Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundvierzigstes Kapitel.

Ist sehr erfreulich und gleich allen erfreulichen Erdendingen sehr kurz. – Es liefert den Beweis, daß der schwarze Mann den Vorzug vor dem weißen verdient.

—————

Es stund lange an, ehe ich Honoria's Versicherung glauben konnte, daß Alles, was ich sah, im Laufe von vier kurzen Monaten blos durch den Fleiß und den Scharfsinn Jugurtha's hergestellt worden sei. Wie tief setzte mich diese Betrachtung in meiner eigenen Achtung herab! Wir waren unter fast oder vielleicht ganz gleichen Umständen an's Ufer geworfen worden, und ich wäre mit meiner Schwester beinahe verhungert, während der verachtete Neger ein eigentliches Eden des Ueberflusses um sich her geschaffen hatte. Natürlich brannte ich vor Verlangen, die Mittel kennen zu lernen, deren er sich bedient hatte, um mich zu überzeugen, worin seine unendliche Ueberlegenheit bestand. Ich kürzte deßhalb meinen Spaziergang ab und bat Jugurtha, mir zu zeigen, wie es ihm gelungen war, Feuer anzuzünden – eine Aufgabe, die ich, trotz allen meines Stolzes auf eine europäische Erziehung, nicht zu Stande gebracht hatte.

Jugurtha entsprach meinem Wunsche bereitwillig, ohne übrigens in verächtlichem Jubel über meine Schwäche zu lächeln. Wie groß war mein Erstaunen, als er ein paar Stücke der nächsten besten grünen Zweige nahm, ein Häuslein dürren Grases sammelte und darüber das grüne Holz zu reiben begann. In sehr kurzer Zeit hatte die Friktion ein feines Pulver erzeugt, das, wenn es weggeblasen wurde, augenblicklich sich entzündete und das Gras in Brand steckte.

»Da findet man am Ende,« dachte ich, »bei den Wilden doch mehr Weisheit.« Ich erging mich über dieses einfache Verfahren in noch weiteren Betrachtungen, die übrigens meiner Eitelkeit keine Lorbeeren wanden. Nach einigen Tagen war ich wieder völlig genesen, und ich begann nun die natürlichen und künstliches Wunder, die mich umgaben, zu untersuchen. Natürlich müssen wir zuerst mit meiner Schwester beginnen, die, mit Ausnahme ihrer vielen Sommersprossen, nie schöner und herrlicher ausgesehen hatte. Ihre Magerkeit war gänzlich gewichen, und sie erfreute sich einer üppigen Gesundheit.

Wenn sie ausging, trug sie auf dem Kopfe eine sehr zierliche Mütze, über und über mit bunten kleinen Federn besät, welche sich so dicht an einander anschmiegten, daß man das eigentliche Material der Mütze nicht sehen konnte. Ueber dem Ganzen wehte ein großer Federbusch, der sich kokett gegen das rechte Ohr niederneigte. Wenn meine Schwester diesen Kopfputz noch mit einem Kranze frischer Blumen verzierte, so kam es mir vor, als ob kein Juwelenkrönlein je anmuthiger und würdevoller hätte aussehen können. Zur Weste hatte sie die Ueberreste ihrer blauen Jacke umgewandelt und dieselbe am oberen und unteren Saume, wie auch an den Brustklappen mit Streifen weicher, prächtig aussehender Thierhäute verbrämt. Außerdem trug sie ein Paar weite türkische Hosen, aus Tuchstreifen bestehend, die vermittelst der Kokusfäden rauh zusammengenäht waren. Das Tuch selbst bestand aus der Rinde des wilden Maulbeerbaums, die auf einem Felsen geklopft, mit Salzwasser angenetzt, von der Oberhaut befreit, und nachher in lange Streifen geschnitten worden war. Das Gewebe dieser natürlichen Leinwand war nicht viel rauher, als das, welches in England gewöhnlich bei Küchenhandtüchern in Anwendung kömmt. Die Farbe war ein trübes, bräunliches Weiß; aber Jugurtha hatte sich Mühe gegeben, aus Pflanzen und Beeren, die er kannte, Farben anzufertigen, um seine Geschicklichkeit an einem Paar neuen Beinkleidern zu versuchen, die bereits schon ziemlich weit vorgeschritten waren.

