Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundvierzigstes Kapitel.

Die Damen werden wieder in die Kajüte eingesperrt und die Verwundeten bedient. – Der Don erweist sich als Memme und geht auf das Schwarz der Treulosigkeit über. – Aus Mangel an einer Autorität, welche ihre runden Dutzende austheilen kann, geht Alles verkehrt. – Wenn die Katze nicht ziehen will, muß man's mit der Geistlichkeit versuchen, denn es ist Sache der letzteren, die Leute nach oben zu bringen.

—————

Es wird mich einige Zeit kosten, um die völlige Anarchie zu schildern, welche unter der Mannschaft dieses unseligen Schiffes stattfand – noch mehr aber die Wirkungen, die sowohl physisch als moralisch daraus hervorgingen. Zurbano begab sich von dem ersten Maten weg ohne Zeitverlust nach der Hauptkajüte, wo er unverweilt seine träge Misanthropie abwarf, um die Wunden meines Vaters und Don Julians zu behandeln, welche er in den für ihren Zustand gemächlich zubereiteten Hängematten unterbringen ließ. Die Beschädigungen des Don Mantez wurden gleichfalls verbunden, aber nicht ohne viele sarkastische Bemerkungen von Seiten des Wundarztes. Auch die Weiber waren wieder zu sich gekommen und hatten die Belehrung erhalten, daß jeder weitere Krampf- oder Ohnmachtsanfall mit Aderlaß, Blasenpflaster und Salzwasser gestraft werden würde, – eine Drohung, durch welche sich meine Mutter und Isidora endlich zu einer verhältnißmäßigen Ruhe beschwichtigen ließen.

In dieser Weise wurde die Staatskajüte mit der Zeit in eine Art Ordnung gebracht, so daß sie auf's Neue einen Anschein von Gemächlichkeit zeigte. Zurbano schickte sich dann an, auf dem luftigsten Theile des Halbdecks ein Krankengemach für die Aufnahme verwundeter Matrosen einzurichten – eine Aufgabe, die ihm und dem Barbier genug Beschäftigung gab, um alle Langeweile zu verscheuchen. In der That mußte der Arzt und sein Gehülfe Alles, sogar die gemeinsten Hospitaldienste, selbst besorgen, denn wer sich noch rühren konnte, war mit einemmale zu einem Grand geworden.

Der Mann, der nach der Abdankung unseres Watkins das Ruder ergriffen hatte, wurde gar nicht mehr abgelöst, und rief vergeblich Jeden an, der ihm in die Nähe kam. Endlich verließ er aus freien Stücken seinen Posten, und das Schiff flog mit allen seinen Leesegeln in den Wind. Für die Santa Anna und ihre betrunkene Mannschaft war es ein Glück, daß der Himmel nicht stets die Menschen mit augenblicklicher Vergeltung heimsucht. Die sanfte Brise starb gegen Sonnenuntergang hin, und die ungeheure Segelmasse hing träge von den Raaen herunter, wie die alten Fahnen in dem ruhigen Schiffe einer Kathedrale.

Zum besseren Verständniß dessen, was ich jetzt zu berichten habe, wird es am besten sein, wenn wir zuvörderst einen Blick auf die Kajüteninsaßen werfen. Sie bestanden aus meinem Vater und dem sehr schwer verwundeten Don Julian, welche in ihren Hängematten lagen. Donna Isidora und die zwei weiblichen Dienstboten waren ausschließlich im Besitze der Hinterkajüte. Das männliche Gesinde, welches die Passagiere bediente, wie auch jene Nichtmatrosen, die mein Vater an Bord gebracht hatte, waren in dem Kampfe zu Grunde gegangen, oder nach demselben grausam ermordet worden.

Gegen Abend hatten sich die beiden Dienstmädchen so weit erholt, daß es ihnen möglich wurde, in dem Kajütenofen Feuer anzuzünden und einige Vorbereitungen zur Erfrischung zu treffen, deren alle Partieen sehr benöthigt waren. Wir müssen sie übrigens vorderhand in dieser Annäherung zu dem, was für ein geselliges Leben gehört, belassen. Suchen wir zunächst den Kapitän auf, der zwar ein Schiff, aber keine Mannschaft und kein Ansehen hatte. In Gemäßheit des Vertrags zwischen ihm und dem Silberlöffel war ihm der Letztere wie ein Schatten – oder, um mich eines passenderen Bildes zu bedienen – wie der böse Genius eines Autors gefolgt. Watkins hatte sich zugeblich zu dem Stilett noch mit ein paar geladenen Pistolen versehen, und Mantez begriff vollkommen, daß sie für den Fall in Anwendung kommen sollten, wenn allenfalls ein Versuch gegen die Sicherheit der Kajütenbewohner gemacht wurde.

