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Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Merkmale von Civilisation. – Meine Herrschaftsträume verschwinden völlig. – Ein herzlicher Empfang. – Die Aussichten meines künftigen Geschickes ändern sich.

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Am vierten Tage meiner westlichen Wanderung, bald nach Aufgang der Sonne, sah ich in großer Ferne eine weiße Wolke gekräuselten Rauches. Wie sich derselbe in der Luft zerstreute, schwanden auch meine letzten Gedanken einer historischen Unsterblichkeit in der Eigenschaft eines Patriarchen, der im Süden ein neues und großes Reich gründete, dahin. Die Züchtigungen, die ich erst kürzlich erlitten, ließen mich diese Enttäuschung in aller Ruhe hinnehmen. Ich blickte auf die Merkmale von Menschennähe mit Gefühlen der Freude, ohne damals das praktische Pasquill zu bemerken, welches ich auf die Menschheit machte, indem ich sorgfältig den Zustand meiner Waffen musterte, ehe ich mich meinen Mitbrüdern näherte.

Dabei ließ ich es nicht einmal bewenden, denn ich näherte mich soviel möglich im Verstecke des Gebüsches, und stahl mich eigentlich wie ein Dieb zu ihren Wohnungen hinan.

In meinem Weiterschreiten fand ich etwas mehr, als die Merkzeichen eines Wildenlebens. Die Fruchtbäume waren eingezäunt und Strecken Landes angebaut. Ich blickte spähend allenthalben nach jenen untrüglichen Beweisen einer vorgerückten Civilisation, einem Galgen, umher; da ich jedoch nichts dergleichen entdecken konnte, so folgerte ich daraus, die Leute, wer sie auch sein möchten, seien nicht weit über den Hirtenzustand hinausgerückt. Während ich vorsichtig weiter ging, bemerkte ich noch mehr Rauchsäulen und traf endlich auf eine Schweinheerde – ich hatte folglich große Dinge zu erwarten. Eine Gemeinde, die sich gebraten Schweinfleisch schmecken ließ und sich eines Schlächters rühmen durfte, konnte nicht auf der niedrigsten Stufe menschlicher Bildung stehen. Aber ungeachtet aller dieser guten Vorzeichen wollte ich doch zuerst sehen, ehe ich mich selbst sehen ließ. Ich machte daher in meinem Näherrücken, stets den Rauch zu meiner Richtschnur nehmend, allerlei kleine Umwege, um nicht in dem offenen Lande auftauchen zu müssen.

Von bloßen Fußstapfen kam ich nun auf mehrere wohlbetretene Pfade, die parallel mit einem Hauptwege liefen. Ich hatte meinen Pfeil in die Bogensehne eingesetzt, warf meinen furchtbaren Speer sammt der Schlinge auf den Rücken, und beschloß, weiter zu gehen. Endlich trafen die Töne menschlicher Stimmen mein Ohr. Die Sprecher näherten sich mir. Die Laute klangen lustig durch die grünen Grashalmen und waren mir jetzt nahe genug, um es mir möglich zu machen, ein Bastardspanisch darin zu erkennen. Ich duckte mich in dem Gebüsch nieder, bis mir die Sprechenden gerade gegenüber waren. Das Häuflein bestand aus einem halben Dutzend Knaben und Mädchen, natürlich unbewaffnet. Sie bildeten schöne Exemplare der Südsee-Indianerrace und waren, so weit ich bemerken konnte, vollkommen frei von dem garstigen Tattowiren, das in jenen Strichen so gewöhnlich ist. Trotz ihrer Kleinheit hatten sie doch einen sehr symmetrischen Bau und eine lichtbraune Haut. Das älteste aus der Gruppe war ein Mädchen von ungefähr neunzehn Jahren.

Ich steckte meinen Pfeil wieder in den ledernen Köcher, nahm meinen Speer vor und trat plötzlich vor sie hin. Ein lauter Schrei der Ueberraschung, vielleicht auch des Schreckens begrüßte mich; indeß freute es mich doch, zu sehen, daß sie keinen Versuch zur Flucht machten. Ich bot aller verfügbaren Anmuth meines Gesichtes auf und theilte ihnen mit, daß ich ein müder, schiffbrüchiger Fremder sei, welcher im Spähen nach Beistand sich so weit verirrt habe.

