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Dritter Teil.


I.

Photius hauste in seinem Sarg nicht ohne Behagen.

Im Hause der Gräfin Anna Alexejewna Orlowa-Tschesmenskaja, das auf dem Schloßquai lag, und wo er oft monatelang als Gast weilte, hatte er sich eine unterirdische Zelle eingerichtet. Eine schmale Wendeltreppe führte in einen finsteren Keller, der nur von den Flammen der ewigen Lampen erhellt war; der Fußboden bestand aus schwarzen und weißen Marmorplatten, die schachbrettartig angeordnet waren; eine Unmenge von Heiligenbildern, die von Gold und Edelsteinen strotzten, schmückten die Ostwand der Zelle. Er liebte solche Kostbarkeiten: einfältig wie ein Kind, hatte er keinen Begriff vom Werte des Geldes, und, wenn ihm Gräfin Anna einen Teller voll ungefaßter Rubinen und Amethysten schenkte, nahm er das Geschenk mit der gleichen Gebärde entgegen, mit der man einen Teller Erdbeeren annimmt. In der Mitte der Zelle stand ein Sarg, Photius schlief darin des Nachts und ruhte auch oft am Tage darin aus.

In der ersten Zeit flößte der Sarg Gräfin Anna Entsetzen ein. Allmählich gewöhnte sie sich aber an ihn und betrachtete ihn als ein Sofa, um so mehr, als Photius, des schwarzen Tuches überdrüssig, den Sarg von außen mit Silberstoff und innen mit weißem Atlas ausschlagen ließ, »damit der Sarg hell und freundlich sei«. Wenn Photius in seinem Mönchsgewand, das auf eigene Bestellung nach dem Muster jener Gewänder, in denen die Heiligen auf den Ikonen dargestellt werden, angefertigt war, in diesem lustigen Sarge lag, betrachtete ihn Anna entzückt und sprach gerührt:

»Ach Vater, Vater! Wie lieb er ist!«

Den ganzen Tag war er in der Golitzinschen Affäre herumgerannt und war nun abgespannt und müde. Nach Hause zurückgekehrt, legte er sich in seinen Sarg, um auszuruhen. Er hatte große Lust, etwas heißen Fencheltee zu trinken; richtigen Tee trank er nie, denn er hielt ihn für ein teuflisches Kraut. Anna allein verstand es, den Fencheltee nach seinem Geschmack zuzubereiten. Sie war aber nicht zu Hause; sie machte in der Stadt Besuche.

Photius zürnte und schimpfte. Er hielt sie sehr streng und behandelte sie wie eine leibeigene Magd. Und doch fühlte er sich in seinem Sarg sehr wohl und war eigentlich gut gelaunt: er dachte an die letzte Zusammenkunft des Metropoliten mit Araktschejew.

Araktschejew tat, was er dem Kaiser versprochen: er hatte den Metropoliten aufgesucht und ihm zugeredet, sich mit dem Fürsten Alexander Golitzin auszusöhnen. Er hatte aber damit keinen Erfolg.

Der Metropolit riß sich seine weiße Mönchskappe vom Kopfe, warf sie auf den Tisch und rief:

»Graf, berichte dem Zaren, was du siehst und hörst. Er kann meine Mönchskappe haben. Ich will nicht länger Metropolit sein und mit dem Fürsten Golitzin, der ein offenkundiger Feind der Kirche, des Thrones und des Vaterlandes ist, mein Amt teilen!«

Photius berichtete später über diesen Auftritt, Araktschejew hielte dieses Ereignis für etwas ganz Ungewöhnliches. Dieser Kampf der weißen Mönchskappe, der Krone der Orthodoxie, gegen die Krone der Autokratie war in Rußland seit der Zeit Peter des Großen wirklich etwas ganz Ungewöhnliches.

