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Fünftes Kapitel.

Zeichen der Meuterei. – Ein Gemisch von Schrecken, das mit etwas Schlimmerem schließt, als einem zufälligen Morde. – Der Mate der Brigg Jane wird theologisch – um so schlimmer für den Meister.

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»Schickt die Leute hieher – alle, alle!« rief Gavel, als er sich erhob, nachdem er den betrunkenen Mörder gebunden hatte.

Es folgte nun eine schreckliche und empörende Scene. Das heulende Unthier, das wir eben gebändigt, lag hülflos und gefesselt auf dem Deck der Kajüte, in ohnmächtiger Wuth mit den Zähnen knirschend und seinem Zorn in den schrecklichsten Gotteslästerungen Luft machend. Aber auch der arme alte Steward mit seinen Silberhaaren schwamm auf dem Decke in seinem Blute, und das Leben entschwand rasch mit dem rothen Strome, welcher aus seiner Todeswunde quoll, als ich ihn mit meinen Armen unterstützte. Vergeblich bemühte ich mich, das Blut zu stillen, das auf dem Decke weiter rann und sogar die Hand zu lecken schien, welche es so schnöde vergossen und zugleich sein Leben vernichtet hatte.

Die hagere, abgezehrte Mannschaft versammelte sich in der Kajüte.

»Ihr Männer, meine guten, meine lieben Männer,« begann der auf dem Decke liegende, zaghafte Tomkins zu winseln, »kommt mir zu Hülfe. Ihr seht hier Meuterei und Mord – ich bin unschuldig, völlig unschuldig. Der Passagier hat mit dem Maten ein schändliches Komplott angezettelt, mir das Kommando abzunehmen, und sie machten damit den Anfang, daß sie meinen treuen Wilson ermordeten.«

Dabei blickte er fragend nach dem alten Manne in meinen Armen hin, aber der Sterbende sprach nicht und ließ auch keine Bewegung mehr blicken. »Auf, ihr Leute, und fallt über Gavel und Troughton her – auf, meine guten Freunde, und ich will Jedem von euch eine Flasche Rum geben.«

»Ha, du Lügner und Mörder!« rief der Mate ergrimmt; »obgleich Todte nicht aufstehen können, um dich anzuklagen, so wird es doch deine eigene Pistole thun. Ihr Leute, glaubt ihr diesem betrunkenen Meuchelmörder mehr, als diesem Gentleman, Ardent Troughton, der so gütig und freundlich gegen uns Alle gewesen ist?«

»Weiß nicht, was ich davon halten soll,« sagte der Hochbootsmann, in dem Vorgenusse der versprochenen Flasche Rum schwelgend. »Wir wissen, Mr. Gavel, daß weder Ihr, noch Mr. Troughton den Kapitän je sonderlich leiden mochten. Nun calculire ich in Anbetracht dessen, daß wir so knapp mit Händen versehen sind – wenn Kapitän Tomkins Wort zu halten gedenkt und den Rum verabfolgen will, so gelobe ich, daß er befreit werden und diese Mordgeschichte, sobald wir an's Land kommen, den großen Perücken zur Sichtung übertragen werden soll. Das ist meine Ansicht.«

»Und die meinige« – »und die meinige« – »und die meinige!« riefen die übrigen Matrosen mit einer einzigen Ausnahme.

»Ardent Troughton,« sagte Gavel feierlich zu mir, »dies ist Eure reformirte Mannschaft – dies sind die Abbilder der Gottheit, von denen Ihr glaubt, es sei eine Entweihung, wenn man sie mit der Handspacke bearbeite. Sie lecken nicht nur den Fuß des Mörders, der noch naß ist von dem Blute seines Opfers, sondern verkaufen auch ihre Seelen für das Privilegium, sich betrinken zu können. Mögen denn die Bestien ihren Willen haben. Es liegt ein Fluch auf dem Schiff, und eine Woche wird Alles zur Entscheidung bringen. Die Brigg ist zum Untergang bestimmt sammt allem Leben, das sich in ihr befindet.«

»Danke Euch für meine Person,« sagte der Bootsmann; »aber alles dieses Geschwätz hat weder Hände noch Füße. Eines Mannes Wort ist so gut, als das eines andern. Kommt also her, ihr Jungen, und schneidet die Stricke durch; wir wollen dann eine lustige Nacht durchmachen.«

»Hurrah!« brüllten die Matrosen und der Hochbootsmann trat heran, um den elenden Mörder zu befreien, als sich ihm ein unerwartetes Hinderniß in den Weg legte.

