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ELFTES CAPITEL. DIE SCLAVIN.

Die drei geistlichen Herren sahen sich kaum allein, als wie durch Zauber der feierliche Ernst aus ihrem Wesen wich und der Ausdruck eines gewissen ungeduldigen Geschäftseifers an dessen Stelle trat. Grub und Cringe hatten sich über den Tisch geneigt und sprachen so leise zu einander, daß kaum der Ton ihrer Stimmen mich erreichte. Ersterer blätterte nachlässig in dem Skizzenbuch, während Cringe mit größter Aufmerksamkeit einen zerknitterten Papierstreifen und ein in denselben eingewickelt gewesenes Goldstück prüfte.

Der fremde Pater wandelte auf und ab. Die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und das Haupt geneigt, schien er ernst nachzudenken.

Durch die anhaltende äußerste Anspannung meiner Sinne erschöpft, trat ich einen Schritt zurück und sogleich fühlte ich Stella's Athem wieder auf meiner Wange. Als Mittel zur Verständigung suchte ihre Hand die meinige.

»Bereuen Sie, mich begleitet zu habend fragte sie leise.

Krampfhaft drückte ich ihre Hand. Es drängte mich, meine Empfindungen vor ihr zu offenbaren, allein drohend tönte das bald schwindende, bald wachsende Geräusch zu uns herüber, mit welchem der Jesuit fortgesetzt das Zimmer durchmaß.

»Wenn Sie befriedigt sind, halten Sie meine Hand fest, und ungefährdet führe ich Sie auf die Straße hinaus,« hauchte Stella mir wieder zu, »glauben Sie dagegen, weitere Ihnen willkommene Aufschlüsse zu empfangen, so begeben Sie sich auf Ihren Posten zurück.«

Sie hatte kaum geendet, als der Schritt verstummte. Einige laute Worte wurden gewechselt, worauf das Schurren von Stühlen folgte. Hastig schlüpfte Stella an mir vorbei; ein Weilchen spähte sie in das Nebenzimmer, dann trat sie zurück, mich an ihre Stelle drängend.

»Beobachten Sie weiter,« tönte es so leise in mein Ohr, als hätten meine eigenen Gedanken zu mir gesprochen, »ich fürchtete Böses, allein sie haben sich wieder beruhigt.«

Und ich beobachtete. Grub und Cringe hatten ihre alten Plätze eingenommen; Honoré, wie ich den fremden Geistlichen nennen hörte, offenbar belehnt mit einer höheren Würde, setzte dagegen seinen Spaziergang fort, in Folge dessen die Unterhaltung mir verständlicher geführt wurde. Auf dem Tisch standen eine geöffnete Weinflasche und drei volle Gläser. Dieselben waren schon einmal geleert worden.

»Was bestimmt Ihr über den Irländer?« fragte Cringe, sein Glas auf dem Tisch nachlässig drehend.

»Dieser O'Cullen ist der verschlagenste Spitzbube, welcher jemals seine Seele dem Teufel verschrieb,« antwortete Honoré, während des Gehens sein Kinn mit der linken Hand liebkosend, »die Androhungen von Höllenstrafen machen auf ihn denselben Eindruck, wie auf einen vernünftigen Menschen. Nur die ihm angeborene Unterwürfigkeit und seine Hoffnung auf Gewinn hindern ihn, uns zu verlachen.«

»Für eine entsprechende Summe blanker Silberdollars würde er sich zu Allem verstehen,« bemerkte Grub zuversichtlich.

Auf Honoré's Antlitz spielte ein eigenthümliches Lächeln der Ueberlegenheit.

»Er würde es, ja,« versetzte er, »nein das wäre der letzte Ausweg. Vorläufig laßt ihn nicht aus den Augen. Ich müßte mich sehr täuschen, träte er in nächster Zeit nicht in Verbindung mit dem räthselhaften Maler; dann aber einen umsichtigen Menschen auf seine Spuren gesetzt, und wir finden Gelegenheit, ihn mit unserer Allwissenheit zu überraschen.«

Er war vor dem Tisch stehen geblieben, und sein Glas erbebend, nickte er den Gefährten einladend zu. Alle tranken, worauf Honoré das Skizzenbuch vor sich hinzog und das Titelbild betrachtete.

