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VI.

Der diensthabende Kammerdiener Melnikow meldete dem Kaiser den Archimandriten Photius. Der Kaiser befahl, ihn vorzulassen.

Über die geheime Subowsche Stiege, die so finster war, daß man sie auch am Tage nur mit Licht betreten konnte, wurde Photius ins Palais geführt.

In alten Zeiten hallten auf dieser Stiege Miaurufe, mit denen die Hofdamen den jungen Kater zur alten Katze herbeiriefen, – den Favoriten Platon Subow zur Großmutter Katharina. Über die gleiche Stiege gelangten später zum Onkel alle die Leute, mit denen er sich über religiöse Dinge unterhielt: die Staatsrätin Tatarinowa, eine Angehörige der Chlysty-Sekte, die Prophetin Krüdener, der Hoflakai Kobeljow, ein Abgesandter des Skopzengottes Sseliwanow, Graf Joseph de Maistre, ein Abgesandter des römischen Papstes, englische Quäker, der geisteskranke Trommler Nikituschka und noch viele andere.

Während Photius die Stufen hinaufstieg, bekreuzigte er ununterbrochen sich selbst, alle Ecken, Winkel, Türen und Mauern des Schlosses, denn er glaubte, daß »hier Legionen von finsteren Mächten hausen.«

Als er das Arbeitszimmer des Kaisers betrat, erhob sich dieser, um ihn zu begrüßen und seinen priesterlichen Segen zu empfangen. Photius schien ihn aber gar nicht zu bemerken; er suchte mit den Augen in allen Ecken, ließ seine Blicke von der marmornen Pallas über dem Kaminspiegel zu den geflügelten Siegesgöttinnen und den Triumphwagen auf der Decke schweifen und entdeckte endlich hoch oben in einer Ecke ein kleines Heiligenbild. Er bekreuzigte sich langsam und andächtig. Erst dann blickte er den Kaiser an.

Der Kaiser verstand dieses Benehmen: erst sollst du dich vor dem himmlischen König verbeugen, und dann vor dem irdischen. Es gefiel ihm.

»Ich bitte Sie um Ihren Segen, Vater Photius.«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Der Herr segne dich!«

Er bekreuzigte ihn mit der gleichen Gebärde, wie ein Dorfgeistlicher die einfachen Bauern bekreuzigt. Auch das gefiel dem Kaiser.

Der Kaiser küßte dem Mönch die Hand. Photius zog die Hand nicht fort, sondern schob sie beinahe aufdringlich dem Kaiser vor die Lippen. Nein, diesem Menschen braucht man nicht beizubringen, daß der Kaiser es nicht gerne sieht, wenn man vor ihm niederkniet; eher wird er selbst den Kaiser vor sich niederknien lassen.

Photius starrte auf den Kaiser mit vor Angst weit aufgerissenen Augen; es war aber keine gewöhnliche menschliche Angst; wie vorhin auf der Stiege bekreuzigte er auch jetzt ununterbrochen sich und die ganze Umgebung: hier in der Nähe des Zaren und vielleicht auch im Zaren selbst hausen wohl noch größere Legionen von finsteren Mächten.

»Nehmen Sie, bitte, Platz, Ehrwürden ...«

Der Kaiser stockte: er wußte nicht genau, ob man einen Archimandriten mit Ehrwürden anredet, wie er überhaupt mit den kirchlichen Ämtern und Titeln wenig vertraut war. Auch machte ihm die russische Sprache einige Schwierigkeiten, besonders wenn es sich um religiöse Dinge handelte; er war gewohnt, solche Gespräche französisch oder englisch zu führen.

Photius setzte sich, doch nicht auf den Stuhl, den ihm der Kaiser an seiner Seite anwies, sondern in einiger Entfernung am Fenster. Er saß ungeschickt auf dem äußersten Stuhlrande.

»Es freut mich, Sie zu sehen,« fuhr der Kaiser fort. Er wußte nicht recht, wie er anfangen sollte. »Fürst Golitzin hat mir viel von Ihnen erzählt ... Und auch Graf Araktschejew,« fügte er hastig hinzu, denn es fiel ihm ein, daß Photius und Golitzin verfeindet waren. »Ich wollte mit Ihnen schon längst über die kirchlichen Angelegenheiten, die zu meinem großen Kummer sich nicht so entwickeln, wie sie es sollten, sprechen. Ich möchte Sie um eines bitten: sagen Sie mir nur die reine Wahrheit. Wenn Sie es nur wüßten, Vater, wie selten ich die Wahrheit zu hören bekomme, und wie sehr ich der Wahrheit bedarf ...« schloß er mit aufrichtiger Bewegung.

