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Viertes Kapitel.

Die Aussichten hellen sich auf, obschon ich nachher finde, daß Windstillen an sich nicht immer friedlich sind. – Ich mache wunderbare Fortschritte in der Seemannskunst und in der Rhetorik, werde aber für meine Mühe durch eine Kugel belohnt.

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Als wir nach hinten kletterten, fanden wir, daß zur Vergrößerung unseres Unglücks das Steuer aus dem Haken gerissen war und unter dem Heck hin- und herspielte, da es nur noch von den Ketten festgehalten wurde. Nach einigen unwirksamen Versuchen, es wieder festzumachen, wurde es triftig gekappt, damit es kein Loch in die Schiffsseite stoße.

»Die Brigg ist halb voll Wasser! Alle Hände an die Pumpen!«

Ich schenkte meines Vaters trockenen Gütern einen einzigen flüchtigen Gedanken, kleidete mich bis aus den Gürtel aus und ging rüstig an's Werk. Da wir das Schiff rasch von seinem Wasser befreien konnten, so hatten wir keinen Grund, ein Leck zu befürchten. Um Mitternacht hatten wir blos sechs Zolle in dem Pumpensod, und da uns nun keine eigentliche Gefahr mehr drohte, so kam Gavel zu mir herauf, und sagte mit grimmiger Höflichkeit:

»Nun, Master Troughton, ich kann nicht anders sagen, als daß Ihr Euch heute Nacht ganz als ein Mann gezeigt habt. Ich schäme mich nicht, es einzuräumen und Euch zu gestehen, daß es mir herzlich leid thut, Euch in's Lee geschoben zu haben. Schätz wohl, ich darf einem gebornen Gentleman nicht die Hand anbieten, aber ich sage nur so viel: 's ist Schade, daß Ihr Euch in dieser Brigg eingeschifft habt, denn sie sieht kein Land wieder. Laßt Euch übrigens rathen und thut Euch ein – der Steward wird Euch zu einem trockenen Anzug helfen. Macht's Euch gemächlich und seid ruhig im Geiste; denn verlaßt Euch darauf, wir werden sehen, wie Jeder von uns den Tod hinnimmt, noch ehe viele Tage vorüber sind.«

Ich befolgte seinen Rath, ohne die mir angebotene Hand zu nehmen – nicht, weil ich ihm noch Groll nachtrug, sondern weil mein Stolz mir nicht gestattete, zu glauben, daß ich ihm schon eine besonders große Probe von Mannheit gegeben habe. Als ich die Kajüte erreichte, fand ich, daß der Zimmermann eben mit Einsetzen der sogenannten Todtlichter in die Fenster fertig geworden war – ferner, daß der Steward und der Kajütenjunge mir ein leidliches, trockenes Lager bereitet hatten. Das Wasser, welches die Brigg bei ihrem Deinsen gefaßt hatte, war nicht in meinen Koffer gedrungen, so daß ich also leicht zu einem völlig trockenen Anzug kommen konnte. Meine Seekrankheit war ganz verschwunden, und ich wurde seitdem nie wieder davon belästigt.

Auch der Meister hatte sich angekleidet und gab sich mit großem Eifer auf's Neue einem viehischen Trinken hin. Seinem rauschmittheilsamen Drängen, mich seiner schändlichen Schlemmerei anzuschließen, hielt ich nur eine verächtliche Abweisung entgegen, wofür er alles Mögliche und Unmögliche über mich herunterfluchte; aber nach einer kurzen halben Stunde mußte er auf's Neue in völlig besinnungslosem Zustande zu Bette gebracht werden.

Ehe ich mich niederlegte, that ich ein Gelübde, wenn ich je Spanien wohlbehalten erreiche, solle die Jane das letzte Schiff sein, das Josua Tomkins je kommandirt hatte, wenn gleich ich noch nicht mit mir eins werden konnte, ob ich für James Gavel das Wort reden wolle. Ich schlummerte bald ein und that gegen mein Erwarten einen gesunden Schlaf, so daß ich am nächsten Morgen nicht nur erfrischt, sondern fast wohlgemuth erwachte.