Photius nannte den Metropoliten Seraphim »ein nasses Huhn«. Als er einmal in Gegenwart des Kaisers Paul eine Predigt halten sollte, war er so von Furcht befangen, daß er nicht ein einziges Wort hervorbringen konnte und sich in die Sakristei zurückziehen mußte. Und als er vor einigen Tagen in der Golitzinschen Sache ins Winterpalais fahren sollte, stieg er dreimal in den Wagen und stieg dreimal wieder aus; schließlich schlug Photius hinter ihm den Wagenschlag zu und rief dem Kutscher: »Los!« zu. Magnizkij fuhr aber in einer Droschke hinterher, und so oft er sah, daß der Kutscher auf Befehl des Metropoliten in eine Seitengasse einbiegen wollte, befahl er ihm, direkt ins Palais zu fahren. Der Metropolit kam später schweißgebadet nach Hause. Photius erzählte: »er war wie von einem Wasserfall begossen; so sehr hatte er aus Angst vor dem Zaren geschwitzt.«

Ein nasses Huhn kann nicht Adlerflügel bekommen und der Metropolit Seraphim nicht ein Nikon werden. Eine alte Prophezeiung lautete: »Durch einen Photius wird die Stadt des heiligen Petrus erschüttert werden.« Ging nicht jetzt dieses Wort in Erfüllung? Wird nicht ganz Rußland und die ganze Welt durch den Patriarchen Photius erschüttert werden?

Unten hielt ein Wagen. Gräfin Anna kam in Mantel, Schleier und Hut ganz außer Atem und erschrocken in die unterirdische Zelle gestürzt. Sie hatte das flache, runde, rote und sommersprossenbedeckte Gesicht eines einfachen Bauernmädchens. Sie war groß gewachsen und sah wie ein Grenadier in Frauenkleidern aus. Trotz ihrer vierzig Jahre war sie einfältig wie ein Kind. Photius pflegte von ihr zu sagen, sie habe das Gehirn eines Vogels. Aus ihren wasserhellen Augen leuchtete aber trotz der Einfalt des Geistes ein großer Verstand des Herzens. Sie bereitete sich im geheimen zum Eintritt in ein Kloster vor. Unter ihrer seidenen Hofrobe trug sie ein härenes Hemd. Ihr ganzes Leben lang betete sie um Vergebung der Sünde ihres Vaters, des Grafen Alexej Orlow, der an der Ermordung Peters III. zu Ropscha beteiligt war.

Man erzählte sich, daß die Beziehungen zwischen Photius und Anna sündhaft seien. Es war aber eine Verleumdung.

»Während meines Erdenlebens habe ich nie ein Weib berührt, noch Wollust erfahren,« pflegte Photius zu sagen. »Meine Tochter im Herrn ist eine keusche Jungfrau. Der Herr selbst hat sie mir zur himmlischen Braut gegeben.«

»Es ist nicht meine Schuld, Vater ...« stammelte Anna konfus, in die Zelle stürzend. »Gräfin Sofia Sergejewna wollte mich nicht fortlassen, sie hat mir so viel vom Pater Gosner erzählt. Ach Vater, Vater, wenn Sie nur wüßten, was ich da für Dinge erfahren habe ...«

Fürstin Sofia Meschtscherskaja war gleichfalls eine geistliche Tochter von Photius und nebenbei eine berüchtigte Klatschbase, Pater Gosner aber ein zugereister »Prediger des Antichrists, ein Satan«, der nach der Ansicht des Photius »öffentlich die heilige Jungfrau beschimpfte«. Mit Beihilfe Magnizkijs und des Oberpolizeimeisters Gladkow hatten die Verschwörer aus der Presse Bogen des im Druck befindlichen neuen Werkes von Gosner gestohlen; Photius verfaßte auf Grund dieser Bogen eine Anzeige gegen Gosner und hoffte, diese Affäre mit der des Fürsten Golitzin in Verbindung bringen zu können. Zu einer anderen Stunde hätte er die Gräfin gierig nach den Neuigkeiten ausgefragt; jetzt schmollte er aber und stellte sich so, als hätte er ihre Worte überhört.