»Allergnädigster Kaiser, Kaiserliche Majestät!« begann Photius feierlich seine wohl vorbereitete Rede. Plötzlich stockte er, als ob er alles vergessen hätte. Er wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus der Stirne, winkte konfus mit der Hand, hob etwas den Saum seiner Soutane und holte aus dem Schaft seines groben Bauernstiefels einen Pack eng beschriebener Zettel hervor.

»Hier ist alles, alles,« stammelte er eilig und scheu um sich blickend. »Wenn du alles wissen willst, Kaiser, so höre mich an ... hier ist alles, ganz genau nach der heiligen Schrift zusammengestellt.«

Er las den Titel:

»Der Plan, Rußland zugrunde zu richten und das Mittel, diesen Plan in aller Heimlichkeit und glücklich zuschanden zu machen.«

Der Kaiser war etwas schwerhörig und hörte die Worte des Mönches nur halb. Seine Gedanken waren auch mit anderen Dingen beschäftigt: er besann sich auf alles, was ihm Golitzin über Photius erzählt hatte.

Er wurde als Sohn eines armen Dorfküsters auf Stroh geboren, – wie das Knäblein in der Krippe zu Bethlehem. Sein ganzes Leben lang litt er Unglück, Krankheiten, Wunden, Verfolgungen und Mißgeschick jeder Art. Er war arm und nackt, hungrig und obdachlos; als er nach Petersburg ins Priesterseminar kam, lief er jeden Feiertag zu Fuß vom Kloster zu einer Tante, die auf dem Wassiljewskij Ostrow wohnte, um sich von ihr ein Stück Fleischkuchen, oder einen Groschen für Tee zu erbetteln. Als er Lehrer für Religion am ersten Kadettenkorps wurde, begann er einen erbitterten Kampf gegen die Freimaurer, Illuminaten, Mystiker und sonstige Diener des Antichrists. Vom heiligen Eifer erfüllt, erhob er furchtlos wie der Prophet Elias seine Stimme, gleich einer Kriegstrompete; wie ein wahnsinniger Bettler trieb er sich überall umher, schrie, klagte an und bestürmte die Festung der Feinde. Auf dem Hofe des Korpsgebäudes verbrannte er in Gegenwart der Kadetten, unter Anathemarufen, einen ganzen Haufen ketzerischer Bücher. Er bestach die Diener in jenen Häusern, wo Versammlungen von Mystikern abgehalten wurden; die Diener bohrten Löcher in die Mauern und Zimmerdecken, durch die er alles, was in den Versammlungen vorging, beobachtete und belauschte, um es später dem Metropoliten und dem Oberpolizeimeister zu melden. Schließlich setzten die Feinde angeblich eine Million für die Ermordung des Photius aus. Mit Hilfe der Kadetten gelang es ihm, zu entkommen. Er sprang nachts, nur mit dem Hemd bekleidet, zum Fenster hinaus und rettete sich über die Gartenmauer auf die Straße. Er kämpfte mit den Teufeln, die ihm in schrecklichen Gestalten erschienen, ihn schlugen und an den Haaren herumzerrten; sie erschienen zuweilen auch als lichte Engel verkleidet und versuchten ihn mit teuflischer List: »Ehrwürdiger Vater Photius, verrichte doch irgend ein Wunder: versuche doch, die Newa vor dem Schlosse zu Fuß zu überschreiten.« Er lebte keusch, peinigte sein Fleisch, trug schwere Eisenketten auf dem bloßen Körper, schlief in einem Sarg und nährte sich oft wochenlang, wie eine Biene, ausschließlich von Lindenblüten und Honig; – er versagte sich sogar Tee und trank statt dessen eine Abkochung aus Fenchel. Von langem Fasten war er oft so erschöpft, daß er kaum stehen konnte und wie ein Schatten wankte. Er zitterte immer vor Frost und trug selbst im Sommer einen Pelzmantel. In der Karwoche fastete er aber so streng, daß sein Magen zusammenschrumpfte und wie eine Nußschale wurde; um sich später wieder langsam an das Essen zu gewöhnen, wog er sich die Rationen auf einer Apothekerwage ab.

Während ihm alle diese Erzählungen durch den Kopf gingen, musterte der Kaiser aufmerksam das Gesicht des Archimandriten.

