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Siebentes Kapitel.

Enthält einen gar kläglichen Bericht über die Bequemlichkeiten für Menschen und Vieh an der Hochstraße der Völker.

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Unmittelbar, nachdem ich den Schwärmer Gavel aus dem Gesicht verloren hatte, däuchte es mich, als lasse der Sturm merklich nach und fange an, einzulullen. Selbst in meiner gefährlichen und fast verzweifelten Lage konnte ich nur mit Bedauern an den finsteren, hochherzigen, sich selbst aufopfernden Seemann denken, und betete in meinem Innern, das Opfer möchte einen gnädigen Richter gefunden haben. Nachdem sich die Erregung, welche ein so schauervolles Ereigniß nothwendig mit sich führen mußte, einigermaßen gelegt hatte, lenkte ich meine Gedanken auf meine gegenwärtige Lage. Das Boot hatte nur wenig Wasser gefangen und hob sich schwungkräftig auf den hohen, langen, sich nicht gewaltsam brechenden Wellen. Es war das Langboot – ein großes, stark gebautes und besonders seewürdiges Fahrzeug, in welchem man die Weinfässer an Bord zu bringen pflegte; aber es barg außer den Dosten durchaus nichts, weder Segel, noch Ruder oder Spieren irgend einer Art. Dennoch war es nöthig, unsere Lage so erträglich als möglich zu machen. Jugurtha hatte sich in den Sternschooten niedergesetzt und die Kniee, auf denen er seine Hände ruhen ließ, aufgezogen, während sich der untere Theil seines Körpers mit scheinbarem Wohlbehagen oder doch jedenfalls mit großer Gleichgültigkeit im Wasser befand. In dieser Lage verblieb er regungslos wenigstens zwanzig Minuten, und Bounder, der Neufoundlandhund hatte sich augenscheinlich mit einem ähnlichen Gefühl unter den Bugschooten aufgerollt. Auf letzteren saß ich und erging mich abwechselnd im Gebet oder in den bittersten Vorahnungen.

Menschliche Pflichten hören jedoch nur mit dem Leben auf, und ich wußte, daß Thätigkeit das beste, auch in der Regel das siegreiche Antidot gegen die Furcht sei. Es bedurfte jetzt keines abergläubischen Gefühls, um zu bemerken, daß der Sturm in schnellem Abnehmen begriffen war. Der Wind heulte in aussetzenden, krampfhaften Stößen über den Ocean, und in den Höhlen zwischen den ungeheuren Wogen herrschte beinahe völlige Windstille. Ich faßte Muth und stand auf.

»Jugurtha,« sagte ich zu dem Neger, indem ich meine Hand freundlich auf seine Schulter legte; »Jugurtha, hörst du mich? Mein wackerer schwarzer Bruder wir müssen uns rühren und das Boot ausöhsen.«

Gegen die ersten paar Worte benahm er sich sehr achtlos; als jedoch die zwei Sylben »Bruder« sein Ohr trafen, fuhr er zusammen und zitterte; dann theilte das ungekünsteltste Grinsen des Vergnügens für einen Augenblick den untern Theil seines Gesichtes und zeigte zwei Reihen der größten und schönsten weißen Zähne. Unmittelbar nachher sprang er, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, auf seine Beine. Obschon ich übrigens von dem Ausöhsen des Bootes gesprochen hatte, so hatte ich doch keine Vorstellung davon, wie wir dies bewerkstelligen sollten; denn wir hatten weder Mütze noch Hut, und mein Scharfsinn konnte kein besseres Mittel auffinden, als jenes kindische und mühsame, welches uns die hohlen Hände bieten. Jugurtha verstand sich besser auf die Sache. Er hatte im Augenblick seine Jacke ausgezogen und dieselbe in eine Art von Wassereimer umgewandelt, mit dessen Beistand wir das Wasser mannhaft ausschöpften. In weniger als einer halben Stunde saßen wir leidlich trocken.

Durchnäßt und müde, wie wir waren, machte die Erschöpfung ihre gewöhnliche Anforderung an die Natur durch den Schlaf geltend. Jugurtha und ich legten uns daher brüderlich in dem Boot nieder, und da die Nacht kühl war, so legte Bounder sein zottiges, Wärme mittheilendes Fell zwischen uns. So schliefen wir in einem offenen Boote und auf dem offenen Ocean, während der nach und nach aufhörende Sturm uns ein klägliches Wiegenliedchen sang.

