuhr ich nicht, dagegen erlangte ich Kenntniß von dem Namen des Ortes.«

»Eine Schänke?«

»Ich vermuthe es; die Goldene Harpune.«

»Eine der verrufensten Matrosenschänken,« versetzte Stella mit unverkennbarem Widerwillen; »Verbrecher und Raufbolde sollen daselbst vorzugsweise verkehren, und an einem solchen Orte fühlen Menschen, wie O'Cullen, sich freilich am heimischsten.«

»Ich beabsichtige, mich dorthin zu begeben, um ihn heimlich zu beobachten.«

»Thun Sie es nicht, wenn Ihr Leben Ihnen lieb ist,« warnte Stella dringend, »doch welches Recht hätte ich, in Pläne einzugreifen, welche Sie als Ihre Zwecke fördernde betrachten? Gehen Sie, aber seien Sie auf Ihrer Hut.«

»Ein Freund wird mich begleiten; ohne den Rath und die Führung eines solchen würde es mir kaum gelingen, jene Stätte auszukundschaften.«

»Mag der Besuch jenes gefährlichen Ortes dazu beitragen, Sie Ihrem geheimnißvollen Ziele näher zu führen,« versetzte Stella nach kurzem Sinnen, »doch was Sie erfahren mögen, der Wunsch, welchen ich aussprach, wird durch nichts erschüttert. Sie müssen hören und sehen, was nur unvollständig zu berichten ich im Stande wäre. Sind Sie bereit, sich an einem anderen Tage meiner Führung zu überlassen?

»Sie mißtrauen mir noch immer,« fuhr sie fort, da ich, in der That von Argwohn beseelt, mit einer Antwort zögerte, »Sie übersehen, daß ich mich nur fern von Ihnen zu halten brauchte, und Sie kämpften vielleicht heute noch in unheimlicher Abgeschiedenheit gegen die finsteren Dämonen des Wahnsinns.«

»Mein Geschick lege ich vertrauensvoll in Ihre Hände,« erwiderte ich nunmehr entschlossen, und wie um ein begangenes Unrecht dadurch zu sühnen, wagte ich, die noch immer auf meinem Arme ruhende Hand leise zu drücken.«

»Wohlan,« versetzte Stella, und ihre Stimme klang weich und versöhnlich, daß es mich wie ein süßer Schauer durchströmte, »schon heute eine Stunde zu verabreden liegt nicht in meiner Macht; weiß ich indessen, daß Sie allabendlich denselben Weg, wie heute, zu Ihrem Spaziergange wählen, so ist es mir erleichtert, mich jederzeit mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Kommen Sie aber mit unbefangenem Geiste und kaltem Herzen,« fügte sie hinzu, indem Sie mir ihre Hand entzog, »kommen Sie, ohne sich eitlen, ungerechtfertigten Täuschungen hinzugeben, und gewinnen Sie die Ueberzeugung, daß Ihnen ein Dienst geleistet worden, so betrachten Sie das nicht als einen Ihrer Person geltenden Vorzug, sondern als einen Ihnen zufallenden Antheil an den Erfolgen, welche Andere aus Laune, aus – aus Neigung zu Abenteuern, aus Egoismus für sich selbst erstreben.«

»Stella, theure Stella,« entgegnete ich, indem ich dem Einfluß ihrer, eine heftige Gemüthsbewegung verrathenden Stimme unterworfen, durch das dichte Gewebe des Schleiers hindurch einen Blick in ihre Augen zu gewinnen suchte, »was soll mir ein zufälliger Antheil, so lange ich nicht hoffen darf, daß wenigstens eine Probe freundlicher, gütiger Theilnahme –«

»Bedenken Sie den Ernst Ihrer Lage, den Ernst Ihrer Zukunft,« fiel Stella hoheitsvoll ein, »eine schwache Bürgschaft für Ihre Sicherheit bietet es, wenn Sie zu schwach sind, unter Blumen zu wandeln, ohne jede einzelne für die prachtvollste zu erklären und durch den Ihnen, wie jedem Anderen gleichmäßig gespendeten Duft berauscht, betäubt zu werden.«

»Und ist ein solcher Rausch nicht süß?« fragte ich, unter der Doppelwirkung der Erinnerung an die ersten entzückenden Minuten unserer Bekanntschaft und der mit Geheimnissen umwobenen Gegenwart gleichsam dahinsinkend, »ist er nicht süß, wenn erzeugt durch eine alle Sinne umfangende Farbenpracht? Oder wäre es etwa kein beneidenswerthes Loos, aus einer solchen, jeden Gedanken an erduldete Leiden, an bittere Erfahrungen und herbe Täuschungen ausschließenden Betäubung nie, nie wieder zu klarem Bewußtsein zu erwachen?«

