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Dreiundvierzigstes Kapitel.

Ein Kaiser, welcher nach seinen Unterthanen späht. – Es ist weit leichter, Träume, als eine Wildniß zu bevölkern. – Wenn man gegen sich selbst argumentirt, so darf man sicher sein, den Sieg davon zu tragen. – Ich baue mir weder Schlösser in Spanien, noch sonst wo, da mir das Bauwesen in meinen eigenen Besitzungen hinreichend zu schaffen macht.

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Ich habe jedoch der Schilderung von den Irrlichteleien des Herzens genug Zeit und Raum geschenkt. Gehen wir deshalb jetzt auf Handlungen über, und mögen diejenigen, welche gegenwärtige Blätter lesen, sich selbst ausmalen, was unter einer so eigentümlichen Lage in meinem Geiste vorging. Ich habe mich bemüht, in meiner Beschreibung die augenfälligsten Betrachtungen zu vermeiden, und glaube, daß es mir gelungen ist. Nicht, daß ich mich damals derselben entschlagen hätte – aber der Bericht würde zu ermüdend sein.

Es thut mir leid, meinem Herzen nicht die Beschämung ersparen zu können, daß ich damals zum erstenmal in meinem Leben eine Art von Widerwillen gegen Jugurtha faßte, der schnell immer weiter griff. Ich konnte mir nicht bergen, daß ich niedrig genug war, mir dieses Gefühl durch die unbedachten Bemerkungen meiner Schwester vom vorigen Tage einpflanzen zu lassen. Ich begann, ihn als eine moralische Zufälligkeit zu betrachten – als ein Ding, das nicht nur in meine Plane eingehen sollte, sondern auch berufen sein konnte, die Hauptrolle darin zu spielen. Warum grollte ich auch dem guten, milden, gehorsamen Menschen, der nicht nur so anhänglich gegen mich war, sondern dem ich sogar Alles verdankte? Konnte sich je Widerwille gegen ihn in mir erheben, da ich stets den Undank für das schlimmste Laster gehalten hatte? Ich klopfte an meine rebellische Brust, während mir mein Gewissen antwortete, daß der Undank wirklich in meinem Innern Platz greife.

Es ist nicht nöthig und würde auch mir selbst zu schmerzlich werden, dem Leser alle Plane für meine künftigen Operationen vorzulegen. Es genüge daher, anzudeuten, daß mein erster Schritt dahin ging, unverweilt und allein aufzubrechen, um den Strom, der an unserer Wohnung vorbeilief, bis zu seiner Quelle zu verfolgen. Ich that meine Absicht despotisch und in der Weise eines Mannes kund, dem zu widersprechen oder auch nur Vorstellungen zu machen Sünde sein würde. Meine Worte bei dieser Gelegenheit waren kurz und kalt. Vermutlich war es mein barsches Benehmen, was Honoris von jeder Einrede abschüchterte; aber sie versank in tiefen Kummer. Auch Jugurtha stand für eine Weile wie betäubt, als er hörte, daß uns eine Trennung bevorstand.

Um ihnen möglichsten Trost einzusprechen, beraumte ich die Periode meiner Abwesenheit auf vier Tage und Nächte an, zugleich das feierliche Versprechen ablegend, daß ich früher zurückkehren werde, wenn ich die Mündung des Stromes in einer kürzeren Frist auffinde. Ich trug kein Bedenken, Honoria unter Jugurtha's Obhut zu lassen, und wollte nur den Hund Bounder mitnehmen. Vierundzwanzig Stunden waren zureichend, um mich mit Nahrung für die angedeutete Zeit zu versehen, und ich hatte bereits aus dem Unterricht des Negers so viel Vortheil gezogen, daß ich wußte, welche Früchte ich in diesem Lande vegetabilischen Ueberflusses essen durfte. Auch rechnete ich nicht auf besondere Erschöpfung, da ich mich dicht an die Ufer des Flusses halten wollte, um dadurch die Unregelmäßigkeiten von Berg und Thal zu vermeiden.