»Ein schönes Antlitz,« sprach er sinnend, »und über das Monogramm kann kein Zweifel walten. Dieselben Buchstaben, dieselbe Verschlingung, wie auf den Vorhängen. Unbegreiflich, daß dieser Umstand dem jungen Menschen selber entging.«

»Von dem Vorhandensein dieses Buches scheint man drüben keine Ahnung gehabt zu haben,« bemerkte Cringe, »noch weniger über die Bedeutung des räthselhaften Monogramms.«

»Und doch knüpfen sich an dasselbe augenscheinlich die wichtigsten Beziehungen,« entgegnete Honoré, indem er seinen Spaziergang wieder aufnahm, »und wir müssen Alles aufbieten, den Verfertiger der Vorhänge persönlich kennen zu lernen. Ich bin überzeugt, in seinen Händen ruht der Schlüssel zu dem ganzen Geheimniß. Leise hätte überhaupt klüger gehandelt, mit mehr Offenheit zu Werke zu gehen.

Die Arbeit wäre uns dadurch bedeutend erleichtert worden. Wie lautet der Schluß seiner Information?«

Grub zog einen Brief unter seiner Soutane hervor, und denselben entfaltend, las er laut:

»Schließlich wiederhole ich noch einmal dringend: Die unerbittlichste Strenge fiel auf keinen empfänglichen Boden. Wo der erste männliche Trotz erwachte, reichen gewöhnliche Mittel nicht mehr aus. In üppigem Leben und bei unbegrenzten Genüssen auf jedem Gebiete erschlafft ein schwankender Geist gewöhnlich sehr schnell wieder. Andererseits entspringt wirklicher Wahnsinn leicht aus der Wechselwirkung vorsichtig gelenkter Ueberreizung und darauf folgendem Entsetzen. Sogar unverschuldeter Verlust des ehrlichen Namens schaffte manchen geschmeidigen, sich knechtisch unterwerfenden Charakter. Was den Ocean kreuzte, kehrt entweder brauchbar zurück, oder nie.«

»Oder nie,« wiederholte Honoré, der während des Lesens vor dem Tisch stehen geblieben war, dann aber den unterbrochenen Spaziergang wieder aufnahm; »ich finde zwischen den Zeilen nichts Anderes, als was pünktlich ausgeführt wurde – doch wir scheinen bei offenen Thüren zu berathen,« bemerkte er plötzlich so dicht vor mir, daß nur die dünne Papierwand seinen Athem von meinem Gesicht trennte und ich gewahrte, daß er das Fenster ganz öffnete.

»Ich selbst schob den Riegel vor, als kurz vor Einbruch der Nacht ich mich hierher begab,« betheuerte Grub, indem er hastig neben Honoré hintrat und dadurch den letzten Lichtstrahl von meinen Augen ausschloß, »ich entsinne mich dessen genau; nach mir kann unmöglich Jemand hier gewesen sein.«

In diesem Augenblicke fühlte ich Stella's Hände auf meinen Schultern.

»Werfen Sie sich nieder,« entwand es sich mit unverkennbarer Todesangst ihren Lippen, daß ich, eine furchtbare Gefahr ahnend, in die Kniee sank. Dann vernahm ich leises Knistern über mir; Licht strömte in den dunklen Raum, in welchem wir uns befanden, und gleichzeitig bemerkte ich, wie ein mit Leinwand und Tapete überzogener Rahmen sich über mich hinsenkte, bis er eine Art Bedachung bildete, welche von zwei Riemen und den unten angebrachten Gehängen wagerecht gehalten wurde. Vor mir aber stand Stella bleich und regungslos, wie eine Marmorstatue, jedoch, soweit ich in meiner ungünstigen Lage zu unterscheiden vermochte, die funkelnden Blicke dahin gerichtet, von woher bei dem Licht einer von Cringe schnell herbeigeholten Lampe drei Paar Augen sie drohend anstarrten.

Mehrere Secunden herrschte lautlose Stille. Auf beiden Seiten war man zu überrascht, um sogleich Worte finden zu können. Ich selbst aber war wiederum dazu verdammt, der stumme Zeuge einer Scene zu sein, in welche, wie es die wild auflodernden Leidenschaften mir wohl vorschrieben, handelnd einzugreifen, gleichbedeutend mit Stella's unabwendbarem Verderben gewesen wäre.

»Du hier?« brach Cringe endlich das Schweigen mit einer Schärfe, welche seltsam gegen den schmeichelnden Ton seiner Stimme contrastirte, wie sie mir seit meinem ersten in New-York verlebten Abende noch im Gedächtniß.

»Verkehrte ich nicht lange genug in diesem Hause, um jeden verborgenen Winkel desselben zu kennen?« fragte Stella ruhig.