Ich habe schon früher eines großen und starken Negers Erwähnung gethan, welcher sich bei dem Kappen des Fockmastes während unserer letzten gefährlichen Lage sehr thätig zeigte. Ich hatte auf diesen Mann weit weniger geachtet, als auf die übrigen, und konnte mich nicht erinnern, je ihn gesprochen zu haben. Natürlich war ich daher nicht wenig überrascht, als ich ihn aus dem Haufen seiner Kameraden hervorstürzen, über den zu Boden gestreckten Mann hintreten, die andere nicht abgeschossene Pistole ergreifen und durch Geberdungen, obschon nicht durch Worte, drohen sah, den Ersten niederzuschießen, welcher den Versuch mache, dem Gebundenen seine Fesseln abzunehmen. Die Mannschaft wich zurück, und der Mate erging sich bei dieser Wendung der Dinge in einem dumpfen Hohngelächter, welches sich bei dieser Scene des Entsetzens wahrhaft schrecklich ausnahm.

Was mich betraf, so war ich noch immer mit Unterstützung des sterbenden Steward beschäftigt, indem ich mein mit Blut gesättigtes Schnupftuch auf seine verwundete Brust hielt. Die Möchtegernbefreier und der Hochbootsmann waren nicht wenig verdutzt. Der Schwarze hatte jetzt seine rechte Hand an der Kehle des Meisters, während er in der linken die Pistole hielt und zuerst mich, dann aber Gavel ansah, als erwarte er von uns nur den mindesten Wink, um der Geschichte dadurch ein Ende zu machen, daß er den Niedergestreckten mit dessen Halstuch erdrosselte. Der Mate warf dem freiwilligen Henker ein grimmiges Beifallslächeln zu, aber ich winkte ihm nachdrücklich, dem Gefangenen kein Leides zu thun. Er gehorchte mir augenblicklich, obschon er zuvor noch Tomkins einen Druck versetzte, daß derselbe einen häßlichen gurgelnden Kehllaut ausstieß.

Endlich sagte der Hochbootsmann zu Tomkins:

»Mir und der Schiffsmannschaft thuts sehr leid, daß Ihr da auf dem Boden beigelegt habt, Kapitän, und wir können jetzt nichts thun, als daß wir aufmerken, was vorgeht, um vor dem Leichenschauergericht Zeugniß ablegen zu können. Seid Ihr unschuldig an dem Tode dieses armen alten Mannes, Kapitän?«

»Ich bin es.«

»Wollt Ihr es beschwören?«

»Ja.«

»So wahr Euch Gott helfe?«

»So wahr mir Gott helfe!«

Es trat dann wieder ein Schweigen ein, als zum Erstaunen und Entsetzen Aller der sterbende Steward sich halb aus meinen Armen erhob und die deutlichen Worte laut werden ließ:

»Kapitän Tomkins hat mich erschossen. Möge Gott ihm vergeben.«

Dann sank er wieder in meine Arme zurück und hatte ausgeathmet.

»Er ist dahin,« sagte ich, jetzt zum erstenmale das Wort nehmend. »Ihr guten Leute, laßt euch von eurem wahren Freunde rathen. Geht schweigend an eure verschiedenen Obliegenheiten, sprecht in eurem Innern ein Gebet für den Hingeschiedenen und kehrt in euren eigenen Herzen ein. Mr. Tomkins kann nicht länger dieses Schiff kommandiren. Sobald wir in dem Hafen anlangen, wird er dem Arme der weltlichen Gerechtigkeit überantwortet, um für die That Rede zu stehen, die ihr zum Theil mitangesehen habt. Geht und weiht diesem furchtbaren Vorgange eine ernste Betrachtung – lernt mich als euren Freund kennen und verhaltet euch gehorsam gegen Mr. Gavel.«

Sie zogen sich gedemüthigt und ohne Widerstreben zurück. Als der Neger, welcher die Kajüte zuletzt verließ, an mir vorbeikam, kniete er nieder, ergriff meine Hand, drückte sie achtungsvoll an Stirne und Lippen und erhob sich sodann, um abzutreten; aber noch ehe er die Thüre erreicht hatte, ruf ihm Gavel zu:

»Jugurtha, bleib noch. Du mußt mir helfen, diese Leiche und diesen lebendigen Klumpen von Bestialität in die Hinterkajüte zu tragen. Sie sollen jetzt einander Gesellschaft leisten, und ich will Sorge dafür tragen, daß der Wächter des Todten nüchtern bleibt. Hinweg mit ihm!«

Das winselnde Flehen des elenden Trunkenbolds war abscheulich; aber Jugurtha's sehnigte Arme hatten ihn bald nach seinem Gefängniß gebracht, wohin sodann der Neger mit weit mehr Ehrerbietung auch die Leiche des alten Mannes schaffte, die er an die Seite des Meisters legte.

