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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Ich, meine Schwester und mein Gefolge bewerkstelligen die Flucht. – Eine schauderhafte Scene an der Nocke.

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Das plötzliche Unterbrechen eines unentschiedenen Kampfes ist stets eine Pause des Schmerzes, der Reue und der Furcht – eine Ruhe, welche tausendmal quälender ist, als das Gefecht. Man fühlt jetzt den Schmerz seiner Wunden, der in kläglichem Gewinsel wieder laut zu werden wagt, die Ueberlegung spricht ihr verdammendes Urtheil, das Gewissen schwingt seine Scorpionengeißel, und der Schrecken sammt seiner noch verächtlicheren Schwester, der Feigheit, flüstert dem klopfenden Herzen zu, es sei keine Schande, sich zu unterwerfen – keine Unehre, die Flucht zu ergreifen. Als der fromme Vermittler mit seiner Friedenspost vortrat, schauten meine Kameraden umher und sahen sich gegenseitig mit verzweifelndem Entsetzen an. Ihre verminderte Anzahl, das Blut ihrer Wunden, und die Ungleichheit des Kampfes bewog sie bereits, die verhängnißvollen Worte auszusprechen: »was sollen wir thun?« – Worte, die oft weiter nichts sagen wollen, als: »wir können nichts thun, als uns ergeben.«

Aber dies war nicht die Sprache Aller, denn noch immer waren einige entschlossene Herzen unter ihnen. Jugurtha sah aus wie ein grimmiges, in schwarzen Marmor geschnittenes Götzenbild, die Verkörperung eines heidnischen Kriegsgottes, denn während der kurzen Unterbrechung des Kampfes erschien er finster, regungslos und schrecklich. Mein guter alter Vater war, so wenig er auch Soldatisches an sich hatte, so ruhig, wie der Gerechte im Augenblicke des Todes, wenn »der Gottlose aufgehört hat zu zittern.« Julian war im höchsten Grade aufgeregt, ungeduldig über die Spannung der jeweiligen Ruhe, und nur allzubegierig, auf's Neue Blut zu vergießen. Die Uebrigen blickten mit beklommener Angst nach vorne und sahen dem Resultate der priesterlichen Vermittlung entgegen.

Die Hoffnung jedoch, welche uns von dieser Seite her tagen konnte, verschwand wieder ebensobald, wie ein guter Vorsatz. Kaum hatten die Spanier den Priester unter sich, als sie ihn wie eine Versicherung des Sieges, wie ein geheiligtes Banner und eine göttliche Aufforderung begrüßten, das Gemetzel auf's Neue zu beginnen. Die Stimme des guten Mannes wurde unter lauten » vivas!« erstickt. Sie umklammerten seine Füße, knieeten vor ihm nieder und küßten seine Kleider, wollten aber nicht auf ihn hören. Wie tief sind wir gefallen, daß die Gluth der Religion zum Deckmantel so schrecklicher Leidenschaften und so vieler schwarzer Thaten gemacht werden kann! Er, der uns, wie wir glühend gehofft hatten, ein Bringer des Friedens werden sollte, wurde nun ein Vorbote des Menschenmordes. Er war gut, aber schwach, und als wir sahen, daß man den Alten achtungsvoll und unter Thränen durch die Vorderluke nach einem geborgenen Platze führte, hatten wir keine Hoffnung mehr.

Sie begannen, die in ihrer Nähe stehenden Kanonen zu untersuchen, die jedoch alle ausgezogen waren. Dann sammelten sie sich zu einem dichten Haufen, und rückten zu beiden Seiten des Deckes stätig auf uns zu. Zu gleicher Zeit wurde einer Abtheilung Befehl gegeben, über den Hackebord und in die Kajütenfenster zu steigen, um uns in dieser Weise auch von hinten beizukommen. Dies entschied unser Geschick. Wir hatten jetzt nichts mehr zu thun, als uns zu rächen und zu sterben.

»Leben für Leben!« brüllte ich den Heranrückenden zu. »Nehme Jeder von Euch seinen Mann auf's Korn. Leben für Leben!«

»Zwei für Einen!« rief William Watkins, eine seiner Pistolen mit guter Wirkung auf einen Spanier abfeuernd, und dann seine Waffe mit großer Gewalt und sicherem Ziel unter den Haufen werfend. »Eins und zwei ist drei, und einer weiter ist vier,« fuhr er fort, seine andere Pistole in derselben Weise gebrauchend. »Nun, wenn sie vier Leben aus mir herauskriegen, bin ich entweder eine Katze oder ein Reptil.«

Wir hatten alle unsere Feuerwaffen abgeschossen und sie standen jetzt nur noch einige Schritte von uns.