»Ja, meine schöne, südliche Anaconda, das thatest Du,« bestätigte Cringe spöttisch, »doch sage weiter, mit welchem Recht schleichst Du zur nächtlichen Stunde umher und suchst Du unberufener Weise Dich in Sachen einzudrängen, welche Du ebenso wenig verstehst, wie sie Deine Person berühren?«

»Mit demselben Recht,« antwortete Stella entschlossen, »mit welchem ich auf Schritt und Tritt von argwöhnischen Augen überwacht werde; mit dem Recht, welches durch das Verlangen bedingt wird, etwanige über mich gefaßte Beschlüsse auszukundschaften.«

»Ei, die geschmeidige Anaconda scheint sich in einen Panther verwandeln zu wollen,« höhnte Cringe mit dem Ausdruck überlegener Siegesgewißheit, »es wird daher Zeit, um Dein südlich kochendes Blut zu beruhigen, Dich an Deine Stellung zu erinnern und an die möglichen Folgen Deines heimlichen Spionirens.«

Bei dieser Ankündigung neigte Stella, wie ermattet, ihr prachtvolles Haupt auf die Brust. Die eine Hand hatte sie, wie um mich zu schützen, vor sich auf den Rahmen gelegt; dieselbe mechanisch zurückziehend, streifte sie meine Stirn. Doch als ob durch diese Berührung der Muth der Verzweiflung in ihr wachgerufen worden wäre, richtete sie sich stolz empor, und mit funkelnden Blicken ihre Gegner trotzig messend, eröffnete sie ein Gespräch, dessen Inhalt von ihrer Seite unstreitig für mich berechnet war.

»Die Zeiten, in welchen ich vor Erinnerungen ängstlich zusammenschauerte,« hob sie leidenschaftlich an, »sie liegen hinter mir; meint Ihr dagegen, daß ich mich in eine Katze verwandelt habe, so solltet Ihr nicht vergessen, daß die Natur solche Bestien mit Krallen und Zähnen versah.«

»Gut geantwortet, Kind,« versetzte Cringe, und seine Stimme erhielt wieder einen Anflug ihres früheren, sorgfältig eingeübten Wohlklanges, »wenn ich Dich indessen auf einem ungehörigen Wege entdeckte, so folgt daraus nicht, daß ich mich in nutzlose Zänkereien mit Dir einlassen müßte. Nein, Stella, für mich wäre es eine undankbare Arbeit, wogegen Dir selber der größte Nachtheil daraus erwüchse. Ein verständiges Wort aber will ich mit Dir reden, und zwar gleich hier auf frischer That, lächerlich, wie es erscheinen mag, daß wir durch eine Wand hindurch uns mit einander in Verkehr setzen. Vielleicht nimmst Du am Schlusse unseres Gespräches gern und dankbar jede Strafe entgegen, welche Dir zuzuerkennen ich für angemessen befinde.

»Du hast nicht vergessen, wer und was Du bist?«

»Keinen Augenblick,« rief Stella tief aufathmend aus, »ich bin die Tochter einer Quadrone und eines Weißen. In der Sclaverei geboren, gelangte ich im zarten Jugendalter als ein Stück Waare in Eure Hände.«

»Gut, meine schöne Anaconda,« und ich meinte durch die mich schützende Wand hindurch die giftigen Blicke zu fühlen, mit welchen die geistlichen Herren ihr Opfer betrachteten, meinte, nach dieser ungeahnten Enthüllung, plötzlich mit der Gabe des Hellsehens ausgerüstet zu sein, so lösten sich alle Räthsel, welche bisher das reizvolle Bild der lieblichen Südländerin umhüllten; »gut, meine Tochter; doch ungerechtfertigter Zorn sprüht aus Deinen Augen; denn hätte ich Dich nicht käuflich erstanden, so wärest Du in den Besitz eines Andern übergegangen, der schwerlich so viel Rücksicht mit Deiner Person genommen hätte.«