Er lag einige Minuten mit geschlossenen Augen unbeweglich wie eine Leiche in seinem Sarg; endlich richtete er auf Anna seinen starren Blick und fragte:

»Wo hast du dich wieder herumgetrieben, du Teufelsdirne? Warst wohl wieder an einem teuflischen Vergnügungsort?«

»Ja,« gestand Anna errötend, denn sie konnte nicht lügen. »Ich bin nur einmal durch die Promenade gegangen ...«

Die Frühjahrspromenade im Sommerpark, die Anna ab und zu ohne Wissen Photius' besuchte, nannte dieser »einen teuflischen Vergnügungsort«.

»Hast du dir vielleicht gar einen Liebhaber aufgegabelt? Es gibt ja dort im Frühjahr genug unverschämte Hunde von Zivil und Militär, die einer Hündin, wie du eine bist, mit hocherhobenen Schweifen nachlaufen.«

»Wie kommen Sie nur darauf, Vater? Sie wissen ja, daß ich Dergleichen nie im Sinne habe ...«

»Ich weiß wohl, was ich von dir zu denken habe. Du solltest dir aber überlegen, daß du weder jung noch schön bist, und daß die jungen Leute dir nur deines Geldes wegen den Hof machen. Wenn sie dich ganz ausgeplündert haben, geben sie dir den Laufpaß.«

Er hob ein Bein aus dem Sarge, und Anna zog ihm mit gewohnter Gewandtheit seinen nägelbeschlagenen, mit Teer geschmierten Bauernstiefel aus.

»Meine Hühneraugen schmerzen heut' so sehr! ... Das bedeutet sicher Regen,« ächzte er, ihr das andere Bein entgegenhaltend.

Anna hatte in der Eile ihre Handschuhe anbehalten; jetzt beschmutzte sie sie mit der Stiefelschmiere.

»Glaubst du, Mädchen, daß ich nicht weiß, was du dir jetzt denkst?« sagte Photius mit einem giftigen Lächeln. »Ich habe dich, meine Liebe, durchschaut; du denkst dir, eine so wichtige Person, Millionärin, Tochter des Grafen Orlow, die durchlauchtigste Gräfin Anna geruht ihre Händchen an den gemeinen Bauernstiefeln zu beschmieren! Ich spucke aber auf deinen Grafentitel und auf deine Millionen. Dreißig Millionen sind dreißig Silberlinge, der Preis des Blutes. Weißt du, wessen Blut es ist? Kennst du die Sünde deines Vaters? Warum schweigst du? Kennst du die Sünde?«

»Ich kenne sie,« flüsterte Anna erbleichend und den Kopf senkend.

»Wenn du sie kennst, so mußt du Buße tun und deinem geistlichen Vater gehorchen. Oder ist dir gar dein leiblicher Vater mehr wert als der geistliche? Gehorsam ist wichtiger als Fasten und Gebet. Wenn ich dir sage: Anna, fluche deinem Vater, so mußt du ihm fluchen.«

Sie wandte sich ab und begann lautlos zu weinen. Sie konnte alles ertragen; aber wenn er das Andenken ihres Vaters beschimpfte, ging es über ihre Kraft.

»Was heulst du schon wieder, Gans? Ich sage ja alles nur aus Liebe.«

»Verzeihen Sie, Vater!« Sie küßte seine Hand und dachte nicht mehr an die Kränkung.

»Gott wird dir vergeben. Geh. Mach mir Fencheltee.«

An die Türe wurde geklopft.

»Wer ist draußen?«

»Seine Durchlaucht, Fürst Alexander Nikolajewitsch Golitzin,« meldete der Zellendiener.

Anna wollte dem Gast entgegeneilen.

»Warte! wo rennst du hin?« hielt sie Photius zurück. »Der kann warten, ist keine so wichtige Person. Gib die Stiefel her.«

Mit Annas Hilfe zog er die Stiefel an, stieg aus dem Sarg, ging zum Betpult, zündete eine Kerze an, schlug das Evangelium auf, stellte den Abendmahlkelch hin und nahm ein Kruzifix in die Hand. Er tat dies alles absichtlich sehr langsam. Schließlich ließ er den Fürsten kommen. Anna lief ihm entgegen.