Ich erinnere mich noch recht gut, wie köstlich mir jene Ruhe zu Statten kam. Die ersten Stunden waren meine Sinne in ein tiefes, unbestimmtes, träumerisches Bewußtsein von Sicherheit – in ein Gefühl eingewiegt, als schlängen sich tastbar die Arme der Vorsehung um mich. Ich schmiegte mich an mein geträumtes Glück an, wie ein unentwöhntes Kind an den Busen seiner Mutter.

Aber gegen Morgen wurden die Gesichte bestimmter und froher. Lächerlich genug träumte ich, ich schlafe in dem besten Staatsbette meines alten Prinzipals, des Mr. Falk, und seine fünf Töchter stünden, lustige Bosheit in ihren Gesichtern, um mich her. Ich glaubte, sie ganz deutlich zu sehen, konnte aber nicht erwachen. Sie breiteten um das große Bett ein vortreffliches Frühstück, bei dem es auch nicht an Wein und Früchten fehlte. Ich versuchte, mich aufzuraffen und mit ihnen zu schmählen, daß sie sich in dem Schlafgemach eines Junggesellen so erbarmenlos benähmen und so viele appetitreizende, eine wahre Tantalusqual verursachende Leckereien vor mir aufpflanzten. Aber alle meine Anstrengungen waren vergeblich; ich konnte mich weder rühren, noch sprechen, obgleich ich Alles deutlich sah und hörte. Dann däuchte es mich, die beleibte, hübsche, rothhaarigte Miß Agatha komme dicht an mein Bette, tippe mit ihren weißen Fingern auf meine glühenden Wangen und sage in der Weise einer Amme, welche ihren Säugling anredet: »Das hübsche, kleine Kindchen; es kann nicht aufwachen? O Jerum, o Jerum, und da ist das Frühstück. Und das liebe Schätzchen soll auch etwas Zucker kriegen, wenn es seine netten Aeuglein aufmacht. Gott behüte!« Und bei jedem Worte wollten die Schwestern, welche im Kreise umherstanden, vor Lachen fast platzen. Ein Gefühl der Unzufriedenheit, – eine Empfindung von dem Uebernatürlichen meines Zustandes begann mich nun in meinem Traume zu beschleichen. Wie war es möglich, daß ich so macht- und regungslos wie ein Marmorblock daliegen konnte. »Seht es an,« sagte mein boshafter Plagegeist, »wie ärgerlich es in seinem Schlummer aussieht. Husch, husch, Bübchen. Ardente Pardenty, sie sollen dich nicht plagen – nein, sie sollen nicht. Kommt, liebe Schwestern, wir wollen es wiegen und dazu singen.«

Und dann kam es mir vor, als ob jede der vier Schwestern die Hand auf meinen Bettpfosten lege und mich trotz des ebenen, festen Bodens sehr nachdrücklich zu schaukeln beginne; ferner meinte ich, daß die kleine Mira mit ihren schiefen, hellen Augen lustig zu den Füßen des Bettes stehe und, so gut es vor Lachen gehen wollte, die Worte singe: »Da geht's auf, auf, auf und da geht's hinunter,« u. s. w.

Es kam mir vor, daß diese Posse eine beträchtliche Zeit währe, bis endlich Mira ausrief:

»Oh! der donnerköpfige Schläfer; er wird nie wieder erwachen. Wollen wir einmal dies versuchen.«

Und damit goß sie mir einen ungeheuren Krug kalten Wassers in's Gesicht. Jetzt erwachte ich in der That. Das Salzwasser triefte über mein Gesicht herunter, mein Staatsbette war in ein gebrechliches Boot umgewandelt, und das Bankett um mich her bestand aus den hungernden Wellen, während ich statt der frischen, fröhlichen Gesichter kein menschliches Antlitz sehen konnte, als Jugurthas schwarze, entstellte Züge. Alle meine Gefährten bestanden nun in zwei stummen, lebenden Geschöpfen. Mit der Brigg und mit Gavel war auch die Hoffnung in den bodenlosen Wellen verschwunden. In der Bitterkeit meines Heizens fluchte ich dem trügerischen Traume, wandte mich dann bei Seite und weinte.

