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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Ich bin nun in Wahrheit der »schiffbrüchige Kaufmann« und an den Strand einer verlassenen Küste verschlagen. – Ich komme zu mir und finde Gesellschaft an meiner Seite. – Meine Haushaltung muß mit einem sehr kleinen Kapitale beginnen.

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Nichts mehr von den Gefahren der See – des Oceans – oder der Schiffbrüche. Ocean, deine Großartigkeit soll mich nicht mehr verlocken, dir Ehre zu erweisen, denn du bist stets mein größter Feind gewesen. Selbst wenn die Windstille an deinem endlosen Busen lächelte und sich an dich anschmiegte, geschah es nur, um mich zu verrathen; und wenn die Winde sich wahnsinnig hetzten, wurde ich stets über deine Tiefen gejagt wie ein Mörder, der vor der Rache flieht. Dennoch sage ich dir, alter Ocean, daß ich dir trotze. Ich habe mir nichts von dir erbeten, als ein kühles durchsichtiges Grab in deiner Tiefe, und dieses hast du mir feindselig verweigert. Wochen und Monate lag mein Körper als ein freiwilliges Opfer auf deinen Wellenaltären, aber du wiesest die Gabe zurück und stießest mich wie einen ekeln Gegenstand von deiner Brust weg, um meine unsterbliche Seele durch Versuchungen zu gefährden, die ein Mensch fast nicht zu bestehen vermag.

Ha, Meer, das du so vielfach in Liedern besungen wurdest, was sind die Stürme, die über deine echolosen Wasser hinheulen, in Vergleichung mit denen meiner von Leidenschaften zerwühlten Seele? Wahrhaftig, nicht mehr als die leichteste Brise des Südens, welche neckisch die kleine blonde Locke aus der weißen Stirne eines schönen Kindes lüpft. Aber der furchtbare, fortgesetzte Kampf in dieser verödeten Insel ist längst vorüber – wurde ich Sieger? Ach, ja und nein. Vernunft und Gewissen standen in einem seltsamen Zwiespalte – zwei gewaltige Götter, die im menschlichen Tempel mit einander ringen und denselben durch ihren Kampf veröden. Das Gewissen hat endlich überwunden, und für eine Weile floh die Vernunft wie eine besiegte Memme. Doch ich spreche in eiteln Parabeln und muß mit diesen Reminiscenzen bloßer Gedanken zu Ende kommen. Mein Leben hat mir die Lehre gebracht, daß der größte aller Segen in der Kraft liegt, zu vergessen. Lassen wir vorderhand die Geschichte allein sprechen und das innere Schaffen meines Geistes beruhen.

Ich lag rücklings auf der Erde – mein ganzer Körper nur ein allgemeines Weh; meine Sinne waren in schmerzlicher Trägheit erstarrt, und die vielen peinlichen Versuche, meine Augen zu öffnen, wurden durch die blendende Helle verlängert, welche, wie ich endlich fand, von einer fast scheitelrecht stehenden Sonne herrührten. Ich mühete mich ab, meine Stelle zu verändern, und fand dann, daß meine Brust durch irgend einen schweren Körper bedrückt war. Allmählig gelang es mir, mich auf die Seite zu legen, und dann gewöhnte ich stufenweise meine Augen an die fast unerträgliche Helle des Tags. Eine scharfe Brise fegte über die spielenden Wellen, ein entzückendes Gefühl des Lebens mit sich führend, und meinem Körper neue Kraft einhauchend. Ich entdeckte bald, daß ich auf schönem, schneeweißem Sande lag, welcher in auffallendem Gegensatz zu den zahlreichen Grasbüschen stand, die aus seinem Beete aufschoßen.

In dem Winde und in der Veränderung meiner Lage war etwas so Erfrischendes, daß ich mich eigentlich glücklich fühlte – eine Empfindung, die ich möglichst lange zu erhalten wünschte, weil ich fürchtete, mich auf einmal von lauter Schrecken umgeben zu sehen. Bis jetzt meinte ich noch zu träumen, oder wenn ich wachte, so war doch alles Bewußtsein aus mich selbst concentrirt. Aber die Erinnerung begann langsam den Nebel von ihren schrecklichen Bildern zu verscheuchen – ich sah ein scheiterndes Schiff, sich öffnende Wasserschlünde und meine mich umklammernde Schwester. Diese letztere Vorstellung reichte zu – ich rief ihren Namen – die öde Küste hallte das Wort »Honoria« wieder.