»Nach der Kajüte!« rief ich.

Wir zogen uns zurück, ergriffen die Lunten neben den Karronaden, welche Drinkwater bis an die Mündung mit Kartätschen geladen hatte, zogen das Geschütz nach vorn und feuerten durch die Scheidewände mitten in die zwei Kolonnen, die uns nun ganz nahe gekommen waren. Es folgte ein furchtbares Gezeter. Die Kartätschen mußten ein schreckliches Blutbad angerichtet haben, obschon ich es nicht sehen konnte.

Diese nutzlose Handlung wird für immer schwer auf meinem Gewissen lasten und der Wiederhall des Geschreis der Sterbenden und Verstümmelten noch in meiner Sterbestunde vor meinen Ohren dröhnen; aber ich war verwundet, außer mir und wahnsinnig. Obgleich ich dieses Brandopfer des Mordes erfüllte, hatte ich doch nicht den tödtlichen Kampf hervorgerufen. Der gleichzeitige Knall der beiden überladenen Karronaden in dem engen Raume der Kajüte betäubte uns für einen Augenblick – überhaupt war es ein Wunder, daß sie nicht geborsten waren. Es stund einige Sekunden an, ehe wir zu dem Bewußtsein unserer Lage kamen, und als unser Gehörsinn nach einem kurzen Todtenschweigen wieder zurückgekehrt war, schlug das vorerwähnte Gezeter an unsere Ohren, welchem ein nachhallendes Weheklagen, Stöhnen und andere Töne folgten, in denen Verzweiflung und das furchtbare Todesringen nicht zu verkennen waren. Aber auch aus der Hinterkajüte vernahmen wir den halb unterdrückten Entsetzesschrei der Frauen, in welchen sich ein Jubeln des Triumphes mischte. Letzteres ging von David Drinkwater aus, welcher schnell unter den Händen der Frauen verblutete.

»Hurrah! Herrlich!« rief er. »Ich sterbe wie ein – –«

Das Blut gurgelte in seiner Kehle, und der Rest seiner Worte tönte in die Ewigkeit. Möge er Vergebung finden, wenn sie gottlosen Inhalts waren.

Obgleich die Kartätschenschüsse unter den Spaniern eine furchtbare Verheerung angerichtet hatten, waren doch noch genug übrig, um Rache zu nehmen. Sie zögerten übrigens eine volle Minute, ehe sie auf die Wenigen losstürzten, welche sie in dieser schrecklichen Weise heimgesucht hatten. Aber endlich kamen sie. Mächtigere Haufen mögen sich wohl schon auf den Feind gestürzt haben, aber nie war ein Angriff wilder und wüthender. Sogar Mantez gab die Rücksicht für seine theure Person auf, und obschon er sich nicht an die Spitze des Häufleins stellte, befand er sich doch mitten unter der tobenden Gruppe. Zu den Thüren kam Niemand herein, aber die Scheidewände waren niedergerissen, und das alte klassische Gleichniß von den, Wölfen, die in den Schafstall brechen, wurde nun tatsächlich kommentirt. Sie waren an uns und unter uns; es blieb uns nichts übrig, als uns zu ergeben, in einem verstellten Tode niederzufallen oder zu fliehen. Zu fliehen! Wohin? Wohin anders, als in die klaren, kalten Wellen des Oceans? In der durchsichtigen Tiefe däuchte mich der Tod schön, sehr schön, wenn ich ihn mit den blutenden Wunden, mit den verlängerten Schmerzen und mit dem bitteren Jubel unserer rachedürstenden Feinde verglich – denn was Anderes stand uns bevor, wenn wir auf dem unseligen Schiffe blieben?

