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Achtes Kapitel.

Tollheit und viele Worte in engem Bunde. – Ich taufe ohne ein Honorar, da mir ein Begräbniß zu gleich wohlfeilen Bedingungen in Aussicht steht. – Ich glaube, wirklich gestorben zu sein und will mir dies nicht nehmen lassen.

—————

Der Morgen kam – zugleich die glühende Sonne, die erstickende Hitze und der Alles verzehrende Durst. Unsere vertrockneten Augäpfel spähten gierig über unsern beschränkten Horizont, aber kein freundliches Segel, kein Punkt, der Hülfe hoffen ließ, wollte sich blicken lassen. Der Himmel über uns leuchtete in seinem glänzendsten Blau. Der Hunger hatte angefangen, tiefe Furchen in Jugurtha's Gesicht zu graben; der Hund war unruhig und fieberisch, ich selbst aber war fast wahnsinnig vor Hunger, Durst und tausend bitteren Vorstellungen. Ich fürchte, daß ich bereits zu deliriren angefangen hatte. Ich glaubte Land, kühle Lauben und spielende Quellen zu sehen. Dann kam irgend ein ungeheurer Dreidecker an uns vorbei, und wenn ich im Begriffe war, denselben anzureden oder zu bitten, daß er uns nicht überfahre, verschwand das gespenstische Schiff wieder. Die häufigste Täuschung bestand jedoch darin, daß ich Flaschen an uns vorbeifliegen sehen konnte, die ohne Zweifel mit irgend einer angenehmen, kühlenden Flüssigkeit gefüllt waren, obschon ich nie eine davon erreichen konnte. Den Tag zuvor war ich niedergeschlagen und fast stumm gewesen; heute aber suhlte ich einen unwiderstehlichen Drang zum Reden, obschon ich geraume Zeit der Versuchung widerstand, wenn ich in Jugurtha's düsteres und ausgehungertes Gesicht schaute.

Es mochte ungefähr zwei Uhr Nachmittags sein. Der Schwarze sprang plötzlich auf seine Beine, als sei er nicht länger im Stande die Qualen seines Hungers zu ertragen, und gab durch die nachdrücklichsten Zeichen zu verstehen, daß er umbringen und essen wolle. Durst war in jenem Augenblicke mein vorherrschendes Leiden. Ich glaubte nicht, daß das Blut des Hundes ihn stillen könne, und meine Abneigung, den Lebensstrom sogar eines unvernünftigen Thieres zu vergießen, war so stark als nur je.

»Jugurtha, wir wollen nicht tödten, 's ist noch nichts Gutes dabei herausgekommen. Kapitän Tomkins tödtete den Steward und Gavel brachte später den Kapitän um; aber Gott zürnte und zerstörte die Brigg sammt Allem, was darin war – dich, mich und diesen armen Hund ausgenommen. Du verstehst mich – wir wollen noch heute Nacht schlafen, und wenn morgen früh Gott uns nicht zu Hülfe kommt, so wollen wir Bounder tödten und ihn essen. Ist's dir so recht?«

Er nickte beifällig, obschon es mir fast vorkam, als thue ich Unrecht, wenn ich Jugurtha hinderte, daß er den Hund esse und jenem unabänderlichen Gesetz der Selbsterhaltung folge, welches Gott als Schranke gegen den Selbstmord in unser Inneres gepflanzt hat. Ich beschloß jedoch, ihm nicht länger als bis zum nächsten Morgen Zwang anzuthun und dann selbst auch an dem empörenden Mahle theilzunehmen. Es schien, als habe sich der Neger vorgenommen, mir bis in den Tod zu gehorchen, und mein Herz that sich ihm mehr und mehr auf. Ich bedauerte sehr, daß er sich nicht mit mir unterhalten konnte. Dennoch fuhr ich fort, ihn anzureden, denn der Wahnsinn des vielen Sprechens hatte mich angewandelt, und ich dachte außerdem, daß meine Worte ihn einigermaßen zerstreuen und seine Gedanken von unserer traurigen Lage ablenken könnten. Es folgte nun der nachstehende merkwürdige Monolog.

»Jugurtha ist ein guter Mann.«

Er schüttelte traurig den Kopf zur Verneinung.

»Jugurtha liebt es nicht, Blut zu vergießen?«

Ein anderes unzweideutiges Zeichen der Meinungsverschiedenheit.

»Aber Jugurtha ist ein guter Mann – er liebt seinen weißen Bruder – und wird um dieser Liebe willen thun, was ihn sein weißer Bruder heißt.«

Er kam und küßte meine Hand mit achtungsvoller Innigkeit. Ich fühlte mich sehr ergriffen.