Nachdem die Wunden des Kapitäns verbunden waren und er selbst in seinem Quartiere unter der Hütte ein Ruheplätzchen gefunden hatte, begann er zuerst die gebieterischsten aller Anforderungen, Hunger und Durst zu verspüren. Jetzt, aber auch erst jetzt begriff er voll die gänzliche Auflösung, die unter der Mannschaft stattgefunden hatte. Es waren weder Mundvorräthe, noch Diener, weder Köche, noch Feuer zu haben. Silberlöffel theilte ihm dies in aller Ruhe mit. Einiger Zwieback mit Wein und Wasser – dies war Alles, was sich beischaffen ließ.

Nachdem sich Herr und Diener ohne sonderliche Beobachtung des Rangunterschiedes darein getheilt hatten, begab sich der Kapitän nach dem Halbdeck, um zu versuchen, ob er sein verlorenes Ansehen nicht wieder gewinnen könne. Das Deck sowohl, als das Steuer war völlig verlassen – ersteres noch mit dem Zelttuche und dem Splitternetze belastet, obgleich sie theilweise aufgerollt worden waren, damit man die Leichen über Bord werfen konnte. Das Deck war schlüpfrig von Blut und bot einen elenden, kläglichen Anblick. Mantez blickte entsetzt auf Watkins.

»Euer eigenes Werk, Schiffer,« lautete die Erwiederung auf den ausdrucksvollen Blick.

»Aber im Namen aller heiligen Märtyrer, was soll ich thun?« rief der trostlose Kommandeur.

»Euer Bestes, Sennor – just einmal um der Abwechslung willen – denn Ihr habt in der letzten Zeit genug Schlimmes gethan. Seht zu, wie viel Hände Ihr für die Leesegel kriegen könnt; ich will inzwischen das Steuer aufnehmen.«

In den leichten Winden, welche bald aus Norden, bald aus Westen bliesen, brachte Watkins das Schiff nach kurzer Frist in den geeigneten Kurs; aber der Kapitän kam mit seiner Aufgabe nicht so leicht zu Stande. Es war kein Hochbootsmann oder Hochbootsmannsmate da, um die Matrosen aufzubieten, und für geraume Zeit wollte keine Seele seinem Schreien auch nur die geringste Aufmerksamkeit zollen.

Die einzige Person, welche sich blicken ließ, war der betagte Priester, Vater Sanvedra; er sah sehr abgehärmt und bleich aus – auch rang er, während er über das Deck ging, von Zeit zu Zeit konvulsivisch die Hände. Sein Schmerz war tief und ungeheuchelt. Als seine Augen denen des Kapitäns begegneten, bebte er entsetzt zurück. Er erinnerte sich an das Bekenntniß des kürzlich hingeschiedenen ersten Maten und wußte, daß er in Mantez den einzigen Urheber des nicht wieder gut zu machenden Unglücks sah, dessen Zeuge er gewesen.

»Darf ich mir herausnehmen, mit Euch zu sprechen, hochwürdiger Vater?« begann der Kapitän, jetzt zum erstenmale in ehrfurchtsvollem Tone.

»Faßt Euch kurz, mein – –« Sohn konnte er nicht länger sagen. Er stieg nach dem Halbdeck heran und näherte sich ihm.

»Welche neue Unheilskunde muß ich in Euren bekümmerten Blicken lesen, Vater?«

»Alles – das Schlimmste – das Schiff mit Allem, was es birgt, ist dem Gerichte Gottes verfallen.«

»Spielt Ihr auf die Vernichtung des größten Theils meiner Mannschaft durch diese blutige, verabscheuungswürdige, ketzerische Meuterei an?«

»Wer trieb sie zur Meuterei? Doch reden wir nicht mehr davon. Sünder mit der in blutgetränkten Seele, kannst du dir ein größeres Entsetzen denken, als dieses?«

»Mein erster Mate, der bravste und beste Matrose, den ich hatte, ist vor zwei Stunden gestorben.«