Der Ruf der Verzweiflung hatte Gehör gefunden – ich richtete mich auf. Da lag mit der ganzen Blässe des Todes ihr schönes Antlitz in meinem Schooße; ihre Finger hatten sich in die Flügel meines Rockes verstrickt. Mein Anzug hatte sich von der Brust abgerissen, und ihre Hand hielt sich noch immer an den Fetzen. Ich blickte eine Weile betäubt auf sie hin, ohne noch im Stande zu sein, den Umfang meines Elendes zu ermessen. Ich glaube, daß ich ohnmächtig wurde, denn sonst könnte ich meine Unthätigkeit oder das Vergessen nicht begreifen, welches auf den ersten Anblick dieses schrecklichen Schauspiels folgte.

Ich erinnerte mich, daß ich endlich, weil ich nicht im Stande war, ihre starren Finger von meinem zerrissenen Kleide loszumachen, das Federmesser ergriff und den Theil, welchen sie festhielt, abschnitt. Da die Gluth der Sonne mit jedem Augenblicke unerträglicher wurde, so erhob ich mich, raffte, um eine neue Ohnmachtsanwandelung zu überwältigen, alle meine Thatkraft zusammen und hob den Körper mit meinen Armen auf, um ihn nach dem Schatten einiger unbekannten Bäume zu tragen, die ich etliche Schritte weiter innen bemerkte. Ein Entzückensschauder durchschoß mich, als ich ihre bleiche Wange an die meinige legte und fand, daß sie nicht kalt war. Auch ihre Lippen waren noch roth, und das Blut träufelte aus einer leichten Wunde an ihrer Schläfe. Sie lebte – dies war genug. Welches Universalmittel – welches Zauberelixir hätte mir mehr Kraft verleihen können! Ich fand die Last ihres Körpers nicht länger schwer, denn sie lebte! Ich war an Stärke ein Goliath – an Tapferkeit ein Held. Ich hätte vor Freude laut auflachen mögen, wenn ich meiner ununterdrücklichen Leidenschaft nicht durch einen Strom von Thränen hätte Erleichterung schaffen müssen. Wieder fühlte ich mich über die Maaßen – bis zum Wahnsinn glücklich – sie lebte – aber für wen?

Diese schreckliche Frage drang sich mir auf, aber ich erstickte sie, stieß den schrecklichen Gedanken unter die Wellen und erdrosselte ihn, wie ich den Mörder meiner Mutter erdrosselt haben würde; aber stets tauchte er wieder auf's Neue auf – er wollte sich nicht erschlagen lassen. Honoria lebte – und für wen?

Ich legte sie unter den angenehmen Schatten eines weit sich ausbreitenden Baumes von einem Geschlechte, das mir völlig unbekannt war; die Blätter thaueten jedoch unaufhörlich erfrischende, kühle Tropfen nieder, und rings umher lag ein leichter Nebel voll belebender, aromatischer Düfte. Der Rasen, auf welchem ich saß, war moosig, der Ort selbst entzückend kühl und übte sogar die überraschende Wirkung, daß ich den verzehrenden Durst, der bisher in meinem Innern brannte, besser ertragen konnte.

Nachdem ich Honoria auf das weiche Gras niedergelassen und ihre zerrissenen Kleider geordnet hatte, verließ ich sie für einen Augenblick, um mich nach einem Gebüsche zu begeben, unter dem ich eine große Pflanze mit schaufelförmigen Blättern wachsen sah. In den Höhlen der letztern fand ich, wie ich vermuthet hatte, viel klares Wasser – entweder eine Wirkung des Regens bei dem letzten Sturme oder des Thaues der vorigen Nacht. Ich schnitt die Blätter mit einem Messer ab und trug Sorge, nichts von der Feuchtigkeit zu verlieren, welche sich in den Furchen derselben barg. Mit diesem Wasser befeuchtete ich meine Lippen. Ich fand es sehr kalt, zugleich aber auch etwas bitter und zusammenziehend von Geschmack, obschon durchaus nicht unangenehm; allerdings hätte es ungesund sein können, indeß wäre es nutzlos gewesen, sich damals und an einem solchen Orte mit derartigen Gedanken zu befassen.