Als ich Honoria zum Abschied segnete, war sie erstaunt, verwirrt, fast in Thränen aufgelöst, und fand keine Worte, ihren Schmerz auszudrücken. Jugurtha verhielt sich zum erstenmale in seinem Verkehr mit mir fast stöckisch. Ich that nicht dergleichen, als achte ich auf diese ungewöhnliche Kundgebung, sondern empfahl ihm nur vor dem Scheiden aufs Nachdrücklichste, für die Sicherheit meiner Schwester zu sorgen.

Mit schwerem Herzen und einem erstickenden Gefühl von Beklommenheit verließ ich einen Aufenthalt, der mir so viele Monate Schutz, Gesundheit und Glück verliehen hatte. Ja, ich war glücklich gewesen, bis meine Gefühle auf's Neue das krankhafte, leidenschaftliche Colorit annahmen – und störrisch stürzte ich mich jetzt in die schöne, endlose Einsamkeit der Wildniß.

Ich nahm den Hund mit mir, obschon derselbe nicht gerne gehen wollte und durch alle Mittel, welche ihm der Instinkt eingab, seine Abneigung gegen die Wanderung an den Tag legte. Oft blieb er stehen, wandte den Kopf unserer Heimath zu und erhob ein klägliches Geheul; auch zeigte er hin und wieder den Geist der Rebellion darin, daß er einige rückgängige Schritte machte. Aber alle diese kleinen Merkmale von Empörung beschwichtigte ich leicht durch die Festigkeit meines Wesens, und ehe wir noch einige Meilen zurückgelegt hatten, hielt er sich eifrig an meinen Pfad, wedelte mit dem Schwanze oder suchte durch andere Andeutungen sein Verlangen kund zu geben, seine frühere Neigung zum Ungehorsam wieder gut zu machen.

Während der ersten sieben Meilen war der Strom so ziemlich wie in der Nähe unserer Wohnung – das heißt, ungefähr fünfzig Fuß breit, merkwürdig klar und augenscheinlich tief genug, um befahren werden zu können. Die Krümmungen waren nun leicht und selten; an den Ufern fand sich wenig oder gar kein Sand, und die Strömung mochte sich mit einer Geschwindigkeit von etwa anderthalb Meilen in der Stunde fortbewegen. An den meisten Stellen reichte der grüne Rasen bis an den Wasserrand herunter; da und dort zeigten sich aber sumpfige Punkte, die von Vögeln wimmelten. Letztere konnte ich nur ihrem allgemeinen Charakter nach unterscheiden, da mir die Geschlechter, welchen sie angehörten, völlig unbekannt waren.

Derartige Stellen nöthigten mich, Umwege in's Innere zu machen, wobei ich Gelegenheit hatte, die Fruchtbarkeit des Bodens und die üppige Fülle des Pflanzenwuchses zu bewundern. Die Fährten verschiedener kleiner wilder Thiere waren zahlreich, und namentlich kam uns eine Rattenart, große, fette, träge Thiere, häufig über den Weg. Diese waren es vornämlich, welche die Nahrung meines Bounder bildeten.

Man muß nicht erstaunen, daß ich in Aufzählung dieser Beobachtungen so ausführlich bin, denn glaubte ich nicht damals, daß dieses Land mein künftiges Königreich und ich der Patriarch eines neuen Geschlechtes sei? Aber meine einsame Wanderung hatte weder Blumen noch Früchte, weder Vögel noch vierfüßige Thiere, sondern die Auffindung eines Mitmenschen, die Spuren menschlicher Niederlassung zum Zweck, obschon die geduldigste und regste Aufmerksamkeit nicht die mindeste Andeutung davon entdecken konnte.

Um Mittag, als die Atmosphäre sehr drückend geworden war, zog ich mich einige hundert Schritte in den Wald zurück, wo ich mit meinem Begleiter mein Mahl einnahm. Wie tief und hehr war das Schweigen! Alle lebenden Wesen, die Insekten ausgenommen, hatten Ruhe gesucht. Die Stille wurde mir drückend und ich begann schmerzlich meiner Einsamkeit bewußt zu werden. Welch' ein Trost – welch' ein Hochgenuß wäre es damals für mich gewesen, eine menschliche Stimme zu hören. Die Töne meiner Schwester würden wie der Lobgesang der Cherubim in mein Ohr getönt haben, und sogar Jugurtha's harte Kehllaute wären mir ebenso willkommen gewesen, wie das Plätschern eines Quells dem Lechzenden in der Wüste. Ich blickte auf den Hund, um den schweren Bonn dieses unnatürlichen Schweigens abzustreifen; aber er hatte zu viele Ratten gefressen und war geneigt, seiner »Nachmittagsgewohnheit« zu folgen.