Die zierlichen kleinen Knöchel meiner Schwester waren fast ganz durch ein Paar Halbstiefel verborgen, deren oberer Theil aus einem an der Sonne getrockneten Felle mit langen braunen, nach außen gekehrten Haaren bestand. Die Sohlen waren aus derselben Haut geschnitten und mit einer Holzunterlage versehen, welche mit scharfen Muschelschaalen bearbeitet und mit einem Korallenaste vollkommen glatt gefeilt worden waren. Den oberen und unteren Theil dieser Stiefel hatte Jugurtha vermittelst eines klaren, starken Gummi's, das reichlich aus einem hohen, mit sehr kleinen Blättern versehenen Baume schwitzte, zusammengefügt. Honoria versicherte mich, diese Fußbekleidung passe ihr vortrefflich; sie habe in ihrem Leben nie eine bequemere getragen, da dieselbe nicht nur gegen Wind und Staub schütze, sondern auch fast wasserdicht sei. Die Stiefel waren frei von allem üblen Geruch, und sogar der ekelste Tadler hätte ihnen keinen anderen Vorwurf machen können, als daß ihre Form etwas plump war und sie – freilich nur dem Auge – ein wenig größer zu sein schienen, als man wohl für nöthig erachten mochte. Ich sehnte mich nach einem ähnlichen Paare.

Mit einem langen Bogen, aus irgend einem dunkeln Holze gefertigt, und Rohrpfeilen, die mit einer Spitze von Feuersteinkieseln oder scharfen Muschelschaalen versehen worden waren, erschien meine Schwester als die Diana dieses hochbeglückten Himmelsstriches. Während meiner Gefangenschaft in der Hütte hatte sie sich im Schießen unterrichten lassen und bereits solche Fortschritte in dieser Kunst gemacht, daß sie einmal eine eßbare Ratte schwer verwundete. Jugurtha schlug sie vollends zu Tode, und Bounder verzehrte sie.

Das Haus, oder vielmehr unser Hauptzimmer, war ganz in der Weise geformt, wie man sich's als ersten Anfang der Architektur unter einem warmen Himmelsstriche denken kann – ein längliches Viereck, dessen Wände aus einigen in den Boden geschlagenen Zweigen bestand. Die Ausfüllung wurde durch kleinere Zweige gebildet, während das Ganze durch die breiten und dicken Blätter des Zuckerrohrs und des Kokusnußbaumes luft- und wasserdicht gemacht war. Das Dach stieg von einem langen Pfahle, welcher in der Mitte des Wigwams aufgepflanzt war, nieder und bestand aus denselben Materialien. Innen war der Boden überall einen Fuß hoch gegen die gebrechlichen Wände aufgeworfen und zu ihrer Verstärkung festgestampft worden. Diese Seitenwälle hatte Jugurtha mit kleinem Laub, dem feinsten dürren Gras und der weichen wolligen Materie bedeckt, die er von den wilden Kottonstauden gesammelt; darüber lagen Häute, denn er hatte bereits eine Menge wilder Hunde und anderer kleiner Raubthiere erlegt oder in Fallen gefangen.

Schon an demselbigen Tage, an welchem uns Jugurtha nach seinem Wigwam gebracht hatte, begann er, die Wände seines Hauses zu verdoppeln und die Zwischenräume mit einem Thon auszufüllen, welcher in der Sonnenhitze bald so fest wurde, wie gebrannte Ziegel.

Da sich meine Gesundheit schnell besserte, so vereinigten wir bald unsere Thätigkeit, und suchten uns von Sonnenaufgang an bis zu Sonnenuntergang nützlich zu beschäftigen. Jugurtha verlangte zwar, wir sollten den Fürsten und die Fürstin spielen und in würdevoller Unthätigkeit zu Hause bleiben; aber hierauf wollte weder ich noch Honoria eingehen. Wir hatten so viel zu thun, und es lag eine eigentliche Wonne darin, thätig zu sein.