»Aber warum liebt mein Bruder mich, seinen weißen Freund, so sehr?«

Er stand auf und gab mir mit der beredtesten Pantomime, die ich je erblickt hatte, und die mir mehr sagte, als Worte thun konnten, zu verstehen, daß er mich liebe wegen meiner Güte gegen ihn und seine Schiffsgenossen, wie denn überhaupt von allen Menschen ich der Einzige sei, der ihn nicht verachtet oder gekränkt habe. Ich fand nun, daß die Unterhaltung keine Schwierigkeit mehr hatte.

»Wie ging es zu, Jugurtha, daß du deine Zunge verlorst?«

Er legte sich in dem Boden des Kahns auf seinen Rücken, deutete durch Geberden das Fesseln seiner Arme und Beine an, nahm dann sein Messer heraus und stellte vermittelst desselben das Ausschneiden des fraglichen Gliedes dar.

»Im Namen des Barmherzigen – wer, wer?«

Aber seine Pantomime konnte keinen Namen ausdrücken, weshalb ich versuchte, es durch Fragen zu erfahren.

»Ein schwarzer Mann in Jugurtha's Lande?«

Die Antwort war ein verneinendes, unwilliges Kopfschütteln.

»Buckra Mann?«

Eine wilde und rachsüchtige Zustimmung.

»Aber wer konnte dies in einem civilisirten Lande wagen?«

Dies wußte der arme Jugurtha nicht zu erklären. Nun blieben wir für eine Weile stumm, bis endlich gleich einem Sonnenstrahle, der in das Dunkel eines Kerkers dringt, der Gedanke in mir aufzuckte, daß Jugurtha, mein erwählter Bruder, der mit mir auf der Schwelle des Todes stand, vielleicht kein Christ sei. Was hatte ich in diesem Falle für eine Pflicht zu erfüllen – und wie kurz war mir die Zeit zugemessen!

Ich fragte ihn. Er wußte nichts von Gott und von Erlösung – hatte auch nie gebetet. Von einem Jenseits hatte er keine Vorstellung; wenigstens glaubte ich dies aus seiner Geberde zu entnehmen, denn als ich ihn fragte, wohin er nach dem Tode gehe, breitete er plötzlich seine Arme aus, als wolle er das Bersten einer Blase andeuten, blies den Athem mit Heftigkeit aus seinem Mund, und fuhr dann ungeduldig mit seiner Hand über das Gesicht.

»Jugurtha,« sagte ich, »das große Wesen, welches die Sonne, dich, mein Freund, mich und alle Dinge gemacht hat, schuf Alles in Liebe und aus Liebe, um glücklich zu sein in den Erdenprüfungen, und glücklich zu sein nach denselben im Tode für immer, immer und immer. Du hörst dies, Jugurtha? – Nun hat aber das große Wesen nicht uns Alle eigenhändig geschaffen, sondern durch seine ewigen Gesetze in's Leben treten lassen, obschon er den ersten Mann und das erste Weib selbst bildete. Diese sind unser Vater und unsere Mutter – und deshalb, Jugurtha, sind wir lauter Brüder und Schwestern – gleichviel, welche Farbe sie haben – ob sie von den heißen Sonnenstrahlen des einen Landes herkommen, oder von dem kalten Wetter des andern.«

Jugurtha schien mich sehr gut zu verstehen, weshalb ich fortfuhr –

»Aber unsere gemeinschaftlichen ersten Eltern, welche, wie ich dir sagte, Gott eigenhändig schuf, hatten sich sehr schlimm aufgeführt, indem sie thaten, was Gott ihnen verbot, und Lügen sagten. So kam die Sünde über sie und über das ganze Geschlecht – über dich sowohl, als über mich; und seitdem ist auch der Tod über uns gekommen, welcher vor der Sünde nicht war, denn um ihrer willen müssen wir Alle sterben.«

Diese Ankündigung schien den Neger sehr unglücklich zu machen – ein Gefühl, das ich bald zu beseitigen im Stande war; denn ich fuhr in der gleichen vertraulichen Weise fort, ihm nicht die Geheimnisse, sondern die Thatsachen einer Wiederauferstehung des Menschen auseinanderzusetzen, worauf ich auf das unaussprechliche und liebevolle Opfer der Erlösung überging. Ich öffnete seine Seele der ewigen Gnadenquelle, erhob sie durch das Bewußtsein der Unsterblichkeit, und weinte ungekünstelte Thränen der Freude.