Erst um neun Uhr erschien ich wieder auf dem Decke. Die Matrosen räumten langsam und mürrisch die Trümmer weg, welche auf dem Decke umherlagen; auch war der Mate mit seinen Fußstößen und Handspaken so abscheulich freigebig, daß der ungünstige Eindruck augenblicklich wieder geweckt wurde, welcher am vorigen Abend seine Thätigkeit und Bravour theilweise verwischt hatte.

Ich hielt mich jedoch nicht für berechtigt, eine Einmengung zu versuchen, da die Mannschaft vielleicht die Züchtigungen, mit denen sie so verschwenderisch überladen wurde, verdiente. Um mich zu unterhalten, räumte ich den Schutt und die Tau-Ueberreste von einem kleinen Plätzchen unter dem Lee des Halbdeckbollwerks weg und rief meinem Freunde Bounder, dem großen Neufoundländerhund, bei dem ich mich dadurch in Gunst setzte, daß ich mich gütlich mit ihm zu balgen begann. Meine Anerbietungen fanden sehr gnädige Aufnahme und meine Freundschaftsbezeugungen die wärmste Erwiederung.

Der Wind hatte sich nun in eine stetige und taumelnde Kühlte (eine Verbindung von Adjektiven, die man wohl verstehen muß) unmittelbar aus Osten umgewandelt. Wir waren völlig ihrer Gnade preisgegeben und lagen, wie es die Matrosen nennen, gleich einem Klotz auf dem Wasser. Wir hatten kein Stück stehendes Holz, das Bugspriet ausgenommen, und doch unterhielten jetzt Alle die frohesten Hoffnungen, daß wir wohlbehalten den Hafen erreichen würden, nur der abergläubische und mürrische Mate nicht. Allerdings schienen auch, mit Ausnahme des Windes und des Wracks vor uns, die Aussichten sehr günstig zu sein. Wir waren gut nach Süden getrieben worden und hatten einen warmen Tag, da die Sonne hell an einem wolkenlosen Himmel strahlte.

Ungeachtet meiner gutgelaunten Stimmung aber konnte ich doch mit dem Hunde nicht für immer spielen, und da mich der Mangel an Beschäftigung bereits anwiderte, so stand ich auf und ging zu Gavel, welchen ich in gebührender Demuth fragte, ob ich mich nicht nützlich machen könne.

Vor Erstaunen machte Gavel große Augen und stotterte dann heraus:

»Ei, warum nicht? Ihr seid von Herzen dazu willkommen. Geht mit an die Hand, dieses Segel loszumachen – Ihr müßt's so angreifen – na, wir wollen miteinander arbeiten und Ihr könnt dann lernen, wie die Sachen in schiffsgerechter Weise geschehen müssen, 's ist am Ende doch ein ächtes Eichenherz in Eurer Brust – nur meine ich, diese theerichten Taue werden Eure langen weißen Finger beschmutzen. Recht so – bei allen Heiligen – dies ist die Art, wie's ein ächter Seemann macht. Gott behüte, Ihr hättet ein Matrose werden sollen.«

»Ihr seht, Gavel, wie bereitwillig ich bin, mich angenehm zu machen, – aber während Ihr an meiner Bildung mitwirkt, müßt Ihr mir auch erlauben, daß ich Euch Bildung beizubringen suche.«

»Von Herzen gerne – ich bin in nichts vollkommen, als in meinem Matrosengewerbe.«

»Aber gerade hierin möchte ich auf Eure Verbesserung hinarbeiten.«

»Der Tausend auch – was wird da herauskommen? Nun, ich will hören.«

»Ich möchte Euch lehren, wie Ihr die zu Eurer Verfügung stehenden Kräfte, die Ihr, glaube ich, Ochsenfleisch nennt, am besten benützen und von Eurem sehr zerlumpten, widerspenstigen Volke hurtige Arbeit gewinnen könnt.«