»Meine Lage wäre dadurch nicht verschlimmert worden,« entgegnete Stella bebend vor heftiger Erregung; »ja, Ihr kauftet mich, allein, Ihr verschweigt die Gründe, wegen deren Ihr mich in Euren, oder vielmehr in den Besitz Eures Ordens brachtet. O – versucht es nicht, mir Schweigen aufzuerlegen! Ich will jetzt sprechen – Ihr selbst habt den Panther entfesselt, und diese kurze mir gegönnte Frist will ich nach besten Kräften ausnutzen. Wer weiß, die Wände in diesem Hause haben Ohren, vielleicht tragen sie meine Klagen bis dahin, wo sie nicht ungehört verhallen! Ja, Ihr kauftet mich, weil ich ein schönes Kind war; Ihr zahltet einen ungewöhnlich hohen Preis, weil ich eine noch schönere Jungfrau zu werden versprach. Und wo hättet Ihr eine zweite Sclavin gefunden, welche überall, wo Ihr sie einführtet, als Weiße von tadelloser Herkunft aufgenommen worden wäre? Wo eine Farbige, welche sich zu einem besseren Werkzeuge zu Euern Zwecken geeignet hätte? Ich war schön, auffallend schön; doch welchen Werth hätten meine verächtlichen äußeren Reize gehabt, ohne die entsprechende Erziehung? Ihr übergabt mich daher Händen, welche nicht nur mich unterrichteten und bildeten, sondern auch mit allen Künsten einer Schauspielerin vertraut machten. Und ich – wie konnte ich ahnen, zu welchen Zwecken man das arglose Kind in Sammet und Seide kleidete; weshalb man unter den hinterlistigsten Vorspiegelungen ihm die Neigung einimpfte, zu gefallen und eine vornehme Dame zu werden; weshalb man mich warnte, meine Verwandtschaft mit der afrikanischen Race zu verrathen, mich frühzeitig unterwies, die Menschen über mich zu täuschen, leichtfertig über die Religion, über alles Gute und Edle zu urtheilen? Ja, man unterrichtete mich mit großer Sorgfalt; allein man übersah, daß die Zeit ernsteren Nachdenkens sich auch bei mir einstellen, gerade die sorgfältige Pflege meiner geistigen Anlagen es mir erleichtern würde, alle Verhältnisse zu durchschauen. Und diese Zeit kam, sie kam, als die mir von der Natur verliehenen äußeren Vorzüge sich entfalteten, als diejenigen, welche einst das Kind käuflich als Eigenthum erwarben, sich selber vor diesen Vorzügen beugten und meinten, die eben erschlossene Blüthe für sich allein brechen zu können. In Euren Blicken lese ich teuflischen Hohn, und dennoch seid Ihr nicht im Stande, ein einziges meiner Worte zu widerlegen. Oder habt Ihr vergessen, daß bei Euren hinterlistigen Angriffen das heiße Blut meiner schwarzen Vorfahren in mir sich regte, daß ich ein feines Messerlein in das Gift einer Klapperschlange tauchte und mittelst dieser unscheinbaren Waffe mir eine unantastbare Selbstständigkeit bewahrte? Doch diese Unantastbarkeit erstreckte sich nur auf meinen Körper. Sobald man mich dazu benutzte, durch meine Blicke, durch meine Stimme, durch mein Lachen Andere zu berauschen und zu Euern willenlosen Geschöpfen zu entwürdigen, sobald ich als Traumbild von Fleisch und Bein vor Eure Opfer hingestellt wurde, um aus der Ferne deren Sinne zu betäuben, da war es mit meiner Selbstständigkeit vorbei. Und wenn ich den Reizen fluchte, durch welche ich zu einem elenden Werkzeuge in Euren Händen wurde; wenn ich drohte den Bann zu brechen, in welchen mein Anblick den Einen und den Andern schnürte, dann donnerte man mir zu: ›Im Staube geborene Sclavin, willst Du an den ersten besten Wüstling verkauft werden? Willst Du in öffentlicher Gesellschaft Deiner Handschuhe entkleidet werden, auf daß man die dunkeln Ränder an Deinen Fingernägeln als Mittel zu Deiner Schmach benutze?‹

»Ach, hätte ich nur den Muth besessen, dieser unverdienten Schmach zu begegnen! Allein man hatte künstlich eine Geistesrichtung in mir erzeugt und genährt, daß nichts ich mehr fürchtete, als meiner Abstammung von einer Farbigen überführt und demnächst unter den Hammer gebracht zu werden.

»Eine solche Drohung schwebte beständig auf der einen Seite. Auf der andern hieß es dagegen: ›Stella, diene uns treu, und an Deinem neunzehnten Geburtstage erhältst Du Deinen Freibrief.‹ Und ich diente treu – ein Gott hätte sich nicht anders entschieden – ich übertraf mich selber, bis endlich der heiß ersehnte Tag anbrach, welcher mir die Freiheit bringen sollte, statt deren aber nur erneute Drohungen und Zwangsmaßregeln im Gefolge hatte.

»So bin ich einundzwanzig Jahre alt geworden. Von Monat zu Monat vertröstete man mich. Man hoffte, daß Wohlleben, daß Sammet, Seide und Perlen mir zum Bedürfniß werden würden, allein Ihr habt Euch getäuscht. Nun aber, da ich dasselbe Mittel gegen Euch gebrauche, welches Ihr die langen Jahre hindurch gegen mich anwendetet, jetzt, da ich versuchte, Euch zu belauschen, wollt Ihr von neuen Strafen sprechen, wollt Ihr die willkommene Gelegenheit ergreifen, meine Gefangenschaft wieder zu verlängern? Wohl weiß ich, daß es mir nicht gelingt, Euch zu entfliehen; denn Euer mächtiger Arm reicht überall hin; wer dagegen könnte mich hindern, in meiner Verzweiflung auf die Straße hinauszustürzen, die Menschen zusammenzurufen und, unbekümmert um meine Zukunft, mich als ein Opfer der frommen Jesuitenväter hinzustellen –«