»O, der Lästerung! Wahrhaftig, es ist schrecklich – aber ein düsteres Schreckbild hängt über uns, und mein Gewissen gestattet mir nimmer, diese Arche des Fluchs die Santa Anna zu nennen. Sie ist Anna, die Verlorene.«

»Vielleicht denkt Ihr, mein guter Vater, daß wir aus Mangel an Bemannung im nächsten Sturme ertrinken werden – oder daß wir, wenn der Sturm säumt, hier auf dem öden Meere vor Durst und Hunger umkommen, da Jeder nach dem Lebensblute seines Nächsten trachtet? Wie Ihr bemerkt, hochwürdiger Vater, es ist schrecklich.«

»Stille, Thor – gibt es keine Vergebung und Versöhnung für Alles dies, wenn auch nicht in dieser, so doch in der künftigen Welt? – Aber, ich spreche von einem unsühnbaren Verbrechen – von einer Sünde gegen den heiligen Geist, die nach Myriaden Ewigkeiten keine Lossprechung finden kann. Wisse – und zittere in der Vorahnung deiner ewigen Höllenqual – daß das Licht ausgelöscht wurde, das vor dem Tabernakel der heiligen Jungfrau brannte – daß man ihr gottlos die Kleider abgerissen, in ihren unaussprechlichen Mund eine Pfeife gesteckt und in die glorreiche Rechte, welche jenseits die Sünder zu dem Thron des Erbarmens führen wird, gotteslästerlicherweise ein Glas Rum gegeben hat.« Dann erhob er seine Hände und fuhr mit stärkerer Stimme fort: »Krieg und Zerstörung! Ich belege dieses Schiff und allen seinen Inhalt mit dem Bannfluche des allmächtigen Gottes!«

Während des letzten Theiles dieser Rede wanderte der Kautabak in dem Munde unseres am Ruder sitzenden Freundes Watkins ohne Unterlaß von einer Wange zur andern, und der dunkelfarbige Saft spritzte mit Bedacht nach allen Seiten hin.

Watkins lachte nicht gerade, erging sich aber in einer Art triumphirenden Kicherns, wie wenn er in seinem Innern höchlich belustigt wäre. Die Entweihung des kleinen Wachsbildes – denn eine Entweihung war es gewißlich, obschon von dem aufrichtigsten Bilderstürmer, der nur je existirt hatte, ausgeführt – war übrigens nicht durch ihn veranlaßt worden, da er zuviel Erfahrung hatte, um nicht zu wissen, daß bei einer so schwachen Mannschaft, die, wenn sie überhaupt Religion hatte, in den tiefsten Tiefen eines bigotten Aberglaubens stak, der Einfluß des Padre Alles in Allem war.

Mantez war über die Anathemas des Priesters so entsetzt, daß er nichts darauf zu bemerken wußte. Von zwei Gefahren werden, wenn eine Wahl nöthig ist, die Weltklugen stets die geringere wählen. Diesem Grundsatze gemäß ließ Watkins das Steuer für sich selbst sorgen, während er hinging, um das schwere Geschäft einer Bekehrung vorzunehmen, denn er gedachte, pro tempore den Pater nicht aus Katholiken zu einem Protestanten, sondern aus einem Priester in einen Hochbotsmannsmaten umzuwandeln.

Zum Glück für seinen Proselyteneifer hatte die Brise eben aufgefrischt, und das Schiff kam allmählig in dem Wind auf. Während dies geschah, stand Watkins vor dem alten Manne, machte ihm eine sehr achtungsvolle Verbeugung und bat ihn um Gehör. Dieses Gesuch fand jedoch keine Genehmigung, bis er in größtmöglicher Zartheit mit seinen theerigten, hornharten Fingern den flüchesprudelnden Vulkan verstopft hatte.

»Es ist vollkommen wahr, hochwürdiger Vater, wir sind ein verdammtes Gesindel, Wurzel und Zweig, von dem Truck an bis an den falschen Kiel herunter – natürlich nur wir Layen; aber das ist kein Grund, warum auch Ihr, mein gottseliger Sennor, ertrinken solltet. Freilich habt Ihr vielleicht auch nichts dagegen einzuwenden, denn es ist eine leichte Ueberfahrt in die ewige Seligkeit, die Ihr ohne Frage in möglichster Bälde zu theilen wünscht; wir aber, die wir ewig braten sollen, wünschen natürlich, diesen Prozeß so lange wie möglich zu verzögern. Laßt's Euch daher nicht so eilig sein, guter Vater, uns elende Sünder schon diesen Abend in die andere Welt zu schicken, und erweist uns die Liebe, auch mit Eurer Seligkeit noch ein wenig zu warten.«

