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Achtundvierzigstes Kapitel.

Die Santa Anna macht einen großen Leeweg – kein Wunder, wenn Wind und Wellen treiben. – Die Fackel brennt oft am hellsten, wenn sie erlöschen will. – Unsere wehmüthigsten Betrachtungen sind nicht selten die heilsamsten.

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Ich habe stets mit Bewunderung bemerken müssen, wie ungemein sinnreich der Mensch in einer gewissen Richtung ist – wenn es nämlich gilt, sich selbst und seine Mitgeschöpfe elend zu machen. Es liegt dabei wenig an dem Umstande, ob diese gottgleichen Kreaturen in die kleinen Sackgassen dicht bevölkerter Städte zusammengedrängt sind, oder sich auf einem Jagdgrunde hetzen, der so groß wie ein europäisches Königreich ist und von etwa vierzig oder fünfzig scalpirenden Indianern bewohnt wird – die Verfolgung ist stets die gleiche, und Jeder thut sein Bestes, um den Andern einen Vorschmack von der Hölle zu geben, mag er nun an sie glauben oder nicht.

Das menschliche Herz ist verzweifelt schlecht, von Natur aus lügenhaft und ohne Wahrheit. Welch ein wunderbarer und großartiger Beweis von der wachsamen Sorgfalt einer wohlwollenden Vorsehung, daß dieses gemeine, herrschsüchtige und kampfgierige Thier noch nicht erloschen ist! Freilich sind schon ganze Geschlechter, groß, zahlreich und vielleicht sowohl dem Körper als dem Geiste nach viel edler, als irgend eines, das jetzt existirt, durch ihre eigenen Laster ausgestorben; aber daß wir so, wie wir sind, noch bestehen, ist, glaube ich, einer der stärksten Belege für eine wunderbare und göttliche Einmengung.

Könnte ich wohl andere Ansichten unterhalten, wenn ich die Schrecken schildere, welche die Insassen der Santa Anna freiwillig auf ihre Köpfe herunterbeschworen hatten?

Fünf weitere, lange und – was die Elemente betrifft, herrliche Monate sind entschwunden – das unglückliche Schiff schwimmt noch immer als ein Spiel der Winde auf den Wellen umher. Ja, die Santa Anna ist noch flott, aber eben ein flottes Wrack, spärlich bewohnt von einer Gruppe blödsinniger, plappernder, schwacher Gerippe. Die Jungen sind grau und die Alten kahl geworden. Dennoch hält sich Jeder für reich und erwartet von der kommenden Sonne, die seinen welken Leib bestrahlt, sie werde ihm Rettung, Gesundheit und Glück bringen.

Dreimal hatte das alte Schiff lustig mit krachenden Rippen und unnatürlichem Getöse aus dem schwerfälligen Rumpfe vor dem Hauche des Orkans hingetanzt; es schien mit Leben beseelt worden zu sein, denn es drehte sich, tanzte und sprang vorwärts, als wolle es mit den gewaltigen Winden in die Wette rennen. Die Geschwindigkeit war schrecklich, und Niemand wagte es, von den Bugen aus auf den gewaltigen Kampf des Wassers niederzuschauen. Die Decken waren verlassen und keine Seele vorhanden, um sich des gewaltigen Rennens zu brüsten. Doch nein – es war Einer da – ein verachteter Mensch – der entkommene Deportirte. Er hatte längst die Steuerreepe wieder ausgebessert, saß bei diesen furchtbaren Anlässen einsam und stolz die ganze, lange Nacht vor den Speichen, handhabte die Ruder und lenkte den wüthenden Kurs. »Vorwärts, vorwärts!« schallte sein jubelnder Ruf, und der von Allen verlassene Mann hielt das ächzende Schiff stöhnend vor dem Winde. Er jagte seinem Schicksale nach und flüchtete sich aus der aushungernden Oede der Windstillenbreite. Sein Busen hob sich, während er allein die gewaltige Masse sammt den elenden Zitterern leitete, welche sich im Innern verborgen hatten. Alles, alles war ihm willkommen – er würde mit ebenso kaltem Blute den ungeheuern Babel auf den wankenden Fels, auf die Sandbank, oder durch den Kessel einer kochenden Brandung getrieben haben. »Vorwärts, vorwärts!« rief er – und in ihrem welken, kindischen Alter gehorchte die alte Hexe edel – der Sturm schien für sie nur ein schwelgerisches Mitternachtsgelage zu sein.