»Um für wahnsinnig erklärt und auf Lebenszeit eingesperrt zu werden,« benutzte Cringe eine Pause in den Anklagen des von wildem Schmerz ergriffenen jungen Mädchens zu einer schneidend spöttischen Bemerkung, »Du siehst, ich nehme keinen Anstand, offen mit Dir zu sprechen, ebenso offen, wie Du, nur etwas logischer, und nur um Deine Champagnernatur zuvor abbrausen, Dich zugänglicher für vernünftige Vorstellungen werden zu lassen, störte ich Dich nicht in Deinem Redefluß. Dein Auftreten spricht übrigens für Deine gediegene Ausbildung; – für die Dienste aber, welche Du gelegentlich der Kirche, nicht Personen, leistetest, empfingst Du in Deiner Erziehung gewiß einen reichen Lohn. Diese Erziehung berechtigt Dich sogar zu freieren religiösen Anschauungen; meinst Du indessen, dadurch zugleich das Recht erworben zu haben, Dich gegen Deine Lehrer und Beschützer, um nicht zu sagen: Eigenthümer – aufzulehnen, wohl gar störend deren wohldurchdachte Werke durchkreuzen zu dürfen, so bist Du von einer unverzeihlichen Kurzsichtigkeit befangen. Und den Stab möchtest Du sogar brechen über das, was mit weisem Bedacht von Dir gefordert wurde? Begreifst Du noch immer nicht, daß wenn wir, in Anerkennung Deiner seltenen geistigen Fähigkeiten, für gut befanden, in ernsten Dingen bis zu einer bestimmten Grenze Dir unser Vertrauen zu schenken, wir auch die Mittel besitzen, jedem Mißbrauch desselben vorzubeugen? Du zweifelst; Du beißest mit Deinen Perlenzähnen Dir die verlockenden Rosenlippen wund, anstatt in Dich zu gehen und durch Demuth und blinde Unterwürfigkeit das Zerspringen der Sclavenketten zu beschleunigen. Ei, so stürze doch auf die Straße hinaus und versuche, welchen Glauben Du findest; gehe hin und erfahre, wie man einer Farbigen begegnet, welche die Häupter einer gewaltigen Gemeinde öffentlich schmäht und deren Ansehen in den Staub zu ziehen trachtet! Ja, gehe, um nach kurzer Frist hierher zurückzukehren, um auf den Knieen um Erbarmung zu flehen, daß man Dich rette vor einer wüthenden Menge, daß man davon abstehe, Dich als eine begehrte Waare auf den Markt zu schicken, Dir dagegen einen sicheren Winkel gönne, um in demselben fernerhin die nachsichtige Freundschaft Derer zu genießen, welche Du jetzt in kindischem Zorn mit Deinen Perlenzähnen zerreißen möchtest. Ich sehe Thränen in Deinen schönen Augen: Ein Zeichen wiederkehrender Besinnung, und ich darf mildere Maßregeln gegen Dich ergreifen. Was Du hier erlauschtest, kommt nicht in Betracht; Dein Verfahren ist es allein, was strenge Rüge verdient. Doch auch darüber will ich erst entscheiden, nachdem Deine hochwallenden Leidenschaften sich geebnet haben. Begieb Dich daher zur Ruhe; doch bevor Du einschläfst erwäge noch einmal ernstlich, was Du vorziehst: Den Auctionshammer, den Aufenthalt in einem Kloster der Havannah, oder endlich unbeschränkte Freiheit unter dem Schutze wohlmeinender Freunde im Champagner sprudelnden Frankreich, im sonnigen Italien oder dem nüchternen Deutschland.«

Stella antwortete nicht. Sie war einen Schritt zurückgetreten, wie sich scheuend vor einer etwanigen Berührung, der sie durch das Wandfenster beobachtenden Jesuitenväter. Ich selbst gewann dadurch einen volleren Anblick von ihr und meinte, sie nie schöner, bezaubernder gesehen zu haben, als gerade jetzt in ihrer stummen Verzweiflung. Das Haupt hatte sie geneigt; die langen schwarzen Wimpern ruhten scheinbar auf den todtbleichen Wangen; zwischen den leicht geöffneten Lippen hindurch waren die prachtvollen Zähne sichtbar. Nur leise und doch gepreßt entwand sich der Athem der gequälten Brust. Die Hände hatte sie vor sich gefaltet; so stand sie da, das ergreifende Bild einer im endlosen Schmerz versteinerten Niobe. Aber auch ich selbst war wie gelähmt, so furchtbar wirkte das Bewußtsein, obwohl ahnungslos, die entsetzliche Lage der lieblichen, theilnahmvollen Freundin herbeigeführt zu haben.