»Heute Abend – habt Ihr von heute Abend gesprochen? Aber wie kann ich es abwenden? Ungeachtet meines gerechten Zornes ziemt es mir doch nicht, der Hand Gottes vorzugreifen. Was wir von dem Fegfeuer wissen, ist gewiß nicht angenehm, und es würde einem Diener des Herrn schlecht anstehen, ohne das letzte der sieben Sakramente dahinzuscheiden.«

Bei diesem Theile seiner Rede knackten die Bramleesegelspieren mit furchtsamem Getöse, und die Segel hingen wie der zerschossene Flügel eines Geiers hülflos nieder. Dieses Zeichen eines herannahenden Schiffbruchs sprach deutlich genug.

»Ihr, und nur Ihr könnt es thun. Die wenigen Leute, welche sich noch am Leben befinden, haben sich zuerst in Blut, dann aber in Rum betrunken, und sind völlig toll von Eitelkeit. Sie meinen, lauter Dons zu sein, und Niemand will den Befehlen gehorchen, während es doch absolut nothwendig ist, daß die Nüchternsten darunter nach den Masten hinaufgehen und die Segel kürzen. Flucht sie mit Kerze und Buch aus ihm unfläthigen Trägheit heraus, denn glaubt einem alten Seemann, wenn Ihr sie nicht hinaufbringt, so werden zuverlässig in ein paar Stunden wir Alle hinunter gehen.«

Pater Savedra schickte sich mit einer Behendigkeit, welche in Betracht seiner Jahre und Gebrechlichkeit merkwürdig genug war, zu Vollzug dieses Geheißes an, und Mantez stierte mit Furcht und Verwunderung seinen neuen Verbündeten an, der, ohne sich darum zu kümmern, was man von ihm dachte, ganz ruhig wieder nach dem Steuer ging und bald darauf das Schiff wieder in den gebührenden Kurs gebracht hatte.

In allen den Gesprächen, welche wir mittheilten oder etwa noch zu berühren für nöthig finden, haben wir nur den Sinn dessen, was der Silberlöffel in spanischer Sprache ausdrückte, gegeben, da die groteske Eigenthümlichkeit seiner Redeweise unübertragbar ist.

Er war jedoch sehr zu seinem Erstaunen eine bedeutsame Person geworden, obschon nicht einmal er mit allem seinem Scharfsinn die seltsame, aber doch natürliche Wendung der Dinge vorausgesehen hatte. Wie hätte er sich auch denken können, daß Mantez plötzlich auf seinem eigenen Schiffe zu einer bloßen Null herabsinken würde? Als er sich durch den sonderbaren Vertrag, dessen wir gedacht haben, mit ihm verbündete, gedachte er blos, alle seine Handlungen und Worte zu überwachen, um ihn entweder zu erschießen oder ihm einen Dolch in's Herz zu stoßen, sobald er eine schnöde Handlung gegen die Familie oder die Kajütenpassagiere beabsichtige.

Unter den zwei Dutzend Unbeschädigten wurden doch noch sieben aufgefunden, welche nüchtern genug waren, um nach den Masten und Leesegeln hinaufzuklimmen. Uebrigens wollten auch diese nicht in das Takelwerk gehen, um das nöthige Manöver vorzunehmen, ohne sich zuvor gegen die Annahme verwahrt zu haben, daß dieser Akt ein Aufgeben ihrer neuerworbenen Rechte sei, in denen sie sich als ächte Spanier natürlich nur das entzückende Privilegium dachten, nichts zu thun.

Nach dreistündigem Schreien und Fluchen waren die Leesegel auf das Deck geholt und die Bramsegel beschlagen. Da der Versuch, die Marssegel zu reffen, völlig vergeblich gewesen sein würde, so ließ sie Watkins nach dem Eselshaupte herunter, worauf die sieben Spanier großsprecherisch wieder zu ihren Orgien zurückkehrten. In einem gewissen Grade ihrem Beispiel folgend, verließ Watkins das Steuer und begab sich nach der Kajüte des Kapitäns, wo er sich unmittelbar dem Don gegenübersetzte. Beide begannen nun in tiefstem Schweigen – der Eine mit verschmitzter, der Andere mit kläglicher Miene – sich gegenseitig in's Gesicht zu sehen.

*


 << zurück weiter >>