Unsere erste Sorge ging darauf hinaus, für meine Schwester ein gesondertes Haus zu bauen und dasselbe, so weit es unsere Mittel und das Klima zuließen, nicht nur bequem, sondern auch schön zu machen. Wir begannen damit, daß wir die Seitenwände höher machten und, Jugurtha's erstem Gebäude gegenüber, die Verbesserung anbrachten, daß wir an jeder Seite Raum für ein Fenster ließen; denn in unsern bisherigen Aufenthaltsorten war die Thüre das einzige Mittel, um Licht und Luft einzulassen. Da wir nicht wußten, in welcher Ausdehnung die Kälte uns während der Regenzeit lästig werden konnte, machte ich meinem schwarzen Freunde Vorstellungen, und wir versuchten nun im Innern einen Herd aus Steinen und gebackenem Thone zu errichten.

Der Schornstein sollte zuerst in die Mache genommen werden, und ich hatte im Sinne, denselben im cyklopischen Architekturstyl auszuführen; aber Jugurtha gab mir zu verstehen, daß dies in einem Klima nicht wohl angehe, wo man so furchtbaren Orkanen ausgesetzt sei. Wir begannen dann unser Werk mit Ziegeln von in der Sonne getrocknetem Thon, die unten eine Furche und oben eine in dieselbe einfügende Erhöhung hatten; die Enden unserer Ziegel fertigten wir gleichfalls in einer Weise an, daß sie taubenschwanzartig in einander paßten.

Wir arbeiteten an diesem Gebäude con amore, obschon es uns nicht von allen andern Beschäftigungen ausschloß. Gesprochen wurde nur wenig, was, wie ich glaube, von unserer Seite ein freiwilliger, instinktartiger Zoll war, welchen wir der Unfähigkeit des armen Jugurtha, sich einer Zunge zu bedienen, abtrugen. Unsere Nahrung war sehr mannigfaltig, und wir gediehen vortrefflich dabei.

Honoria's Haus, oder vielmehr Gemach, war in dem Zeitraum einiger Monate völlig hergestellt. Der steinerne Ofen entsprach vollkommen seinem Zwecke, und auch der Kamin wurde nicht durch Rauch belästigend. Endlich gab sie mit vieler Würde zum erstenmal in ihrem Eigenthume Gesellschaft. Der Tisch im Mittelpunkte war ein großer, fast schwarzer Stein, dessen Oberfläche Jugurtha durch Reiben mit einem noch härteren Mineral vollkommen glatt gemacht hatte. Die Gestalt war weder ganz viereckig, noch ganz rund, weder ganz oval, noch sehr vieleckig, obschon er ziemlich die Vortheile aller dieser Formen bot. Die Platte ruhte auf vier sehr substantiellen Felsunterlagen, welche tief in den Boden eingegraben waren; es stand daher selbst bei unserem wildesten Schwelgen kein Umschlagen des Tisches zu besorgen. Eben so wenig ließen sich die Stühle überstürzen, da sie von einer Wesenheit mit der Erde unter ihnen und hübsch über derselben glatt getreten waren. Um sie bequemer zu machen, hatten wir sie mit kleinem dürren Laub, der Wolle, welche wir von der wilden Kottonstaude gesammelt, und den mit Haaren versehenen Fellen unterschiedlicher kleiner Thiere gepolstert.

Wir besaßen einen Ueberfluß von Kokusnußbechern, wie es uns auch nicht an Schüsseln und Vasen aus Kürbissen, desgleichen an Ober-und Untertassen, die aus zierlichen Conchilien von verschiedener Größe und Form bestanden, gebrach. Unter dem Fleisch der Thiere, welche uns zu Gebot stand, behauptete das des wilden Schweins in seinem Ferkelzustande die erste Stelle; auch fehlte es uns nicht an Fischen, und unser Nachtisch würde die Tafel eines Londoner Stadtraths beschämt haben.