Im Grunde ist doch der Geist für den Menschen eine schwere Bürde. Als ich den trägen, schlafenden Hund ansah, begann ich Betrachtungen anzustellen, daß für das vielgepriesene »Ebenbild der Gottheit« der Instinkt zureichen und es sich dabei viel glücklicher fühlen würde. Wir haben vergnügliche Impulse und noch erfreulichere Befriedigungen derselben; was bedürfen wir da der Erwägung, dieser scharfen Beurtheilerin, welche Alles bis auf das kleinste Theilchen hinaus abwiegt? Und was ist alle diese subtile Berechnung anders, als eine nutzlose, ungebührliche Belästigung? Unter vielen derartigen spitzfindigen und thörichten Spekulationen (um so thörichter, je feiner ausgesponnen) war ich beinahe zu dem Entschluß gekommen, auf der Stelle wieder aufzustehen, umzukehren und in meinem Kreise wie ein mit Verstand begabtes Thier zu leben – mich für den Herrn der ganzen Umgebung zu halten, zu essen, zu trinken, mich zu freuen und zu schlafen.

Es gibt keine Beständigkeit im menschlichen Geiste. Selbst bei denen war sie nie zu finden, welche die Welt als ihre größten Helden betrachtet hat, wenn nicht ein Wahnsinn irgend einer Art dazwischen trat. Die Beständigkeit, welche wir in den Handlungen gewisser Menschen bemerken, gehört nicht ihrem Geiste an, sondern beruht nur auf dem gleichmäßigen Fortwirken derselben Triebfedern. Gewohnheit und physisches Bedürfniß sind die einzigen Quellen der so viel gepriesenen Beharrlichkeit. Löse man, wenn man kann, die Seele von ihren körperlichen Fesseln ab – beobachte man zum Beispiel die wache Seele, während der Körper schläft, und man wird sehen, von welcher unstäten Wesenheit der Geist ist. Im Traume ist er emanzipirt, und ein Mensch, der ganz Seele ist, muß höchst wandelbar sein.

Ich mache diese Bemerkungen zu meiner eigenen Vertheidigung, um mich gegen die Verachtung zu verwahren, die meine stets wandelnden Entschließungen zur Folge haben könnten. Ich war damals der Schöpfer meiner Verhältnisse, der Schiedsrichter über meine Pflichten, das Triebrad meiner Impulse, und nur Gott und meinem Gewissen verantwortlich. Wer kann in irgend einer geselligen Stellung dies von sich sagen? Wie Wenige gibt es, die, eingebannt in die socialen Cirkel, weit davon rechts oder links abzuweichen sich getrauen; und wenn es je einmal geschieht, welche schnelle und weit greifende Rache trifft nicht die Ausreißer! Aber ach! meine Selbstverantwortlichkeit wurde mir damals zu einer Last, zu einem bitteren Fluche.

Ungeachtet meiner inneren Unzufriedenheit schlief ich ein. Mein Schlummer war lang und tief, vielleicht auch friedlich. Ich konnte mich keines Traums erinnern, keine Offenbarung mir zurückrufen; und dennoch war ich mir eines tiefen, nicht nachweisbaren Eindruckes bewußt, daß ich mich geheimnisvoll berathen hatte und zu dem Entschlusse gekommen war, in meinem Vorhaben fortzumachen. Ich schüttelte das trockene Laub von meinen Kleidern, stand auf, rief Bounder und trat auf's Neue mit festerem Schritte und unbeugsamerer Entschlossenheit meine Wanderung an.

