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Achtzehntes Kapitel.

Ich stelle mir vor, daß ich gut geworden sei – eine zu gewöhnliche und zu gefährliche Bethörung. – Ich halte einem Freunde eine Vorlesung, spreche unverständlich und bilde mir ein, metaphysisch zu sein.

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Einige Wochen lang fiel nichts von Bedeutung vor. Die aus vielen Nationen zusammengesetzte Schiffsmannschaft begann sich allmählig zu amalgamiren, wodurch die Lenkung des Ganzen leicht wurde, so daß der Dienst ohne viel Versehen und ohne ernstliche Unfälle besorgt wurde. Aber auf unserem schwimmenden Mikrokosmus blieb unser Geist nicht unthätig. Wir wurden mit jedem Tage kälter und kälter gegen Mantez, bis er sich zuletzt ganz von unserer Tafel und aus unserer Gesellschaft zurückzog. Diese Entfremdung war es, was ich glühend wünschte und auf was ich mit allen meinen Kräften hingearbeitet hatte. Auch Honoria begann einen Widerwillen gegen ihn an den Tag zu legen, und sogar meine ruhige, würdevolle Mutter, die früher so sehr zu seinen Gunsten eingenommen gewesen war, konnte sich jetzt gegen ihn kaum eines Gefühls der Verachtung erwehren. Dieser Gang der Dinge betrübte meinen Vater anfangs ungemein. Er hatte zu der Vermählung sein Jawort gegeben und sogar schon einige Papiere unterzeichnet, welche auf den beabsichtigten Kontrakt Bezug hatten.

Wenn wir dem Don aus eigener Schöpfung auf dem Halbdecke begegneten, so war er entweder sehr pünktlich und lächerlich förmlich, oder finster und stumm anmaßend gegen unsere Gesellschaft; und als wir in die wärmeren Breiten eintraten, herrschten Haß, Argwohn und bittere Gefühle aller Art auf der Hinterseite des Schiffs, der Last der kommandantlichen Ungnade gar nicht zu gedenken, welche uns in allen Stücken aufsäßig war.

Während aller dieser Vorgänge hatte mein Geist seine moralische Gesundheit wieder gewonnen, da ich mein Herz lehrte, meine Schwester in aller Reinheit zu lieben. Ich hatte mich losgemacht von dem herrlichen, unbekannten Wesen, welchem ich, ohne darin meine schöne Honoria zu erkennen, eine unheilige Liebe gelobt hatte. In der That verblich die Erinnerung jener Scene mit jedem Tage mehr. Ich wurde bei meiner Familie heimisch, theilte ihre kleinen Sorgen und Freuden, berieth mich mit meinem Vater über unsere künftige Niederlassung bei Neu-Orleans, unterrichtete meine Schwester in der englischen Sprache und bekräftigte sie in ihrem Abscheu gegen Mantez; um aber auch meine liebe und verehrte Mutter glücklich zu machen, so erlaubte ich ihr und dem Priester, regelmäßig jeden Tag eine Stunde vor dem Nachtessen an meiner Bekehrung zu arbeiten.

Wenn ich sagen wollte, daß ich der Liebling meiner Familie war, so würde ich nur schwach ihre Gefühle ausdrücken; denn ich wurde fast angebetet, und auch der Schwarze sammt meinem edlen Hunde erhielten ihren vollen Antheil an jenen Gesinnungen, die mich allmählig so glücklich machten.

Es könnte scheinen, daß ich das herrliche Paar, welches, wie wir, sein Brod auf's Wasser geworfen, ganz vernachlässigt habe. Sie waren mit von dem Bande unseres Familienzirkels umschlossen, aber von Glück war bei ihnen keine Rede. Das gegenseitige Vertrauen schien sich zwar wo möglich mit jedem Tage zu steigern, aber in ihrem gegenseitigen Benehmen waren sie nicht länger leidenschaftlich – ja, kaum zärtlich. Ein schweres Loos war ihnen gefallen, denn das Vermögen, über das sie zu gebieten und das sie miteingeschifft hatten, war durchaus nicht hinreichend, ihnen die Annehmlichkeiten des Ranges zu sichern, für welchen sie geboren waren, und Don Julians Aussichten, seine südamerikanischen Besitzungen wieder zu gewinnen, standen in weiter Ferne. Aber dies war nicht die einzige Quelle ihrer trüben Stimmung. Sie hatten als Verwandte zu vertraulich mit einander gelebt, und endlich begannen sich, wenigstens von Seiten Isidora's, Gewissensbedenklichkeiten wegen ihres nahen Verwandtschaftsgrades mit ihrem Geliebten zu erheben – ein maßgebender Beweis, daß sie zu lieben aufgehört hatte. Ich bemerkte wohl ihr gegenseitiges Verhältniß, ließ mir aber nichts von der Ursache träumen, bis mir endlich die Wahrheit plötzlich durch nachstehendes Gespräch enthüllt wurde.