Da das Stöhnen und das jämmerliche Geheul des Schiffers keinen Augenblick nachließ und immer kläglicher wurde, so begab ich mich nach dem Decke. Das Wetter war am Nachmittag noch immer schön, aber die Winde neckend, und ich verzehrte im Freien meine halbe Ration desselben elenden Mahles, das die Matrosen erhielten. James Gavel aß nichts. Er schien in Gedanken vertieft, geistesabwesend und hin und wieder ganz verzückt zu sein, wobei er sehr häufig unterschiedliche Schrifttexte und den frommen Ausruf: »Gott, habe Erbarmen mit seiner Seele!« laut werden ließ.

Um fünf Uhr Nachmittags ging er hinunter, und eine Weile nachher begab ich mich in die Vorderkajüte, um zu hören, ob Tomkins noch immer stöhne. Da fand ich denn Gavel auf seinen Knieen, der, die Bibel vor sich, so andächtig betete, daß er meinen Eintritt nicht bemerkte. Ich blickte über seine Schulter und fand das heilige Buch an der Stelle aufgeschlagen, welche von der Opferung des Propheten Jonas spricht. Ich schauderte. Ein Entsetzen überflog mich, denn ich fürchtete, das Brüten seiner verwirrten und abergläubischen Einbildungskraft nur allzugut zu verstehen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, er fuhr zusammen, zitterte und blickte nach mir auf.

»Das geht nun und nimmermehr, Gavel,« sagte ich mild. »Eure Gedanken sind unheilig, unchristlich, verdammlich. In demselben Buche, das Ihr vor Euch liegen habt, ist auch das Verbot ausgedrückt, ›du sollst nicht morden‹.«

»Auge für Auge, Zahn für Zahn, Leben um Leben. Doch fürchtet nichts, ich werde keinen Mord begehen, obschon wenigstens Ihr, Ardent Troughton, dankbar dafür sein solltet, wenn es wirklich der Fall wäre. Dieser Mord, wie Ihr es unpassender Weise nennt, würde Euch Eurem Vater, Eurer Mutter und Eurer Schwester zurückgeben. Aber fürchtet nichts, der Herr wird diese Frage zur Entscheidung bringen; ich bin nur ein Werkzeug.«

»Ihr erfüllt mich mit Entsetzen. Wir müssen diesen unglücklichen Mann den Gesetzen seines Landes überlassen, damit er in gebührender Form und durch unparteiische Richter verurtheilt werde. Gebt doch solchen wilden Träumereien keinen Raum. Wir werden morgen Teneriffa anthun und können ihn den Civilbehörden überantworten, wenn wir nicht etwa ein Kriegsschiff in der Rhede finden. Der britische Konsul wird uns rathen, was wir thun sollen.«

»Wir dürfen nicht hoffen, das Land je wieder zu erreichen, so lang der Mörder an Bord ist. Nein, keiner von uns,« antwortete Gavel starrsinnig.

»Gut, so wollen wir lieber Alle miteinander zu Grunde gehen, als daß wir unsere Seelen durch einen überlegten Meuchelmord in Gefahr bringen.«

»Wer spricht von Meuchelmord, Troughton? Ihr braucht dieses Wort, nicht ich. Ich werde meine Hand nicht mit dem Blute des Elenden besudeln. Sein Schicksal liegt in der Hand des Herrn.«

»Sucht Eure Absicht nicht in dieser Weise zu verdrehen, indem Ihr an dem Buchstaben des Blutvergießens kleben bleibt. Hunger, Gift, Erdrosselung oder die kalten Tiefen der Alles bergenden See sind ebenso wirksam. Soll sogar ein Mensch, wie Tomkins, aus dem Wege geschleudert werden, wie eine ekle Schlange in unserem Pfade, – ohne Gebet – ohne Vorbereitung zum Tode – ohne christliches Begräbniß? Nein, selbst wenn er durch die Gesetze zum Tode verurtheilt wird, dürfen ihm auf dem Todesgange die Tröstungen der Religion und nachher ihre Feierlichkeiten nicht versagt werden. So schuldig er auch in Euren Augen erscheinen mag, so seid Ihr doch nicht befugt, ihn dieser Berechtigungen zu berauben.«

»Sie sollen ihm nicht entgehen. Ich will hineingehen und für den Lebenden sowohl als für den Todten beten.«