Dies war jedoch nicht so schnell abgethan, denn ich mußte wiederholen und wiederholen, ohne jedoch müde zu werden. Ich vergaß den Hunger, den Durst und die Verlassenheit auf der weiten Meeresfläche. Wenn auch sein Körper verloren gehen sollte, so sehnte ich mich jedenfalls darnach, seine Seele zu retten – und gewiß, ich hatte damals die Gabe der Zungen, die Gluth der Begeisterung. Als endlich die Sonne niederging, taufte ich den Neger – möge Gott mir vergeben, wenn die Handlung nicht recht war! – mit dem bitteren Salzwasser, das uns wahrscheinlich so bald zerstören und uns zum Grabe werden sollte.

Nach dieser Ceremonie, welche blos in der Form, nicht aber im Geiste unvollkommen war, betete ich mit ihm während des kurzen Zwielichts; dann aber legten wir uns sehr getröstet und todesfreudig nieder, wenn es Gottes Wille sein sollte, uns von der Erde abzurufen.

Es entging mir nicht, daß der Neger schnell dahinschwand. Er war viel älter, als ich, und hatte vor dem Schiffbruch der Jane weit mehr Mühseligkeiten durchgemacht. Was mich betraf, so litt ich unter dem Uebermaße meiner Aufregung; ich hatte zuviel gesprochen, und mein Geist begann zu deliriren. Jugurtha war nicht länger der schiffbrüchige, sterbende Neger, sondern der königliche Numidier, welcher so lange mit dem Alles erobernden Rom gerungen, obgleich ich nicht begreifen konnte, wie dieser mächtige Krieger so ruhig und abgezehrt zu meinen Füßen liegen mochte.

»Auf, Sohn von Manastabal!« rief ich, »die römischen Legionen sind über dir! Was schläfst du hier? Marius ist mit seinen Schaaren und Adlern in der Nähe. Führe die mauritanische Reiterei zum Angriff – rufe deinen Freund, den König Bocchus auf! Doch nein, das kannst du ja nicht – du bist ja stumm! In der That ein sauberer König – wie willst du dich vor dem römischen Senat gegen den vielgekränkten Adherbal vertheidigen? Du willst ihn ermorden? – Schon gut – aber habe ich dich nicht eben erst im Namen des gebenedeiten, dreieinigen Gottes getauft? Und wir versprachen, uns nicht mehr mit Blut zu beflecken. Jugurtha, mich dünkt, du seiest im Grunde doch nur ein erbärmlicher König – wie, todt? – Ja. Ich weiß, daß du sechs Tage brauchest, um dich zu Tode zu hungern, und ich habe, Gott sei Dank, noch nicht meinen dritten gesehen.« Und so raste mein Geist fort.

Ich kann mich eben nicht erinnern, daß in Mitte meines Wahnsinns der Gedanke in mir auftauchte, es sei ein indirekter Selbstmord, wenn ich länger zögern wollte, das Fleisch des armen Hundes zu verzehren; ich tastete daher nach dem Messer des hingestreckten Schwarzen, fiel aber dann selbst bewußtlos nieder.

Am andern Morgen, als die Sonne kaum zwei Stunden alt war, erwachte ich – oder besser gesagt, ich erholte mich aus meiner langen Ohnmacht – wahnsinnig zwar, aber in einem seligen, himmlischen Wahnsinn, dessen Erinnerung nie wieder aus meinem Gedächtniß weichen wird. Er war durch die kochende Gluth der Sonne unzerstörlich in mein versengtes Gehirn eingebrannt und muß wohl leben, so lange ich Leben habe; vielleicht stellt sich nach dem Tode des Fleisches heraus, daß er etwas mehr war, als eine irre Vision.

Ich erhob mich matt und steif aus meiner zurückgelehnten Lage, empfand aber einen süßen Seelenfrieden. Ich blickte umher – es war windstille. Selbst die langen, gemessenen Wellen von gestern hatten sich gelegt. Zu meinen Füßen lag der Neger und der Hund. Ihre Pulse waren noch immer zu fühlen, aber sie hatten keine Besinnung. Meine Versuche, Jugurtha zu wecken, bewirkten nur eine lethargische Bewegung der Ungeduld, und ich ließ bald ob, ihn zu stören. Hunger, Durst, Angst, Schrecken, Todesfurcht – kurz alle Gefühle waren verschwunden, das einer köstlichen Schwäche ausgenommen. Es däuchte mich, als sei mein Wesen zurückgewandert zu der frühesten Periode seiner sündenlosen Kindheit, freilich nicht ohne eine übermenschliche Anstrengung; ich lehnte mich daher auf einen der Vorder- und Hintersitze in den Sternschooten des Bootes zurück.

