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II.

Photius wurde, wie bei seiner letzten Audienz, vom Kammerdiener Melnikow durch die Subowsche Geheimstiege geleitet; am hellichten Tage brannte hier Licht, und Photius bekreuzigte sich und alle Ecken, Türen, Gänge und Wände, denn er war fest davon überzeugt, daß hier unzählige Heerscharen von feindlichen Mächten hausten. Als er das Arbeitszimmer des Kaisers betrat, machte er langsam und andächtig das Zeichen des Kreuzes und blickte erst dann den Kaiser an. Der Kaiser nahm seinen Segen entgegen und ließ ihn an seinem Schreibtisch Platz nehmen. Alles kam anders, als Photius erwartete. Beim ersten Blick auf das Gesicht des Kaisers begriff er, daß seine Sache schlecht stand. Während der Audienz hörte er nicht auf zu zittern. Später erzählte er, daß auf seinem ganzen Körper während dieses Gesprächs ein blutiger Schweiß hervorgetreten sei.

»Ich ließ Sie kommen, Vater, um von Ihnen zu hören, ob es wahr ist, daß Sie den Fürsten Alexander Nikolajewitsch Golitzin exkommuniziert haben?«

»Eure Majestät, es war nicht ich, sondern Gott selbst rief ihm vom Himmel zu ...«

»Wollen Sie nur auf meine Frage antworten!« herrschte ihn der Kaiser an. Seine Stimme klang ebenso kreischend, wie beim Kaiser Paul, wenn dieser zürnte. »Ist es wahr oder nicht wahr? Stehen Sie Antwort!«

»Es ist wahr.«

»Mit welchem Recht, kraft welcher Gewalt haben Sie es getan?«

Photius schwieg, sah zum Fenster hinaus und bekreuzigte sich unzähligemal hintereinander.

Der Kaiser war sehr aufgebracht; anfangs wollte er eigentlich dem Mönch nur etwas Angst einjagen, dann kam er aber wie ein Schauspieler in Schwung und sprach beinahe aufrichtig.

»Mit welchem Recht haben Sie es getan?« wiederholte er mit erhobener Stimme, »wer hat Sie zum Richter über mich und die Kirche, über mich und Gott eingesetzt? Warum seid ihr alle über Golitzin hergefallen? Warum revoltiert ihr? Was wollt ihr? Wollt ihr die Kirche von der weltlichen Herrschaft befreien? Habt ihr euch nicht selbst der weltlichen Macht unterworfen? Wir Fürsten bekommen viele Gemeinheiten zu sehen, aber eine so gemeine Gesinnung, wie ihr sie zeigt, ihr Herren vom Klerus, habe ich noch nirgends, ich schwöre es beim Höchsten, gesehen. Wo waret ihr, wo war euere Freiheit an jenem Tage, als man den Selbstherrscher von Rußland an Stelle des Heilands zum Oberhaupt der Kirche einsetzte, einen Menschen zum Gott machte, als diese größte Gotteslästerung, dieser entsetzlichste Greuel geschah? Ihr habt alles verraten und die Schändung des Allerheiligsten geschehen lassen. Sind denn nicht alle Vertreter der russischen Kirche vom ersten bis zum letzten vor mir im Staube gelegen, Hosianna rufend, wie vor dem Antlitze Jesu Christi? Mußte ich denn nicht selbst befehlen, daß dergleichen nicht mehr vorkomme, daß man mich nicht neben Gott setze und ›der Unsterbliche‹, ›der Benedeite‹ nenne? Ich schäme mich, alle diese Dinge zu erwähnen, doch ihr, ihr Herren Geistlichen, habt längst alle Angst und Scham verloren! ... Und jetzt fällt es euch plötzlich ein, zu revoltieren! Ihr untersteht euch, von der Freiheit der Kirche zu sprechen! ... Nun, wenn euch Golitzin nicht paßt, bekommt ihr den Araktschejew. Von Ihnen, Vater Photius, hatte ich aber wirklich geglaubt, daß Sie besser als die anderen seien; ich habe mich Ihnen anvertraut, und das ist jetzt der Lohn dafür! Gott möge Sie richten! Begreifen Sie denn überhaupt, was Sie getan haben? ...«

Er erhob sich von seinem Platz und begann mit raschen Schritten aus und ab zu gehen. Wie jedesmal, wenn er in Zorn geriet, wurde seine Stirne ganz rot, während das Gesicht blaß blieb. Er bedeckte sich die Stirne mit einem Tuch, als wollte er sich den Schweiß abtrocknen.