Ich war damals eitel – bin es noch jetzt – und wer wäre es nicht, der sich überhaupt einigen Werthes bewußt ist? Einige Gegenstände meiner Eitelkeit waren persönlich. Laßt uns Niemand verachten, am allerwenigsten aber uns selbst, denn es ist ein Undank gegen den Geber alles Guten, irgend etwas unter seinem Werthe anzuschlagen, Undank aber und Kleinlichkeit zugleich, wenn man sich anstellt, als verschmähe man die Vortheile der Persönlichkeit. Ich glaubte damals, dieselben wenn auch nicht in einem besonders ausgezeichneten, so doch reichlichen Grade zu besitzen. Da ich eben im Begriffe war, mein Gesicht und meine Hände im klaren Wasser zu waschen, so weihte ich mich eine Minute der Selbstbetrachtung, ehe ich die ruhige Stirne wieder faltete. Dies waren die Resultate, und ich versichere den Leser, daß ich mich bei dieser Gelegenheit seit meinem letzten Schiffbruch zum erstenmale wieder in einem Spiegel sah. Wir schämen uns, wenn wir bei derartigen Dingen belauscht werden, obschon wir wissen, daß sie von Allen geübt, und zwar mit Vergnügen geübt werden.

Groß, muskelig und symmetrisch gebaut, hätte meine Gestalt fast fehlerlos genannt werden können, wären meine Schultern nicht etwas unverhältnißmäßig breit gewesen – ein Mangel, durch welchen ich zwar viel von jener edlen Haltung verlor, die den hohen Ständen eigen ist, dafür aber um so mehr an physischer Kraft gewann. Meine Züge waren regelmäßig und von markirtem, vielleicht etwas hartem Schnitte, meine Augen unruhig, wild und dunkel – auch leuchtete durch die braune Haut meiner Wangen ein glühender Purpur. Mein Bart war gleich meinem Haare dicht, stark, kraus und schwarz wie Pech, der allgemeine Ausdruck meiner Züge aber demungeachtet auffallend mild und ruhig. Meine hohe, breite, sonnverbrannte Stirne zeigte bereits mehrere Horizontal- und zwei oder drei Perpendikularlinien.

Mein Anzug war malerisch und elegant; die Oberkleider bestanden aus unterschiedlichen Thierhäuten, waren aber so ziemlich nach dem Muster der europäischen Mode geschnitten. Die kurze Matrosenjacke sah mit ihrem Pelzwerk romantisch genug aus. Ich trug eine hohe kegelförmige Mütze, welche durch das Fell einer kleinen Hirschart völlig wasserdicht gemacht worden war, und entbehrte auch der Leinwand nicht ganz, denn ich bediente mich zu diesem Ende der inneren Rinde eines Baumes, welche durch Maceration im Wasser in ein sehr weiches, leinwandartiges Gewebe umgewandelt worden war. Allen diesen Luxus hatte ich Jugurtha zu danken.

Ueber meinem Rücken hing der Bogen und ein Bündel starker Rohrpfeile, deren Spitzen aus starkem Fischbein bestanden. In Betreff der Zielsicherheit konnte ich mich meiner Schießkunst nicht sonderlich rühmen, da mich hierin Jugurtha bei Weitem übertraf; aber dennoch war ich im Stande, meinen Pfeil mit weit mehr Kraft und auf weit größere Entfernung nach einem Gegenstande abzuschießen: er war eine furchtbare Waffe in meiner Hand, wenn sich's um ein nicht allzu fernes Ziel von gehörigem Umfange handelte. Meine weitere Bewaffnung bestand in einem Speere – das heißt in einem langen, ziemlich starken Stabe, der oben mit einer harten, feinzugespitzten, kegelförmigen Muschel versehen war. Gegen einen Menschen oder ein Thier versah diese Waffe ganz den Dienst einer guten Lanze. Auf meine Wehr, meine Gesundheit und meine Kraft vertrauend, fürchtete ich nichts, was mir möglicherweise in den Weg kommen konnte, und ich trat aufs Neue meine Wanderung über ein Reich an, das ich mit der Zeit hier zu gründen gedachte.

Im Verlaufe fand ich, daß das Strombett sich erweiterte und seichter wurde; auch zeigten sich in demselben die Ueberreste von Felsen. Hier schien mir die Schifffahrt bedenklich und, wenn sie überhaupt möglich war, sehr schwierig, da die Einführung von guten Lootsen nöthig wurde. In meiner damaligen Stimmung war mir dies sehr ärgerlich, weil es den Werth meines künftigen Königreichs minderte und den raschen Fortschritten, welche meine Nachkommenschaft in der Civilisation machen sollte, Hindernisse in den Weg legte. Was für eitle Träumer wir sind!

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