Mit diesen vegetabilischen Bechern näherte ich mich meiner Schwester, legte ihr Haupt sanft auf meinen Schoos, und ließ von dem Wasser zwischen ihre Lippen träufeln. Ich bemerkte deutlich ein leichtes Athmen und machte zugleich die Entdeckung, daß sich das Blut langsam durch ihre Adern stahl. Endlich seufzte sie tief, und ihr leuchtendes blaues Auge that sich vor mir auf. Der Blick erschütterte mich bis in's Innerste – es lag ein so seliges Lächeln darin, als hätte er sein wohlwollendes Licht von oben geborgt – und dann bewegten sich leise ihre Lippen. Anfangs brach kein Ton daraus hervor – ich neigte mein Ohr über sie, und dann hörte ich sie mit einer Pause zwischen jedem Worte sagen:

»Ardent, ich bin so glücklich – ich meinte, ich könne dich nie wieder zum Leben bringen.«

Sie zog mich dann mit einem leisen, fast unmerklichen Druck der Arme, die bisher leblos um meinen Nacken geschlungen gewesen, an sich; ihr Haupt sank an meinen Busen, ihre Augen schlossen sich, und ein seliger Schlummer beschattete sie mit seinen flaumenreichen Schwingen. Ich betrachtete sie, wie sie so schlief – die Starrheit ihrer Züge war entschwunden und hatte einen heitern Ausdruck von Lieblichkeit, einem ruhigen Entzücken Platz gemacht. Ein ganzer Himmel von Zufriedenheit malte sich auf ihrem Antlitz. Sogar ein Lächeln begann um ihre Mundwinkel zu spielen, und das beredte Blut sang das Triumphlied der auf ihre Wangen zurückkehrenden Schönheit.

Und dann raffte ich mich auf zur Erwägung. Ich blickte auf die überschwengliche Liebenswürdigkeit, die in meinen Armen schlummerte, warf meine Augen auf die Einsamkeit, die mich umgab, und schauderte. Ich vertiefte mich in ein endloses Nachdenken. Alles Physische schien vor mir zu entschwinden und sich in die körperlosen Winde zu zerstreuen. Nicht länger jagte das Blut fieberisch durch meine Adern – der Durst hatte aufgehört, mein Herz wie einen trockenen Schwamm, der in den Händen zusammengedrückt wird, zu quetschen – und der Hunger zehrte nicht länger an dem Principe des Lebens. Während dem langen gesunden Schlafe Honoria's lebte ich mein ganzes vergangenes Dasein auf's Neue durch. Nicht ein einziger Zug entging mir. Es däuchte mich, ich sei im Besitz der übernatürlichen Gewalt, sogar die Zeit zu beherrschen, und vermöge, eine einzige Stunde das Werk fast einem Vierteljahrhundert vollbringen zu lassen.

Wieder kamen und schwanden die unschuldigen Liebeleien mit den fünf Fräulein Falk; ich führte aufs Neue die Bücher ihres achtbaren Vaters und behandelte seine schönen, citygeborenen Söhne mit geringschätziger Freundlichkeit. Abermals klangen die abergläubischen Aeußerungen des begeisterten, ehrlichen Gavel in meine Ohren – ich litt Schiffbruch mit ihm und sah auf's Neue seine edle Selbsterforschung. Wieder sah ich meine Schwester, ohne sie zu kennen, zum erstenmal und wagte es, sie mit entweihender Liebe zu umfassen. Ich kämpfte mit dem Piraten Mantez lange um das Leben meiner Eltern – lange, sehr lange bei jener blutbefleckten Scene verweilend – aber jetzt hielt ich inne. Waren nicht alle diese Rückblicke Wahnsinn? Ein Anderer würde an die Gegenwart und an die unmittelbare Zukunft gedacht haben – aber ich mied Beides so sehr, wie eine von der Pest heimgesuchte Stadt. Ich konnte schuldlos und mit einigem Stolze auf das, was gewesen, zurückblicken – aber die Gegenwart hatte für mich so viel Seligkeit und Qual, daß ich es fast nicht zu ertragen vermochte, während mir die Zukunft wie ein Pfad voll Fallgruben und Abgründen erschien, der mich endlich zum Verderben führen mußte.

Ja, die Gegenwart war ein wildes Gemisch voll Schmerz und Wonne – denn sie, die vertrauensvoll in meinen Armen schlummerte, war meine Schwester! Erwachte sie wohl wieder, um hier Hungers zu sterben? Ich blickte umher und entdeckte viele mit Früchten behangene Sträucher und Bäume – einige davon mußten gesunde Nahrung bieten. In einiger Entfernung bemerkte ich den stattlichen Cocosnußbaum mit seinen langen, fächerartigen Blättern und den in der Mitte sich häufenden Früchten – diese erkannte ich augenblicklich aus den vielen Zeichnungen und Kupferstichen, die ich davon gesehen hatte. Nein, von Hunger hatten wir keine Gefahr zu besorgen, wohl aber von einem furchtbarern Feinde.