Und nun der Schrecken der drei nächstfolgenden Tage! Die Jahre des Elends – der bittern Leiden und der namenlosen Todesängsten, die sie enthielten! Wäre mein Kalender nicht nachher durch den der übrigen Welt geregelt worden, so würde ich geglaubt haben, daß die Sonne monatelang gar nicht untergegangen sei. Was ist die Zeit anders, als die Aufzeichnerin von Empfindungen und Handlungen? Oh, jene Tage waren lange, lange Jahre, hatten aber auch ihren guten Nutzen.

Soll ich sie schildern? Mein Geist erlahmt bei dem Gedanken an die Aufgabe. Hätte ich die poetische Feder eines Byron oder die prosaische eines M..., so würde ich vor dem Versuche nicht zurückbeben; aber wie gesagt, jene Tage der Verzweiflung hatten ihren guten Nutzen – wirkten köstlich und seelenrettend – und wie schwach auch meine Schilderung ausfallen mag, so halte ich es doch für eine feierliche Pflicht, einen Versuch zu machen.

Der erste Morgen war wolkenlos, der Tag schwül, und der Wind hatte sich völlig gelegt. Die Meereswellen bewegten sich lang und gleichförmig. Jugurtha und ich, wir rührten uns kaum, sondern kauerten uns so viel möglich in den Bootsboden, um dem unerträglichen Auge der schleierlosen Sonne zu entgehen. Ich sprach nicht. Gegen Mittag versuchte der Neger, einige Mundvoll Salzwasser zu verschlucken, die er mit der hohlen Hand aufgeschöpft hatte, spie sie aber augenblicklich mit Geberden des größten Ekels wieder von sich, ohne seinen Versuch später zu erneuern; denn er versank nun in jenen Zustand von Theilnahmlosigkeit, der ihm natürlich zu sein schien, wenn er sich im Unglücke befand. Am ersten Tage war der Hund der unruhigste von uns dreien. Er spazierte vom Bug zum Stern, von Dost zu Dost, rückwärts und vorwärts, wie es die eingesperrten wilden Thiere in einer Menagerie zu halten pflegen. Vor jeder Wendung blieb er stehen, um ein klägliches, herzbrechendes Geheul anzuschlagen, und so trieb er es den lieben langen Tag fort; als jedoch endlich die Sonne unterging, kam er zu uns in die Sternschooten, und suchte wieder zwischen uns sein Lager. Er versuchte, mir Gesicht und Hände zu lecken, aber seine Zunge war trocken und rauh; die Bemühung wurde ihm augenscheinlich schmerzlich. Diesen ganzen Tag, an welchem uns nur ein grelles Licht und ein ertödtendes Schweigen umgab, wurde ich von glühendem Durste gequält. Ich fing an, Gavel zu beneiden.

Wie schwach erscheint nicht die heidnische Fabel vom Tantalus, im Vergleich mit dem, was wir damals litten! Vor unsern Augen lag tanzend und bis in ihre klaren, unermeßlichen Tiefen hinab lächelnd die kühle, neckische Flüssigkeit. Welche Quelle, die in Ihrer Reinheit dem harten Felsen entsprang – welches übermüthige Bächlein, das lachend und plätschernd über die kalten Kieselsteine rieselte, konnte mit den verführerischen, durchscheinenden blauen Wellen der verrätherischen Tiefe, auf welcher wir schwammen, wetteifern? Aber wenn man die glühenden Lippen daran setzte, oder die Feuchtigkeit durch die ausgetrocknete, gesenkte Kehle gleiten ließ – welch' bitterer, schmerzlicher Hohn! Der Durst ist für den innern Menschen, was die Folter, das Rad und der Scheiterhaufen für den äußeren. Ich möchte meinem schlimmsten Feinde nicht wünschen, daß er die höchsten Qualen desselben an sich verspüre!