Zu alledem kam noch der Umstand, daß sich Jugurtha vortrefflich darauf verstand, den Palmbaum anzuzapfen und den angenehmen Saft desselben vermittelst gehöriger Gährung in einen köstlichen Wein umzuwandeln. Zu der Einweihungsfeierlichkeit wurden alle Hauptpersonen des Gebiets eingeladen, und Niemand vergaß so sehr die Galanterie und die Höflichkeitspflicht, um wegzubleiben.

Wir setzten uns ein wenig nach Mittag an unsern Tisch, und Honoria machte mit einer unübertrefflichen Anmuth und Würde die Honneurs. In der That erwies sie sich gegen ihre hohen Gäste so über die Maßen aufmerksam, daß sie die Schüsseln eigenhändig wusch und den Tisch nach dem Mahle selbst abräumte, um den Kaffee aufzutragen. An diesem Tage enthielten wir uns zum erstenmale aller Arbeit, die nicht nothwendig mit den Freuden unseres Festes in Verbindung stand. Wir fühlten uns in glücklicher Unabhängigkeit, und die Freude über unsere behagliche Lage drückte sich ebenso sehr in unsern Gesichtern, als in dem Tone unserer Stimmen und in allen unseren Handlungen aus.

Bei dieser Gelegenheit, welche in den Annalen meines Lebens so denkwürdig ist, war Bounder der erste, welcher sich vergaß. In dem Uebermaße seiner Freude fraß er so viel gebratenes Schweinefleisch, daß er nicht mehr gut durch seine Augen sehen konnte; er ging daher nach der Schwelle, wo er mehr Licht hatte, schloß seine Lider und schlief in der Sonne ein.

Jugurtha stand etlichemal auf und tanzte umher; auch war er den ganzen Tag viel zu sehr im Eifer, um von seiner Fingersprache Gebrauch machen zu können. Im Herzen drückte er sich übrigens gut genug aus, und ich glaube wahrhaftig, daß er sich nicht hätte glücklicher fühlen können.

Honoria war herablassend genug, uns einige heitere spanische Lieder zu singen, zu denen ihr schwarzer Zuhörer tanzte und mit den Fingern schnalzte. Ich machte viele sehr weise Bemerkungen und hielt mehrere vortreffliche Reden; auch beschloß ich, mich am nächsten Tage zu rasiren, zu diesem Ende mich auf mein Federmesser und auf Jugurtha's Scharfsinn verlassend.

Ich kann wohl sagen, daß uns der ganze Tag in unumwölkter Wonne entschwand. Ein einsamer Mondlichtspaziergang nach den Ufern des Flusses, Arm in Arm mit meiner Schwester, beschloß den Abend.

Ich führte sie nach der Schwelle ihrer neuen Wohnung, wo wir nicht um Einlaß zu pochen nöthig hatten, da bis jetzt die Thüre noch nicht gezimmert war. Was hätte sie auch in der That aus- oder einzuschließen gehabt, als die allzu kühlen Winde des Himmels, wenn sie einmal zu blasen anfingen, und diese hatten bis jetzt noch nicht beliebt, sehr strenge zu sein.

Nachdem wir uns gegenseitig Gottes Segen gewünscht hatten, schien für heute der erste unruhige Gedanke meine Schwester zu quälen. Mit einem Seufzer, der aus der Tiefe ihres Herzens kam, drückte sie mir zur guten Nacht den schwesterlichen Kuß des Friedens auf die Stirne und sagte:

»Oh, mein theurer Ardent, wie wird dies enden?«

»Wir sind in den Händen Gottes, Honoria; aber vergiß nicht, daß dies der einzige Gedanke ist, bei dem du nicht nur nicht verweilen, sondern den du nicht einmal zulassen solltest. Wir sind jetzt glücklich, meine Liebe. Laß uns Gott dafür danken. Gute Nacht.«

*


 << zurück weiter >>