»Sie sind ein Thor, wissen nicht, was Sie denken und sprechen,« versetzte Stella spöttisch, »oder sollten Sie in dem verschwindend kurzen Zeitraume weniger Wochen bereits jene zweifelhafte Höhe erstiegen haben, auf welcher man glaubt, des Lebens Glück nur noch in den flüchtigen Genüssen des Augenblicks finden zu können? Aber Sie besuchten eine gute Schule; in Ihren Worten äußert sich, Ihnen selber freilich unbewußt, die Wirkung des plötzlichen Ueberganges von unerbittlich strenger Haft zur unbegrenzten Freiheit. Der im Finstern ausgezogene Falke erträgt nicht mehr die Tageshelle. Geblendet schießt er dahin, wo er meint, daß erhöhter Glanz ihn locke. Im fortgesetzten vergeblichen Kampfe um Selbstständigkeit erlahmen seine Schwingen. Er beginnt die Sonne zu hassen, weil sie ihm unerreichbar. Maßlos und ohne Wahl von der ihm bisher fremden Wärme trinkend, fühlt er sich bald übersättigt. Verdrossen schleicht er zurück in seine kalte Finsterniß, wo er sich, gegen seine ursprüngliche Natur, heimisch fühlt, um, selbst ein Sclave, wenigstens über elendes Gewürm zu herrschen und sich von ihm zu nähren. Doch ich spreche in Räthseln,« verfiel sie in einen ungeduldigeren Ton, »nun, es kommt die Zeit, in welcher Sie sich des heutigen Abends erinnern und diese Räthsel Ihnen verständlich erscheinen. Vielleicht paßt mein Gleichniß dann auch auf Sie; Anlage dazu kann Ihnen wenigstens nicht abgesprochen werden.«

Sie lachte unheimlich und gehässig, daß ich meinte, eine Andere vor mir zu sehen, als jene strahlende exotische Sonne, deren leidenschaftliche Gluth einst im traumhaften Kuß mich sengend durchströmte.

»Stella, Sie erschrecken mich,« flüsterte ich bange; »Sie wollen mit Ihren dunklen Bildern, mit den in Ihrer Person sich vereinigenden wunderbaren Contrasten meinen armen Kopf vollständig verwirren.«

»Noch hier?« drang es gedämpft und doch so schneidend scharf zu meinem Herzen; »sagte ich Ihnen nicht weit mehr, als unumgänglich nothwendig? Was kümmert's mich, welchen Weg Sie wandeln? Was ich gezwungen an Ihnen verbrach, ich sühnte es zehnfach, indem ich Ihnen den Abgrund zeigte, in welchen Sie mit offenen Augen hinein taumeln möchten. Verlassen Sie mich jetzt und spähen Sie mir nicht nach. Besitzen Sie den Muth dazu, so geben Sie mir an den nächsten Abenden Gelegenheit, Sie wiederzusehen.«

Einige Schritte hielt ich mich noch an Stella's Seite. Ihre Stimme und Bewegungen waren so zurückweisend gewesen, daß ich keine Erwiderung wagte. Als aber auch sie keine Miene machte, ein neues Gespräch zu eröffnen, mäßigte ich meine Eile.

»Auf Wiedersehen,« das war das Einzige, was hervorzubringen meine tiefe Erregung, mein unwillkürliches Beugen vor einem starken Willen mir gestattete. Gleich darauf war sie zwischen den verschiedenen Gruppen der Spaziergänger meinen Blicken entschwunden.

Auf einem Umwege erreichte ich die deutsche Trinkhalle. Bechler saß in seinem gewohnten Winkel. Seitwärts von ihm stand ein halbvolles Glas. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand und verschüttetem Getränk zeichnete er kabbalistische Figuren auf die Tischplatte. In seiner geneigten Haltung, mit dem gesträubten Haar, den unregelmäßig vertheilten Borstenbüscheln in seinem verschobenen Gesicht, der fest in die Wange geschraubten Cigarre und seinen eingeräucherten, vor Wonne und Wehe überströmenden Augen schien er eben einer Hexenküche entstiegen zu sein. Bei meinem Anblick erhellte sich die nachdenkliche Physiognomie des professionirten Philanthropen zu einem wunderlichen Lächeln des ›Willkommens‹.


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