Während die Sieger mit dem Blutdurste des Wahnsinns ihre Stilette brauchten, stürzte ich in die Hinterkajüte, wo ich kaum eine weniger schreckliche Scene antraf. Der Teppich war mit Blut getränkt, und die Weiber lagen auf dem Decke, ihre Kleider befleckt von dem Strome des Lebens. Ich hatte keine Zeit, die Einzelnheiten zu bemerken, und konnte in meiner Verwirrung nicht einmal meine Mutter unterscheiden. Nur ein Gegenstand war vorhanden, auf den ich für einen Augenblick meine Aufmerksamkeit heften konnte, nämlich meine Schwester in dem Anzuge des Kajütenknaben, welche an der Seite des todten Drinkwaters knieete und in der Inbrunst ihres Gebetes ein Krucifix mit ihren Händen umklammert hielt. Mein plötzliches Eintreten störte sie nicht in ihrer heiligen Hingebung. Aber der Augenblick war dringend. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und drückte in meinen Worten, die aus der Tiefe meines Herzens kamen, die dumpfe Energie der Verzweiflung aus, als ich sagte:

»Komm, Honoria.«

Sie blickte voll Ergebung auf, wie ein Wesen, das bereits die Schranken des Grabes hinter sich gelassen hat. Es kam mir vor, als ob sie lächle. Ihre sanfte Antwort lautete;

»Wohin, o mein Bruder?«

»Zu sterben, um der Schande zu entgehen.«

»Ich komme.«

Ich wagte nicht zurückzublicken, sondern stürzte mich durch die offenen Kajütenfenster hinaus; aber kaum hatten mich die nachgiebigen Wellen aufgenommen, als ich ein anderes Plätschern, dann ein zweites und ein drittes an meiner Seite hörte. Honoria, Jugurtha und zuletzt mein treuer Neufoundländerhund waren mir auf dem Fuße gefolgt. Indeß stand für Niemand von uns augenblickliches Ertrinken zu besorgen, denn obgleich Honoria und ich in dem Tod eine sichere Zuflucht gesucht hatten, so hielt doch der grimmige König an jenem Tage nicht für uns seinen Hof in den Regionen des schreckenlosen Meeres, da wir in Wahrheit aus der dringendsten Gefahr in eine verhältnißmäßige Sicherheit entronnen waren. Wie bereits bemerkt, hatte der amerikanische Wallfischjäger in unserer Nähe gehalten und, als er den tödtlichen Kampf an Bord der Santa Anna, wie auch einige Frauenzimmer auf dem Schiffe erblickte, sein Schanzboot niedergelassen, obschon ihm von Seiten der Spanier jede Einmengung entschieden untersagt worden war. Wir hatten uns keine zwei Minuten im Wasser befunden, als wir schon ein Unterkommen in dem Boote fanden; aber Honoria war besinnungslos geworden, obschon Jugurtha im Wasser alle Sorgfalt für sie getragen hatte. Diese zwei Minuten hätten auch für mich verhängnißvoll werden können, wenn der Hund nicht gewesen wäre. Meine Wunden waren zwar nicht bedeutend, schmerzten mich aber sehr, und ich hatte seit meinem Schiffbruche auf der Brigg Jane nur wenige Fortschritte in der Schwimmkunst gemacht.

Als Mantez und die überlebenden Spanier fanden, daß Jugurtha und ich entkommen waren, kannte ihre Wuth keine Grenzen mehr. Sie hatten keine Munition, sonst würden sie uns zuverlässig mit ihren Feuerwaffen getödtet haben; in ihrer Ohnmacht wandelten sie jedoch Alles, was ihnen in die Hände kam, zu Geschossen um. Blöcke, Merlpfrieme und kalte Kugeln sausten in allen Richtungen um uns her, als wir in das amerikanische Boot geholt wurden. Glücklicherweise entkamen wir unverletzt, aber ihre schrecklichen Worte verwundeten mich fast auf den Tod. Sie riefen mir nach, daß eben meine ganze Familie niedergemetzelt werde. Ich schauderte. Der Aufruf, den ich an den Amerikaner ergehen ließ, einen Versuch zu ihrer Rettung zu machen, war kaum artikulirt, und eine Starrsucht schien sich aller meiner Fähigkeiten zu bemächtigen, so daß ich hülflos wurde wie ein Kind. Dennoch konnte ich Alles mit einer furchtbaren Lebhaftigkeit unterscheiden.