Der stille Strom des Segens bemächtigte sich so sanft meines Daseinsgefühls, daß mein Dank auf's Lebhafteste angefacht wurde und ich unwillkürlich in die Hymne ausbrach:

»Ehre sei dir, Ewiger – ich bin hier!« rief ich entzückt; »rufst du deinen Knecht? Sieh! ich bin bereit. Ich will auf den nebeligten Strahlen der Sonne hinansteigen und den Schemel deines Thrones küssen. Allerbarmer! ich preise dich, obschon meine Zunge schwach ist, und keine Worte von meinen Lippen kommen können, um zu dir zu dringen. Wer vermag deine Liebe zu ermessen, du grenzenloser Gnadenspender? Der Busen deines Meeres strahlt glorreich wieder von dem Abglanze deines Himmels – aber was ist er – was sind die Weltkreise, die sich durch dein Firmament wälzen – was sind sie? Nichts weiter als ein Sandkorn am Seegestade – ein Tropfen in dem unendlichen Ocean, selbst wenn sie ein Wurm, wie ich, mit deiner Unendlichkeit vergleicht. Unaussprechlich! Geheimnißvoll! Niemand kann dich begreifen. Sogar diejenigen, welche zunächst stehen an deinem Throne, sind in Ehrfurcht verloren; wir kennen dich nur als den ewigen, unergründlichen und unbegrenzbaren Urquell der Liebe. Nimm mich zu dir; bring mich in den Schatten deiner Alles umfassenden Schwingen; lehre mich dich zu preisen, damit ich dein Loblied singen möge und mein Herz froh werde.«

In derartigen Rhapsodien erging ich mich, und meine Brust erweiterte sich in einem Schwunge, der zu gewaltig war, um in Worten ausgedrückt werden zu können. Stunde entschwand um Stunde; und dann, als die Strahlen der Sonne schräg vom Himmel niederfielen, däuchte mich, daß nebelige Geister darauf niederstiegen wie auf einem ätherischen Wege, dann auf dem Wasser weiter wandelten und das Boot umringten, in welchem ich wie auf meinem Sterbebette lag. Ich weiß, dies Alles war nur eine Sinnentäuschung; aber wie lebhaft, wie herrlich erschienen mir nicht alle jene Wesen! Anfangs konnte ich sie nur matt unterscheiden. Ich fuhr mit der Hand über meine Augen und versuchte, jene himmlischen Gestalten herauszureiben, als wären sie eben so viele Hallucinationen, die eitlen Phantasmen eines verwirrten Gehirns.

Aber sie wollten nicht scheiden, sondern drängten sich um mich her und lächelten mir zu. Einige jener schönen Schatten fächelten mir mit ihren ambrosischen Schwingen Kühlung zu und ließen einen Duftregen auf mich niederfallen. Jeden Augenblick wurden sie greifbarer, wirklicher, und dann stahl sich eine Symphonie vieler Stimmen sachte über die Oberfläche des Wassers. Ich hatte die Sprache jener Worte zwar nie zuvor gehört, verstand sie aber doch mit einemmale, und der Chor schien mir zu sagen: »Seele eines Bruders, komm nach deiner himmlischen Wohnstätte!«

Und plötzlich verwandelte sich das Boot in einen Wolkenwagen, und die Gestalt Jugurtha's stand weit ab in ungeheuern Umrissen auf den Wellen. Er schien gleich einem Riesen über einen fernen Hügel hinaufzuragen, und allmählig minderte sich der Raum zwischen dem blauen Wasser und dem blauen Himmel, obschon es mir nicht klar wurde, ob das eine hinan, oder der andere herunterstieg. Endlich mischte sich Alles in Eins zusammen, und dann theilten sich im Mittelpunkte langsam ungeheure Massen goldenen Nebels, wie die Elfenbeinthore eines herrlichen Tempels. Endlich traf ein unbeschreibliches Licht meine Stirne und drang bis in's Innerste meines Herzens, welches mit einemmale darin die Wesenheit des Ewigen erkannte, während von den vier Ecken des Weltalls dröhnende Donnerharmonien erschollen, aus denen mein wirbelndes Gehirn nur das Wort Anbetung verstehen konnte. Endlich sank ich, von dem Uebermaße des Lichtes und der Melodie betäubt, an der Stelle, wo ich stand, ohne Besinnung zusammen.

In diesem Augenblicke war meine Seele wirklich dahingegangen – welch' eine herrliche Euthanasie!

*


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