Meine demüthige Anrede übte die gewünschte Wirkung. Ich hatte mit einemmale ihr Vertrauen gewonnen, denn die Kinder drängten sich um mich her und überschütteten mich mit allen nur erdenklichen Beweisen von Wohlwollen. Der schnellfüßigste Knabe, ein fröhlich aussehender Knirps, wurde abgeschickt, um meine Ankunft in dem Dorfe zu melden, während zwei von den Mädchen mich in die Mitte nahmen und mich so, meine Hände erfassend, in einer Art von Triumphzug weiter führten.

Möge Gott mir verzeihen, aber ich sagte meinen braunen Schönheiten eine Menge von Lügen vor. Während sie übrigens tausenderlei neugierige Fragen an mich stellten, war ich ganz besonders gespannt zu erfahren, was sie äßen. Sie mußten mich in der That für einen sehr gefrässigen und schlimmen Burschen halten. Nachdem sie Ochsenfleisch, Ziegen, Fische, Geflügel, Früchte und allerlei eßbare Gemüse aufgezählt hatten, wollte ich noch immer mehr erfahren.

»Meine süßen Töchter, was speist ihr denn an euern großen Festtagen – gibt es da keine besonderen Gelage?«

»Nein; ausgenommen, daß sie denn mehr Fleisch, mehr Fische und mehr Geflügel hatten.«

Ich fand, daß ich wohl mit einemmale zu der Hauptfrage übergehen mußte, bei welcher ich mich selbst sehr tief und persönlich betheiligt fühlte. Mit vielem Stocken und einer brennenden Gluth auf meinen Wangen erkundigte ich mich endlich bei den unschuldig aussehenden, süßen Wesen »ob sie nicht bisweilen Männer und Weiber kochten, um sie zu verzehren.«

Hierüber schleuderte jede meiner Führerinnen mit einer Geberde, welche Abscheu und Entsetzen ausdrückte, meine Hand weg. Dies befriedigte mich weit mehr, als dem geschmeidigsten Lächeln möglich gewesen wäre – und in der That, ich weiß, daß sie allerliebst lächeln konnten, wenn sie wollten.

Aus der Ausdehnung des Landes folgerte ich, daß ich mich auf irgend einem Theile von Neuseeland befinde, und da die dortigen Ureinwohner in Betreff ihrer animalischen Nahrung sich nicht des besten Rufes erfreuen, so hielt ich eine Frage, welche meine neuen Freundinnen so sehr empörte, nicht für ganz unerheblich. Ihre ungekünstelte Ueberraschung überzeugte mich jedoch, daß ihnen der abscheuliche Genuß des Menschenfleisches fremd war, und ich fühlte mich überglücklich in dem Bewußtsein, daß ich jetzt Aussicht hatte, bei einem Festmahle nicht die wichtige Rolle des Hauptgerichtes zu bilden.

Es wurde mir etwas schwer, die gute Meinung meiner Begleiterinnen wieder zu gewinnen, wenn es mir überhaupt je völlig gelang. Indeß kehrte wenigstens der Schein der Freundlichkeit zurück, und wir schritten nach dem Dorfe weiter. Es schloßen sich auch noch andere Personen an, und ich hatte mich in Betracht meiner Aufnahme nicht zu beklagen. Ihr Gemisch von Spanisch und Indianisch, das sie sprachen, unterhielt mich sehr; auch waren die Jüngeren weit besser mit der ersteren Zunge vertraut, während die Aelteren eine ganz barbarische Sprache redeten. Ihr Anzug war eine nicht unanmuthige Verbindung der Südseetracht mit der europäischen.

Ich hatte so viel mit Antworten zu thun, daß ich nicht Zeit zum Fragen fand. Endlich gelangte ich in ein sehr achtbar aussehendes und gut bevölkertes Dorf, welches allenthalben das Gepräge der Zufriedenheit, des Ueberflusses und des Glückes trug. In der Mitte dieser Niederlassung befand sich ein offener Platz, an dessen Ende ein geräumiges Gebäude mit einem ziemlich soliden unteren Stockwerk stand. Ich entdeckte nachher, daß dies das Gerichtshaus und die Kapelle war. Auf dem östlichen Giebel erhob sich das Sinnbild des Christenglaubens.