Photius berichtete später: Der Fürst erschien wild wie ein Luchs.

»Ich bitte um Ihren Segen, Vater.«

»Im gotteslästerlichen und ketzerischen Buch ›Das Geheimnis des Kreuzes‹, das unter deiner Aufsicht, Fürst, gedruckt ist, heißt es: ›der Klerus ist ein Tier‹. Da ich, Sünder, aber zum Klerus gehöre, so will ich dich nicht segnen, auch bedarfst du meines Segens nicht.«

»Nun, vielleicht ist es so besser,« rief Golitzin zornig. »Ein offener Krieg ist mir lieber als alle Schliche und Lügen!«

»Von welchen Lügen, von welchem Kriege sprichst du da, Fürst? Ich verstehe dich nicht.«

»Sie verstehen mich nicht? Also will ich Ihnen alles sagen. Ich weiß alles, P. Photius: ich weiß, daß Sie sich mit dem Schurken Araktschejew gegen mich verschworen haben, daß Sie mich beim Kaiser verleumden, daß, während Sie mich mit der Linken umarmen, Sie mit der Rechten den Dolch wetzen, daß Sie mich mit dem Judaskuß küssen ... Sie sagen mir zwar immer: ›Christus ist zwischen uns‹, doch zwischen uns ist der Teufel, der Vater der Lüge! Sie haben die Korrekturbogen aus der Presse gestohlen; das ist Schurkerei! Schämen sollten Sie sich, Vater! Warten Sie nur, ich werde alles dem Kaiser berichten. Wollen wir sehen, wer unterliegt! ...«

Photius schwieg und schien bestürzt. Die beiden verschlagenen, raubgierigen Männer standen einander gegenüber, wie zwei kleine Raubtiere, die einander totbeißen wollen, – wie ein Luchs und ein Iltis.

»Fürchte Gott, Fürst,« sagte endlich Photius, »warum wütest du so? Gegen deine Person habe ich nichts verbrochen. Ich hege keinerlei Feindschaft gegen dich ...«

»Lügen Sie nicht, lügen Sie wenigstens jetzt nicht! Ich gehe nicht wieder auf den Leim. Sagen Sie mir lieber aufrichtig, was Sie von mir wollen.«

»Tu Buße, verdamme deine gotteslästerlichen Bücher, die nichts als Unzucht und Aufruhr säen ...« begann Photius.

»Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen, daß ich nichts dagegen tun kann! Sie sollen den Kaiser, und nicht mich anklagen.«

»Also geh zum Kaiser, knie vor ihm nieder und sage ihm, daß du gesündigt hast und auch ihn ...«

»Wie unterstehen Sie sich,« schrie plötzlich Golitzin auf und stampfte zornig mit den Füßen, »wie unterstehen Sie sich so von Seiner Majestät dem Kaiser zu sprechen! Sie klagen andere der Revolution an und sind dabei selbst ein offenkundiger Revolutionist!«

»Ich bin ein Diener meines Herrn Jesu Christi, gesandt, dich anzuklagen, damit du umkehrst und bereust!« rief Photius gleichfalls mit erhobener Stimme. »Wehe dir, Fürst! Wehe dir, Gotteslästerer! Wehe dir, Ruchloser! Ich werde mit dir vor den Richterstuhl des Jüngsten Gerichtes treten, werde dich überführen, niederschmettern und zu ewigen Höllenqualen verurteilen!«

Sie schrien beide. Anna, die an der Türe horchte, erwartete, daß sie sich gleich in die Haare fahren würden.