»Nun, das geschieht ja – oder etwa nicht? Guckt in's Stationsbuch hinein – Jeder weiß, wohin er gehen und wie er seine Dienste thun muß, wenn er nur Mannes genug, um es nicht daran fehlen zu lassen.«

»Verzeiht, Mr. Gavel, sie gehorchen Euren Befehlen nicht bereitwillig, und deshalb wird ihre Arbeit nur unvollkommen gethan.«

»Weiß wohl, 's ist eine Rotte von Tölpeln! Gott weiß, daß meine Zunge müde ist vom Fluchen und meine Hand wund vom Gerben dieses Bettelpacks.«

»Das ist's eben, was ich beklage – versucht es auf gütliche Weise.«

»Aha, wieder mein rohes Benehmen – ich verstehe Euch; aber ich will Euch den Beweis führen, daß Ihr ganz im Unrechte seid.«

»Nein, laßt lieber mich beweisen, daß ich Recht habe. Versprecht mir, in der nächsten halben Stunde weder zu fluchen, noch einen von den Matrosen zu schlagen; versieht einer etwas, so nennt mir den Verbrecher, damit ich mit ihm sprechen kann. Wenn Euch meine Methode nicht gefällt, so braucht Ihr sie ja nicht anzunehmen; ich erbitte mir's nur als eine Gunst, daß Ihr den Versuch mit anseht.«

»Gut, Master Troughton, Ihr fangt an, mir zu gefallen – geht an's Werk. Seht Ihr jenen müssigen, murrenden Schuft, der just seine Kleidkeule weggeworfen hat und nicht nur selbst nichts arbeiten mag, sondern auch mit seiner verdammten Advokatenzunge alle seine Nachbarn am Geschäfte hindert?«

Ich ging auf den Mann zu, und sprach einige Worte mit ihm in versöhnendem freundlichem Tone; als ich dann an meine eigene Arbeit neben dem Maten wieder zurückkehrte, sah dieser zu seiner größten Ueberraschung den Faullenzer stumm und unverdrossen fortarbeiten, als gälte es sein Leben. Ich hatte noch vor Ablauf meiner halben Stunde Gelegenheit, noch drei andere Schuldige mit ebenso günstigem Erfolge anzureden. Anfangs war der Mate ganz stumm vor Erstaunen und bat mich dann, ich solle ihm entweder das Rezept geben, vermittelst dessen ich Leute, welche nicht ihr Salz werth seien, zu thätigen Matrosen umwandle, oder den Befehl über die Leute so lange behalten, als wir zusammensegelten.

»Die Kunst ist kurz bei einander – lehrt sie Selbstachtung, indem Ihr ihnen zeigt, daß Ihr sie achten könnt. O Gavel, glaubt Ihr, daß Gott irgend ein Wesen nach seinem und Eurem Ebenbilde geschaffen habe, damit man es umherpuffe wie das liebe Vieh, das zu Grunde geht? Schimpfworte, Flüche und Schläge sind keine Begrüßungen, wie sie ein Sünder dem andern zu Theil werden lassen sollte. Jeder von diesen Männern, die Ihr so unmenschlich umhergestoßen und so unchristlich verflucht habt, besitzt, wie Ihr selbst, eine unsterbliche Seele; und um dieses herrlichen Privilegiums willen, das Ihr mit ihnen theilt, müßt Ihr sie achten. Ich weiß, was Ihr sagen wollt – es seien verderbte Bursche, einige davon unbesserlich lasterhaft, alle aber verzweifelt gottlos. Aber glaubt mir, in dem allerschlechtesten unserer Nebenmenschen gibt es noch viel Gutes, und in den Besten von uns ist viel Schlechtes zu finden. Laßt uns daher mit dem Guten arbeiten, das wir in ihnen finden, Gavel, und verlaßt Euch darauf, daß das Böse bald abnehmen wird.«

»Na, Master Troughton, Ihr setzt dies in ein neues Licht. Ich will's mit Eurem Vorschlag versuchen. Haltet Euch soviel wie möglich in meine Nähe, um mir zu helfen, wenn ich recht steure, oder mir Einhalt zu thun, wenn ich auf einen falschen Curs abhebe. Zum Dank dafür will ich Euch zu einem vollkommenen Seemann machen.«

Ich ließ mir den Handel gefallen, und wir zogen wechselseitig große Vortheile daraus. Der Wind machte inzwischen ungemindert fort, wir dachten jetzt darauf, irgend einem vorbeisegelnden Schiffe Nothsignale zu geben, um so dessen Beistand zu erlangen. Sollte diese unsere Aussicht fehlschlagen, so wollten wir auf unsere eigenen Hülfsquellen bauen und Nothmasten aufrichten.