Aber die Stürme waren entschwunden und hunderte von Meilen in der Flüchtigkeit eines zornigen Nordostes zurückgelegt. Niemand in diesem, dem Verderben geweihten Schiffe wußte oder kümmerte sich darum, wohin es ging. Die elenden Bewohner hatten viele Frevel begangen, und die Hand des Mörders war nur zu oft roth geworden von dem Blute eines Gefährten. Mehr als einmal hatte der rothe Lebenssaft, verspritzt durch den unerwarteten Stoß eines Meuchlers, den geselligen Tisch überschwemmt.

Nur siebenzehn von der unseligen Mannschaft waren noch am Leben – ausgemergelte Wesen, die in dem Sonnenschein umherkrochen oder mit den schwindenden Kräften um die faulen Reste des Mundvorrathes sich balgten, die ihnen noch übrig geblieben waren. Aber selbst jetzt noch wurde das am Busen gehegte Messer unaufhörlich geschwungen, und was dem Arme an Kraft gebrach, schien das hohle Auge voll teuflischen Hasses zu ersetzen.

Aber das war nur ein Punkt zu dem I der Schrecken, welche sie gleich losgelassenen Dämonen bei Tag hetzten und bei Nacht in hundert häßlichen Gestalten umgaben. Selbst William Watkins hatte eine Art verabscheuenden Mitleids gegen sie gefaßt und längst aufgehört, den geringen Rest ihrer Kräfte dadurch aufzureiben, daß er sie zwang, sich an den Pumpen abzumühen.

Das gewaltige Schiff schien nicht nur vom Himmel, sondern auch von allen Erdenbewohnern, die auf dem Meere umherzustreichen pflegten, verlassen zu sein; ein auffallendes Geschick mußte sie wohl zwingen, diese Arche des Elends und die verbrecherischen Elenden, die es barg, zu meiden.

Ja, ich war an ihrem Borde gewesen, und der Fluch meiner letzten Anwesenheit haftete auf ihr. Aber diejenigen, welche sich in dem Schiffe befanden, hatten eifrig ihre eigene Verdammniß gesucht – sie hatten schrecklich gesündigt, aber auch schrecklich gelitten. Die früh Dahingestorbenen waren vergleichungsweise glücklich zu nennen.

Sollen wir noch ein wenig – nur noch ein klein wenig weiter gehen in der ferneren Schilderung des Elendes? Die Vorsehung hatte über die Leiden des Priesters den schützenden Mantel des Wahnsinns gedeckt. Er wußte nichts von seinem Zustande und irrte mit prophetischen Worten umher. Er achtete in Wahrheit nicht darauf, wo er sein Haupt hinlegen, oder was er essen sollte. Er nahm da einen Bissen, dort einen Bissen, stets die Gabe mit der bittern Versicherung einer ewigen Verdammniß belohnend, und als endlich die Bissen gar zu spärlich wurden, verweigerten ihm die Matrosen seinen Antheil ganz und gar. Er starb drei Monate vor dem gegenwärtigen Zeitpunkte unserer Geschichte. Das Licht vor dem Tabernakel war nie wieder angezündet worden, obschon sich einige Stunden vor seiner Auflösung die Lampe seiner Vernunft noch einmal erhellte.

Aber bis zum letzten Augenblick umspukte ihn die Furcht vor einem Grabe in der bodenlosen Tiefe des Wassers. Meine Eltern, Don Julian, Isidora und der grämliche, zerstreute Zurbano standen während seiner letzten Augenblicke in der Nähe; er wandelte jetzt seine Fluchworte in Segen um und schien in der That zum erstenmale der Mann Gottes zu sein. Sogar Zurbano's finsteres Gesicht gewann einen Zug von Innigkeit, und die Muskeln um seinen Mund bebten, als ihn der Sterbende mit der Wärme eines Bruders ermahnte, seinem Unglauben zu entsagen und bei der Religion seine Zuflucht zu suchen – gleichviel, welchen Namen sie tragen möge, wenn sie nur den Urquell der Versöhnung zur Grundlage habe. Diese plötzliche und aufrichtige Freisinnigkeit machte einen tiefen Eindruck auf Alle, namentlich aber auf meine Mutter, die von Stund an vielleicht eine schlechtere Katholikin, dafür aber eine um so bessere Christin war.