»Mit Ihnen kann man ja gar nicht sprechen,« sagte Golitzin, zur Türe zurückweichend; sein einziger Wunsch war jetzt, mit heiler Haut davonzukommen. »Mag mit Ihnen verhandeln wer will, ich bin aber außerstande. Sie sehen mich zum letztenmal hier. So werde ich es auch dem Kaiser melden. Ich habe die Ehre ...«

»Warte noch! Ich lasse nicht so schnell von dir. Ich strecke meinen Arm aus ...«

»Lassen Sie mich, lassen Sie mich!« schrie Golitzin erschrocken. Er versuchte sich zu befreien, Photius ließ ihn aber nicht los: mit der einen Hand hatte er den Fürsten gepackt, und mit der andern hielt er ihm das Kruzifix entgegen. Sein Gesicht erschien Golitzin so schrecklich, daß er erwartete, er werde ihn gleich mit dem Kruzifix wie mit einem Dolche ermorden.

»Ich strecke meinen Arm zum Himmel aus und rufe das Gericht Gottes gegen dich und gegen alle an. Wie groß ist eure Zahl? Seid ihr ungezählte Heerscharen? Tretet alle vor mich her! Der Herr treffe euch! Ich stoße dich aus der Kirche aus! Ich verfluche dich! Anathema!«

Golitzin erbleichte. »Er ist wahnsinnig!« ging es ihm durch den Kopf. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung machte er sich los und lief davon. Er lief die Treppe hinauf und durch alle Gemächer des Hauses so schnell, daß der Ordensstern auf seiner Brust wackelte und die Frackschöße wie im Winde wehten.

Photius setzte ihm nach. Seine Züge waren entstellt, seine Augen brannten, und seine Haare standen zu Berge; so sah er wirklich wie ein wütender Iltis aus.

Der Zellendiener riß vor Erstaunen den Mund auf und duckte sich. Der Synodalbeamte Stepanow, der wie ein alter Wels aussah (er war es, der die Korrekturbogen des Gosnerschen Buches aus der Druckerei gestohlen hatte), war wie versteinert, und seine Augen standen ihm zum Kopfe heraus. Als sie aber durch den großen Prunksaal mit den Kaiserbildnissen liefen, blickten alle die Kaiser von Peter I., der die Knechtung der Kirche durch die weltliche Macht eingeleitet, bis Paul I., der sie abgeschlossen, erstaunt auf das ungewohnte Schauspiel herab: wie der Oberprokurator des Heiligsten Synods, »das Auge des Zaren«, aus der Kirche ausgestoßen wurde.

»Anathema!« donnerte Photius. »Fluch über dich! Du wirst das Antlitz Gottes nicht zu sehen bekommen, sondern geradewegs in die Hölle fahren! Alle seien mit dir verflucht! Anathema! Anathema! Anathema!«

Anna lief Photius nach und suchte ihn an den Schößen seines Gewandes zu fassen. Sie rief:

»Vater! Vater! ...«

Golitzin erreichte den Hausflur und rollte auf seinen kurzen Beinen wie eine Kugel die Stufen der Paradetreppe hinab. Photius blieb nicht zurück und hatte wohl die Absicht, ihm auch auf die Straße zu folgen. Anna holte ihn aber noch rechtzeitig ein, umklammerte ihn mit beiden Armen und umschlang seinen Hals.

Er rief noch zum letztenmal mit heiserer Stimme ein Anathema und sank halb ohnmächtig in die Arme der herbeigeeilten Diener. Diese trugen ihn hinauf und setzten ihn in einen Sessel. Er weinte und lachte wie in einem hysterischen Unfall.

Die Prophezeiung ging in Erfüllung: Photius hatte die Stadt des heiligen Petrus erschüttert. Ein Anathema gegen Golitzin, den Oberprokurator des Heiligsten Synods, der seit dreißig Jahren mit dem Zaren befreundet war, bedeutete ein Anathema gegen den Zaren selbst.

Alle waren auf die Folgen gespannt. Man erzählte sich, daß der Kaiser höchst aufgebracht sei.

Anna erwartete stündlich, daß Photius verhaftet und nach Sibirien verschickt werde. Sie wurde vor Angst ganz krank.

