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Dreißigstes Kapitel.

Nachdem ich fast Alles verloren, bin ich im Begriff, mich selbst zu verlieren. – Mein schwarzer Freund erweist sich jetzt als das einzige Licht meiner Augen. Bei diesem dunkeln Licht entdecke ich, daß ich nur ein schwaches, thörichtes Geschöpf bin.

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Die viehische Schaustellung einer unmächtigen Rache, welche wir in dem letzten Kapitel geschildert haben, entlockte den ehrlichen Bostonern einen laut nachhallenden Schrei der Verwünschung, und Jeder, der eine Pistole oder Muskete hatte, feuerte sie nach dem feindlichen Schiffe ab. Aber diese eitle Art, Krieg zu führen, schien auf den riesigen Gegner keinen Eindruck zu machen, denn er setzte seinen Kurs fort, während die Leiche des armen Knaben noch immer an der Nocke hin und herschwankte.

Kapitän Darkins bediente sich nun einer andern Waffe, die gleich machtlos war, wie seine Schießgewehre, obgleich er sie in einer guten Sache, mit unerschrockenem Muth und voll edlen Gefühles in Anwendung brachte – ich meine seine Zunge, die er in lautem Tadel und Ausdrücken der Verachtung sich ergehen ließ.

Während er in dieser Weise seiner Entrüstung Luft machte, schienen zwar die Spanier Alles mit der ihnen eigentümlichen Unthätigkeit aufzunehmen, denn sie änderten weder den Kurs, noch antworteten sie durch Zeichen oder Worte. Indeß gingen doch einige ominöse Anzeichen auf dem Hauptdecke vor, welche es Kapitän Darkins räthlich erscheinen ließen, die Focksegel fallen zu lassen und die Bramsegel, die man auf das Eselshaupt niedergelassen hatte, aufzuhissen, um so nach vorn zu kommen. An Bord der Santa Anna wurde zuerst eine, dann die andere, und zuletzt eine dritte Kanone eingelassen, bis endlich die ganze Reihe auf der Seite, welche sich der Mary Ann zukehrte, gehörig in Bord war. Die nächsten Schritte des Piraten zeigten augenfällige Merkmale der Schwäche und des Mangels an Bemannung; denn statt das Geschütz gleichzeitig auszustoßen, geschah dies nur langsam und einzeln. Als daher die erste Mündung hervorragte, stand der Amerikaner schon so weit voran, daß ihn die Kugel nicht mehr treffen konnte; auch hatte er wenigstens fünfhundert Ellen in gerader Linie zurückgelegt, ehe der linkische Verfolger sich in den Wind werfen und seine Breitseite bieten konnte. Fünf oder sechs Kanonen wurden nun einzeln und mit erbärmlicher Zielfertigkeit abgefeuert, so daß natürlich keine Kugel traf. Kapitän Darkins zog nun sein Leesegel auf und setzte ruhig seinen Kurs fort.

Obgleich es die Spanier leicht gefunden hätten, ihr Schiff in den Wind zu werfen, so war es doch eine schwierige Operation, den Kurs wieder aufzunehmen. Der Amerikaner war bereits mehrere Meilen voraus, als auf der Santa Anna noch immer einzelne Segel an die Masten klappten, und die andern im Winde schütterten; das Schiff kam augenscheinlich auf und fiel ab, wie es ihm beliebte. Wir verloren es bald ganz außer Sicht; aber selbst bis auf den letzten Augenblick, als schon der Rumpf unter dem Horizonte stand, schien Verwirrung und Anarchie an Bord zu herrschen, da sie noch immer den Schnabel nicht zurecht gebracht hatten.

Alle diese letzten Mittheilungen erhielt ich aus dem Munde des guten Amerikaners, denn nachdem ich meine ohnmächtige Schwester nach der Kajüte geleitet hatte, entschwanden Tage und Wochen, ehe ich das Deck aufsuchte oder an irgend etwas, was um mich vorging. Interesse nahm. Kapitän Darkins, welcher meine tiefe Schwermuth bemerkte und von dem ächten Geiste eines Gentleman beseelt war, drang mir nur selten seine Gesellschaft auf, und dann geschah es nur, um mir Trost zu bringen, oder mich zu zerstreuen; auch sorgte er dafür, daß jede übertriebene diensteifrige Person ferne gehalten wurde. Natürlich konnte aber trotz aller Achtung, die er vor meinem Schmerze hatte, während unserer Mahlzeiten ein Gespräch nicht wohl vermieden werden, und ich gab mir alle Mühe, mich zu einiget Geselligkeit aufzuheitern, obschon ich wohl verspürte, daß meine Versuche kläglich ausfielen.