Photius sah ununterbrochen zum Fenster hinaus, schwieg, zitterte und bekreuzigte sich.

»Begreifen Sie es?« wiederholte der Kaiser, vor ihm stehen bleibend. Als er aber seine Augen sah, merkte er, daß Photius nichts begriffen und auch nie etwas begreifen werde; alles prallte von ihm zurück, wie Erbsen von der Wand.

Der Kaiser ließ sich in einen Sessel fallen und fühlte plötzlich, daß sein ganzer Zorn verpufft war.

»Warum schweigen Sie denn? Reden Sie doch, antworten Sie!«

»Was soll ich dir sagen, Kaiser?« Photius blickte ihn scheu an. »Und wäre es nicht der Fürst Golitzin, sondern käme ein Engel des Herrn vom Himmel herab, der gegen die Kirche und gegen den Kaiser redete, so würde ich auch ihm entgegenrufen: Anathema!«

»Auch mir?«

Photius schwieg.

»Sagen Sie es mir offen, ich höre zu,« fuhr der Kaiser spöttisch lächelnd, beinahe angeekelt, fort.

»Ich tat nur das, wozu mich der Herr berufen hat, auf daß ich meinem Zaren die Wahrheit sage.« Photius bekam wieder Mut. »Wenn ich sehe, daß das Heiligtum geschändet und Haß gepredigt wird, kann ich denn da schweigen? Muß ich glauben, daß all dies Böse von dir stammt, wie es Golitzin glaubt, und was er auch mir einreden will? Als der heilige Wundertäter Nikolaus auf dem Konzil zu Nizäa dem gottlosen Arius eine Ohrfeige gab ...«

Er überreichte dem Kaiser ein aus der Lebensbeschreibung des Heiligen herausgerissenes Blatt, auf dem erzählt wurde, wie die Kirchenväter auf dem Konzil von Nizäa beschlossen hatten, den heiligen Nikolaus wegen der seinem Gegner zugefügten Beleidigung der Bischofswürde zu entkleiden.

»Sie sehen also, was man mit dem heiligen Nikolaus gemacht hat,« sagte der Kaiser, ehe er das Blatt zu Ende gelesen.

»Sie handelten unrecht,« entgegnete Photius.

»Wieso unrecht?«

»Lies das Blatt zu Ende. Die Kirchenväter hatten den Heiligen verurteilt, doch Gott erschien selbst und reichte ihm ein Evangelium, und die Mutter Gottes gab ihm ein Omophorium, als Beweis dafür, daß die himmlischen Mächte ihn immer beschützen würden! ...«

Photius redete noch lange und erhob allmählich seine Stimme ebenso wie bei der ersten Audienz. Er schrie, heulte und raste und holte aus den Ärmeln, den Stiefelschäften und dem Busen unzählige Zettel hervor; er war mit ihnen förmlich gepanzert.

Der Kaiser hörte ihm schweigend und gelangweilt zu.

Als Photius wieder einen Zettel hervorholte, ging seine Kutte vorn etwas auf. Er wollte sie sofort schließen, doch der Kaiser beugte sich über ihn, öffnete die Kutte noch mehr und erblickte auf seiner nackten Brust schwere Eisenketten, die ihm eine gräßliche tiefe Wunde ins Fleisch gerieben hatten.

»Was wunderst du dich, Kaiser?« rief Photius aus. »Schau dir nur meinen Leib an und wisse, daß ich ebensowenig wie mich selbst, auch jeden andern schonen werde, wenn es um die Ehre des Herrn geht!«

Der Kaiser wandte sich ab und verzog das Gesicht wie vor Schmerz. Photius tat ihm leid, doch auch er selbst tat sich leid. Er empfand Mitleid und Scham. Er dachte daran, wie er bei seiner ersten Zusammenkunft mit Photius vor ihm niederkniete und in ihm seinen Erlöser, einen Boten Gottes sah. Wie ein Ertrinkender hatte er sich an einen Menschen geklammert, der ihm jetzt als ein Besessener oder Verrückter erschien. Über alles in der Welt fürchtete er, sich lächerlich zu machen. Mit Photius machte er sich aber lächerlich. Dieses konnte er niemandem verzeihen; so verzieh er es auch Photius nicht.