In Betreff unserer ursprünglichen Absicht hatten wir schon am ersten Tage nach unserem Unglück eine hohe Spiere aufgepflanzt, welche wir an den Stumpf des großen Mastes banden, und eine Flagge verkehrt aufgehißt. Es verfloßen aber einige Tage, und wir kamen immer weiter von Europa's Küsten weg, so mehr und mehr die Aussicht auf Rettung verlierend. Am achten Tage der Kühlte entnahmen wir aus unseren Sonnenbeobachtungen, daß wir unter 31 Graden 50 Minuten nördlicher Breite standen, obschon wir keine Vorstellung hatten, wie weit wir westwärts gekommen waren.

Der Kapitän verblieb in seinem Zustande trunkener Betäubung und wurde von dem Maten sowohl, als von mir gemieden. Die Matrosen arbeiteten wohlgemuth, und am neunten Tage begannen wir den Versuch, unsere Nothraaen in die Queere zu ziehen. Dies war am zweiten April 18–, und am nächsten Tage hängten wir ein neugemachtes Steuer ein. Während dieser ganzen Zeit hatte ich unter der Anweisung des Maten unablässig gearbeitet und einigermaßen ein Schiff auftackeln gelernt. Ich hielt mit ihm die Wache, machte mich in jedem Zweige der Seemannskunst so nützlich, als ich konnte, und gewann in dieser Weise sehr werthvolle Kenntnisse. Am fünften April ließ der Wind nach, die See wurde glatt, und das Wetter köstlich. Um Mittag trat eine völlige Windstille ein. In der That schien Alles wieder einen lächelnden Anblick zu gewinnen. Sogar Mr. Tomkins, der Meister, fühlte den belebenden Einfluß unserer veränderten Lage, denn er verhielt sich den größten Theil des Tages nüchtern und war viel auf dem Deck. Er konnte nicht umhin, seine Bewunderung und sein Erstaunen über den verbesserten Zustand der Mannszucht auf dem Schiffe auszudrücken. Die Matrosen thaten ihren Dienst mit froher Behendigkeit. Auch Mr. Gavel hatte aufgehört, den Eisenfresser zu spielen, zu fluchen, und immer mit Schlägen zur Hand zu sein. Der Unterricht der letzten vierzehn Tage war mir unschätzbar gewesen. Ich hatte gelernt, wie man seine eigenen Hülfsquellen benützen kann, und dabei den vollen Werth jener Kunst erfahren, mit welcher unter dem bescheidenen Titel »Nothbehelf« Niemand so vertraut ist, als der Matrose.

Wir hatten nun drei Tage vollkommene Windstille, während welcher unsere Nothtakelung bis zu den Webeleinen des unteren Takelwerks hergestellt wurde. Ich stieg nun hinauf, legte die Raen aus, und erlernte bald die Kunst des Reffens und Beschlagens. Auch nahm ich von dem Maten Unterricht in der Seefahrerkunst und lernte von ihm den Gebrauch des Quadranten, des Sextanten und des Azimut-Kompasses. Gavel lächelte schwermüthig über den Eifer, mit welchem ich auf diese Studien einging, sagte aber nichts, um denselben zu unterdrücken.