Es war eine jener köstlichen Nächte, die in dem Bereiche der Passatwinde gewöhnlich sind und denen stets ein heißer Sonnentag folgt. Das Schiff lief voll vor dem Winde, während die mäßige Brise jeden Stich Leinwand ausdehnte. Die Triebkraft war so gleichförmig, daß die Segelbäuche ganz regungslos dastanden – nicht einmal die Spur eines Flatterns. Alles war so still, daß das Schiff im Schlafe zu wandeln schien, während die Sterne über uns in ihrem helleren Glanze das Aussehen gewannen, als seien sie dem Ocean näher gerückt, um mit Wonne die ruhige Scene zu betrachten. Es war eine Nacht der Erbauung – eine Nacht, welche die Seelendinge über die Erdendinge erhebt und sie veranlaßt von ihrem unsterblichen Vorrechte Gebrauch zu machen – über die Wege des Ewigen nachzudenken, zu verehren und anzubeten.

Als ich in jener Nacht an dem Hängemattengeländer der Kuhlnetze lehnte und mich in jenes Brüten vertiefte, welches die Schwermuth in Freude umwandelt – bald auf die vorbeiwirbelnden Wellen mit ihrem Phosphorlichte achtend, bald den Wiederschein eines größeren Sternes, wie er in tausend Blitzen unter dem Wasser bebte, betrachtend und dann wieder Gedanken über die schauerliche Tiefe anstellend, auf welcher wir so leicht dahingetragen wurden, fühlte ich Jemand in meiner Nähe, aber die leichte Berührung war nicht hinreichend, mich aus meinem selbstsüchtigen, einsamen Wonneerguß zu wecken. Erst ein tiefes Seufzen bewog mich, aufzublicken und zurückzusehen. Das melancholische Sternlicht enthüllte mir das Antlitz meines Freundes, Don Julian, der fast zu Thränen ergriffen war. Augenscheinlich wünschte er sich mit mir zu unterhalten, obschon ich eben so deutlich ersehen konnte, daß er verlegen war, wie er den Gegenstand, der sein Herz so schwer bedrückte, zur Sprache bringen sollte. Um ihm zu Hülfe zu kommen, begann ich in der sanftesten Stimme, welche mir möglich war – und wer hätte auch bei einer solchen Scene rauh sprechen können? – mit der Frage, warum er, da es doch fast Mitternacht sei, sein Lager verlassen oder noch nicht aufgesucht habe.

»Mein theurer Ardent,« lautete die wehmüthige Erwiederung, »ich möchte statt aller Antwort dieselbe Frage an Euch stellen.«

»Ich will Euch bereitwillig Rede stehen und Euch mit dem guten Beispiel des Vertrauens vorangehen, obschon ich nicht geglaubt hätte, daß es nöthig wäre. Des Umstandes gar nicht zu gedenken, daß unsere Kajüten etwas beschränkt sind und unsere Annäherung an die Zone, welche man vorzugsweise die heiße nennt, eine derartige Einsperrung allzulästig macht, fand ich, daß meine Gedanken jene schrecklichen Gestalten annehmen wollten, welche nur zu gewöhnlich die Vorboten wirklichen Unglücks sind – und so – und so – bin ich herausgekommen, um mit den Sternen Zwiesprache zu halten.«

»Wirklich?« entgegnete mein Freund, etwas aufgeregt; »und was sagen sie Euch?«

»Sie haben mir von Frieden gesprochen.«

»Ah, so!« versetzte er, augenscheinlich ein wenig in seiner Erwartung getäuscht; »ich glaubte, Ihr hättet irgend eine Folgerung aus ihren Aspekten gezogen; aber ich weiß, dies ist Alles nur eitel Gaukelei.«