Ich verlor kein Wort, keine Geberde des tobenden Don Mantez, welcher mich in tödtlich bitterem Hasse zum Teufel gehen hieß und mich aufforderte, daran zu denken, daß meine Schwester in seiner Gewalt sei. Diese Andeutung machte er in einem Gemische von Rohheit und Blasphemie, das wahrhaft entsetzlich war. Ich antwortete nicht, sondern blickte auf meine augenscheinlich hülflose Schwester; dann umfaßte mich auf eine kurze Frist Verzweiflung mit ihren eisigen Armen und ich wünschte, daß ich und sie todt wären.

Meine Schwester wurde in ihrer Ohnmacht und ich in meiner Erstarrung an Bord des Wallfischfängers gehoben, wo uns der Meister in seine Kajüte nahm. Honoria war die Erste, die wieder völlig zu sich kam. Sie konnte doch ihrem Schmerz durch Thränen Luft machen und warf sich, sobald sie wieder zum Bewußtsein kam, mit dem leidenschaftlichen Ausrufe in meine Arme:

»Theurer Ardent, du bist mir doch geblieben!«

Kapitän Darkins, der Kapitän dieses Südseewallfischfängers, sein Wundarzt und sein Hauptmate standen um uns her und brannten vor Neugierde, Auskunft über die befremdlichen Bewegungen zu erhalten, die sie an Bord der Santa Anna mitangesehen hatten. Sie machten bald die Entdeckung, daß der Neger so stumm war, wie unser Gefährte Bounder, weshalb ihnen nichts übrig blieb, als zu warten, bis ich oder meine Schwester wieder völlig zu sich gekommen wäre. Ich glaube, daß ich damals an dem Rande eines völligen Wahnsinnes schwebte, und meinte, Alles in einer blutigen Atmosphäre zu schauen. Ja, Alles erschien mir roth, bis auf das spanische Schiff, das ich durch die Steuerbordpforten entdecken konnte und das mir wie eine Masse bläulichten Feuers vorkam. Obgleich mich übrigens meine Phantasie in Betracht der Farben täuschte, so konnte ich doch die Umrisse ganz richtig unterscheiden. Nach einigen Versuchen, die Sinnentäuschung abzuschütteln, fühlte ich mich schwach und schwindlich. Nachdem ich mich endlich durch vergebliche Kämpfe völlig erschöpft hatte, ließ ich meinen Kopf auf den Tisch niedersinken und stöhnte:

»Honoria, ich werde wahnsinnig; Alles scheint mir naß und blutig zu sein.«

Jetzt hob sich der Heldenmuth – der hehre Heldenmuth einer weiblichen Seele. Sie, die ich kürzlich noch für ein Kind von nicht sechszehn Jahren gehalten und die ich in meinem Verkehre mit ihr als ein Wesen kennen gelernt hatte, das stets zwischen Lachen und sinnigem Ernste wechselte, stand jetzt in meiner tiefen Bedrückung groß vor mir da, als wäre sie zum Erobern geschaffen – gleich einem Engel nicht nur des Lichtes, sondern auch der Macht.

»Raffe dich auf Bruder,« rief sie mit einem Nachdruck, der alle seine Kraft durch das Pathos ihrer Stimme gewann. »Raffe dich auf, Bruder – wir find Waisen, und Fremde blicken auf uns – hoffentlich gute, wohlwollende, gastfreundliche Fremde, aber nicht einmal sie sollen uns in unserer Schwäche schauen. Sie mögen uns bemitleiden, sollen uns aber nicht verachten. Wir sind allein in der Welt, Ardent, und haben viel – sehr viel zu thun. Bisher habe ich dich geliebt und fast als einen Helden angebetet; jetzt aber, da der Ruf an uns ergeht, zu leiden und zu handeln, laß uns nicht vergessen, daß wir allein in der Welt sind. Denke daran, daß spanisches Blut in meinen Adern fließt. Es ist nicht mehr der langsame Strom, der nur kräftig rauschte, wenn es galt, die jungfräuliche Wange in das Roth der Schaam zu hüllen. Wir haben Niemand anders, als Gott und uns selbst, um uns zu unserer Rache zu helfen.«