Wieder zwang ich mein Gedächtniß, zu meinen Eltern zurückzukehren – zu jenem Vater, so mild, so verständig und aufrichtig, zu jener Mutter, so schön, so edel und so zart – beide so innig von mir geliebt, obgleich ich sie erst spät hatte kennen lernen. Ich überredete mich, daß sie todt seien. Mit eigensinnigem Schmerze vergegenwärtigte ich mir die Art ihres Hinsterbens – ich sah ihr Blut strömen – hörte ihre letzten Ausrufe – und bildete mir ein, sie hätten mit ihrem letzten Athemzuge noch mich und Honoria gesegnet. Das Gemälde wurde zu ergreifend für mich, und ich begann zu weinen. Zuerst entrangen sich mir die Thränen nur langsam, und jede schuf mit ihrer Geburt einen neuen Schmerz. Aber endlich floßen sie reichlich und brachten einen seltsamen Trost – ein Gefühl der Ruhe mit sich. Ja, das Weinen ist bisweilen Wonne – Schade, daß die menschliche Natur diesen Trost so herb dem Manne versagt.

Während ich mich so in bitteren Vorstellungen erging, schlummerte Honoria mehr als drei Stunden in meinen Armen. Die Sonne hatte sich bereits sehr den waldgekrönten Hügeln im Westen genähert, als meine heißen Thränen noch immer aus die Stirne meiner Schwester niederfielen, und sie weckten. Sie küßte mich innig und sagte dann sanft:

»Ardent, mein theurer Freund, wo sind wir?«

»Ach, meine Schwester – ich weiß es nicht.«

»Und du hast geweint?«

»Heiße Thränen.«

»Warum, freundlichster und bester der Brüder? Doch, was bin ich für ein thörichtes Mädchen, dich um den Grund zu fragen.«

»Nicht um unsertwillen – nicht um unsertwillen, o meine Honoria, weinte ich, obschon unsere gegenwärtigen Leiden wohl Anlaß dazu geben könnten.«

»Sprich nicht so – ich weiß von keinem – bist nicht du bei mir?«

»Liebevolles, thörichtes Mädchen.«

»Ja, ich bin thöricht – du weißt es, Ardent, ich bin sehr thöricht. Ich sollte es nicht zu einer solchen Zeit erwähnen – verzeih mir – aber ich fühle, daß ich fast vor Hunger sterbe. Erröthest du nicht für mich?«

»Warum, Honoria, warum? Dieses Land hier scheint reich gesegnet zu sein. Sieh, dort zwischen jenen malerischen Felsen, nahe am Rande des Wassers, sind Bäume, welche für uns beide eine erfrischende und nahrhafte Kost tragen; aber ich scheue mich, dich hier allein zu lassen.«

»Ich will aufstehen und mit dir gehen – wir wollen uns nie wieder trennen.«

»Nie.«

Als sie sich erhob und ich sie mit zärtlicher Umarmung an mich zog, stieß sie einen leichten Schrei des Schmerzens oder Schreckens aus. Er erfüllte mein Gehirn mit schrecklichen Gedanken, obgleich es von ihrer Seite nur der einfache Ausdruck eines physischen Schmerzes war.

»Oh, Ardent, steh doch, was hinten an meinem Halse ist.«

Ich untersuchte ihn und fand das Fleisch durch die tiefen Merkmale von Zähnen irgend eines Thieres beinahe zerrissen. Ich theilte das Resultat meiner Beaugenscheinigung mit. Sie fuhr mit der Hand zwei oder dreimal über ihre Stirne und sagte:

»Ist doch Alles hier in Verwirrung, Ardent. Ich wollte dich fragen, durch welche Mittel wir hieher gebracht wurden. Ich erinnere mich, daß ich auf jenem weißen Sande zu mir kam und dich ins Leben zu rufen versuchte. Wie ich dahin gelangte, weiß ich nicht. Ich meinte, du habest mich durch die wirbelnden Wellen getragen. Ja, Ardent, du thatest es – du thatest es – und hast so fast dein eigenes Leben erschöpft, um das meinige zu erhalten.«