Es war hager, trocken und spitzig, gleichsam stachelig; die Augen waren stechend wie Fischgräten, funkelnd, grau und raubgierig wie bei einem Marder; Haar und Bart waren rötlich und weich wie Marderfell. Auf der durchsichtigen wachsbleichen Gesichtshaut waren hie und da blaue Flecken, wie bei einer Leiche, hervorgetreten. Er konnte keinen Augenblick ruhig sitzen und rückte immer scheu und unruhig wie ein gefangener Marder hin und her. In all dem Wilden steckte auch etwas Kindliches und Armseliges; man hatte unwillkürlich den Wunsch, das Tier zu streicheln und zu zähmen, – wenn es nur nicht beißt!

Photius las keuchend, stammelnd und flüsternd aus seinen Zetteln vor. Die einzelnen Worte, die der Kaiser verstehen konnte, erschienen ihm wie ein Delirium.

»Die Zahl des Tieres ist 666. Dies ist das große Geheimnis der kommenden Zeiten. Im Jahre 1836 soll die Herrschaft des Tieres beginnen. Die Parole lautet: zerstört die Altäre und stürzt die Throne. Unter dem Namen des Tausendjährigen Reiches und einer theokratischen Negierung wird die neue Religion des kommenden Antichrists verkündigt ... eine weltumfassende Revolution ...«

»Ich bitte Sie, Vater Photius,« unterbrach ihn der Kaiser, »ich höre schlecht mit dem linken Ohr, setzen Sie sich bitte etwas näher zu mir.«

Photius fuhr zusammen und blickte scheu auf, wechselte aber sofort den Platz. Er las weiter. Der Kaiser hörte zu und traute seinen Ohren nicht: Photius behauptete, daß die Heilige Allianz eine revolutionäre Verschwörung sei.

»Ich verstehe Sie nicht, Vater Photius. Die Kirche erfleht doch selbst in ihren Gebeten den Anbruch des Tausendjährigen Reiches der Heiligen auf Erden?«

Dies hatte er von Golitzin gehört, der ihm die Bedeutung der Heiligen Allianz in diesem Sinne erklärt hatte; das Zustandekommen der Allianz wurde auch feierlich von der Kanzel in allen Kirchen des Reiches verkündet.

»Was hat sie da zu erflehen? Alles ist ja schon längst erfüllt,« gab Photius mürrisch zur Antwort.

»Wann ist es erfüllt? Und wo? ...«

»Seit den Tagen des heiligen Konstantin des Apostelgleichen ist alles in der orthodoxen weltumfassenden Kirche in Erfüllung gegangen. Ein anderes Reich wird es aber nie geben. Wir glauben nur daran, was uns die Väter überliefert haben. Alles, was darüber hinausgeht, kommt vom Teufel.«

Der Kaiser widersprach nicht mehr, schüttelte aber zweifelnd den Kopf: sollten denn wirklich alle die Kriege, Aufstände, Revolutionen, die Spaltung der Kirchen und die brudermörderischen Kämpfe unter den Völkern – das Reich Gottes auf Erden wie im Himmel bedeuten?

»Ich habe alles genau nach der Heiligen Schrift zusammengestellt. Hört nur zu ...«

Er rückte wieder unruhig hin und her und holte aus den Stiefelschäften, Ärmelaufschlägen und Taschen immer neue Zettel heraus. Er schien ganz mit Zetteln gespickt zu sein.

Der Kaiser fürchtete, daß diese Vorlesung nie aufhören würde.

»Wissen Sie was, Vater Photius: lassen Sie mir Ihre Zettel da, ich will sie gelegentlich aufmerksam lesen. Jetzt wollen wir lieber etwas sprechen. Sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben ...«

Photius begann wieder hin und her zu rücken und sich zu bekreuzigen. Schließlich legte er doch alle Zettel auf den Tisch, erhob sich, näherte sich dem Kaiser, reckte den hals und flüsterte ihm ins Ohr:

»Bald wird ganz Rußland von einer Revolution wie von einer Feuersbrunst ergriffen werden. Das Brennholz ist längst vorbereitet, das Feuer wird eben angelegt. Das Ministerium für geistliche Angelegenheiten, die Bibelgesellschaft, die Freimaurer, Illuminaten und das übrige Mystikergesindel – stellen eine große Verschwörung dar. Ein entsetzliches Blutbad wird vorbereitet. Es ist schon feierlich die Parole ausgegeben worden, die Schwerter zu ergreifen und alle niederzumachen, weißt du aber, wer der Hauptschuldige und der böseste von allen Bösewichten ist?«