Inzwischen hatte sich ein Haufen achtungsvoller Gaffer um mich gesammelt. Viele boten mir ihre Hände entgegen, und ich war hocherfreut über Alles, was ich sah. Während meines Austausches einfacher Höflichkeiten mit diesen guten Leuten erhob sich ein froher Jubelruf, und von den Aeltesten der Gemeinde begleitet, näherte sich mir eine der ehrwürdigsten Gestalten, die sich der Geist nur denken kann. Der Mann war ein Europäer mit langem schneeweißem Bart. Wohlwollen und Milde waren der Charakter seiner Züge, und obschon er kein Zeichen des Ranges an sich trug, konnte man ihm doch augenblicklich ansehen, daß er eine bedeutende Rolle in der Gemeinde spielte.

»Willkommen in der Heimath der Unschuld. Gastfreundlichkeit, Fremder, wer Ihr auch sein mögt,« lauteten die Worte, mit denen er mich anredete. Die Accentuation war rein und die Sprache die eines gebildeten Spaniers.

Ich antwortete in bestmöglicher Weise, indem ich seinen Schutz und seine Dienste in Anspruch nahm, ihn um eine Privatunterredung bat und ihn zugleich um den Namen des Platzes und des Volkes, über das er zu herrschen schien, befragte.

»Bei der Reue über meine Sünden, das ist rein kastilianisch! Mein Sohn, Ihr seid mir so willkommen, wie der fruchtbare Regen der lechzenden Erde, wäre es auch nur deshalb, daß Ihr wieder einmal mein Ohr mit dem ächten Accente meines Heimathlandes gesegnet habt. Ich umarme ohne Zweifel einen Spanier?«

Und er schloß mich für einen Augenblick wie einen Sohn in die Arme.

»Von väterlicher und mütterlicher Seite ein Spanier, auf spanischem Boden geboren, aber in England erzogen.«

Ich hielt es nicht für nöthig, ihm zu sagen, daß Mr. Trougthon senior nur durch Naturalisation ein Iberier war.

»O, dann betrachte ich Euch dennoch für einen ächten Spanier,« lautete die Antwort, »und der Zufall Eurer englischen Erziehung konnte Euch nur zum Vortheile gereichen. Die Engländer sind ein edles Geschlecht – eine wahrhaft wackere Nation. Aber kommt, wir haben für Euch ein heimisches Fest zugerichtet. Es ist immer noch Zeit genug zu einer Privatbesprechung.«

»Aber mein Aufenthalt darf nur kurz – nur sehr kurz sein.«

»Wenn ich Euch recht verstand, so habt Ihr Schiffbruch gelitten und sucht eine Heimath?«

»Buchstäblich wahr, verehrter Sennor; aber ich will Euch Alles erklären.«

»Zuerst tretet ein und eßt. Ihr fragt mich nach dem Namen des Platzes. Ich lebe schon fast achtzehn Jahre hier, weiß aber nicht, wie dieser Strich von den Geographen oder denjenigen, welche mit denselben bekannt find, genannt wird. Ja, ich weiß nicht einmal, ob er eine Insel oder ein Theil von einem großen Kontinent ist, da ich nie weiter als zwanzig Meilen über diese Ansiedelung hinauskam. Letztere habe ich jedoch Mantezuma genannt, und die einfachen, aber guten Einwohner, die Ihr hier seht, sind Mantezumianer. Doch tretet ein und laßt Euch das Mahl belieben.«

»Ein angenehm tönender Name,« sagte ich lakonisch, als ich ihm nach der großen Halle folgte.

Meine Eitelkeit flüsterte mir zu, daß das Königreich Honoria und eine männliche Nation von Honorianern sich ebenso großartig in dem Munde ausnehmen würde; aber ich dachte an meine Sühne und schlug mir die hinterlistige Idee aus dem Sinne.