Aus einigen dieser kurzen Unterhaltungen erfuhr ich, daß der Kapitän, nachdem et meine vermeintliche Schwester an der Nocke gesehen, alle Hoffnungen einer nutzbringenden Einmengung aufgegeben hatte, denn er folgerte aus dieser schändlichen Handlung, daß sämmtliche Passagiere ermordet worden und alle Versuche, ihnen Rettung zu bringen, zu spät seien. Auch erklärte er mir, daß er sein Benehmen kaum vor seinen Principalen hätte verantworten können, wenn er länger den Zweck seiner Reise versäumt haben würde, um mit wahrscheinlicher Gefährdung des Lebens seiner Mannschaft eine ritterliche That zu vollziehen. Es müsse ihm sehr darum zu thun sein, den Fischgrund zu erreichen, da es ohnehin schon sehr spät für seine Wallfischoperationen sei; dabei machte er mir einige Hoffnung, die jedoch nicht in Erfüllung ging, daß wir wahrscheinlich mit einem englischen, amerikanischen oder französischen Kriegsschiff zusammentreffen würden, in diesem Falle wolle er mich und die Meinigen an Bord desselben setzen. Auch versicherte er mich, auf meine Vorstellungen werde ein derartiges Schiff zuverlässig nicht säumen, die mörderischen Piraten aufzusuchen.

Jugurtha und der Hund machten sich bald sehr beliebt, wie denn auch meine Schwester von der ganzen Mannschaft mit großer Achtung behandelt wurde, obschon man sie noch immer für einen schönen, jungen Knaben hielt. Jeder Schmuckartikel des männlichen Anzugs, welcher aufgefunden werden konnte, wurde ihr aufgedrungen, und da sie sich, dem weiblichen Instinkt zufolge, sehr geschmackvoll zu tragen wußte, so erschien sie bald in einem Kostüme, das eben so auffallend, als zierlich war.

Wenn ich den vollen Ausdruck meiner Gefühle geben wollte, so könnte ich die beredtesten Bände schreiben über den Tumult der Gedanken, der fast unausgesetzt Tag und Nacht mein Gehirn durchwühlte. Ich lebte nur für die unabläßige Thätigkeit meines Geistes, und wenn ich am stillsten und schwermüthigsten erschien, verzehrte ich, wie das Feuer auf dem geheiligten Altar, mich selbst durch einen ewigen Kampf gegen mein Inneres. Noch jetzt zittere ich, wenn ich bedenke, daß der Weihrauch meiner Gedanken nicht zum Himmel stieg.

Ich schauderte, so oft der gute Kapitän Darkins mit seinem wetterfesten, ruhigen Gesicht wohlwollend in meiner Nähe Platz nahm und meine abgezehrte Hand mit seinen harten, braunen Fingern drückte, mir dabei freundlich in's Gesicht sehend und mich fragend, wie es mit meinem Fieber gehe, denn die Wunden des Körpers und des Geistes hatten mich in eine hartnäckige derartige Krankheit geworfen. Am schwersten lastete die Ueberzeugung auf meiner Seele, daß meine unselige Gegenwart alles Schlimme über den wackern Mann verhängen müsse. Es war mir, als laste ein Fluch auf mir, und ich meinte, ein Finger deute beharrlich auf mich, um mich als einen von Gott verlassenen Menschen zu brandmarken, den Alles meiden müsse; stets tönte eine Stimme in meinen Ohren, welche mir zurief, ich solle meine Umgebung auffordern, das Warnungszeichen zu betrachten, welches mich als einen Elenden brandmarke, der in bitterer Verlassenheit zu Grunde gehen solle.

Ja, seit ich das wirthliche Dach der Falks in Lothbury verlassen, hatte meine Gegenwart stets Elend und Verderben mit sich gebracht. Wo waren Alle jene, die sich mit mir auf der Jane befunden hatten? sammt und sonders ertrunken, elendiglich ertrunken, mich und meinen treuen Jugurtha ausgenommen. Wo waren die Eltern und die Freunde, über die ich durch meine Ankunft in Barcelona den Fluch gebracht hatte? Ermordet – wild, unmenschlich ermordet. Und hatte nicht meine Anwesenheit an dem Bord der Santa Anna Kampf, Verheerung und Tod unter die Mannschaft geworfen? Welche furchtbare Aussichten standen den Ueberlebenden bevor? Ich fühlte mich überzeugt, daß die Theilung des Raubes, den sie so schändlich gewonnen, Blutvergießen unter ihnen veranlassen werde; und wenn ein Sturm ausbrach – ich zweifelte nicht, daß er kommen mußte – wie waren die wenigen erschöpften und verwundeten Leute im Stande, den ungeheuern Leviathan der Tiefe zu lenken, da er schon bei voller Bemannung oft ihre ungeschickten und schwachen Bemühungen verachtete? Sie mußten den Tod und in den Wellen ihr Grab finden; ihr Schiff, so lange ihre Heimath, wurde ihr Sarg, und ihr Geschick war besiegelt, weil ich an Bord gewesen.