»Fürchte dich nicht, Annuschka! Was kann mir der Oberprokurator tun? Er ist wie ein Floh, den der Hund von seinen Ohren abschüttelt. Gott ist mit uns! Der Herr der Heerscharen ist mit uns! Wer ist gegen uns?« So prahlte Photius, obwohl ihm doch ängstlich zumute war.

Am 15. Mai, dem Tage Himmelfahrt Christi, saß er am Krankenlager Annas und versuchte, sie zu trösten. Er riet ihr, ohne die Hilfe der Ärzte, die doch alle gottlose Deutsche seien, anzurufen, den ganzen Körper unter fortwährendem Beten mit Opodeldok einzureiben:

»Merk es dir, in den grünen Töpfen bekommt man die mindere Sorte; der beste Opodeldok wird in weißen Töpfen verkauft. Wenn du den gebrauchst, wirst du augenblicklich gesund.«

Um sie zu zerstreuen, erzählte er ihr von seiner Absicht, für das Jurjewsche Kloster eine große Glocke, 2000 Pud schwer, gießen zu lassen; diese Glocke sollte dem unverbrennbaren Busch Mosis geweiht sein und aus billigem gestohlenem Kupfer angefertigt werden.

»Wie angenehm wird das Geläute dieser Glocke sein und wie herzerquickend!«

Anna hörte ihm aber kaum zu und dachte nur an das eine: gleich wird man ihn verhaften und nach Sibirien schicken.

Der Zellendiener brachte einen Brief.

»Von wem?« fragte Anna.

»Vom Metropoliten,« antwortete Photius, indem er mit zitternden Händen den Brief entfaltete.

Anna stand das Herz still: ist es nicht schon der Befehl, in die Verbannung zu gehen?

Plötzlich sprang Photius auf, klatschte mit den Händen und sang, wie man in der Kirche singt:

»Halleluja! Halleluja! Halleluja! Ehre sei Dir, Jesu Christe, unser Gott und Herr! Die Hölle ist vernichtet, der Satan ist besiegt! Die Herrschaft der weltlichen Macht über die Kirche ist gefallen! Nun haben wir nur einen Minister: Jesum Christum! Ehre sei Photius! Ehre sei dem Herrn! Ehre sei Araktschejew!«

Anna traute ihren Augen nicht: der Mönch hatte seine Kutte gerafft und tänzelte. Er ergriff ihre Hand und rief:

»Erhebe dich, o Tochter! Deine Schmerzen werden auch ohne Opodeldok vergehen! Jetzt haben wir himmlischen Opodeldok! Erhebe dich von deinem Lager, Mädchen, singe, tanze und frohlocke!«

»Was ist mit Ihnen, Vater?! Ich bin ja nicht angekleidet.«

»Gott wird es dir verzeihen, schäme dich nicht, tanze zum Ruhme des Herrn!«

»Was haben Sie nur, Vater, was ist denn los?« Anna erbleichte, denn es schien ihr, Photius hätte den Verstand verloren.

»Hier, lies!« Photius warf ihr den Brief hin.

Der Metropolit benachrichtigte ihn von dem soeben unterzeichneten kaiserlichen Erlaß: der Oberprokurator des Heiligsten Synods, Fürst Golitzin, bekam den Abschied; das Ministerium für geistliche Angelegenheiten wurde abgeschafft; der Synod erhielt seine frühere Macht wieder.

Alle hielten wieder den Atem an und warteten auf die weitere Entwicklung der Dinge, vom Kaiser hörte man nichts mehr, er schien Photius ganz vergessen zu haben.

Am 13. Juni lief endlich im Kloster der kaiserliche Befehl ein, nach dem Photius am nächsten Tage im Winterpalais erscheinen sollte.

Er wußte gar nicht, was ihn da erwartete: ob man ihn zum Bischof weihen oder nach Sibirien schicken würde. Für jeden Fall nahm er das heilige Abendmahl und beichtete.


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