Das Mahl war reichlich und zeigte viel guten Geschmack in seiner Anordnung, obschon es augenscheinlich hastig zubereitet war. Ich wurde von Allen mit vieler Herzlichkeit bewillkommt und genoß einer großen Achtung, da man sogar mit einer Art von Verehrung zu mir aufblickte. Wie ich nachher entdeckte, harte ich dies meinem kriegerischen Aussehen zu danken. Da ich bereits so weit in der Erzählung meiner Abenteuer vorgeschritten bin, so ist es nicht möglich, das Bankett so ausführlich zu schildern, daß es einen Bonvivant befriedigen könnte, weshalb ich nur in Kürze sagen will, daß der Ueberfluß eines glücklichen Klima's, durch die beste spanische und indianische Kochkunst veredelt, auf dem Tische stand. Wir hatten drei oder vier Arten gegohrener Getränke von sehr angenehmem Geschmack, die, im Uebermaße genossen, wohl berauschen konnten, ohne daß übrigens die schmutzige Brühe der Cava Platz gefunden hätte.

Nachdem ich mich gehörig erfrischt und Jedem der Gäste so angenehm wie möglich gemacht hatte, wurden letztere von dem Häuptling mit einer freundlichen Anrede entlassen. Nun konnte an dem Mahle theilnehmen, wer hereinkommen mochte. Der alte Herr führte mich jetzt nach seiner Privatwohnung und stellte mich seiner Gattin und seiner Familie vor. Die Dame des Hauses war eine gutaussehende Indianerin von mittlerem Alter, die etwas mehr Enbonpoint besaß, als irgend eine Person, die ich bis jetzt getroffen hatte. Mit aller Achtung gegen Ihre Majestät muß ich sagen, daß sie fast so beleibt war, wie es nur von irgend einer königlichen Person de facto oder de jure vorausgesetzt werden kann, denn männiglich weiß, daß sie immerhin anmuthig sein müssen.

Rings umher war der Hofstaat – ich liebe die Etikette – ein zahlreiches und sehr schönes Geschlecht. Auch waren allenthalben die guten Dinge dieses Lebens ausgebreitet.

Ich war über Alles, was ich sah, hocherfreut, und meine Eitelkeit führte mich auf den Glauben, daß ich gleichfalls Freude machte. Der alte Herr meinte, daß nach meiner langen Reise ein Stündchen Ruhe wohl zu empfehlen sei, und führte mich nach einem Schlafgemache, wo er mir ein Bett anwies, welches mich bewog, die Manufaktur Jugurtha's sammt Honoria's Verschönerungen, die ich kürzlich noch so Werth gehalten hatte, in einem ganz andern und weit ungünstigern Lichte zu betrachten. Ich schlief fast drei Stunden und würde wohl bis tief in die Nacht hinein oder gar bis zum andern Morgen damit fortgemacht haben, wenn nicht mein achtbarer Wirth gekommen wäre, um mich zu wecken.

Ein heißes Nachtessen und die Gesellschaft aller jungen Herren und Damen harrte meiner. Je mehr ich mich umsah, desto mehr fand ich Gefallen an Allem, und ich sehnte mich, meine Schwester und Jugurtha aus ihrer Einsamkeit nach diesem geselligen Zirkel zu überpflanzen.

Ohne gerade geheimnißvoll erscheinen zu wollen, enthielt ich mich doch, über meine Lage und Abenteuer einen öffentlichen Bericht zu erstatten, da ich mir diesen für die Ohren meines Wirthes vorbehielt. Auch hatte ich ihn viel zu fragen. In ziemlich früher Zeit zerstreute sich die Gesellschaft. Dann wurde die Familienandacht nach dem Ritual der katholischen Kirche abgehalten, worauf sich die Angehörigen der Familie zu Bette begaben und wir allein blieben.

In der Voraussetzung, daß ehrenhalber die ersten Mittheilungen von mir kommen müßten und jede Verheimlichung oder auch nur Zurückhaltung weder edel, noch klug sein würde, begann ich einen kurzen Umriß von Allem zu geben, was mir und meiner Familie seit unserer Ausfahrt von Barcelona begegnet war. Zum Schluß schilderte ich genau die Lage, in welcher ich Honoria und den Neger verlassen, ohne natürlich meine Verzückung oder meine Sühnungsvision zu berühren.

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