Die arme, geknechtete Stella! Wie ihre Brust sich wohl zusammenschnürte, in meiner Gegenwart eine derartige schmachvolle Behandlung erfahren zu müssen! Welche Ueberwindung es sie wohl kostete, vor mir zu enthüllen ihre Herkunft, die entwürdigende Stellung, die Folgen des Fluches, welcher auf ihr, der verkäuflichen Farbigen lastete! Wie Scham und Verzweiflung ihre Seele wohl zerfleischten, offenbaren zu müssen, daß die Bevorzugungen, deren ich mich bei unserem ersten Zusammentreffen erfreute, nur erheuchelte, ihr streng anbefohlene Gunstbezeigungen gewesen! Mir blutete das Herz. Ich hätte ihre Kniee umklammern, sie beschwören mögen, nicht an jenen Abend zurückzudenken, nicht so starr zu blicken, sondern sich überzeugt zu halten von meiner unwandelbaren Verehrung, von meiner unerschütterlichen, opferwilligen Treue; zu glauben, daß ich fortan die mir bewiesene Güte und Theilnahme, unbekümmert um deren ursprünglichen Charakter, als meine heiligste Erinnerung, als einen süßen Trost in meinen bitteren Stunden betrachten würde. Dann aber ballte ich die Hände vor Wuth und meinen Hals umspannte ich krampfhaft bis zum Ersticken, um nicht laut aufzuschreien vor Jammer und Entrüstung über das schmachvolle Bild einer heimlichen, das Maaß alles nur Denkbaren überschreitenden Inquisition.

Und wiederum war ich in die Lage gerathen, mich selbst und Alles, was hinter mir lag, meine Hoffnungen und mein Ringen, die Heimat und alles Theure, was sie barg, zu vergessen und nur meinen augenblicklichen Empfindungen Raum zu geben. Tiefe Scham erfüllte mich auf der einen Seite, als müßiger, feiger Beobachter dem ohnmächtigen Kampfe eines mißhandelten, schutzlosen Wesens gegen die finstersten aller Dämonen beiwohnen zu müssen. Bewunderung und Erstaunen regten sich andererseits über die kühne, von durchdringender Verstandesschärfe getragene Sprache des sich mit äußerster Kraft gegen ein feindliches Geschick sträubenden Opfers. Erschien mir doch der räthselhaften Will o' the Wisp Ringen gegen thierisch rohe Gewalten kindlich harmlos im Vergleich mit Stella's krampfhaften Zuckungen in der dichten Umnetzung jenes an gräßliche Meerungeheuer erinnernden, vielarmigen Polypen, indem sie ihre Seele vergeblich dessen sich fest anschmiegenden, zerstörend wirkenden Saugnäpfen zu entziehen trachtete. Was hätte ich nicht mit Freuden dafür hingegeben, wäre es mir vergönnt gewesen, aufzuspringen, diesen Hyänen des menschlichen Geistes mich offen zu zeigen, ihnen meinen Fluch, die Ausdrücke meiner Verachtung, meiner Abscheu zuzuschleudern, mit meiner Hand ihr Gesicht zu treffen, mich zu weiden an ihrem erstarrenden Schrecken und stolz von dannen zu gehen, und die ganze Welt zum Kampfe gegen diese gefährlichsten aller Finsterlinge wachzurufen!

Doch: » Quum finis est licitus, etiam media sunt licita,« vibrirten des alten Fröhlich Worte gleichsam warnend in meinen Ohren, und ich zitterte vor der Entdeckung. Ich zitterte, aber nicht für mich. Im Geiste sah ich Stella, die liebliche, im Schatten der Palmen und Bananen in's Leben gerufene Blüthe, leicht gekleidet auf der Bank einer Auctionshalle stehen, sah ich sie zusammenschauern unter den wüsten, prüfenden Blicken und Griffen südlicher Wollüstlinge; hörte ich den Ton des fallenden Hammers über ihr Loos entscheiden, und sah ich sie endlich sich ohnmächtig winden in den Armen ihres neuen Besitzers und hinsinken, ein empörendes Opfer engverbundenen körperlichen und geistigen Sclaventhums!

Darum kauerte ich auch so still in meinem geschützten Winkel und starrte ich so regungslos auf Stella, als sie nach der an sie ergangenen Warnung, sich still abkehrte und zwischen mehreren Tischen und Stühlen hindurch dem Ausgange des Gemaches zuschlich.