»Es ist hier nur eine Folgerung zu ziehen, die bloß den Thoren oder den Philosophen nicht einleuchten will – nämlich die unendliche und unaussprechliche – sagte ich unaussprechliche? – nein, die völlig unbegreifliche Größe ihres Schöpfers. Doch das ist ein Gemeinplatz, mein theurer Julian.«

»Zugegeben – aber ein Gemeinplatz, der nicht allgemein genug gemacht werden kann. Doch warum Größe?«

»Es ist das einzige passende Wort, da es nicht nur Alles in sich faßt, was sich der menschliche Geist an Macht vorstellen kann, sondern auch den Ruhm und den Glanz bezeichnet; und diese Eigenschaften umschließen stets auch die des Wohlwollens und der Güte.«

»Wie folgert Ihr dies, Ardent?«

»Eine so hehre Macht, welche den Wesen, die sie in's Dasein rief, so ferne steht, könnte ja recht gut geneigt sein, den Geschöpfen seine Gewalt unter den häßlichsten Eindrücken eines seelefolternden Schreckens zu zeigen. Aber seht, wie die Hand der Allmacht die Schöpfung wohlwollend und natürlich in eine Schönheit gekleidet hat, die sich in demselben Grade steigert, in welchem der Geist fähig wird, sie zu würdigen. Seht in die Höhe und betrachtet! Wenn Ihr nach jenen Sternen blickt, so dringt ihr Zittern in das Innerste Eures Herzens und theilt ihm eine heilige Scheu mit, in der jedoch nichts Schmerzliches, sondern nur die reinste Wonne liegt.«

»Ja, wir segeln unter einem glorreichen, dunklen Saphirgewölbe hin, das mit lebendigen Edelsteinen besät ist; – oder bewegen wir uns überhaupt? Ist's doch, als stände das Schiff fest, während sich nur die leichten blauen Wellen an uns vorbeistehlen.«

»Ein Sinnbild der Zeit, mein theurer Freund. Wir scheinen auch stehen zu bleiben – merken nicht auf unsere Fortschritte zu der Ewigkeit, während Stunden, Tage, Jahre, Ereignisse und Katastrophen an uns vorbeizufliegen scheinen, obschon im Gegentheile sie es sind, welche gewissermaßen in unserem mit Marmor gepflasterten Weg eingesenkt stehen, indeß wir an ihnen vorbei und dem Grabe zueilen.«

»Was meint Ihr damit? Seid Ihr ein Fatalist?«

»In einem gewissen Grade – ja.«

»Wie so?«

»Glaubt Ihr nicht, daß die Sonne morgen über zwanzig Jahre dort wieder aufgehen wird? Oder, wenn es auch dem Schöpfer gefallen sollte, sie bis dahin auszulöschen, so würde mein Argument noch immer dasselbe sein. Doch was nun auch statthaben mag – der Hauptmoment wird davon abhängen, ob ich noch lebe, um Zeuge davon zu sein – oder nicht?«

»Unbezweifelt.«

»Dann mögt Ihr verstehen, in wie weit ich ein Fatalist bin. In der Weltregierung hat der Allmächtige den Gang aller Ereignisse angeordnet. Was uns selbst betrifft, so können wir uns zum Guten oder Bösen lenken, und wir verdienen uns dadurch Belohnung oder Strafe, die wir denn auch, wenn nicht sein unbegrenztes Erbarmen in's Mittel tritt, finden werden.«

»Ich glaube Euch zu begreifen; aber ist es ein Ereigniß von Gottes Verordnung, oder unterliegt es meiner eigenen Lenkung, ob ich Isidora, meine sehr nahe Verwandte, heirathen soll, oder nicht?«

»Ah! eitert dieser Gedanke? Die Gelegenheit, das Ereigniß scheint in Eurer Macht zu sein; benützt es zu Gottes Ehre und zur Beruhigung Eures Gewissens. Die Frage, o mein Freund, hat in meinem eigenen Busen eine fast geheilte Wunde wieder aufgerissen.«

»Ich will Euch nicht verstehen, selbst wenn ich könnte. Isidora – meine Isidora hat unter Seufzen einige schreckliche düstere Winke fallen lassen, aber dennoch – aber dennoch« – und er ergriff plötzlich meinen Arm, den er mit Schmerz erregender Gewalt zusammenpreßte, »soll sie mich heirathen.«

»Wer zweifelt daran?«

»Ich – sie – der Priester – –«

»Oh! diese Priester! Redet mir nicht davon, was die Priester – sondern was Euer eigenes Herz sagt.«