»Wer?«

»Golitzin.«

»Vater, was sagen Sie da?! Ich kenne den Fürsten Alexander Nikolajewitsch seit dreißig Jahren. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich liebe ihn wie einen Bruder. Wenn er der Anstifter ist, so bin auch ich ...«

»Auch du, auch du, frommer Kaiser und Gesalbter des Herrn, gräbst dir aus Unwissenheit selbst die Grube des Verderbens. Wenn du nicht bereust, so kommst auch du in das Netz des Teufels! ...«

Zitternd wie ein Espenblatt sprang er auf, richtete auf den Kaiser seine brennenden Augen und schrie ihn wie wahnsinnig an:

»Gott ist mit uns! Der Herr der Heerscharen ist mit uns! Was kann ein Mensch mir antun? Du bist ein Zar und kannst alles, du kannst mich zertreten wie ein Wanderer die Ameise zertritt, und ich bin vernichtet. Töte mich, strafe mich, nimm meine Seele! Ich fürchte nichts! Ein Anathema allen Feinden des Herrn! ...«

In seiner erhobenen Rechten blitzte etwas wie ein Dolch auf. Es war ein Kruzifix.

Auch der Kaiser erhob sich und wich etwas zurück. »Ein Verrückter!« ging es ihm durch den Kopf.

»Es stehe Gott auf, daß seine Feinde zerstreuet werden! Wie das Wachs zerschmilzt vom Feuer, so müssen umkommen die Gottlosen vor Gott!« schrie Photius, sein Kreuz wie einen Dolch schwingend. »Wenn du, Zar, meine Worte nicht vernimmst, so bleibt mir nur eines übrig: das Evangelium in die eine und das Kreuz in die andere Hand zu nehmen, auf die Straßen zu gehen und zu rufen: ›Rechtgläubige Christen! Steht mir bei!‹ Ganz Rußland wird es vernehmen, und viele werden sich um mich scharen! Wenn durchaus eine Revolution kommen muß ... Gott ist mit uns! Der Herr der Heerscharen ist mit uns! Sende, Gott, deine Donner und Blitze herab und vernichte die Feinde! Herr, rette uns! Herr, säume nicht! ...

Händeringend und stöhnend fiel er dem Kaiser zu Füßen. Er zitterte wie in einem Krankheitsanfall.

»Stehen Sie auf, stehen Sie doch auf ... Ich bitte Sie, lassen Sie das ...« suchte ihn der Kaiser zu beruhigen.

Photius wollte aber nicht aufstehen; mit einer Hand hielt er sich krampfhaft wie ein Ertrinkender am Kaiser fest.

»Rette, hilf, beschütze mich, mein Zar, du Gottgesandter, Vielgeliebter! Ich bin dein getreuer Knecht, ich bin dir wie meinem Gott ergeben. Willst du, daß ich dir alles, alles sage? Wie man den Plan der Revolution heimlich und glücklich zuschanden machen kann?«

Er flüsterte ihm wieder ins Ohr:

»Ich hatte ein Gesicht von Gott: wir wandelten zudritt auf dem Wasser wie auf Trockenem, – ich, du und er ...«

»Wer?« fragte der Kaiser von mystischem Grauen erfaßt.

»Graf Araktschejew,« erwiderte Photius. »Graf Araktschejew ist eine Stütze des Vaterlandes und der hervorragendste Mann. Er erscheint wie der heilige Georg der Siegreiche. Er ist treu, aufrichtig und liebt die Kirche Christi. Ihm kannst du alles vertrauen, er kann alles. Ich bin mit ihm. Wir wandeln zudritt auf dem Wasser wie auf Trockenem. Väterchen und Zar, Eure kaiserliche Majestät! Im Jahre zwölf hast du den leiblichen Napoleon besiegt. Den geistlichen Napoleon, den Antichrist selbst kannst du innerhalb drei Minuten mit einem Federstriche besiegen! Du brauchst nur einen Ukas zu unterschreiben: die Bibelgesellschaft wird aufgelöst, Golitzin wird abgesetzt, das Ministerium für geistliche Angelegenheiten wird abgeschafft. In drei Minuten ist dann durch einen Federstrich die ganze Revolution vernichtet!«

Er erhob sich vom Boden, fiel aber sofort erschöpft in einen Sessel; er war beinahe bewußtlos; das rötliche Haar klebte an der schweißbedeckten Stirne; er starrte unverwandt auf einen Punkt und schien nichts zu sehen und auch nicht zu wissen, wo er sich befand. Auf dem leichenblassen Gesicht waren noch mehr blaue Flecken hervorgetreten; die Nase war spitz wie bei einem Leichnam.