Obgleich ich den ganzen langen Tag in dem nervösen Fieber, das durch meine Adern glühte, stumm und brütend dasaß, pflegte ich doch Nachts zu sprechen und meine Klagen ausströmen zu lassen über die rücksichtslosen Wellen, welche dem dahinziehenden Schiffe im lustigen Mondenschein spielend nachtanzten. Oh! wie beredt wurde ich dann. Mein Gram hüllte eine Majestät um mich, und ich erhob mich in der feierlichen Würde meines Schmerzes, um zu reden. Die ganze Natur schien auf mich zu lauschen, und mein brechendes Herz fand einen Trost in der scheinbaren Achtung, welche die allgemeine Stille auszudrücken schien! Wenn die klagende Stimme meiner Delirien laut wurde und das wachsame Ohr der Matrosen oben erreichte, so hörten sie mit Ehrfurcht zu und sagten mit gedämpften Stimmen zu einander: »Der spanische Grand spricht mit den Geistern seines Vaters, seiner Mutter und seiner Schwester; er hört sie sprechen, obgleich wir nichts vernehmen, und sieht sie, wenn wir schon nichts bemerken können. Der arme Gentleman – er wird wohl sterben, aber noch zuerst in Wahnsinn verfallen. Wir wollen für ihn beten, ehe wir uns schlafen legen.« Ja, diese von der Anstrengung des Tages erschöpften Männer fühlten für mich – sie hatten einen Begriff von der Größe meiner Leiden und achteten sie – denn ich litt einsam und im Stillen.

Aber meine guten Schiffsgefährten täuschten sich; ich war weder wahnsinnig, noch im Begriffe, es zu werden, obschon ein solcher Ausgang meiner Leiden ein Glück für mich gewesen wäre. Ach! meine Wahrnehmungskraft war nur zu bestimmt, mein Gedächtniß nur zu treu – die Ereignisse meines Lebens standen ohne Unterlaß vor mir, und ich zog nur zu richtige Folgerungen daraus. Ja, ein Fluch lastete auf mir. Stunden und Stunden lang hatte ich um Gnade gefleht, aber mein Herz war rebellisch und das Gebet fand keine Erhörung. Oft forderte ich, wenn ein Anfall über mich kam, einen Engel auf, zu mir niederzusteigen, damit ich mich mit ihm benehmen, mit ihm ringen könne, wie der Patriarch des Alterthums that, um ihm zu beweisen, daß die mir auferlegte Last mehr sei, als ich tragen könne. »In was liegt meine Schuld?« pflegte ich dann zu rufen. »Ein unwillkürliches Sehnen – ein unausgesprochener Gedanke – ein Erglühen der Wange – ein tumultuarisches Blitzen des Auges – sind diese eingebildeten und unwirklichen Dinge, gegen welche ich so sehr ankämpfe – sind sie Verbrechen? Muß ich um ihrer willen unter den düsteren Schatten der Todesschwingen meinen Pfad durch die Welt wandeln, während meine Tritte unsicher gemacht werden durch die Schlüpfrigkeit des Blutes? Muß wegen dieser Phantome eines Ideals meine Strafe so streng, meine Qual so bitter sein?«

Aber nicht immer drückte ich meine Verzweiflung in einsamer Verlassenheit aus. Jugurtha wußte, daß ich, wenn Alle, die nicht auf dem Deck wachten, zur Ruhe gegangen waren – aufstand, redete und mich wie ein Wahnsinniger geberdete. Ich liebte seine stumme Gesellschaft und meine Klagen waren für mich ebenso gut ein Selbstgespräch, wenn er ihnen zuhörte. Ihnen zuhörte? Nein, er that mehr – er antwortete darauf – und zwar sehr beredt durch seine sprechende Haltung, durch seine angelegentlichen Blicke und durch sein dumpfes, unartikulirtes Murmeln. Er verstand mich, verstand mich durchaus – nicht so fast durch meine Worte oder meine zusammenhanglosen Sätze, sondern durch die Verwandtschaft unserer Gesinnungen, gebildet durch das, was wir versucht und miteinander gelitten hatten. Er begriff mich vollkommen – seine Freundschaft war mehr, als menschliche Freundschaft.