»Mein Herz darf die Berufung nicht annehmen, denn die Sache ist furchtbar vor das Tribunal meines eigenen Urtheils gelegt worden. Glaubt Ihr an die Lehre von künftiger Belohnung und Bestrafung?«

»Zuverlässig. Nur diejenigen, welche sich vor der Bestrafung fürchten, stellen sich an, als ziehen sie diesen Glaubenssatz in Abrede.«

»O, Ihr müßt mich nicht verachten – denn in der That, bis ich mein eigenes trügerisches Herz prüfte, glaubte ich religiöser zu sein, als Ihr. Ich war gewissenhaft in Betreff der kirchlichen Vorschriften, betete oft und beichtete regelmäßig; aber eine Thatsache – eine kleine Thatsache, die während meines kurzen Aufenthalts in Barcelona zu meiner Kunde kam, hat mein Vertrauen auf die göttliche Gerechtigkeit erschüttert.«

»Es thut mir schmerzlich leid, dies zu hören. Worin besteht die Thatsache, von der Ihr sprecht.«

»Ihr habt wohl nie von dem guten Vater Hieronymus gehört. Dieser Mann war ein Heiliger auf Erden. Rein und vorwurfslos wandelte er demüthig vor Gott und Menschen, Stolz nur gegen den Unterdrücker und Strenge nur gegen den unbußfertigen Sünder zeigend. Dieser Mann, guter Ardent, predigte das Evangelium, aber er predigte es mehr mit Thaten, als mit Worten. Von ihm ließ sich mit Wahrheit sagen, daß er auch den Mantel hergab, wenn man seinen Rock verlangte. Es war kein Arg in ihm, und seine äußere Erscheinung konnte ein treues Abbild der Engelschöne seiner Seele genannt werden. Wohlgemerkt, Ardent, er war kein Mönch, sondern ein Pfarrer und Weltpriester – die Kapuzenbrüderschaft mied ihn und hatte, wie ich glaube, ihren Haß auf ihn geworfen. Er stand im schönsten Sommer seines Lebens. Da verbreitete sich eines Tages in seinem Dorfe das erschreckende Gerücht, daß ein wüthendes Thier – lacht nicht über die Aermlichkeit des Schreckens, Troughton, denn um meine Geschichte eindrucksvoller zu machen, könnte ich es einen Wolf nennen; so aber war es nur ein wüthender Bullenbeißer – den Ort durchstreife und eben erst in das Schulzimmer des Sprengels eingedrungen sei, um unter den unschuldigen kleinen Wesen unvermeidlichen Tod zu verbreiten. Starke Männer – Männer, welche Soldaten gewesen – waren in der Nähe; aber sie flüchteten sich von der Stelle, um Waffen zu holen, während dagegen die Mütter, ganz außer sich, schreiend die Schwelle umgaben. Hieronymus wartete nicht und zögerte keinen Augenblick, denn er hatte seine Waffen stets bei sich – Seelengröße und Rechtschaffenheit; et stützte durch die Thüre hinein. Die Kinder schlugen ihre Hände zusammen und riefen voll Freude: ›Wir sind gerettet! – da ist unser Vater!‹ Und sie waren gerettet – alle, alle; denn in demselben Augenblicke, als das Thier einem von seiner unschuldigen Heerde an die Kehle springen wollte, stürzte der gute Hirte, der Apostel, auf die Bestie zu, stieß ihr seinen Arm in den giftgeschwängerten Schlund hinunter und erdrosselte sie. Sein Arm war schrecklich zerfleischt. Die Wunden wurden ausgeschnitten – seinen theuern Pfarrkindern zu Liebe auch mit den heiligsten Reliquien berührt; aber trotz alledem – ich kann nicht fortfahren, denn er war mein Freund – –«

Und Julian hielt inne, verbarg sein Gesicht mit den Händen und beugte sich über die Hängemattennetze.