Ihre Worte riefen mir abermals meine natürliche Sehkraft zurück. Ich blickte wehmüthig zu ihrem Gesichte auf und glaubte darin etwas zu schauen, was ich nie zuvor gesehen hatte – einen düstern Schatten, der zwar erhaben, aber nicht beneidenswerth war; er verletzte mich, obgleich ich ihn verehrte. Wie bereits oben gesagt, gehörte ihre Schönheit dem sächsischen Stamme an; sie war so sonnig und strahlend, daß man nicht entfernt daran gedacht hätte, sie sei im Stande, eine finstere Leidenschaft auszudrücken; aber in dem Augenblicke dieser Aufregung schien sie mir seltsam schrecklich zu sein. Dennoch konnte ich, trotz meiner sorgfältigen Prüfung, diesem Ausdruck ihres Gesichts keine eigenthümlichen Züge beilegen, denn ich fand mich in jenem Zustande von Geistesabstumpfung, in welchem man der drückenden Last der Gegenwart gerne entflieht und sich mit Dingen beschäftigt, die mit dem Handeln des Augenblicks nichts gemein haben.

Dennoch rief diese Beobachtung, welche so plötzlich in mir aufzuckte und mich belehrte, daß auch sie nicht ganz heilig und himmlisch sei – furchtbare Bilder in meiner Seele. Wieder erschien mir das schöne Wesen, das zu lieben ich nicht für Sünde gehalten hatte. O, der schlimmen Verderbtheit des Menschenherzens! In diesem Augenblicke, in welchem meine Eltern und Freunde aller menschlichen Wahrscheinlichkeit zufolge unter dem Messer ruchloser Mörder dahinstarben, trug sich meine Einbildungskraft mit Vorstellungen, die nichts weniger, als rein waren. Allerdings war ich körperlich und geistig furchtbar geschwächt, aber dennoch muß ich nachdrücklich erklären, daß der Mensch nirgends eine Sicherheit findet, als in der Religion – nirgends einen Trost, als in den Verheißungen des Glaubens – nirgends eine Kraft, als diejenige, welche er von Gott ableitet.

Statt auf ihren muthigen und natürlichen, obgleich vermessenen Racheruf zu antworten, blickte ich nur wehmüthig zu ihr auf und entgegnete:

»Honoria, ich bin dessen müde. Seit ich gekommen bin, dich – dich – ja, dich zu suchen, habe ich nichts gefunden, als einen wandellosen Kreis von Unrecht und Rache, von Rache und Unrecht. Es wäre besser für uns beide, wir legten uns nieder, um zu sterben. Der Mensch sollte nicht – wenigstens, ich bin's nicht im Stande, meine Hände stets in Blut zu baden, für dessen Erlösung der einzige Gerechte gelitten hat. Wenn ich wieder zu einer thatkräftigen Handlung fähig bin, so soll diese in einem Eide bestehen, daß ich nie wieder Unbill und Kränkung rächen – nie wieder meine Hand im Zorn gegen ein athmendes Wesen erheben will.«

Honoria entgegnete mit leidenschaftlichem Schmerze:

»Der Geist seines Geschlechts ist von ihm gewichen, selbst jetzt, während sein Vater und seine Mutter ermordet werden. O mein Herz, brich – o ihr Sinne, schwindet mir!«

Da diese kurze Zwiesprache in spanischer Zunge geführt wurde, so konnten weder der Kapitän Darkins, noch die übrigen Personen in der Kajüte auch nur ein Wort davon verstehen. Der ehrliche Schiffer, der nicht viel von der Heiligkeit des Schmerzes verstand, wohl aber augenscheinlich bereitwillig war, dessen Ungestüm zu mildern, legte seine Hand auf meine Schulter, rüttelte mich leicht und sagte:

»Holla, Mister; ich hielt Euch für einen Britischen. Zum Henker, was für einen ganz auffallenden Kampf habt Ihr dort auf Eurem Fahrzeug gehabt? Rechne, sind doch keine Klapperschlangen hineingekommen?«

»Ich bin mehr Engländer als Spanier,« versetzte ich, mich zu einer Gewaltanstrengung zusammennehmend, »und meinen Dank –«

»Schon gut, Mister; Ihr könnt dies aus Eurem Log reiben. Wer ist dieser Junker? Ei, er ist schier so schön, wie ein Bostoner – kann unmöglich ein knoblauchkauender Spanier sein.«

Ich zögerte einen einzigen Augenblick und entgegnete dann dreist:

»Wir wurden in Spanien geboren von einem englischen Vater und einer spanischen Mutter – er ist mein Bruder.«

Honoria warf mir einen dankbaren Blick zu, lächelte und machte eine Geberde der Bejahung.