In einer Nacht, als das Fieber seine höchste Stufe erreicht hatte und das Blut mir wie geschmolzenes Blei durch die Adern zu strömen schien, von dem kochenden Kessel meines Gehirns ausgehend und sich durch meinen Körper vertheilend – in jener einzigen Nacht, in welcher sich wirklicher Wahnsinn in meine Delirien gemischt hatte, fühlte ich mich völlig erschöpft. Elend war ich längst gewesen, aber jetzt mußte ich mich ganz kläglich ausnehmen. Ich hatte in trotziger Haltung da gestanden – aber mein stolzer Geist war plötzlich gebrochen. Ich konnte mich nicht länger aufrecht halten. Meine Glieder brachen unter mir zusammen wie im Todeskampf, und ich sank auf meine Kniee. Ich neigte den Kopf vorwärts, langsam mehr und mehr, bis meine Stirne das Deck berührte und nur noch meine Handflächen als Hinderniß dazwischen traten, daß ich nicht ausgestreckt dalag. In dieser thierartigen Haltung kroch ich zu den Füßen des erstaunten Negers, der für einen Augenblick ganz verwirrt war. Er rang seine Hände über mir wie im Gebet, und seine Thränen, kostbarer als die köstlichste Salbe träufelten auf mein unglückliches Haupt nieder.

Eine kurze Weile war alles dies Jugurtha unbegreiflich. Er hatte mich unmittelbar zuvor mit Kraft und Nachdruck sprechen hören, wie ich des Himmels grimmigste Rache auf den Mörder Mantez herniederrief, und im nächsten Momente sah er mich schwächer und hülfloser als ein Kind. Anfangs hinderte ihn seine gewohnte Achtung gegen mich, Hand an meine Person zu legen – aber seine Liebe gewann das Uebergewicht; er hob mich auf, legte mich sanft auf das Kanapee in der Kajüte und kniete dann zu meinen Füßen nieder. Trotz meiner Verzweiflung fühlte ich diese Aufmerksamkeit eines innigen Herzens. Obgleich ich mit meinem schwachen Athem kaum mein Leben zu verlängern vermochte und mit jedem Augenblick den letzten Zug erwartete, nahm ich mir doch vor, den ersterbenden Hauch in Worte zu prägen, um Jugurthas Liebe damit zu bezahlen.

»Mein Freund,« sagte ich, »mein Ende ist nahe. Sei gütig – sei freundlich gegen meine Schwester.«

Jugurtha schluchzte convulsivisch.

»Mantez darf nicht leben.«

Der Neger sprang mit einemmale auf die Füße und seine Augen schoßen Feuer; er bot ein schreckliches Bild der eingefleischten Rache.

»Jugurtha – versteh' mich wohl, mein Freund, er muß durch die Gesetze sterben. Du kannst jetzt ein wenig schreiben und mit den Händen sprechen. Wenn die See, der Sturm und Gottes Blitze ihn verschonen, so hetze ihn durch die Welt, bis wir gerächt sind. Nein – nein, du begreifst mich nicht, Jugurtha; jage ihm nach, bis er am Galgen hängt – am Galgen, am Galgen! Du wirst viele ehrliche Buckramänner finden, um Dir zu helfen.«

Jugurthas Gesicht verlängerte sich, und er schüttelte den Kopf; dann kam er und fuhr mit seiner Hand über meine Brust hin und her. Ich verstand die Bedeutung dieser Geberde und entgegnete:

»Nein, Jugurtha, da ist jetzt kein Trost für mich.«

Und mehr aus physischer Schwäche als aus Abneigung, zu sprechen, versank ich wieder in Schweigen. Die Anstrengung des Redens hatte mich übrigens sehr erleichtert und einigermaßen die todtenartige Starrsucht verscheucht, die meinen Körper überkrochen.