»Ich kann mir denken,« sagte ich, absichtlich die stärksten Ausdrücke wählend, die mir einfielen, »daß er im Zustande des elendesten, schrecklichsten Wahnsinns starb; aber der Tod ist unser gemeinsames Erbtheil, und der Schmerz seiner Sterbestunde erhielt durch die Erhabenheit seiner heroischen Handlung eine erhabene Weihe. Jedes Schmerzzucken, das wie Feuer durch seine bebenden Adern lief, war ein Verdienst – er reinigte sich selbst für die Herrlichkeit. Es war eine Gelegenheit, die ihm Gottes Vatergüte bescheerte, und sie wurde von dem leidenden Hieronymus gewiß so angeschlagen, daß er in den schlimmsten Augenblicken der Qual seine Gefühle nicht umgetauscht haben würde gegen den höchsten Grad eines blos irdischen Glückes. In all' dem sehe ich nichts, was dem göttlichen Wesen als Ungerechtigkeit zum Vorwurf gemacht werden könnte.«

»Nein, nein,« entgegnete er etwas unzufrieden, »es war nicht dies. Man begreift leicht, daß selbst eine Lehre des Edelmuths nicht gelernt werden kann, ohne große Opfer und Leiden. Aber was mich verwirrt, besteht darin, mein theurer Ardent: wenn der gute Hieronymus, ehe er von dem Hunde gebissen wurde, eines leichten Todes gestorben wäre, würde er nicht ebenso sehr die ewige Seligkeit geerbt haben, als nach dem Leiden eines so grausamen Zustandes, der Angst und des bittersten Todesschmerzes? Ihr schweigt? Zuverlässig waren diese Leiden ein Werk der Ungebühr, und hat in diesem Falle – verzeiht mir die Gottlosigkeit des Gedankens – nicht die Wagschale der ewigen Gerechtigkeit gezittert?«

»Nein; aber wollen wir für den Augenblick dies beruhen lassen und Eure Hypothese als wahr annehmen, was folgert Ihr daraus?«

»Daß der Mensch, um sich sein zeitliches Glück zu sichern, wohl bisweilen ein kleines Unrecht begehen darf.«

»Meint Ihr? Aber wenn der Mensch in dem Augenblicke, in welchem das Unrecht begangen wurde, stürbe, was würde er dadurch gewinnen?«

»Wenn er in Sünden stürbe, die Verdammniß. Es ist ein schrecklicher Versuch – ich habe stets die Reue im Auge gehabt.«

»Wer thäte dies nicht, sofern er an die Lehre einer zukünftigen Vergeltung glaubt? Aber worauf zielt Ihr ab?«

Don Julian blieb für eine Weile stumm; endlich raffte er sich aber vermittelst einer Gewaltanstrengung auf und rief:

»Glaubt Ihr nicht, daß die Gesetze der Moral, wie die gewisser Wissenschaften, fest und unabänderlich sind?«

»Als Richtschnur für das menschliche Benehmen, nein. Wir haben uns an keine andere Regel zu halten, als an das Gesetz Gottes und an die menschlichen Gesetze, welche mit dem ersteren im Einklange stehen. Ihr wißt wohl, daß die menschlichen Gesetze mit den Umständen wechseln. Es war keine Sünde, keine unsittliche Handlung, daß Abraham seinen geliebten Sohn tödten wollte; denn nach der damaligen Ordnung der Dinge galt diese Handlung als ein frommes Opfer. Ich könnte Euch eine Menge derartiger Beispiele anführen.«

»Ardent, Ihr habt mich der einzigen Hoffnung beraubt, auf die ich baute. Die unmittelbaren Nachkommen unserer ersten Eltern müssen sich untereinander vermählt haben.«

»Warum kommt Ihr mit diesem?« entgegnete ich argwöhnisch und, wie ich fürchte, etwas gereizt.

Don Julian gab eine Weile keine Antwort. Endlich legte er, vor Aufregung zitternd, seine Hand schwer auf meine Schulter und blickte mir forschend in's Gesicht. Er zeigte ein seltsames Gemisch von Furcht, Kummer und Bangigkeit; aber doch konnte mich Alles dies nicht auf die befremdliche plötzliche Frage vorbereiten, die er an mich stellte –

» Könntet Ihr Isidora lieben

»Könnte ich meinen Freund im Schlafe erdolchen?«

Unwillkürlich wandten wir Beide uns von der Schwelle ab, wo wir so lange gestanden hatten, und begannen stumm neben einander auf dem Decke hin- und herzugehen. Die Last meiner Gedanken wollte mich erdrücken; aber die unselige Vorstellung lag am schwersten auf meiner Seele, daß meine frühere Thorheit beargwöhnt, vielleicht entdeckt und zur Sprache gebracht werden könnte.

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