»Und sie stimmt ein in die doppelzüngige Lüge,« sagte mein verrätherisches Herz – dieses schnöde Herz, das treulos wurde an meiner unsterblichen Seele.

Nachdem ich den amerikanischen Kapitän so weit zufrieden gestellt hatte, bestand er darauf, daß wir augenblicklich unsere nassen Kleider wechseln und ich nach meinen Wunden sehen lassen sollte. Sehr zu meiner Beruhigung wies er Jedem von uns eine besondere Kajüte an.

Der noch bescheidenere Anzug eines Matrosenjungen verhüllte jetzt einigermaßen die wunderbare Schönheit meiner Schwester, während die Achtbarkeit meiner Außenseite durch eine vollständige Kleidung des Kapitäns nur wenig beeinträchtigt wurde. Wir brauchten nicht lang zu unserer Umwandlung und erschienen bald in der Kajüte, wo wir einen Tisch mit Erfrischungen, unter denen heißes Wasser und Branntwein nicht fehlte, gedeckt war. Auch hatte sich Alles eingefunden, was das Privilegium des Eintrittes in die Kajüte ansprechen konnte.

Die Mary Ann von Boston, der Name des Schiffs, lief noch immer in halber Pistolenschußweite neben der Santa Anna hin, welche jetzt ihre Segel zu setzen und langsam Alles in Ordnung zu bringen begann. Ich sah mich nun genöthigt, über Alles, was kürzlich auf dem blutgetränkten Decke stattgefunden hatte, vollständige Auskunft zu ertheilen. Der traurige Bericht erfüllte die Amerikaner mit Entsetzen und entlockte ihnen ehrlich gemeinte Fluche, während meine Schwester in krampfhaftem Schluchzen zuhörte. Zum Schlusse flehte ich den Kapitän Darkins auf's dringendste an, er möchte versuchen, dem Kapitän Mantez das Schiff abzunehmen und so, wenn es nicht zu spät sei, die vielen Opfer seiner Rache zu retten. Aber selbst in dieser kurzen Zeit hatte ich bereits angefangen, die bitteren Früchte meiner Unwahrheit zu kosten. Um die Annehmbarkeit meiner Geschichte aufrecht zu erhalten, hatte ich gesagt, daß meine Schwester noch immer an Bord des Spaniers und in dem Raum versteckt sei; der Leser weiß, daß ich damit den Kajütenjungen meinte, welcher sich in Honoria's Kleider gehüllt hatte.

Die vermeintliche traurige Lage eines jungen, reichen und schönen Mädchens von Stande wirkte kräftig auf die Sympathieen des ehrlichen Kapitäns, welcher anzunehmen geneigt schien, daß sie vielleicht noch gerettet werden könnte, obschon er glaubte, daß alle Einmengung zu spät sei, um irgend einen der Männer von unserer Partei zu schützen. Ich dachte dies gleichfalls, denn, als ich zu dem Kajütenfenster in die See hinunterstürzte, hatte ich den armen Julian gesehen, der in einer Lache seines eigenen Blutes völlig hülflos dasaß, während die Blässe des Todes sein Gesicht umzog. Mein theurer, guter Vater hatte auf dem Decke ausgestreckt gelegen, der blutige Körper Will Watkins', des Londoner Matrosen, über ihn hingestreckt. In meiner Angst um das Schicksal der Damen unter einem solchen Haufen vom Schlachten erhitzter Teufel freute ich mich sogar über die geringe Wahrscheinlichkeit, daß Don Julian oder der alte Kaufmann Zeuge der Behandlung ihrer Angehörigen sein könnten.

Ich sprach viel von unserem Reichthum und bot dem Kapitän sammt seinen Offizieren einen Antheil davon, oder sogar das Ganze, wenn sie ihn den Seeräubern entreißen wollten. Ich muß ihnen jedoch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß die Hoffnung, meine vermeintliche Schwester und Donna Isidora zu retten, sie weit eher zu einer feindlichen Bewegung zu spornen schienen, als die in Aussicht gestellten Schätze.