Diese unerwartete Liebesfreundlichkeit, welche nicht eine Spur von Bigotterie in sich trug, wirkte dermaßen auf den Silberlöffel, daß er sagte:

»Mit Gunst, Euer Hochwürden, wenn es Eurem guten Herzen wohl thut, so soll die Kerze vor der kleinen Dame wieder wie eine Fackel brennen; auch weiß ich, wo ein Fläschlein vortrefflichen Oels zu finden, wenn Euer Hochwürden sich damit salben will, damit Ihr wohlbehalten den Fingern eines kleinen Teufels entwischt, der boshaft genug sein könnte, Euch nach Eurer kleinen Hölle – Fegfeuer, glaube ich, nennt Ihr's – herumholen zu wollen.«

»Nein, mein guter Freund; alle diese Dinge erscheinen mir jetzt nur als leere Eitelkeiten. Wenn ich vor den Herrn trete und meine Rechte flehend nach seinem Richterstuhle ausstrecke, so glaube ich nicht, daß er sie nach den Spuren von ein wenig Oel untersuchen wird; und was die Kerze betrifft, so hätte eine allenfallsige Wunderkraft des Bildes, wenn es gewollt hätte, dieselbe selbst brennend erhalten können. Die Salbung, die ich jetzt am meisten benöthigt bin, ist die der frommen Gedanken, und das Licht muß das Licht der Versöhnung sein, durch die dem ganzen Menschengeschlechte Rettung zu Theil wird. Aber glaubt nicht, mein wohlwollender Freund, daß ich als ein Abtrünniger sterbe, denn ich wünsche geläutert in dem Schooße meiner Kirche zu ruhen. Jetzt habe ich nur noch einen einzigen Wunsch auf dem Herzen – kommt ein wenig näher zu mir, Watkins, denn ich fühle, daß meine Stimme schwach wird.«

»Ich verstehe Euer Hochwürden vollkommen.«

»Selbst durch den Nebel, den Gott in seinem Erbarmen kürzlich über meinen Geist zu schicken beliebte, habe ich bisweilen bemerkt, daß nur in Euch noch die Klugheit der Schlange zu existiren scheint. Mein Gebein schaudert vor einem wässerigen Grabe – laßt es auf dem Lande niederlegen – gleichviel an welcher Stelle, aber wo möglich in geweihtem Boden. Es ist kein Vorurtheil der Bigotterie, meine Freunde, sondern ein Sehnen des Anstandes. Ja, laßt mich in der Erde begraben – wie dürr der Sand, oder wie unfruchtbar der Felsen auch sei – Alles ist mir tausendmal lieber, als in der kalten Tiefe des Wassers zu schweben.«

Und schon der Gedanke daran machte ihn dermaßen zittern, daß Alle für eine Weile dachten, die Seele habe ihren Abschied genommen.

Als Watkins bemerkte, daß der Sterbende noch bei Besinnung war, redete er ihn mit stotternder Stimme folgendermaßen an:

»Fürchtet nichts, hochwürdiger Herr. Jeder hat seine Liebhaberei – ich will das Sprüchwort nicht wiederholen, denn in einem so ernsten Augenblick ist es nicht am Orte. Fürchtet nichts, hochwürdiger Herr – wenn das Schiff trockenes Land anthut und der Silberlöffel, wie sie mich nennen, noch Athem genug in seinem Leibe und Kraft genug in seinem Arme hat, so wird er Euch ein nettes, gemächliches Grab machen – Euch auch eine Decke dazu geben und vier Fuß warmer Erde über Euch aufhäufen, um die Kälte von Euch abzuhalten – na, vielleicht sieht man auch eines Tags eine Blume oder so etwas über Eurer Leiche aufsprossen.«

»Ich danke Euch – nehmt meinen Segen dafür.«

»Laßt das gut sein, Vater – beruhigt Euch – sobald der Athem aus Eurem Körper entwichen ist, will ich Euch nach schiffsgerechter Bristoler Manier wie einen Seemann in Eure Hängematte nähen und Euch irgendwo hinstauen, wo Euch die Feuchtigkeit nichts anhaben kann, und auch die Ratten nicht im Stande sind (zum Geier mit ihrer Unverschämtheit) an Eurem großen Zehen zu nagen. Zum Geier mit ihrer Unverschämtheit, sage ich noch einmal, denn sie wollten letzthin mir, einem lebendigen Individuum, an die Waden! Nun, Euer Hochwürden kann jetzt ruhig und wie ein Christ sterben.«

Diese seltsame Versicherung, welche in einem noch seltsameren Gemisch von Spanisch und Englisch ausgedrückt wurde, schien eine beruhigende Wirkung auf den Sterbenden auszuüben, der bald nachher, ohne einen weiteren Laut, im Frieden seinen Geist aufgab.

William Watkins hielt Wort. Er nähte die Leiche sorgfältig in eine Hängematte, zog sie nach dem großen Mars auf und legte sie in die Marskiste, wo sie vorderhand ruhig verblieb.

*


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