»Nein, meine Theure, so glorreich ist mein Verdienst nicht. Ich erinnere mich nur, daß ich dich fest an mich drückte – ich hielt es für die Umarmung des Todes. Dagegen fand ich, als ich zum Bewußtsein erwachte, daß du augenscheinlich leblos warst; du mußt mich übrigens gerettet haben, denn ein Fetzen von meinem Rocke war noch fest von deinen Händen umklammert.«

»Wie können wir beide gerettet worden sein?«

»Ich weiß es nicht – doch komm, damit wir den Ort selbst untersuchen.«

Unseres Hungers vergessend traten wir an das Gestade und musterten die Stelle, wo wir am Morgen uns gefunden hatten. Die Landschaft bot einen eigentümlich lieblichen Anblick. Das weiße Sandufer dehnte sich in einer ungefähr zwei Meilen langen Kurve von Nord nach Süd aus, und wir waren am tiefsten Theile der Einbuchtung an's Land geworfen worden. Die Hörner dieser Bai endigten in zwei Vorgebirge, aus hohen, zerrissenen, furchtbaren Felsen bestehend; aber auch diese hatten in dem glücklichen Klima vielen schönen Pflanzen und Gesträuchen Wurzel zu fassen gestattet.

Die Sehne des Bogens bestand aus der fast geraden Linie einer ununterbrochenen Brandung, die sich von einem Vorgebirge zum andern erstreckte – wahrscheinlich ein Korallenriff. Längs dieser Linie brausten die erzürnten Wogen ganz erstaunlich, obgleich der Himmel und die Wassermasse diesseits und jenseits der Brandung keine Spur von Wind zeigte. Letztere aber erzeugte durch ihren prudelnden Schaum ein Getöse, gleich einem fernen Donner Das Meer selbst hob sich und fiel sanft; wenn aber eine der ruhigen Wellen jene magische Linie berührte, so schien sie in plötzlichen Wahnsinn zu gerathen. Die dort kämpfenden Wasser boten einen Ehrfurcht einflößenden Anblick.

»Wir müssen da durchgekommen sein!« sagte meine Schwester, sich schaudernd an mich anschmiegend. »Wir müssen während jenes schrecklichen Sturmes dort durchgekommen sein.«

»Nur der Sturm konnte uns dies möglich machen. Die Wellen müssen sich hoch über das Riff erhoben haben, um uns so wenig gequetscht darüber wegtragen zu können.«

»Aber warum, Ardent, ist dieses Rettungswunder nicht auch Anderen zu Gute gekommen?«

»Vielleicht ist es der Fall, ohne daß wir es wissen. Als übrigens das Schiff in den Abgrund der Wasser stürzte, waren wir allein auf dem hintersten Theile des Fahrzeugs, also dem Punkte der Erschütterung am fernsten. Die ungeheure Welle hat den Schnabel gegen untermeerische Felsen geworfen und das Schiff in Stücke zertrümmert; es kam dann wohl eine ebenso große Woge, die uns, wie wir mit den Armen in einander verschlungen waren, über die Schranke wegfegte und so unsere Rettung bewerkstelligte. Wahrscheinlich ist's, daß wir allein entkommen sind, denn wir waren die einzigen Wesen, die nicht an dem Schiff festhingen, da sich die Matrosen zuletzt während des Sturmes an dem Takelwerk oder auf den Decken festbanden. Alle müssen daher außerhalb des Riffes von dem Schiffe mit in die Tiefe gezogen worden sein.«

»Aber dieses schreckliche Riff, mein Bruder, scheint wenigstens eine halbe Meile von unserem Standorte entfernt zu sein. – Was kann uns an die Küste getragen haben?«

»Das Ungestüm der Wellen – wenigstens kann ich mir keine andere Ursache denken.«

»Ein schrecklicher Gedanke wandelt mich an, Ardent. Was weckte mich, als ich dich vermeintlich todt auf dem Sande liegen sah? Es muß der Schmerz dieser Wunde an meinen Halse gewesen sein, die mir durch irgend ein wildes Thier versetzt wurde. Wir sind unbewaffnet und müssen wohl den reißenden Bestien zum Raube werden. Ich habe wahrscheinlich geschrieen und so das Ungeheuer weggescheucht. Wir sind völlig vertheidigungslos und dürfen uns nicht mehr zur Ruhe niederlegen.«

»Es nützt nichts, sich mit Muthmaßungen zu tragen; aber nur wenige von diesen Inseln bergen Thiere von einer Größe, welche zu fürchten wäre, selbst wenn man unbewaffnet ist. Wir wollen jetzt sehen, was wir für Nahrung ausfinden können.«

*


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