Nach einer kurzen Berathung mit seinen Offizieren rief Kapitän Darkins die Mannschaft nach hinten, theilte ihr in kurzer, männlicher, nachdrücklicher Rede die Schändlichkeiten mit, welche an Bord des auf dem Steuerbordbug liegenden Schiffes begangen worden waren und wahrscheinlich noch begangen wurden, und fragte sie, ob sie geneigt seien, eine Anstrengung zu versuchen, um so viel Eigenthum und noch obendrein so viel Menschenleben aus den Händen einer Bande von Mördern und Seeräubern zu retten. Sie antworteten mit einem bejahenden Hurrah. Wir griffen sodann zur Wehr, obschon uns die Hauptwaffe für einen Seekampf, das schwere Geschütz, fehlte.

Kapitän Darkins ließ nun die Mary Ann auf die Santa Anna zusteuern, und während sich die Schiffe näher kamen, beriethen wir die besten Operationsplane. Dem Anscheine nach war jeder Versuch von unserer Seite auf ein Schiff, das ich jetzt als unsern Gegner bezeichnen muß, hoffnungslos genug. Wir hatten für den Kampf keine Kanonen, während die Santa Anna reichlich damit versehen war; auch konnte ich nicht zweifeln, daß sie bereits das Pulver gefunden, welches der Geschützmeister weggestaut hatte. Jedenfalls lag eine große Masse des erforderlichen Materials in der Kajüte, welche unsere Partei für die eigene Benützung gesammelt hatte. Der Versuch, ein Schiff zu entern, welches so hoch aus dem Wasser stand, wie dieser alte Vierundsechziger, war eine gefährliche, fast wahnsinnige Aufgabe; unser ganzes Manöver beschränkte sich deshalb darauf, daß wir sternwärts eine Lage annahmen, um die Spanier mit unserem Musketenfeuer belästigen und wo möglich durch die Besahnputtingen oder durch die Schanzgallerie Eingang in die Kajüte gewinnen zu können.

Ich war durch die sich häufenden Schrecken, die übergewaltige Anstrengung und den bedeutenden Blutverlust körperlich und geistig so gelähmt, daß der Gedanke an einen neuen Kampf in mir eine Memme fand. Zuverlässig war ich der Verzagteste unter dem Häuflein, das jetzt einen Angriff beantragte.

Während wir uns der Santa Anna Näherten, flatterte die spanische Flagge pomphaft an der Gaffel, als sähen unsere Gegner einem Kampfe entgegen, und nun flogen auch mit gebührendem Stolze die Streifen und die Sterne auf – ein Banner, das noch nie entehrt und selten auf dem Ocean überwunden wurde. Seltsame Lage! Ich war im Begriffe, unter spanischen Farben gegen mein und meines Vaters Schiff zu kämpfen, an dessen Bord sich, lebend oder todt, meine Eltern befanden. Aber der Anschein täuschte uns, denn die Spanier besorgten nicht, daß wir in irgend einer feindlichen Absicht herankamen. Sie waren zu sehr mit Vollbringung einer neuen Greuelscene, wie sie nur den entmenschtesten Personen zu Sinne kommen konnte, beschäftigt.

Die beiden Schiffe liefen beinahe todt vor dem Wind gegen Süden, und die überlegene Segelgeschwindigkeit des Wallfischfängers brachte ihn bald der Santa Anna nahe. Wir standen gut innerhalb Rufweite, als die Bugkanone der Spanier gelöst wurde. Wir Alle lauschten ängstlich auf das Krachen des Gebälkes, denn in so kurzer Entfernung mußte die Kugel uns nothwendig treffen. Aber welch' ein entsetzlicher Anblick traf unsere Augen, als sich der Rauch verzogen hatte! An der Nocke hing der schöne Knabe in den Kleidern meiner Schwester. Er pendelte unter dem Wanken des Schiffes hin und her, so daß ich schwindelig wurde, und mir aller Muth entsank. Der lange, schwarze Schleier flatterte in dem Winde, und an dem Ende jeder Fibration schien das Gesicht mit seinen hervortretenden Augäpfeln, die uns zugekehrt waren, vorwurfsvoll auf unsere Decken niederzuschauen.

»Um meinetwillen! um meinetwillen!« kreischte meine Schwester und sank in Ohnmacht.

Trotz meiner damaligen Vernichtung trug ich sie aus Gründen der Klugheit nach der Kajüte und verließ sie nicht, bis sie wieder zu sich gekommen war. Dann brachte ich sie nach der Hängematte, welche in der Kajüte für sie zubereitet worden war, wo sie bald darauf in einen todartigen Schlaf verfiel.

*


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