Als der Neger sah, daß ich nicht mehr sprach, zog er sich ruhig zurück, erschien aber bald wieder mit einem Weinglas und einer Rumflasche. Diese Handlung, obgleich sie so wenig im Einklange stand mit der Spannung meiner Gefühle – dieser freundliche und einfache Gedanke Jugurthas verlieh meinem Herzen Wärme und Trost, so daß fast ein Lächeln meine Züge überflog; aber ich wies die gute Absicht durch ein leichtes Schütteln des Kopfes zurück. In seiner Hoffnung getäuscht, entfernte er die Flasche wieder, aber mit einem Blicke des Verdrusses und der Ungewißheit. Dann trat er stumm an meine Seite und erwog ohne Zweifel bei sich, wie er mir Trost bringen könne. Ich wollte ihn nicht glauben lassen, daß ich seine Anwesenheit nicht bemerke, und redete ihn daher im freundlichsten Tone, der mir möglich war, an.

»Mein theurer Jugurtha,« sagte ich, »geh nach Deiner Hängematte und lege dich schlafen. Ich danke dir von ganzer Seele, aber du kannst nichts für mich thun. Ich werde keinen Trost finden, so lange Mantez und ich, wir beide noch am Leben sind.«

Den letzteren Satz murmelte ich nur leise, daß ich anfangs überzeugt zu sein glaubte, mein Gefährte könne ihn nicht gehört haben; aber er geberdete sich darauf in einer so auffallenden und sachgemäßen Weise, daß ich augenblicklich folgerte, es müsse doch der Fall gewesen sein. Doch hierin war ich sehr im Irrthum.

Er zog sein langes Messer aus dem Busen und legte es in meine Hände.

»Was soll ich hieraus entnehmen?« fragte ich, die tödtliche Waffe ergreifend und gierig mit meiner Hand umfassend. Für einen Augenblick war seine Geberdung voll Leben; – er schloß seine rechte Hand, schlug sie ungestüm an seine Brust und deutete dann hastig nach der See.

»Macht mir dieser arme, erziehungslose Neger meinen Mangel an Römertugend zum Vorwurf?« überlegte ich bei mir selber. »Glaubt er, es sei Zeit, für mich zu sterben, und ich habe nicht den Muth dazu? Hält er mich für eine Memme? Die That ist leicht – der Uebergang sanft – und wenn ich sterbe, würde ich in einem Nu Alles wissen. Ja, das ist die verbotene Frucht der Erkenntniß – aber nur den Feigen verboten.«

Und dann betrachtete ich die Klinge mit wilder Gier, die Spitze der Waffe prüfend. Ich fand einen Hochgenuß darin, schwenkte sie und stieß damit in die leere Luft. In meinem Irresein begann ich mir vorzustellen, daß Mantez vor mir stehe – eine entzückende, aber gefährliche Wonne. Ein schrecklicher Gedanke erzeugte schnell den andern – meine Sinne begannen wieder unstät zu werden, und wahrscheinlich hatte ich in der Tollheit meiner Illusion nach meiner eigenen Brust gezielt, denn ich fand meine erhobene Hand plötzlich ergriffen, und Jugurtha entriß mir das Messer. Diese gewaltsame Handlung rief mich mit einemmale aus meinen Delirien zurück. Ich lächelte matt und sagte:

»Ich wollte mich beschädigen, Jugurtha; aber das Messer ist ebensogut bei dir, als bei mir.«

Er schüttelte den Kopf, steckte die Waffe sorgfältig an den gewöhnlichen Platz in seinem Busen und entfernte sich wieder, worauf ich in einen Zustand tiefer Zerstreutheit zerfiel.

Er blieb diesmal länger aus, als zuvor, und als er wieder erschien, brachte er die große Familienbibel des Kapitäns mit sich, deren Ecke dick mit Messing beschlagen war, während die Decke durch rohe Eisenklappen zusammengehalten wurde. Er legte sie mit so viel Ehrfurcht neben sich auf das Sopha, als sei es einer seiner Fetische, kreuzte die Arme über seiner Brust, verbeugte sich tief und entfernte sich.

Wer hatte ihn gelehrt, mir den einzigen Trost zu bringen? Aber ich fühlte damals nicht die Tiefe dieser wohlwollenden Liebe, nicht die Schönheit dieser feierlichen Handlung. Eine zeitlang betrachtete ich sogar das heilige Buch mit Gleichgültigkeit, und als ich es aufschlug, geschah es nachlässig und mechanisch; aber meine Augen fielen auf eine Zeile, auf einen Vers und auf ein Kapitel – nein, Niemand auf Erden soll mich je veranlassen, die Stelle namhaft zu machen. Es genüge, wenn ich sage, daß sie meinen Gefühlen eine neue Richtung, meinem Körper neues Leben, meinem Charakter einen andern Ton gab. Am andern Morgen erhob ich mich mit gemindertem Fieber, aber mit starrem Herzen. Ich hätte fortlesen sollen, aber ich wollte nicht.

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