Am zehnten April sprang von Norden eine leichte Brise auf. und der Schiffer hielt mit dem Maten eine Berathung, zu welcher man aus Höflichkeit auch mich eingeladen hatte, damit ich über den Curs, den wir einschlagen wollten, mit abstimmte. Als wir England verließen, hatten wir nur für sechs Wochen Wasser- und Mundvorrath eingenommen und befanden uns jetzt fast einen Monat zur See. Dessenungeachtet war kein Grund zur Besorgniß vorhanden, und wir entschieden uns endlich, mit dem gegenwärtigen günstigen Winde weiter gen Süden in die Breite der kanarischen Inseln zu laufen, dann aber westwärts zu fahren, bis wir den hohen Pic von Teneriffa anthäten. Wir schlugen diese Richtung ein und befanden uns am andern Mittage genau in der Breite dieses Gebirgs.

In dem gleichen Parallelkreise liefen wir zwei Tage fort und fingen an unruhig zu werden, da noch immer kein Land erscheinen wollte. Am dritten Tage fiel wieder eine Windstille ein, und der Mate, wie auch einige alte Matrosen begannen zu vermuthen, wir seien zu weit gen Westen gekommen und befänden uns jetzt in jenen veränderlichen Strichen, auf die man immer trifft, ehe man in die regelmäßigen Passatwinde eintritt.

Diese nicht sehr tröstliche Muthmaßung wurde schon des andern Tags vermittelst einer unvollkommen aufgenommenen Mondbeobachtung bekräftigt. Unsere Lage wurde nun wieder beunruhigend, und wir hielten es für nöthig, die Mannschaft auf halbe Rationen zu setzen. Dies erregte freilich viel Murren, welches Gavel in Gemäßheit seines alten Systems mit der Handspacke zu legen wünschte; aber ich gewann die Oberhand über ihn und rief mit seiner Erlaubniß sämmtliche Matrosen nach dem Hinterschiffe, wo ich zuvörderst der gesammten Proviantmasse meinen Privatmundvorrath, mit dem einzigen Vorbehalte meines Weins, beifügte und dann die Leute durch einige ruhige, feste Worte mit den zur Zeit nöthigen Entbehrungen versöhnte – eine Bemühung, welche sie mit einem Vivat belohnten.

Diese Unglücksfälle waren für mich eine gute Schule und setzten mich bald in die Lage, später in jenen inhaltsschweren Ereignissen, welchen mich mein böser Stern so viele Jahre preisgegeben hatte, mit Entschiedenheit zu handeln. Wir hielten nun den Schnabel des Schiffes gegen Osten und bemühten uns, eine von den kanarischen Inseln anzuthun, hatten aber nichts als Windstillen mit leichten neckischen Winden untermischt. Wir machten sehr geringe Fortschritte auf dem Ocean, obschon die Fortschritte in dem Verschwinden unserer Vorräthe eigentlich reißend genannt werden konnten. Ich brauche nicht zu sagen, daß der Mate, mit welchem ich auf einem sehr vertraulichen Fuße stand, obschon ich unser Verhältnis nicht gerade Freundschaft zu nennen vermag – mit aller Bereitwilligkeit darauf einging, seine Privatvorräthe denen der Gesammtheit beizufügen, und wir berathschlagten uns gegenseitig, ob es nicht gut wäre, dem Schiffer Tomkins den Vorschlag zu machen, daß er unserem Beispiele folge. Ich habe bereits gesagt, wie sehr ich diesen Mann haßte und verachtete, obschon mich die Klugheit – vielleicht ein Ueberrest von der früheren Ruhe meines Charakters – bisher immer bewogen hatte, Alles zu vermeiden, was zu einem Bruche führen konnte. Wir benahmen uns einige Zeit über die passendste Periode, in welchem wir ihm unser mißliebiges Ansinnen stellen konnten, fanden aber bald, daß diese Zögerung nutzlos war. Tomkins war nämlich in der letzten Zeit gar nie mehr ganz nüchtern gewesen, weshalb wir Mittags ganz ruhig in seine Kajüte gingen und ihm unsere Wünsche vortrugen.