»Ein Verrückter?« dachte Alexander. »Warum ein Verrückter? Doch nicht nur deshalb, weil er kein Rednertalent hat, kein Höfling im Priestergewand, sondern ein einfacher ungelernter Bauer ist, wie einer von jenen galiläischen Fischern, die der Herr ausersehen hat, um die Weisen dieser Zeit zu beschämen. Ist denn nicht alles, was er gesagt hat, wahr? Es handelt sich doch wirklich nicht um Golitzin allein. Es ist ja wahr, daß ich selbst dem Geiste der gottlosen Willkür, dem satanischen Geiste der Revolution gedient habe und ihm, aus Unwissenheit, vielleicht auch jetzt noch diene. Woher weiß er alles? Wie konnte er so klar in meinem Herzen lesen? Vielleicht ist er doch der Mann Gottes, der in Kraft und Herrlichkeit zu mir herabgesandt worden ist, um mich zu retten? ... Ich habe aber ...«

Photius kam zur Besinnung, rührte sich und stand mit großer Anstrengung auf. Er hatte wohl endlich eingesehen, daß man nicht sitzen darf, wenn der Kaiser steht; zugleich begriff er, daß die Unterredung zu Ende sei. Er holte eilig noch einen vergessenen Zettel hervor und legte ihn auf den Tisch zu den anderen. In dieser Gebärde kam wieder etwas Kindliches und Armseliges zum Durchschein, was den Kaiser in seinem Gefühl, den Mönch beleidigt zu haben, bestärkte. Er ergriff seine Hand und sagte:

»Ich verspreche Ihnen, Vater Photius, über alles, was Sie mir gesagt haben, nachzudenken, und bitte Sie, versichert zu sein, daß ich alles, was nur in meiner Macht liegt, tun werde. Wenn ich aber etwas Ungehöriges gesagt habe, so vergeben Sie es mir um Christi willen. Erwähnen Sie mich auch in Ihren Gebeten, ja, ich bitte Sie darum ...«

Wie es bei ihm oft vorkam, rührten ihn seine eigenen Worte zu Tränen.

Ganz langsam, mit vor Schmerz verzerrten Zügen (das Bein schmerzte dabei heftig; er empfand jetzt aber den Schmerz als einen Genuß) sank er vor Photius in die Knie; er war sich der Schönheit dieser majestätisch-demütigen Pose wohl bewußt, als sähe er sich im Spiegel, und dies rührte ihn noch mehr. In seinem Halse empfand er das gewohnte würgende und prickelnde Gefühl.

Da ist ein Priester, dem er alles beichten könnte, vor dem er das schrecklichste und heiligste Geheimnis seiner Seele wie vor Jesus Christus aufdecken könnte, dem er von seiner ewigen Qual, vom vergossenen Blut des Vaters erzählen könnte. Wem dieser auf Erden Absolution erteilt, dem wird auch im Himmel alles verziehen werden.

Ohne mehr an die Schönheit der Pose zu denken, fast unbewußt, berührte er mit seiner Stirne die Füße des Mönches.

Der Teergeruch der Bauernstiefel kam ihm süßer vor, als der Moschusgeruch der schwarzen Spitzen der Baronin Krüdener. Er fühlte sich plötzlich erleichtert, als ob die blutige Last der Krone, die ihn sein ganzes Leben lang bedrückt hatte, für einen Augenblick abgefallen wäre.

In den Augen des Priesters leuchtete Freude auf; er legte beide Hände auf den Kopf des Kaisers, wie auf seine Beute.

»Der Herr segne dich!«

Er beugte sich wieder zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr:

»Denke daran, denke daran, denke daran: wir drei – ich, du und er!«

Als Photius das Arbeitszimmer durch die eine Türe verließ, bemerkte er in der anderen, die etwas offen stand, ein Auge Araktschejews, der die ganze Szene belauscht und beobachtet hatte.

Als Photius fort war, steckte Araktschejew, ohne einzutreten, seinen Kopf ins Zimmer.

»Alexej Andrejitsch, bist du es?« rief ihn der Kaiser so ängstlich und vorsichtig an, wie er nur zu ihm allein sprach: so spricht man mit einem schwer kranken, innig geliebten Freund. – »Komm herein.«

Araktschejew betrat das Arbeitszimmer.


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