Der Mönch fuhr fort zu rasen.

Der Kaiser erhob sich, holte ein Glas Wasser und reichte es Photius.

»Beruhigen Sie sich, Vater, trinken Sie etwas Wasser. Ich will Ihnen nichts Böses tun. Was ich gesagt habe, habe ich gesagt; Sie haben keine weiteren Folgen zu befürchten. Es wird mir immer eine Freude sein, Sie zu sehen. Jetzt bitte ich Sie aber, zu entschuldigen, ich habe dringende Geschäfte.«

Mit diesen Worten läutete er dem Kammerdiener Melnikow.

Dies war die letzte Zusammenkunft des Kaisers mit Photius.

Sein Triumph schien übrigens von Dauer zu sein. Pater Gosner wurde auf allerhöchsten Befehl ins Ausland abgeschoben, und sein Buch wurde in den Öfen der zum Alexander-Newskijschen Kloster gehörenden Ziegelei verbrannt; die Verbrennung geschah in zwanzig Öfen und dauerte drei Stunden; Photius war zugegen und rief Anathema. Auf Verwendung Araktschejews wurde ihm ein auf der Brust zu tragendes Muttergottesbild »für den Sieg des rechten Glaubens« verliehen.

»Freue dich, heiliger Vater,« schrieb Photius dem Archimandriten des Simonowschen Klosters, Gerasimos, »die Gottlosigkeit ist vernichtet, das gotteslästerliche Heer des Teufels ist besiegt, der Mund der Ketzerei und des Schisma ist verstummt; alle gottlosen Vereinigungen sind wie die Hölle zerschmettert. Nun haben wir nur einen Minister – unsern Herrn Jesum Christum. Gelobt sei Gott Vater! Amen. – Bete für Araktschejew: dieser Knecht Gottes erschien im Kampfe für die Kirche und den Glauben wie der sieghafte Ritter Georg.«

Damit war sein Triumph auch zu Ende. Alle wandten sich plötzlich wie auf Verabredung von ihm ab. Er konnte lange nicht begreifen, warum ihm dies geschah; als er aber einsah, daß es mit der kaiserlichen Gnade ein Ende habe, verlor er seine Fassung, wurde krank und kämpfte mit dem Tode. Als er sich einigermaßen erholt hatte, floh er mit Anna aus Petersburg in freiwillige Verbannung in sein Jurjewsches Kloster zu Nowgorod.

Minister über geistliche Angelegenheiten wurde jedoch nicht Jesus Christus, wie es Photius gehofft, sondern Graf Araktschejew. Alle Berichte des Heiligsten Synods an den Kaiser gingen durch seine Hände, von nun an ruhte in seiner Hand die ganze weltliche und die ganze geistliche Gewalt. Er führte sofort im ganzen kirchlichen Ressort strenge militärische Disziplin ein: die heiligen Väter wagten nicht zu mucksen und verhielten sich mäuschenstill. Mit Wehmut gedachten sie des Fürsten Golitzin: jener züchtigte sie mit Peitschen, dieser mit Skorpionen.

In der Andreas-Kirche des Dorfes Grusino erschien in jenen Tagen ein neues Heiligenbild, das den Heiland mit dem Evangelium in der Rechten darstellte; das Bild war mit einer Bekleidung aus gegossenem Silber versehen; wenn man den Glasrahmen abhob, konnte man sehen, daß ein Silberblättchen im Evangelium auf Scharnieren angebracht war; wenn man es umdrehte, entdeckte man darunter ein kleines Bild: Araktschejew in Generalsuniform mit sämtlichen Orden thronte auf Wolken wie des Menschen Sohn, der in Herrlichkeit kommt, um die Toten und die Lebenden zu richten.


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