Als die Nacht einbrach, begann der Zahn des Hungers tief in unser Innerstes zu schlagen, und wir fühlten, mit Ausnahme des edlen Hundes eine wahre Wolfsgier. Vertrauensvoll legte Bounder seinen hängenden Kopf auf meine Kniee und blickte mit seinen schönen, schmachtenden Augen flehentlich zu meinem Gesichte auf, während ich Ungeheuer gierig mir darüber Gedanken machte, aus welcher Feuchtigkeit wohl sein Hirn, aus welcher Masse sein ehrliches, treues Herz bestehen dürfte.

Jugurtha las meine Gedanken – denn der Hunger weckt eine wunderbare Sympathie. Seine wilden Augen stierten nach dem Thiere zu meinen Füßen, welches mir das Leben gerettet hatte und mich jetzt liebkoste. Der Schwarze erhob sich und griff nach dem Messer, welches er in Seemannsweise an einem Ziehtau um den Hals hängen hatte, um gierig Vorbereitungen zum Schlachten zu treffen. Aber während er dies that, erhob er ein wildes unirdisches Geheul, die ersten verlängerten Töne, die ich je aus seinem Munde gehört, denn er hatte keine Zunge. Das grause Wehklagen hatte in der Stille jenes schrecklichen Abends wohl meilenweit über die sanft sich hebenden Wellen hin gehört werden können.

Er näherte sich Bounder, und das Herz wollte mir bersten. Der Hund hatte mich wohlbehalten durch den Sturm und über die zornigen Wellen getragen, war mein Spielgefährte gewesen und vertraute mir jetzt als Freund. Er war der Genosse unseres Elends, theilte unsere Gefahr – und doch sollten wir ihn essen! Wie treulos – wie sogar unmenschlich wäre diese Handlung gewesen! Ich konnte nicht einwilligen. Bounder selbst schien die Absicht des Schwarzen zu verstehen, denn er faßte das geschwungene Messer ängstlich in's Auge, winselte kläglich und kroch noch dichter an mich, in dem er seinen natürlichen Beschützer suchte, heran.

»Jugurtha,« sagte ich milde, »du bist zwar sehr hungrig, mein Freund, und mir geht es nicht besser – aber laß uns noch warten. Der arme Bounder ist unser Leidensgefährte gewesen. Morgen treffen wir vielleicht mit einem Schiffe zusammen und finden Rettung. Gott hat Erbarmen mit den Barmherzigen. Begreifst du mich? Stecke dein Messer ein, Bruder; glaube mir, daß wir so besser schlafen werden, als wenn wir uns mit dem Fleische und Blute dieses guten Thieres vollgepfropft haben.«

Bei diesen Worten erschlaffte die wilde Gier in dem Gesichte des Negers. Ohne Murren machte er sein Messer zu, legte sich ruhig zu meinen Füßen nieder, und wir schickten uns abermals an, wie drei Brüder zu schlafen.

Ueber den bereitwilligen Gehorsam Jugurtha's erweichte sich mein Herz zu der Innigkeit eines Weibes, und mit Thränen in den Augen legte ich ein feierliches Gelübde ab. wenn der Allmächtige unser Leben schone, solle mir stets nachher in Freud oder Leid der verachtete Schwarze ein Freund und Bruder sein, der mein Brod breche, aus meinem Becher trinke und unter meinem Dache seine Heimath habe. Wie habe ich jenes Gelübde gehalten? Ach, leider nicht zu gut!

Der Schlummer dieser zweiten Nacht war unterbrochen, unruhig und träumerisch. Ich besuchte in meinem Schlafe alle Bankette, an denen ich, soweit meine Erinnerung reichte, teilgenommen hatte. Aber wie ungenügend waren sie nicht. Das Versprechen, das den Augen gehalten wurde, mußte durch die Lippen stets der Lüge bezeihet werden. Und doch kostete ich bisweilen; aber wenn mein Traum zu diesem Genusse führte, so folgte nur um so heißere, unerträglichere Gier. Als die Nacht in den Morgen überging, fühlte ich Schauder und Frost. Meine Leidensgefährten schienen sich keiner besseren Ruhe zu erfreuen. Bounder war augenscheinlich im Jagen begriffen und fing die ganze Nacht durch Wild, welches er auf der Stelle verzehrte. Der Schlaf des Negers war tief und todartig. Er war der Glücklichste von uns dreien.

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