Bevor sie die Thür erreichte, die in der Nische stehende Lampe aber noch das Gemach bis in alle Winkel hinein, nur nicht bis unter die aufgeschlagene Tapetenthür erhellte, ertönte hinter mir eine Glocke.

»Pumpkin,« sprachen über mir mehrere Stimmen, »was, in aller Heiligen Namen, führt ihn hierher?«

Zugleich verschwand der Lichtschein, die Fallthür schlug in ihre Fugen zurück und durch die geschlossene Oeffnung hindurch vernahm ich gedämpft die herrische Aufforderung, einzutreten.

Ich hatte mich erhoben und spähte wieder zu den geistlichen Herren hinein. Der Mestize befand sich bei ihnen. Nur seiner lauten Stimme und dem Umstande, daß er mir sein schadenfrohes Gesicht voll zukehrte, verdankte ich, trotz des nunmehr geschlossenen Fensters, ein theilweises Verstehen seiner Meldung.

»Ein Deutscher steht auf der Straße und droht, die Klingel abzureißen,« berichtete er grinsend. »Er verlangt Einlaß und sucht den Mr. Indigo. Ich verhielt mich, als ob Alles im Hause schliefe.«

Ich erschrak und verwünschte die treue Freundschaft Bechlers; denn ein Anderer konnte es Nicht sein, der für meine Sicherheit fürchtete. Nur ihm hatte ich aus Vorsicht anvertraut, wo man, im Falle meines plötzlichen Verschwindens, vielleicht mit Erfolg nach mir forschen könne. In schleuniger Flucht meine letzte Rettung erblickend, suchte ich mich nach dem Ausgange des Zimmers hinzutasten, als Stella's Arm, indem sie meine Hand suchte, mich plötzlich streifte.

»Kommen Sie, kommen Sie,« flüsterte sie angstvoll, »geben Sie keinen Laut von sich und folgen Sie mir, bevor es zu spät wird. Ich hörte die Klingel; zu dieser ungewöhnlichen Stunde kann es nichts Gutes bedeuten.«

Geräuschlos durcheilten wir das Zimmer, sobald wir aber die Thür hinter uns hatten, beschleunigten wir unsere Bewegungen. Stella schien vor mir einherzuschweben; doch auch meine Schritte blieben fast unhörbar. Und so flüchteten wir über lange Flurgänge und Treppen hinunter, bis wir endlich im Erdgeschoß eintrafen, wo eine unmittelbare Verbindung mit der Hausthüre bestand. Die Glocke wurde nicht mehr gezogen, dafür klopfte man und deutlich unterschied ich Bechlers Organ, indem er beschwor, das ganze Gebäude im Handumdrehen von der Erde verschwinden zu machen, wenn man ehrlichen Leuten nicht öffne.

In den oberen Stockwerken gingen Thüren; schwere Schritte, offenbar die des Mestizen, kamen niederwärts. Unser Weg lag dagegen in dem Hintergebäude und war frei. In der nächsten Minute schlüpften wir auf den Vorplatz der Kirche hinaus; doch erst nachdem Stella das in die Sackgasse führende Pförtchen geöffnet hatte, wagte sie es wieder, ihre Worte an mich zu richten.

»Sie sind in Sicherheit,« sprach sie, bevor ich hinaustrat, »mögen die da drinnen immerhin Verdacht gegen mich schöpfen, es kümmert mich nicht; ebensowenig, ob Fremde mich für eine Verworfene oder für eine Heilige halten. Ich bin eine Farbige, und als solche habe ich keinen Anspruch auf Mitleid oder guten Glauben.«

Sie lachte feindselig vor sich hin, und die Thür ganz nach innen ziehend, machte sie mir den Weg frei.

»Stella, ich muß – ich muß Sie wiedersehen,« flüsterte ich und leidenschaftlich drückte ich ihre schmale, erschreckend kalte Hand, »ich muß Sie wiedersehen, wenn auch nur, um Ihnen zu offenbaren, welche Wirkung das grausame Verfahren Ihrer Peiniger auf mich ausübte.«

»Gehen Sie,« versetzte Stella ungeduldig, und dennoch meinte ich, in ihrer gedämpften Stimme einen unsäglichen Schmerz, gepaart mit inniger Dankbarkeit, zu erkennen, »gehen Sie und versuchen Sie nie, ein Wiedersehen herbeizuführen; es wäre vergebliche Mühe. Wenn es sich um Ernstes handelt, werde ich Sie zu finden wissen. Ich bin eine Farbige, und darin liegt Alles. Was Ihnen anzuvertrauen mich eine unüberwindliche Scheu beseelte; was als unauslöschliche Schmach zu betrachten, man mich seit meiner Kindheit gewöhnte, jetzt ist es Ihnen kein Geheimniß mehr. Der Würfel ist gefallen, aber anstatt Entsetzen zu empfinden, fühle ich mich beruhigter. Doch nun gehen Sie,« und sie entzog mir ihre Hand, welche sie mir zum Abschied gereicht hatte, »gehen Sie zu Ihren Freunden, und möge das, was Sie in dieser Nacht erfuhren, Ihnen zum Vortheil – zum Segen gereichen.«