Er gerieth in eine unbändige Wuth, überhäufte uns mit den maßlosesten Schimpfreden, und beschuldigte Gavel, daß er die Hauptveranlassung zu all' unserem Unglück sei. Am Ende rief er dem Steward, er solle ihm seine Pistolen bringen, und fluchte hoch und theuer, er wolle uns auf dem Flecke zusammenschießen, da wir in einem Akte offener Meuterei begriffen seien.

Ehe wir die Kajüte betraten, hatte Gavel mir schwören müssen, daß er sich im Zaum halten wolle. Er machte seiner Zusage Ehre, wenn man anders von einem störrisch finsteren Schweigen so sagen kann; aber wer sollte mein Temperament im Zaume halten? Jetzt war es Ardent Troughton, der sprach. Ich schleuderte dem selbstsüchtigen Trunkenbold die leidenschaftlichsten Vorwürfe, die bitterste Verachtung entgegen – hielt ihm seinen Charakter vor, verweilte bei seiner Trunksucht, bei seinem viehischen Benehmen, bei seiner Unfähigkeit für alle Geschäfte, bei seiner schnöden Feigherzigkeit – kurz ich ließ mich durch den Strom meiner Wuth hinreißen. Anfangs saß er blöde da und stierte mich mit trunkenem Stumpfsinn an; aber sein Auge begann sich allmählig zu erhellen, während die Muskeln seines Gesichtes eine finstere Starrheit und seine Züge einen wahrhaft teuflischen Ausdruck annahmen. Dennoch blieb er vollkommen ruhig sitzen, mit der einzigen Ausnahme, daß er mit der Rechten nach einer seiner Pistolen griff, als ob er unabsichtlich und mechanisch damit spiele.

Der Steward, ein ehrwürdiger und achtbarer, grauköpfiger Mann, welchem Tomkins' Aussehen Schrecken einflößte, schlich vorsichtig hinter mich, und blickte hin und wieder über meine Schulter nach den todschießenden Blicken seines Gebieters hin. Aber ich hatte meine Philippica noch nicht zu ihrer Glanzhöhe gesteigert, und kam, glühend von Entrüstung und Ungestüm auf das Deck stampfend, zu folgendem Schlusse:

»Ihr seid in der Stufe der Schöpfung tief herabgewürdigt und steht unendlich weit unter dem edlen Hunde auf dem Decke. Wenn wir unsere Pflicht gegen uns selbst und gegen die Mannschaft erfüllen wollten, so müßten wir Euch augenblicklich des Kommando's entsetzen und Euch mit der Peitsche nach dem Hundestalle jagen, obschon ihr sogar diesen beflecken würdet. – Spielt immerhin mit Eurer Pistole, erbärmlicher Wicht; ich verachte sie und Euch. Ja, man sollte Euch kein anderes Mahl vorwerfen, als den gemeinsten Abfall der Schiffskost; und so wahr ein Gott im Himmel lebt – wenn Ihr nicht fortan Eure Pflicht thut – wenn Ihr nicht Euren aufgehäuften Vorrath von Leckerbissen mit uns theilt – wenn Ihr nicht nüchtern bleibt – ich spreche so im Namen der Schiffsmannschaft und im Namen des Eigentümers, welcher thörichterweise Euch seine reichen Kaufmannsgüter vertraute – ja in meines Vaters Namen sage ich Euch dies – wenn Ihr nicht thut, was wir mit Recht von Euch verlangen können, so werden wir Euch in dieser und in keiner andern Weise behandeln.«

»Das wollt Ihr, Ihr junger Meuterer?« lautete seine rasche Antwort.

Er erhob seine Pistole und feuerte sie ab. Ich hatte mein Auge auf ihn geheftet und sprang bei Seite, so daß die Kugel durch die Brust des alten Mannes fuhr, der hinter mir gestanden hatte. Ehe Tomkins nach der andern Waffe greifen konnte, waren Gavel und ich auf ihn zugestürzt; wir warfen ihn zu Boden und hatten ihm augenblicklich Hände und Fuße gebunden.

»Dies ist also der Mörder,« sagte der Mate in heiserem Flüstern zu mir. »Wir müssen das Schicksal des Jonas über ihn verhängen und so unser kostbares Leben retten.«

*


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