»Gavel, ich schwöre Euch bei Allem, was heilig ist, daß ich Euch nicht aus dem Auge lassen werde. Ich bewache diesen Mann, bis die Gesetze über sein Schicksal beschließen.«

»Sei's drum. Fürchtet nichts von mir. Ich schwöre Euch, daß er eine christliche Bestattung haben soll.«

»Darf ich auf die Versicherung bauen? Kann ich mich auf Euch verlassen?«

»Ja. Ich will jetzt diesem Sünder seine Speise bringen.«

Der Mate besorgte sodann eine Ration, ähnlich derjenigen, welche an die übrige Schiffsmannschaft ausgetheilt wurde, und fügte eine halbe Pinte kalten, übelriechenden Wassers dazu. Hiemit beladen begab er sich in die Hinterkajüte. Der Meister lag noch immer gebunden auf dem Boden und hatte sich in seinen Todesängsten so weit wie möglich von der Leiche weggerollt. Sein hageres Gesicht war leichenblaß, die Stellen ausgenommen, wo ihm die Unmäßigkeit dunkelblaue Flecken aufgedrückt hatte. Er bot einen jammerwürdigen Anblick. Alle Muskeln seines Gesichtes zuckten und jedes seiner Glieder bebte.

»Ich bringe Euch Nahrung und Wasser,« sagte der Mate finster. »Eßt und versucht dann Euren Frieden mit Gott zu machen.«

Aber er vermochte weder zu essen noch zu trinken; er flehete nur, man möchte ihn von der Leiche fortbringen, und bat um Rum. Wie glühend und leidenschaftlich bettelte nicht der Elende um den Trank der Berauschung – seine Sprache wurde abwechselnd kühn, bilderreich, pathetisch und ergreifend. Ich hatte keine Vorstellung von der Gewalt seiner Beredsamkeit, und welche Summe von Oratorik wurde nicht für das Privilegium verschwendet, sich zum Vieh machen zu dürfen! Auf alle diese beweglichen Bitten antwortete Gavel nur damit, daß er die Bande an den Händen und Füßen des Gefangenen fester anzog und die Bindseile an dem Ringbolzen des Sternpfosten mit stärkeren Knoten versah. Zum Behufe des Essens waren Tomkins die Arme gelöst worden. Sobald übrigens der Mate ihn wieder gehörig gebunden hatte, schloß er die Thüre der Kajüte ab und begab sich mit mir nach dem Decke.

Allen meinen Vorstellungen über diese unnöthige Grausamkeit schenkte er nicht das mindeste Gehör. Wir hatten leichten Wind aus der geeigneten Richtung, und jedes Segel, das unsere Nothmasten und Nothraaen tragen konnten, wurde ausgebreitet, um den Vortheil desselben zu benützen. Als der glänzende Dunst der Hitze jetzt verschwunden war und der kühle, klare Abend heranrückte, zeigte sich gerade vor uns deutlich der hohe schneebedeckte Pic von Teneriffa, der auffallend schön gegen das tiefe Blau des Himmels abstach.

Alle waren hierüber hoch erfreut, nur nicht Gavel und der Gefangene in der Kajüte. Der Mate wurde immer düsterer und düsterer, obschon ich so über die Maßen entzückt war, daß ich in jenem Augenblick meinen bittersten Feind hätte umarmen können. Voll von dieser strömenden Milch der Menschenfreundlichkeit redete ich den abergläubischen Zeloten in den mildesten und freundlichsten Tönen an, ohne ihn übrigens bewegen zu können. Ich sprach mit ihm von seinen Freunden, von seiner Heimath, von dem Glücke, das ihm vorbehalten war, und von seiner nahen Beförderung. Aber nichts weckte ihn. Endlich lenkte ich die Rede auf seine Mutter und er erweichte sich; es war indeß nur ein Uebergang von der steinernen Starrheit der Verzweiflung zu ihrer Schwäche. An dem Zucken seiner Gesichtsmuskeln konnte ich sehen, daß er hätte weinen mögen, wenn er sich nicht geschämt hätte. Er dankte mir mit bebender Stimme für alle meine Freundlichkeit gegen ihn, ersuchte mich, die Addresse seiner Mutter in mein Taschenbuch aufzuzeichnen, schilderte mir genau ihren Wohnplatz und bat mich, gütig gegen sie zu sein. Ja, in der That hätte er nicht feierlicheren Abschied von mir nehmen oder Gott glühender bitten können, mich zu segnen, selbst wenn er auf dem Schaffote und der Henker an seiner Seite gestanden hätte – und doch näherten wir uns mit günstigem, stets sich steigernden Winde einer Küste.

*


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