»Ob zum Segen oder zum Zerschellen hochfliegender Hoffnungen, theure Stella, das liegt verborgen im dunkeln Schooße der Zukunft,« erwiderte ich tief ergriffen, »nur so viel darf ich zuversichtlich aussprechen, daß es Mittel giebt, Diejenigen, welche einen schmachvollen Verrath an unschuldigen Häuptern übten, zur Rechenschaft zu ziehen, die drohenden, vernichtenden Schläge auf sie selbst zurückzulenken. Ein Skizzenbuch, eingebunden in verschossene Seide –«

»Ich sah es in Cringe's Händen,« fiel Stella gespannt ein.

»Zu demselben gehören mehrere kleinere Andenken –«

»Ein Goldstück und verschiedene unscheinbare Briefschaften,« ergänzte Stella wieder.

»Ja, das ist es, was ich zurückerlangen möchte,« fuhr ich fort, »um es als Talisman zu benutzen, wenn meine Hoffnungen sich nicht als trügerische ausweisen sollten. Doch um einen wirklichen Druck auf meine, auf Ihre Feinde auszuüben, bedarf es mehr. Briefe aus Europa, Briefe entsetzlichen Inhaltes und geschrieben von einem gewissen Leise, geriethen sie in meinen Besitz, dann dürfte ich aufgerichteten Hauptes vor jene finsteren Männer hintreten und nicht nur für mich, sondern auch für Andere fordern, ohne einen abschlägigen Bescheid befürchten zu brauchen.«

»Ich habe Sie verstanden,« flüsterte Stella erregt, »hier ist die Hand einer Farbigen, ich reiche sie Ihnen zum Zeichen meiner Dankbarkeit, und wäre es nur für Ihren treuen Willen.«

Was ich empfand, gleichsam unwillkürlich suchte ich es dadurch zu offenbaren, daß ich die dargebotene Hand an meine Lippen führte; mit einer heftigen Bewegung wurde sie mir entzogen und geräuschlos schloß die Pforte sich zwischen uns.

Mehrere Minuten blieb ich wie betäubt stehen. Erst allmählich machte ich mich gewissermaßen mit dem Gedanken vertraut, das, was meinen armen Kopf durchschwirrte, nicht geträumt zu haben. Langsam die bereits stiller gewordenen Straßen durchwandelnd und meine Richtung nach dem zeitweise mir sichtbaren Kirchthurme bestimmend, gelangte ich auf einem Umwege in die Hauptstraße. Bechler, von dem Mestizen mehrfach hart angelassen, hatte endlich das Vergebliche seiner Bemühungen eingesehen. Ich erkannte ihn von Weitem an der Cigarre, die mit den Laternen um die Wette leuchtete.

Mit ungeheuchelter Freude begrüßte er mich, in seiner eigenthümlichen Weise beschwörend, daß er plenty Freunde besitze, welche sich ein besonderes Vergnügen daraus gemacht hätten, ihn nach Tagesanbruch in seinen Forschungen nach mir zu unterstützen.

Eine Weile bewegte ich mich schweigend an der Seite des sorglos plaudernden Gefährten einher. Wie seine übertriebene Besorgniß beinahe verhängnißvoll für mich geworden wäre, so konnte seine genaue Kenntniß aller Verhältnisse und das daraus hervorgehende treue Mitwirken eines zuverlässigen Freundes meinen Plänen nur förderlich sein. So folgerte ich, indem ich, meine europäischen Beziehungen mehr oberflächlich schildernd, ihn desto umständlicher mit der Lage vertraut machte, in welche ich gleich nach meinem Landen in New-York gestürzt worden war. Die rege Theilnahme des wunderlichen professionirten Philanthropen und sein Erstaunen, dann aber der Enthusiasmus, mit welchem er mir seine ungetheilten Kräfte und seine Kenntniß der Landesverhältnisse zur Verfügung stellte, gewährten mir große Beruhigung. Es war ein ermuthigender Gedanke, nicht mehr allein dazustehen, in den Stunden des Zweifels und der Gefahren auf den Rath und die thätige Mitwirkung eines ebenso uneigennützigen, wie für Andere umsichtigen und bedachtsamen Freundes zählen zu dürfen.


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